Regeste | |
Art. 85 lit. a OG; Formulierung der Abstimmungsfrage.
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1. Die Behörden trifft bei der Formulierung der Abstimmungsfrage eine erhöhte Sorgfaltspflicht, welche die vom Bundesgericht im Zusammenhang mit amtlichen Erläuterungen aufgestellten Anforderungen übersteigt. Die Frage muss klar und objektiv abgefasst werden, darf weder irreführend sein noch suggestiv wirken und muss allfälligen besonderen Vorschriften des kantonalen Rechts genügen (E. 1).
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2. Anwendung dieser Grundsätze auf die zürcherische Abstimmung über die Wünschbarkeit der Erstellung des Kernkraftwerks Kaiseraugst:
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- Die Abstimmungsfrage genügt den Anforderungen von Art. 30 Abs. 1 Ziff. 4 KV (E. 2);
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- sie wirkt indessen suggestiv (E. 3). ![]() | |
In der kantonalen Volksabstimmung vom 2. Dezember 1979 nahm das Zürcher Stimmvolk ein "Verfassungsgesetz über Volksrechte beim Bau Von Atomanlagen" an, durch welches die Kantonsverfassung vom 18. April 1869 wie folgt geändert wurde:
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"Art. 30. Der Volksabstimmung werden unterstellt: Ziff. 1-3 unverändert; 4. Die Stellungnahmen des Kantons im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens des Bundes über die Wünschbarkeit der Errichtung von Atomanlagen auf dem Gebiete des Kantons Zürich und seiner Nachbarkantone. Abs. 2 ff. unverändert." | |
Dieses Verfassungsgesetz trat am 19. Januar 1980 in Kraft.
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Gemäss Art. 6 Abs. 1 des Bundesbeschlusses zum Atomgesetz vom 6. Oktober 1978 (Bundesbeschluss) holt der Bundesrat von den Kantonen und den zuständigen Fachstellen des Bundes Vernehmlassungen zum Gesuch um Erteilung der Rahmenbewilligung ein. Art. 3 des Bundesbeschlusses führt die einzelnen Voraussetzungen auf, welche für die Rahmenbewilligung erfüllt sein müssen. Bei Atomanlagen, für die eine Standortbewilligung, aber noch keine (nukleare) Baubewilligung besteht, wird gemäss Art. 12 Abs. 2 des Bundesbeschlusses in einem vereinfachten Verfahren nur noch geprüft, ob an der Energie, die in der Anlage erzeugt werden soll, im Inland voraussichtlich ein hinreichender Bedarf bestehen wird.
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Der Bundesrat veröffentlichte am 18. September 1979 das Gesuch um Erteilung der Rahmenbewilligung für das Kernkraftwerk Kaiseraugst und lud unter anderem die Kantone zur Vernehmlassung zu diesem Gesuch ein. Da er davon ausging, dass das vereinfachte Verfahren durchzuführen sei, war lediglich ![]() ![]() | |
Am 6. Februar 1980 fasste der Regierungsrat über die Anordnung der kantonalen Volksabstimmung vom 27. April 1980 Beschluss. Danach wird unter II den Stimmberechtigten folgende Frage zur Beantwortung mit Ja oder Nein vorgelegt:
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"5. Stellungnahme des Kantons Zürich im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens des Bundes über die Wünschbarkeit der Errichtung des Kernkraftwerks Kaiseraugst. Wollen Sie den zuständigen Bundesbehörden empfehlen, im Interesse der Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung, die Errichtung des Kernkraftwerks Kaiseraugst zu bewilligen?" | |
Diese Formulierung der Abstimmungsfrage entspricht einem Beschluss des Kantonsrates, der am 21. und 28. Januar 1980 über die Fragestellung beraten hatte.
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Entscheid: | |
Das Bundesgericht heisst eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verabschiedung dieser Abstimmungsfrage gut.
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Erwägung 1 | |
1. Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimmrecht gibt dem Bürger unter anderem Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 105 Ia 150 E. 2, 153 E. 3a; BGE 104 Ia 223 E. 2b, 237 E. 2a; BGE 97 I 662 /63; BGE 91 I 318; BGE 90 I 73). Der freie Wille der Stimmbürger kann namentlich durch eine unrichtige Fragestellung auf dem Stimmzettel verfälscht werden. Eine fehlerhafte Formulierung der Abstimmungsfrage ist sogar in besonderem Masse geeignet, auf den Volkswillen einzuwirken und diesen zu verfälschen, denn die vom Bürger verlangte Antwort steht in engem Zusammenhang mit der ihm gestellten Frage und wird durch diese bis zu einem gewissen Grade bestimmt. Die Gewährleistung einer unverfälschten Kundgabe des politischen Willens verlangt daher, dass die Abstimmungsfrage klar und korrekt abgefasst wird (vgl. H. Huber, Die Formulierung der Abstimmungsfragen bei Eventualabstimmungen gemäss Art. 30 Abs. 2 der Zürcher Kantonsverfassung, in: ZBl 77/1976 S. 179; Picenoni, Die Kassation von Volkswahlen ![]() ![]() | |
Erwägung 2 | |
a) Die "Wünschbarkeit" ist kein Begriff der bundesrechtlichen Atomgesetzgebung und damit an sich nicht Entscheidungskriterium für die Erteilung oder Verweigerung der Rahmenbewilligung, welche Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens bildet. Den Materialien zur Verfassungsbestimmung ist zu entnehmen, dass der Begriff der Wünschbarkeit absichtlich und in Kenntnis der geltenden bundesrechtlichen Ordnung gewählt ![]() ![]() | |
b) Dennoch soll die Stellungnahme der Stimmbürger nach der Verfassungsbestimmung "im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens des Bundes" erfolgen. Die Verfassung nimmt also Bezug auf das Vernehmlassungsverfahren und rückt die Volksabstimmung zeitlich und sachlich in die Nähe der Vernehmlassung zur Frage, ob die Rahmenbewilligung für eine bestimmte Atomanlage erteilt werden soll oder nicht. Nach der bundesrechtlichen Ordnung muss die Bewilligung erteilt werden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Da nach Ansicht der Bundesbehörden für das Kernkraftwerk Kaiseraugst das vereinfachte Bewilligungsverfahren durchzuführen ist, muss zur Erteilung der Rahmenbewilligung nurmehr nachgewiesen werden, dass an der Energie, die in der Anlage erzeugt ![]() ![]() | |
c) Fraglich kann allenfalls sein, ob das bundesrechtliche Kriterium, welches für die Erteilung oder Verweigerung der Rahmenbewilligung entscheidend ist, in die Abstimmungsfrage selber eingefügt werden darf. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie die verschiedenen Satzteile von Art. 30 Abs. 1 Ziff. 4 KV gewichtet werden. Die Beschwerdeführer legen das Hauptgewicht auf die Formulierung, das Volk habe "über die Wünschbarkeit der Errichtung von Atomanlagen" zu entscheiden; sie vertreten daher die Ansicht, es sei dem Stimmbürger gemäss diesem Wortlaut lediglich die allgemeine Frage nach der Wünschbarkeit des Kernkraftwerks Kaiseraugst zu stellen und nichts anderes. Der Regierungsrat legt dagegen das Gewicht vor allem auf den Umstand, dass die Volksabstimmung gemäss der Verfassungsbestimmung "im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens des Bundes" zu erfolgen hat. Er kommt daher zum Schluss, auch die Fragestellung dürfe Bezug auf das hängige Vernehmlassungsverfahren nehmen und insbesondere das entscheidwesentliche Kriterium für die Erteilung oder Verweigerung der Rahmenbewilligung enthalten. Der Wortlaut der Bestimmung lässt beide Auslegungen zu. Er stellt die Abstimmung über die Wünschbarkeit in den grösseren Zusammenhang des Vernehmlassungsverfahrens des Bundes, sagt aber nicht, wie eng das Verhältnis zwischen Volksabstimmung und Vernehmlassung sein soll. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gibt keine schlüssige Antwort auf die Frage, ob die Volksabstimmung derart eng mit dem Vernehmlassungsverfahren verbunden werden darf, dass das im Bewilligungsverfahren entscheidwesentliche Kriterium in die Abstimmungsfrage aufgenommen wird, oder ob der Zusammenhang lediglich im beleuchtenden Bericht hergestellt werden darf. Aus den Materialien ist lediglich zu entnehmen, dass Vernehmlassung und Volksabstimmung nicht identisch sind. Auch unter teleologischen Gesichtspunkten lassen sich ![]() ![]() ![]() | |
3. Die Fragestellung darf die Willensbildung des Stimmbürgers weder zugunsten einer Bejahung noch einer Verneinung beeinflussen. Eine unzulässige Suggestivfrage liegt etwa vor, wenn ein entscheidendes Argument, welches für oder gegen die Vorlage spricht, in die Abstimmungsfrage eingefügt wird. Die kantonalen Behörden stellten die Frage: "Wollen Sie ... empfehlen, im Interesse der Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung die Errichtung des Kernkraftwerks Kaiseraugst zu bewilligen?" Sie wollten mit dieser Frage darauf hinweisen, dass bei der Beantwortung die im Vernehmlassungsverfahren massgebliche Bedarfsfrage zu berücksichtigen sei. Hätten sie den Stimmzettel entsprechend dieser Absicht verfasst und den Stimmbürger beispielsweise gefragt, ob er die Errichtung des Kernkraftwerks Kaiseraugst unter Berücksichtigung der im Vernehmlassungsverfahren entscheidenden Bedarfsfrage für wünschbar halte, dann wäre die Fragestellung nicht zu beanstanden gewesen, weil sie bloss auf das bundesrechtlich massgebliche Kriterium hingewiesen hätte. Der unvoreingenommene Leser des Stimmzettels versteht die Formulierung indessen in dem Sinne, dass der Stimmbürger gefragt wird, ob er die im Interesse der Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung liegende Errichtung des Kernkraftwerks Kaiseraugst empfehlen wolle. Die Frage bringt daher zum Ausdruck, die Erstellung des Kernkraftwerks liege im Interesse einer gesicherten Energieversorgung und setzt damit als gegeben voraus, was eigentlich Gegenstand der Frage sein sollte. Die Formulierung unterstellt, es bestehe ein Bedürfnis für ein Kernkraftwerk und enthält damit ein - von den Gegnern der Vorlage bestrittenes - Argument, welches für die Annahme der Vorlage spricht; sie wirkt in diesem Sinne suggestiv und ist daher unzulässig. Der angefochtene Regierungsratsbeschluss muss aus diesen Gründen aufgehoben werden. ![]() |