Regeste | |
Stimmrechtsbeschwerde. Grundsatz der Einheit der Materie.
| |
2. Keine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie durch die Volksabstimmung im Kanton Zürich über das "Gesetz über die Änderung der Aufgabenteilung zwischen dem Kanton und den Gemeinden sowie über den Lastenausgleich mit den Städten Zürich und Winterthur" (E. 3).
| |
Am 13. August 1984 beschloss der Zürcher Kantonsrat ein "Gesetz über die Änderung der Aufgabenteilung zwischen dem Kanton und den Gemeinden sowie über den Lastenausgleich mit den Städten Zürich und Winterthur". Damit werden einzelne Gesetze neu erlassen sowie in Kraft stehende Gesetze geändert; neben weitern Erlassen wird ein "Gesetz über die Trägerschaft der Berufsschulen" neu geschaffen. Dieses ermächtigt den Kanton unter anderem, private Berufsschulen dann zu übernehmen, wenn die Eigenleistungen der privaten Trägerschaft weniger als 10 Prozent der anrechenbaren Betriebsausgaben der Schule betragen.
| |
Die Gesetzesvorlage unterlag dem obligatorischen Referendum. Mit Eingabe vom 16. November 1984 erhoben der Schweizerische Kaufmännische Verband, sieben weitere kaufmännische Vereinigungen sowie eine im Kanton Zürich stimmberechtigte Privatperson staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Sie rügen unter anderem eine Stimmrechtsverletzung wegen Missachtung des Prinzips der Einheit der Materie. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
| |
Erwägung 2 | |
b) Der Grundsatz der Einheit der Materie ist im zürcherischen Recht nur hinsichtlich der Volksinitiative ausdrücklich verankert. Nach § 4 Abs. 1 Ziff. 4 des Gesetzes über das Vorschlagsrecht des Volkes vom 1. Juni 1969 ist eine Initiative ungültig, "die Begehren verschiedener Art enthält, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, es sei denn, dass es sich um eine Initiative auf Gesamtrevision der Staatsverfassung handelt".
| |
Der Grundsatz gilt jedoch auch allgemein von Bundesrechts wegen. Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politische Stimmrecht gibt dem Bürger unter anderem Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 108 Ia 157 E. 3b). Daraus wird unter anderem das generell gültige Prinzip der Einheit der Materie abgeleitet, wonach verschiedene Materien nicht zu einer Abstimmungsvorlage verbunden werden dürfen (BGE 104 Ia 223 E. 2b mit Hinweisen).
| |
Das Bundesgericht stellt bei der Konkretisierung des Grundsatzes der Einheit der Materie an eine behördliche Vorlage weniger strenge Anforderungen als an ein Volksbegehren. Der Grund dafür liegt darin, dass es neben der in beiden Fällen angestrebten Gewährleistung des politischen Stimmrechts bei den Initiativen zusätzlich darum geht, die missbräuchliche Ausübung des Initiativrechts zu verhindern, da die Vereinigung mehrerer Postulate die Unterschriftensammlung übermässig erleichtert (BGE 99 Ia 182 E. 3b mit Hinweisen). Das Prinzip der Einheit der Materie hat sodann in den verschiedenen Bereichen politischer Willensbildung unterschiedliches Gewicht. So besteht die weiteste Gestaltungsfreiheit im Bereich der Gesetzesvorlage. Dabei ist der Grundsatz gewahrt, sofern mit dem fraglichen Gesetz eine bestimmte Materie geregelt werden soll und die einzelnen, zu diesem Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen. Der Stimmbürger hat mithin keinen verfassungsmässigen Anspruch darauf, dass ihm einzelne, allenfalls besonders wichtige Vorschriften eines Gesetzes, das eine bestimmte Materie regelt, gesondert zur Abstimmung vorgelegt werden. Er muss sich vielmehr auch dann für die Gutheissung oder Ablehnung der ganzen Gesetzesvorlage entscheiden, wenn er mit einzelnen Vorschriften nicht einverstanden ist (BGE 99 Ia 646 E. 5b mit Hinweisen).
| |
Das Prinzip der Einheit der Materie überlässt schliesslich der zuständigen Behörde vielfach einen Gestaltungsspielraum. Von Ausnahmen abgesehen, die hier nicht zutreffen, steht es den Kantonen frei, einzelne Postulate, die einer einheitlichen Materie entsprechen, gemeinsam oder gesondert zur Abstimmung zu bringen. Der Grundsatz verbietet bloss, verschiedene Fragen ohne inneren Zusammenhang zu vereinigen, nicht aber, verschiedene Fragen mit innerem Zusammenhang zu trennen. Steht sowohl die Möglichkeit einer einheitlichen wie einer getrennten Abstimmung offen, hat der Stimmbürger keinen verfassungsmässigen Anspruch darauf, dass die Behörde sich für diese oder jene Variante entscheidet.
| |
Erwägung 3 | |
"1. Verbesserte Übereinstimmung von Kompetenzen und Finanzierungsverantwortung durch Aufgabenentflechtung; 2. Klare Aufgabenzuteilung an die einzelnen Körperschaftsebenen und damit Stärkung des föderalistischen Grundelements unseres Staatsaufbaus; 3. Einsparungen durch Verwaltungsvereinfachungen, Verminderung des administrativen Aufwands der Subventionswirtschaft." | |
Einheitliches Anliegen des Gesetzes ist die verbesserte Lastenverteilung zwischen den einzelnen Gemeinwesen. So sollen die Kernstädte Zürich und Winterthur durch eine kantonale Subventionierung ihrer Verkehrsbetriebe entlastet (Art. I ALG) und der allgemeine Finanzausgleich verbessert (Art. II ALG) werden. Sodann ist vorgesehen, dass der Kanton auf einen Anteil an den Billettsteuern der Gemeinden verzichtet (Art. III ALG). Im weitern sollen die Gemeinden von den Aufgaben der Berufsbildung entlastet werden (Art. IV ALG). Schliesslich sieht das Gesetz vor, die Lastenverteilung zwischen Kanton und Gemeinden im Bereich des Volksschul- und Kindergartenwesens neu zu regeln (Art. V bis VII ALG). Es ist offensichtlich und wird von den Beschwerdeführern dem Grundsatz nach auch nicht bestritten, dass all diese Neuordnungen in einem finanzpolitischen Sachzusammenhang stehen. Die einzelnen Massnahmen sind darauf ausgerichtet, ein gemeinsames Ziel - eine bessere innerkantonale Finanzordnung - zu erreichen. Der Grundsatz der Einheit der Materie ist somit gewahrt. Der Kanton Zürich war daher unter dem Blickwinkel des verfassungsmässig garantierten politischen Stimmrechts befugt, die einzelnen Massnahmen dem Stimmbürger in einer einheitlichen Vorlage gesamthaft zur Abstimmung zu unterbreiten. Dass gegebenenfalls auch die Möglichkeit bestanden hätte, die Vorlage aufzuteilen und mehrere Abstimmungsfragen zu stellen, ändert an der Zulässigkeit des gewählten Vorgehens nichts. Nach dem Gesagten besteht kein Anspruch der Stimmbürger, dass die kantonale Behörde sich von zwei möglichen Varianten für die eine oder die andere entscheidet.
| |
Diese Argumentation verkennt, dass die kaufmännischen Schulen nur einen Teil der allgemeinen Berufsschulen ausmachen und in das Gesamtsystem der Berufsbildung integriert sind. Dieses System aber weist nach der bisherigen Ordnung eine differenzierte Struktur auf. So werden die gewerblich-industriellen Berufsschulen allgemein durch die Gemeinden des Standortes betrieben und getragen. Ausserkommunale Berufsschulen dieser Richtung bilden die Ausnahmen (z.B.: Berufsschule Horgen, getragen durch einen privaten Verein; Schweizerische Frauenfachschule Zürich, getragen durch eine öffentlichrechtliche Anstalt; Luftverkehrsschule Swissair; Berufsschule Sulzer). Demgegenüber haben die kaufmännischen Berufsschulen durchwegs eine private Trägerschaft, jene der lokalen kaufmännischen Vereine.
| |
Im Vernehmlassungsverfahren, das dem Erlass des Gesetzes vorangegangen ist, verlangten siebzig Gemeinden eine Übernahme der Berufsschulen durch den Kanton. Die Aufgabenentflechtung im Berufsbildungswesen wurde als erstrangiges Anliegen bezeichnet, da die Gemeinden vorab die massiven finanziellen Belastungen als unverhältnismässig zur praktisch fehlenden Autonomie in der Betriebsgestaltung der Schulen beanstandeten (Vernehmlassungsbericht der Finanzdirektion des Kantons Zürich zur Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden vom Juli 1981, S. 23 ff.). Der angenommene Erlass trägt diesen Anliegen Rechnung. Zwischen den beteiligten Gemeinwesen war dabei offenbar stets unbestritten, dass mit einer Übernahme der Finanzlasten auch die Trägerschaft dieser Berufsschulen auf den Kanton übergehen sollte.
| |
Diese Ordnung erscheint denn auch ohne weiteres sachgerecht. Die Identität von wirtschaftlicher und betrieblicher Trägerschaft erscheint in jeder Hinsicht als zweckmässig. Durfte aber die wirtschaftliche Trägerschaft unter dem Blickwinkel der Einheit der Materie in einem Gesamterlass neu geordnet werden, so gilt das ohne weiteres auch für die gleichzeitig notwendige Neuordnung der betrieblichen Trägerschaft.
| |
Gleiches muss für die Berufsschulen gelten, die nicht durch die Gemeinden, sondern durch andere öffentlichrechtliche oder private Organisationen getragen werden. Auch diese Berufsschulen sind nicht selbsttragend, sondern im wesentlichen von Beiträgen des Gemeinwesens abhängig. Sie sind wirtschaftlich, aber auch unterrichtsmässig in das Gesamtgefüge des staatlichen Berufsbildungswesens integriert; sie haben praktisch nur hinsichtlich der betrieblichen Trägerschaft eine Sonderstellung. Die Neuordnung der finanziellen Leistungen des Gemeinwesens an diese Berufsschulen rechtfertigte es unter dem Blickwinkel der Einheit der Materie, auch eine betriebliche Zuständigkeitsordnung zu erlassen. Die Frage des inneren Sachzusammenhangs stellt sich hier nicht anders als bei den bisher kommunal betriebenen Berufsschulen. Dass die öffentlichen und die privaten Schulträger von einheitlichen Regelungen betroffen werden, ist in bezug auf das politische Stimmrecht ohne Belang. Das einheitliche Ziel des streitigen Gesetzes wird durch die unterschiedlichen Auswirkungen auf einzelne Betroffene nicht verändert. Es genügt vielmehr dem Erfordernis der Einheit der Materie.
| |