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Bearbeitung, zuletzt am 29.05.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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21. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 19. Februar 1988 |
i.S. M. R. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich |
(staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 49 und 50 BV, Art. 9 EMRK; Schuldispensation für Laubhüttenfest der Weltweiten Kirche Gottes. |
Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit im Rahmen des Schulobligatoriums (E. 3). |
Benötigen Angehörige einer stark auf dem Alten Testament basierenden Religionsgemeinschaft pro Jahr insgesamt nicht mehr Tage Schuldispensation, als der Kanton Zürich den - meistbegünstigten - Angehörigen der jüdischen Religion zugesteht, so wird das Verhältnismässigkeitsgebot verletzt, wenn die Schuldispensation für 5 (oder, je nach Jahr, 6) aufeinanderfolgende Tage mit der Begründung verweigert wird, dass Schüler jüdischen Glaubens nie mehr als 4 aufeinanderfolgende Tage Schuldispensation beanspruchen müssen (E. 5). | |
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A.- M. R. gehört der Weltweiten Kirche Gottes an, die das Alte und das Neue Testament als verbindlich betrachtet und damit insbesondere auch die jüdischen Feste feiert. Am 3. September 1986 ersuchte er die Primarschulpflege K., seine Tochter A., geboren 23. Juli 1979, vom Schulbesuch am Samstag und für 5 Tage während des Laubhüttenfestes 1986 zu dispensieren. Die Primarschulpflege K. bewilligte die Dispensation vom Schulbesuch am Samstag, gewährte jedoch nur 4 freie Schultage für das Laubhüttenfest.
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Rekurse wurden sowohl von der Bezirksschulpflege als auch vom Erziehungsrat des Kantons Zürich abgewiesen. Der Erziehungsrat führte in seinem Entscheid vom 10. März 1987 aus, da die Mitglieder der Weltweiten Kirche Gottes die gleichen Festtage feierten wie die Angehörigen des jüdischen Glaubens, sei § 58 Abs. 2 der Verordnung betreffend das Volksschulwesen des Kantons Zürich vom 31. März 1900 (Schulverordnung) analog anzuwenden; unter diesen Umständen sei eine Dispensation von 4 Tagen für das Laubhüttenfest angemessen.
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Am 3. und 5. April 1987 erhob M. R. Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Er machte geltend, die Weltweite Kirche Gottes sei eine christliche und keine jüdische Glaubensgemeinschaft; die Mitglieder dieser Kirche müssten das Laubhüttenfest und anschliessend den Letzten Grossen Tag für eine Dauer von 8 Tagen an einem gemeinsamen Ort feiern. Am 10. Juni 1987 wies der Regierungsrat den Rekurs kostenfällig ab.
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Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. August 1987 beantragt M. R., der Beschluss des Regierungsrats sei aufzuheben, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdegegners.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
1.- a) Gemäss Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung einem Privaten bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die er durch allgemein verbindliche oder ihn persönlich treffende behördliche Anordnungen erlitten hat. Die Beschränkung der Schuldispensation für das Laubhüttenfest auf 4 Tage stellt offensichtlich eine den Beschwerdeführer im Sinne dieser Bestimmung ![]() ![]() | 6 |
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Trotzdem ist - um auch die Tragweite für die Zukunft zu erfassen - zu beachten, dass der Bedarf an Schuldispensation für das Laubhüttenfest, das bis und mit dem Letzten Grossen Tag jeweils 8 Tage dauert, von Jahr zu Jahr verschieden sein kann. So bestand 1987 überhaupt kein Bedarf, da das Fest in die Herbstferien fiel. 1988 dauert das Fest von Montag dem 26. September bis Montag den 3. Oktober, so dass - unter Berücksichtigung des bereits frei gegebenen Samstags - 6 schulfreie Tage benötigt werden. 1989 (Samstag 14. Oktober bis Samstag 21. Oktober) werden es wiederum - wie 1986 - 5 Tage sein. Mehr als 6 Tage werden nie benötigt, weil in den Zeitraum von 8 Tagen stets ein Wochenende (mit dem bereits bewilligten schulfreien Samstag) fällt.
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Erwägung 2 | |
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a) Gemäss Art. 49 BV ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit unverletzlich (Abs. 1); die Ausübung bürgerlicher oder politischer Rechte darf aber durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen ![]() ![]() | 10 |
b) Gemäss Art. 27 Abs. 2 BV haben die Kantone für genügenden Primarunterricht zu sorgen, welcher ausschliesslich unter staatlicher Leitung steht; derselbe ist obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich; die öffentlichen Schulen sollen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können (Abs. 3). Die Verfassung selber statuiert in Art. 27 somit eine Bürgerpflicht und schränkt insofern die von ihr selber garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit ein; die gleiche Bestimmung selbst wiederholt aber den Grundsatz, dass dieses Grundrecht durch das Schulobligatorium nicht beeinträchtigt werden darf. Es ![]() ![]() | 11 |
Erwägung 3 | |
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Die Vorschrift in Art. 27 Abs. 3 BV, wonach die öffentlichen Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit sollen besucht ![]() ![]() | 13 |
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Hinsichtlich des Schulbesuchs am Samstag sieht § 59 Schulverordnung für den Kanton Zürich - anders als die gesetzliche Ordnung im erwähnten Urteil - eine grosszügige Lösung vor. Aus den Erwägungen jenes Urteils ist jedoch auch für den vorliegenden Fall festzuhalten, dass für die Frage, in welchem Ausmass für Feiertage der Religionsgemeinschaft, der der Beschwerdeführer angehört, Dispensation zu erteilen sei, vorab auf die konkrete Regelung in den kantonalen schulrechtlichen Erlassen abzustellen ist. Unmittelbar gestützt auf die Verfassung lässt sich jedenfalls ein Anspruch auf die beantragte Schuldispensation nach dem bisher Gesagten nicht herleiten, wenn die zürcherischen Normen über die Schuldispensation grundsätzlich der Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit in genügendem Ausmass Rechnung tragen. ![]() | 15 |
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Diese Regelung ist grundsätzlich geeignet, den religionsrelevanten Grundrechten im Rahmen des Schulobligatoriums gerecht zu werden. Der Regierungsrat hat seinen Entscheid denn auch auf diese Verordnungsbestimmungen gestützt und darin eine gesetzliche Grundlage für die Grundrechtsbeschränkung erblickt. Im folgenden ist seine Anwendung und Auslegung der kantonalen Normen zu prüfen.
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Ob § 58 Abs. 3 Schulverordnung, der immerhin für Schüler anderer Bekenntnisse eine gesonderte Dispensationsregelung vorsieht, auch bloss hinsichtlich der Anzahl zusammenhängender schulfreier Tage nicht über das für jüdische Schüler geltende Mass um nur einen oder zwei Tage hinauszugehen erlaubt, ist letztlich nicht mehr eine Frage der gesetzlichen Grundlage, sondern eine Frage der Verhältnismässigkeit.
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Erwägung 5 | |
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Das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Schulobligatoriums ist unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung (geregelter ![]() ![]() | 22 |
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Es mag zutreffen, dass die Beeinträchtigung des Schulbetriebes - eher wohl des Lernerfolges für den betreffenden Schüler - grösser ist, wenn sich die Dispensationen nicht auf einzelne bzw. je auf wenige zusammenhängende Tage verteilen, sondern jeweils grössere Zeitabschnitte erfassen. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass diese Beeinträchtigung wesentlich stärker ist, wenn - nicht jedes Jahr - zusammenhängende Abwesenheiten von 5 bis 6 Tagen anstelle von bloss 4 Tagen anfallen.
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Dagegen ist zu berücksichtigen, dass die an sich grosszügige Gewährung von 4 Tagen Dispensation dem Beschwerdeführer praktisch nichts nützt, da es ihm dadurch nicht ermöglicht wird, mit seiner Tochter dem Gebot seiner Religionsgemeinschaft nachzuleben, das Laubhüttenfest an allen 8 Tagen in der Gemeinschaft zu feiern, was regelmässig im Ausland - normalerweise in Bonndorf in der Bundesrepublik Deutschland - geschieht. Um dies tun zu können, bedurfte er für das - hier streitige - Jahr 1986 eines zusätzlichen Tages, in späteren Jahren würden es höchstens 2 Tage sein. Für den Beschwerdeführer stellt es damit einen entscheidenden Unterschied dar, ob bloss für 4 oder für 5 Tage (1986) Dispensation erteilt wird. Wegen eines einzigen zusätzlichen Tages, für den nicht Dispensation erteilt wird, steht die Einhaltung des 8tägigen Laubhüttenfestes als Ganzes in Frage. Der Beschwerdeführer wird in seiner Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit in schwerwiegender Weise getroffen. Zu berücksichtigen ist vor allem auch, ![]() ![]() | 25 |
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