BGE 110 Ib 201 - Reneja-Dittli II | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
34. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung |
vom 7. September 1984 |
i.S. Salaheddine und Monika Reneja-Dittli gegen Regierungsrat des Kantons Zürich |
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers im Verhältnis zum Recht auf Schutz des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK (SR 0.101). |
1. Verweis auf den in dieser Sache ergangenen prozessleitenden Beschluss, der die verfahrensrechtlichen Grundsätze bei der Anwendung von Art. 8 EMRK im Fremdenpolizeirecht darlegt (E. 1; vgl. BGE 109 Ib 183 ff.). |
2. Die Berufung auf Art. 8 EMRK bei Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers setzt voraus, dass eine intensiv gelebte Beziehung dieses Ausländers zu einem über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügenden Familienglied (Ehegatte oder minderjähriges Kind) besteht (E. 2a/b) und dem anwesenheitsberechtigten Familienglied die Ausreise in den in Frage kommenden ausländischen Staat nicht zugemutet werden kann (E. 2a/c). |
3. Sofern die massgebliche Familienbeziehung besteht und dem anwesenheitsberechtigten Ehegatten die Ausreise nicht zuzumuten ist, erfolgt eine Rechtsgüterabwägung gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK; nur wenn auch hier das private Interesse der Beschwerdeführer an der Anwesenheit in der Schweiz gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Ausländers überwiegt, ist die Beschwerde gutzuheissen (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Salaheddine Reneja, marokkanischer Staatsangehöriger, erhielt am 28. März 1980 von der Fremdenpolizei des Kantons Zürich eine Aufenthaltsbewilligung. Reneja ist mit einer Schweizerin verheiratet. Mit Urteil vom 11. Mai 1982 sprach ihn das Bezirksgericht Zürich verschiedener Zuwiderhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 (SR 812.121) schuldig und bestrafte ihn mit 24 Monaten Zuchthaus. Gestützt auf diese Verurteilung wies die Polizeidirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 23. November 1982 das Gesuch des Rekurrenten vom 27. September 1982 um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab; die Verfügung bestimmte ferner, dass S. Reneja das zürcherische Kantonsgebiet unmittelbar nach der Entlassung aus der Strafanstalt zu verlassen habe. Ein hiegegen gerichteter Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich blieb erfolglos.
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Salaheddine und Monika Reneja-Dittli erheben sowohl eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde als auch eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die ergangenen fremdenpolizeirechtlichen Entscheide. Sie beantragen namentlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheide und die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Das Bundesgericht hat die beiden Beschwerdeverfahren vereinigt.
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In ihren Vernehmlassungen vom 25. und 29. August 1983 beantragt die Finanzdirektion des Kantons Zürich den Beschwerden keine aufschiebende Wirkung zu erteilen und auf die Sache selbst nicht einzutreten. Mit Verfügung vom 15. Juni 1983 hat das Bundesamt für Ausländerfragen die Wegweisung von S. Reneja auf das ganze Gebiet der Schweiz ausgedehnt und gleichzeitig eine fünfjährige Einreisesperre über ihn verhängt.
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Am 9. Dezember 1983 beschloss das Bundesgericht auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten, nicht indes auf die staatsrechtliche Beschwerde (BGE 109 Ib 183 ff.). Gleichzeitig überwies es die Akten an das Bundesamt für Ausländerfragen zur Vernehmlassung lassen.
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Dem Bundesamt für Ausländerfragen wurde aufgetragen, sich namentlich über folgende Fragen tatsächlicher Natur vernehmen zu lassen:
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"- Sind die behaupteten familiären Beziehungen zu dem über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügenden Ehegatten oder minderjährigen Kind intakt und werden sie auch tatsächlich intensiv gelebt?
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- Bestehen besondere Gründe, die den Weggang der Familienangehörigen ins Ausland als völlig unzumutbar erscheinen lassen?
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- Soweit die Vorwürfe an den Familienangehörigen, dessen Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert werden soll, nicht bereits rechtsgenügend festgehalten sind, Ausführungen zu diesen unter Gewährung des rechtlichen Gehörs."
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In der innert verlängerter Frist eingereichten Vernehmlassung des Bundesamtes für Ausländerfragen vom 24. Februar 1984, die den Akzent mehr auf die dem Bundesgericht zukommende Beantwortung von Rechtsfragen als auf die verlangte weitere Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse legt, kommt das Amt zum Schluss, dass die angefochtene Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung von Salaheddine Reneja zu bestätigen und die Beschwerden abzuweisen seien. Aufgrund einer Verfügung des Instruktionsrichters vom 21. März 1984 liessen sich die Beschwerdeführer am 10. April 1984 zum durchgeführten Verfahren vernehmen: Sie halten an ihren ursprünglich gestellten Anträgen fest. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen. Am 16. Juli 1984 hat eine Delegation des Bundesgerichts eine Instruktionsverhandlung mit den Eheleuten Reneja, der Sozialarbeiterin Frau Riemensberger sowie einem Vertreter des Zürcher Regierungsrates und einem solchen des Bundesamtes für Ausländerfragen durchgeführt. Auf ein Schreiben des Bundesgerichts vom 3. August 1984 erklärte sich der Urner Regierungsrat am 14. August 1984 bereit, Salaheddine Reneja "auf Zusehen hin" und unter Vorbehalt eines ordentlichen fremdenpolizeilichen Verfahrens eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Die Chance, für Reneja im Kanton Uri einen Arbeitsplatz zu finden, beurteilte der Regierungsrat positiv. "Aufgrund dieser neuen Sachlage und der anlässlich der Instruktionsverhandlung gewonnenen Erkenntnisse" hob das Bundesamt für Ausländerfragen am 29. August 1984 "im Verfahren nach Art. 58 VwVG" seine Ausdehnungsverfügung samt Einreisesperre gegen S. Reneja auf. Die Beschwerdeführer ihrerseits würden lieber eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton St. Gallen erhalten, wobei sie davon ausgehen, dass St. Gallen zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bereit sein würde, weil sie "mit dem st. gallischen Justiz- und Polizeidepartement bei menschlichen Fragen immer wieder positive Erfahrungen" gemacht hätten.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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c) Zwar ist im vorliegenden Verfahren nur zu entscheiden, ob die Nichterneuerung der Zürcher Aufenthaltsbewilligung von S. Reneja bundesrechtskonform ist und ob er demzufolge aus dem Gebiet des Kantons Zürich weggewiesen werden kann. Hinsichtlich der vom Bundesamt für Ausländerfragen gestützt auf Art. 12 Abs. 3 ANAG (SR 142.20) zu prüfenden Frage der Ausdehnung der Wegweisung auf das ganze Gebiet der Schweiz besteht aber in der Praxis insofern ein gewisser Automatismus, als bei Nichterneuerung einer kantonalen Aufenthaltsbewilligung der Erlass der Ausdehnungsverfügung die normale Folge ist. Das Bundesamt für Ausländerfragen hat denn auch schon am 15. Juni 1983 die Ausdehnungsverfügung erlassen. Da die von den Bundesbehörden zu erlassende Ausdehnungsverfügung nicht beim Bundesgericht angefochten werden kann (Bundesgerichtsurteil vom 24. Mai 1984 i.S. Parsons c. EJPD), hat die Prüfung der kantonalen Wegweisungsverfügung jeweils unter der Annahme zu geschehen, dass eine Ausdehnung auf die ganze Schweiz erfolgt.
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Erwägung 2 | |
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Nach der bundesgerichtlichen Praxis kann sich die schweizerische Ehefrau eines Ausländers nur dann auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK berufen, wenn die Beziehung zu ihrem Mann tatsächlich gelebt wird und es ihr nicht zuzumuten ist, ihrem Ehemann ins Ausland zu folgen (BGE 109 Ib 189; Bundesgerichtsurteil vom 3. August 1984 i.S. Halimi c. ZH). Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EuGRZ 1983 S. 423 Ziff. 54 und S. 511 N 75); die Kommission hat in zahlreichen Fällen die Zumutbarkeit der Ausreise bejaht. Dabei beurteilt sich die Frage der Zumutbarkeit der Ausreise nicht nach den persönlichen Wünschen der Betroffenen, sondern ist unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse und aller Umstände objektiv zu beurteilen.
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c) Die weitere Frage, ob es Monika Reneja objektiv zuzumuten ist, ihrem Ehemann ins Ausland, aller Voraussicht nach in die marokkanische Heimat ihres Ehemannes, nachzufolgen, ist nicht einfach zu beantworten. Durch das Instruktionsverfahren hat das Bundesgericht einen unmittelbaren Eindruck von der Persönlichkeit von Monika Reneja erhalten: Sie ist wenig gebildet und scheint auch wenig bildungsfähig zu sein. Sie spricht keinerlei Fremdsprachen; es darf wohl ausgeschlossen werden, dass sie sich mit ihren marokkanischen Schwiegereltern, die ihrerseits lediglich einen marokkanischen Dialekt sprechen und nach Angabe von S. Reneja weder schreiben noch lesen können, jemals würde verständigen können. Als gläubige Katholikin wäre sie sodann auch religiös in einem moslemischen Umfeld isoliert. Ausserdem stammt Monika Reneja aus dem kleinen Gebirgsdorf Gurtnellen. Sie betont denn auch selbst, aus den Bergen zu stammen und nur in der (Deutsch-)Schweiz leben zu können. Unter diesen Umständen darf man der jungen Frau nicht zumuten, mit ihrem Mann nach Marokko ziehen zu müssen.
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Erwägung 3 | |
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Die Verstösse des S. Reneja gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung sind zwar keinesfalls als leicht, jedoch auch nicht als ganz besonders schwer einzustufen. Hiezu kommt, dass S. Reneja nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug vom 14. Mai bis zum 15. Juni 1984 als Chauffeur für ein Architekturbüro gearbeitet hat, wobei sein Arbeitgeber im Arbeitszeugnis vom 20. Juni 1984 festhielt: "Seine aufrichtige und zuverlässige Art haben wir sehr zu schätzen gelernt." Auch hat S. Reneja vor der bundesgerichtlichen Instruktionskommission versichert, von seiner ehemals deliktischen Tätigkeit endgültig Abstand genommen zu haben. Schliesslich stellt ihm auch seine Betreuerin, Frau Riemensberger, ein gutes Zeugnis aus. Die von S. Reneja begangenen Straftaten begründeten wohl ein gewisses öffentliches Interesse an dessen Wegweisung aus der Schweiz, doch darf dieses Interesse angesichts der besonderen Umstände des Falles als nicht allzu gewichtig angesehen werden.
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Auf der anderen Seite kann Monika Reneja, der es nicht zuzumuten ist, ihrem Ehemann nach Marokko nachzufolgen (E. 2), ein sehr gewichtiges privates Interesse an einer Aufenthaltsbewilligung für S. Reneja geltend machen. Gesamthaft wiegt dieses private Interesse an einer Aufenthaltsbewilligung für S. Reneja schwerer als das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung, weshalb die Beschwerden gutzuheissen sind.
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c) Der vorliegende Fall liegt, dies muss betont werden, verglichen mit zahlreichen andern Fällen, aussergewöhnlich. In den meisten Fällen kann einer Ehefrau, deren Ehemann straffällig geworden ist, zugemutet werden, ihm ins Ausland zu folgen. Dabei muss insbesondere gelten, dass bei sehr schweren Verfehlungen oder gar bei Rückfälligkeit des Ehemanns das öffentliche Interesse an der Wegweisung auch dann überwiegt, wenn damit gerechnet werden muss, dass eine Ehefrau nur mit sehr erheblichen Schwierigkeiten im Heimatland des Weggewiesenen wird leben können (Urteil vom 7. September 1984 i.S. Oezaltay).
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Entscheid: | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Eheleute Reneja wird gutgeheissen, und die Verfügung der Fremdenpolizei des Kantons Zürich vom 23. November 1982 sowie der Rekursentscheid des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 18. Mai 1983 werden aufgehoben.
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