BGE 98 Ia 290 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
44. Auszug aus dem Urteil vom 3. Mai 1972 i.S. Indergand und Mitbeteiligte gegen den Landrat des Kantons Uri. | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 85 lit. a OG; Referendum. | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.- Der Landrat des Kantons Uri beschloss am 8. April 1970 den Beitritt des Kantons zur Interkantonalen Übereinkunft zur Verstärkung der polizeilichen Sicherheitsmassnahmen vom 28. März 1968 (IMP), wogegen das Referendum ergriffen wurde. Der Landrat, der das Referendum zu begutachten hatte, fasste am 29. Dezember 1971 den Beschluss, dass das formgültig zustandegekommene und verfassungsmässig zulässige Volksbegehren (lit. a und b des Beschlusses) den Stimmbürgern nicht zu unterbreiten sei. Lit. c und d des Beschlusses haben folgenden Wortlaut:
| 2 |
"c) Die Volksabstimmung hierüber ist indessen vom Regierungsrat nicht anzusetzen und nicht durchzuführen, weil der Beitritt Uri zur IMP mit Rücksicht auf die inzwischen eingetretene Veränderung der Verhältnisse praktisch gegenstandslos und eine Volksabstimmung hierüber wirkungslos geworden sind.
| 3 |
d) Damit fällt der Beitritt Uri zur IMP gemäss Landratsbeschluss vom 8. April 1970 als solcher aus Abschied und Traktanden."
| 4 |
B.- Mit Eingabe vom 28. Januar 1972 haben Ursbeat Indergand und vier weitere Stimmberechtigte des Kantons Uri staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Beschluss des Landrats des Kantons Uri vom 29. Dezember 1971 erhoben. Sie machen eine Verletzung der Art. 48 und 51 der Verfassung des Kantons Uri (KV) geltend, weil das Volk trotz des zustandegekommenen Referendums über den Beitritt des Kantons zur IMP nicht abstimmen könne. Das Beschwerdebegehren lautet unter anderem auf Aufhebung von lit. c und d des angefochtenen Beschlusses.
| 5 |
Der Regierungsrat des Kantons Uri hat als Vertreter des Landrats am 21. März 1972 Gegenbemerkungen zur Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, auf die Beschwerde nicht einzutreten, ev. sie abzuweisen. Er führt darin unter anderem im wesentlichen aus, dass der angefochtene Landratsbeschluss, wonach der am 8. April 1970 beschlossene Beitritt Uris zur IMP "aus Abschied und Traktanden falle", nach ständiger Interpretation im urnerischen Staatsrecht die Bedeutung habe, dass das Geschäft überhaupt nicht rechtsgültig sei. Eine rechtsverbindliche landrätliche Genehmigung des Beitritts Uris zur IMP liege somit nicht mehr vor, sodass eine Verletzung der angerufenen verfassungsmässigen Rechte gar nicht in Frage stehe. Ein späterer Beitritt zum Konkordat wäre nur aufgrund eines neuen Beschlusses möglich, gegen den wiederum das Referendum zulässig wäre. Im übrigen habe der Landrat gute Gründe für die Rücknahme seines Beschlusses gehabt. Nachdem wegen der ablehnenden Haltung insbesondere der grossen Kantone die Ziele des Konkordates nicht mehr zu verwirklichen waren, wäre es sinnlos gewesen, am Beitritt festzuhalten und eine Volksabstimmung über einen Gegenstand durchzuführen, der sich nicht mehr realisieren lasse.
| 6 |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
| 7 |
Aus den Erwägungen: | |
5. Der Landratsbeschluss vom 8. April 1970 über den Beitritt des Kantons Uri zur IMP unterstand dem fakultativen Referendum, welches unbestrittenermassen zustandekam. Der Beschluss wurde somit nicht rechtskräftig. Es ist nicht einzusehen, weshalb ein solcher Beschluss in dieser Phase von der zuständigen Behörde nicht jederzeit wieder sollte zurückgegenommen werden können, wenn sich erweist, dass es angesichts der veränderten Verhältnisse keinen Sinn mehr hat, ihn dem Volke zur Abstimmung vorzulegen. Eine Verfassungsvorschrift, welche einem solchen Vorgehen entgegenstünde, wird in der Beschwerde nicht genannt und ist auch nicht zu finden. Ob der Landrat den Beschluss vom 8. April 1970 jedenfalls nur unter Beachtung der Vorschrift des Art. 60 des Reglementes für den Landrat des Kantons Uri vom 3. Juni 1970 (Landratsreglement) hätte zurücknehmen können, ist nicht zu prüfen. Denn die Beschwerdeführer, die dies geltend machen, tun nicht dar, dass diese Vorschrift des Landratsreglementes die Bedeutung einer Konkretisierung der verfassungsmässigen politischen Rechte der Stimmbürger hat bzw. sich aus ihr ein mit der staatsrechtlichen Beschwerde verfolgbarer Anspruch ableiten lässt, und vermögen denn auch nicht zu begründen, inwiefern durch die Nichtbeachtung dieser Vorschrift gegen die Verfassung verstossen werde; der blosse Hinweis auf die Vorschrift des Art. 60 des Landratsreglementes genügt nicht, um die Rüge einer Verfassungswidrigkeit zu begründen. Dem weiteren Einwand der Beschwerdeführer, nach Art. 51 Abs. 2 KV dürfe der Landrat die dem Volke zur Abstimmung vorzulegenden Begehren nur begutachten und keinesfalls beschliessen, dass die Volksabstimmung überhaupt nicht durchgeführt werde, ist damit der Boden schon entzogen. Denn wenn nach dem Gesagten der Landrat einen Beschluss, der wegen des dagegen ergriffenen Referendums nicht rechtskräftig wird und erst den Stimmbürgern zu unterbreiten ist, ohne Verstoss gegen die Verfassung später widerrufen kann, so schliesst dies seine Befugnis zur Feststellung mit ein, dass nunmehr auch keine Volksabstimmung stattzufinden habe.
| 8 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |