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55. Auszug aus dem Urteil vom 27. September 1972 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Luzern. | |
Regeste |
Art. 4 BV; unentgeltliche Rechtspflege im Scheidungsprozess. | |
Sachverhalt | |
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Ihr Ehemann beantragte die Abweisung dieser Begehren und verlangte seinerseits gestützt auf Art. 137 und 142 ZGB die Scheidung.
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Mit Entscheid vom 31. März 1970 war der Ehefrau vom Amtsgerichtspräsidenten Y. im Verfahren nach Art. 169 ff. ZGB gestattet worden, einen eigenen Haushalt zu führen. Dabei waren die vier Kinder unter ihre Obhut gestellt und der Ehemann ![]() | 3 |
B.- Mit Urteil vom 7. September 1971 hiess das Amtsgericht Y. die Klage der Ehefrau gut und sprach die Scheidung aus. Es auferlegte dem Ehemann ein Eheverbot für die Dauer eines Jahres, stellte die vier Kinder unter die elterliche Gewalt der Mutter und bezeichnete diese als schuldlos im Sinne von Art. 151 und 152 ZGB. Gleichzeitig verurteilte es den Beklagten, der Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 80.- und für die vier Kinder einen solchen von je Fr. 80.- zu leisten, wobei es insoweit auf die Begründung des erwähnten obergerichtlichen Rekursentscheids vom 23. März 1971 verwies. Die Begehren der Klägerin um Zusprechung einer Genugtuung und eines Vorschlagsanteils wies das Amtsgericht jedoch ab.
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C.- Die Klägerin, die - wie ihr Ehemann - im Armenrecht prozessierte, erklärte gegen dieses Urteil die Appellation. Dabei beantragte sie, die monatlichen Unterhaltsbeiträge für sie selbst auf Fr. 150.-- und jene für die vier Kinder auf je Fr. 120.-- festzusetzen.
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Der Beklagte erklärte die Anschlussappellation mit dem Begehren, die vom Amtsgericht zugesprochenen Unterhaltsbeiträge auf die Dauer von 8 Jahren zu beschränken.
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Mit Entscheid vom 11. November 1971 entzog das Obergericht der Klägerin das Armenrecht mit der Begründung, die Appellation sei aussichtslos. Gleichzeitig forderte es die Klägerin auf, innert 10 Tagen einen erhöhten Gerichtskostenvorschuss von Fr. 350.-- zu leisten.
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D.- Frau X. führt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.
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E.- Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Wie das Bundesgericht aus Art. 4 BV abgeleitet hat, kann eine bedürftige Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess verlangen, dass der Richter für sie ohne Hinterlegung ![]() | 10 |
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung dieses bundesrechtlichen Armenrechtsanspruchs. Das Bundesgericht hat demnach aufgrund der soeben dargestellten Grundsätze zu entscheiden, ob der angefochtene Entzug des Rechts zur unentgeltlichen Prozessführung im Appellationsverfahren gegen die Verfassung verstösst.
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Wie im folgenden näher auszuführen ist, reicht diese Begründung nicht aus, um das Begehren um Erhöhung der Unterhaltsbeiträge als aussichtslos erscheinen zu lassen.
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a) Unterhaltsbeiträge im Sinne von Art. 156 Abs. 2 ZGB sind unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Pflichtigen festzusetzen. Bei der Beurteilung der Einkommensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Ehemannes stützt sich das Obergericht ausschliesslich auf Schätzungen, die es im Verfahren nach Art. 145 ZGB d.h. im Rahmen vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses aufgrund ![]() | 14 |
- wie sich die teilweise Selbstversorgung aus dem Landwirtschaftsbetrieb einkommensmässig auswirkt,
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- für welche Schulden der Beklagte Zinsen im Betrage von jährlich Fr. 2000.-- zu entrichten haben soll,
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- ob die Erfüllung der Schleissverpflichtung den Beklagten tatsächlich mit Fr. 1000.-- belastet.
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Mit Rücksicht darauf steht nicht zum vorneherein fest, dass bei der Festsetzung der Unterhaltsbeiträge im Sinne von Art. 156 Abs. 2 ZGB ohne weiteres von einem Jahreseinkommen von Fr. 8800.-- ausgegangen werden darf. Die Appellation der Beschwerdeführerin kann mithin bereits aus diesem Grunde nicht als aussichtslos bezeichnet werden.
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b) Selbst wenn eine sorgfältige Abklärung der finanziellen Verhältnisse des Beklagten kein wesentlich anderes Ergebnis zeitigen sollte, fiele indessen eine Erhöhung der Unterhaltsbeiträge nicht von vorneherein ausser Betracht, denn dass dem nach Art. 156 Abs. 2 ZGB unterhaltspflichtigen Ehegatten unter allen Umständen ein dem betreibungsrechtlichen Notbedarf entsprechender Anteil seines Einkommens erhalten bleiben muss, ist entgegen der Auffassung des Obergerichts keineswegs klares Recht. Wie ein Teil der Lehre annimmt, sind ![]() | 19 |
c) Das Amtsgericht hat die Beschwerdeführerin im Scheidungsurteil vom 7. September 1971 als schuldlosen Ehegatten im Sinne von Art. 151 und 152 ZGB bezeichnet und ihr gestützt auf diese Vorschriften persönliche Unterhaltsbeiträgevon monatlich Fr. 80.- zugesprochen. Es hat erkannt, die einmalige Verfehlung der Beschwerdeführerin sei für die Zerrüttung weder kausal gewesen, noch könne sie im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als schwer gelten. Trifft dies zu, so besteht - entgegen der Auffassung des Obergerichts - keine Veranlassung, den Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin zu verkürzen (vgl. BGE 95 II 289, BGE 93 II 287). Was die Bedürftigkeitsrente im Sinne von Art. 152 ZGB anbelangt, so ist im übrigen darauf hinzuweisen, dass eine solche nach der neuesten Rechtsprechung selbst dann vollumfänglich zugesprochen werden könnte, wenn das Verhalten der Beschwerdeführerin bei der Zerrüttung eine gewisse, wenn auch untergeordnete Rolle gespielt hätte und ihr deshalb in diesem Zusammenhang ein leichtes Verschulden zur Last zu legen wäre (vgl. BGE 98 II 9 ff.).
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d) Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Begehren um Erhöhung der Unterhaltsbeiträge entgegen der Ansicht des Obergerichts nicht als aussichtslos bezeichnet werden können. Die Beschwerdeführerin hat deshalb auch im Appellationsverfahren Anspruch auf die unentgeltliche Rechtspflege.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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