BGE 98 Ia 348 | |||
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57. Urteil vom 21. Juni 1972 i.S. Möbel Widmer AG gegen Breitenstein und Obergericht des Kantons Luzern. | |
Regeste |
1. Prozessuales. |
b) Art. 90 OG. Kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 1). |
c) Art. 87 OG. Substitution von Motiven (Erw. 3 a.A.). |
2. Art. 4 BV; Art. 227 a ff. OR. Möbelkauf. |
Es ist nicht willkürlich, als Umgehung der Bestimmungen über den Vorauszahlungs- bzw. Abzahlungskauf zu betrachten |
- einen Barkauf, der wirtschaftlich die Wirkung eines solchen Vertrags hat (Erw. 3); |
- eine Vereinbarung über die Aufhebung eines Kaufvertrags, wonach eine in monatlichen Raten abzuzahlende relativ hohe Konventionalstrafe bei einem künftigen Kauf angerechnet wird (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Einer Aufforderung der Verkäuferin vom 1. November 1968 zur Vertragserfüllung kam die Käuferin nicht nach, nahm die Möbel nicht ab und leistete keine Zahlung.
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Am 7. März 1969 schlossen die Parteien eine Vereinbarung (= Vereinbarung 1969), wonach der Kaufvertrag 1965 "aufgehoben und annulliert" wurde. Lotti Breitenstein verpflichtete sich, der Möbel Widmer AG für die Vertragsauflösung 35% der Kaufsumme (Fr. 3'245.--) in monatlichen Raten von Fr. 100.-- zu entrichten. Dieser Betrag sollte ihr bei einem späteren Möbelkauf angerechnet werden.
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Lotti Breitenstein leistete an die Möbel Widmer AG bis Ende 1969 insgesamt Fr. 700.-- und stellte dann die Zahlungen ein. 1971 von der Möbel Widmer AG für Fr. 2'545.-- betrieben, erhob sie Rechtsvorschlag.
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B.- Unter Berufung auf die Vereinbarung 1969 verlangte die Möbel Widmer AG provisorische Rechtsöffnung. Der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Stadt verweigerte sie mit der Begründung, der Kaufvertrag 1965 sei wirtschaftlich ein Vorauszahlungsvertrag und daher als Umgehungsgeschäft nichtig.
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Einen Rekurs der Möbel Widmer AG wies das Obergericht des Kantons Luzern am 19. Januar 1972 ab, wobei es zu den Ausführungen der ersten Instanz über die Gültigkeit des Kaufvertrags 1965 nicht Stellung nahm, sondern die Vereinbarung 1969 selbst als Vorauszahlungsvertrag und mangels Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften als nichtig betrachtete.
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C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Möbel Widmer AG Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids sowie Bewilligung der provisorischen Rechtsöffnung, eventuell (durch) Rückweisung der Sache in diesem Sinne. Sie bringt im wesentlichen vor, Inhalt der Vereinbarung 1969 sei ausschliesslich die Aufhebung des gültig abgeschlossenen Barzahlungs-Kaufvertrags 1965 und die Regelung der Schadenersatzfolgen daraus; ihre Umdeutung in einen Vorauszahlungsvertrag sei sachlich nicht vertretbar.
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Obergericht und Gegenpartei beantragen Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Den Akten ist nicht zu entnehmen, wie es zum Abschluss der Vereinbarung 1969 gekommen ist. Ziffer 4, nach welcher die von der Käuferin zu leistende Summe ihr im Falle eines Möbelkaufs von Fr. 9'273 - wieder gutgeschrieben wird, kann nicht als einseitiges Zugeständnis der Verkäuferin gewertet werden, das für den Vertragsabschluss und den Vertragscharakter ohne Bedeutung wäre. Im Gegenteil liegt nahe, dass es gerade die Aussicht darauf war, für die Abstandszahlung in Zukunft doch noch eine Gegenleistung zu erhalten, welche die Beschwerdegegnerin zur Anerkennung der gemessen sowohl an ihren finanziellen Verhältnissen wie am ursprünglichen Kaufpreis sehr hohen Ersatzsumme bewogen hat. Zwar verpflichtete sie sich nicht zum Kauf von Möbeln, doch wurde sie durch die Vereinbarung mittelbar zum spätern Abschluss eines Kaufvertrags gezwungen, wenn sie nicht auf jede Gegenleistung für den Betrag von Fr. 3'245.-- verzichten wollte. Ihre Verpflichtung war insofern noch drückender, der Kaufszwang noch stärker als beim Abschluss eines Vorauszahlungsvertrags, als der Vorauszahlungskäufer im Falle der Kündigung nur ein Reugeld von höchstens 5% der Vertragssumme oder maximal Fr. 250.-- zu leisten hat (Art. 227 f. Abs. 2 OR), während für die Beklagte die vollen Fr. 3'245.-- auf dem Spiele standen.
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Bei dieser Sachlage widerspricht die Annahme, die Vereinbarung 1969 komme wirtschaftlich einem Vorauszahlungsvertrag gleich und sei mangels Einhaltung der Gültigkeitsvoraussetzungen von Art. 227 a ff. OR nichtig, jedenfalls nicht klarem Recht; sie erscheint im Gegenteil als richtig. Daran ändert nichts, dass die Vereinbarung die Aufhebung des "Barzahlungskaufvertrags" 1965 zum Zwecke hatte. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich vielmehr ein weiteres Argument für die Ungültigkeit der Vereinbarung.
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Der Kaufvertrag 1965 war als Barkaufausgestaltet. Die Möbel sollten Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises geliefert werden. Die Besonderheit lag darin, dass die Erfüllung des Vertrages erst 3 Jahre nach dessen Abschluss erfolgen sollte. Die Herausschiebung der Erfüllungszeit allein macht einen Barkauf nicht zum Vorauszahlungsvertrag. Wo jedoch die besonderen Umstände eines Vertragsverhältnisses offenbaren, dass es wirtschaftlich die Wirkung eines Vorauszahlungsvertrages hat, ist es an die gesetzlichen Bestimmungen über den Vorauszahlungsvertrag gebunden.
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Mit dem Amtsgerichtspräsidenten ist davon auszugehen, dass die damals 20-jährige, vermögenslose Beschwerdegegnerin, um den Kaufvertrag erfüllen zu können, jeden Monat einen erheblichen Betrag aus ihrem Verdienst als Serviertochter hätte beiseite legen müssen. Damit übernahm sie wirtschaftlich die gleiche Verpflichtung, die ihr ein Vorauszahlungsvertrag gebracht hätte, ohne dass sie in den Genuss der zugunsten des Vorauszahlungskäufers aufgestellten Schutzvorschriften gekommen wäre. Insbesondere gewährte ihr der Vertrag weder das Recht, innert 5 Tagen den Verzicht auf den Vertragsschluss zu erklären, noch die Befugnis, den Vertrag zu kündigen unter Angabe des dabei zu zahlenden Reugeldes, wie dies Art. 227 a OR für den Vorauszahlungsvertrag zwingend vorschreibt. Die Beschwerdeführerin erstrebte mit dem Kaufvertrag 1965 die mit einem Vorauszahlungsvertrag verbundenen Vorteile, indem sie die Beschwerdegegnerin zu einem Zeitpunkt eine rechtliche Bindung eingehen liess, da diese für die verkauften Möbel überhaupt kein Bedürfnis hatte. Dass die Beschwerdegegnerin aus der 3 Jahre vor Erfüllung des Vertrages eingegangenen Bindung irgendwelche Vorteile gehabt hätte, ist nicht ersichtlich. Es ist daher gerechtfertigt, den Kaufvertrag 1965 als Vorauszahlungsvertrag zu betrachten, der zu seiner Gültigkeit die Erfordernisse von Art. 227 a OR hätte erfüllen müssen und in deren Ermangelung nichtig ist. Ein Käufer, der sich verpflichtet, sein Einkommen auf drei Jahre hinaus mit der Anlegung von monatlichen Ersparnissen zu belasten, bedarf des gleichen Schutzes wie der eigentliche Vorauszahlungskäufer.
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Auch ein Barkauf kann ein Umgehungsgeschäft sein, wenn von vorneherein den Parteien, insbesondere dem Verkäufer offenkundig ist, dass der Käufer nach seiner wirtschaftlichen Lage nicht bar zahlen kann bzw. bei Fälligkeit nicht bar wird zahlen können und deshalb mit ratenweiser Begleichung des Kaufpreises zu rechnen ist (vgl. STOFER, Kommentar zum BG über den Abzahlungs- und Vorauszahlungsvertrag, 2. Aufl. S. 175 f.). Die Beschwerdeführerin musste bei Abschluss des Kaufvertrages 1965 die finanziellen Verhältnisse der Beschwerdegegnerin kennen und wissen, dass es dieser nur mit grösster Anstrengung überhaupt möglich sein könnte, den Vertrag zu erfüllen. Daher musste sie bereits bei Vertragsschluss mit der Nichterfüllung seitens der Beschwerdegegnerin und damit mit einer späteren Umwandlung in einen Vorauszahlungs- oder Abzahlungsvertrag rechnen.
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Ein solcher "Barkauf" kann als Umgehung sowohl des Abzahlungs- wie des Vorauszahlungskaufs betrachtet werden. Mit dem Vorauszahlungskauf hat er die langfristige Bindung im Hinblick auf eine erst in ferner Zukunft liegende Gegenleistung gemeinsam. Dem Abzahlungsvertrag gleicht er sich an, wenn der Käufer am Lieferungszeitpunkt nicht bar zahlen kann und deshalb eine Abzahlungsverpflichtung eingehen muss. Keine dieser Betrachtungsweisen verstösst im vorliegenden Fall gegen klares Recht. Die eine wie die andere hat die Nichtigkeit des Kaufvertrags 1965 zur Folge, da er den Formerfordernissen keines der in Frage stehenden Vertragstypen genügt. Die Nichtigkeit dieses Vertrages hat zur Folge, dass die Vereinbarung 1969 des Rechtsgrundes entbehrt, denn für die Nichterfüllung eines nichtigen Vertrags kann auch kein Schadenersatz geschuldet sein, für dessen Zahlung Modalitäten vereinbart werden könnten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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