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76. Urteil vom 20. September 1972 i.S. B. gegen Grossen Rat des Kantons X. | |
Regeste |
Art. 57 BV. | |
Sachverhalt | |
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B. drückte zunächst sein Erstaunen darüber aus, dass der in einen betrügerischen Konkurs verwickelte, verstorbene Bankier C. weder in Sicherheitshaft gesetzt noch in Strafunterssuchung gezogen worden war, während bei ihm selbst beides der Fall gewesen sei, obschon er niemanden geschädigt habe und unschuldig sei. Weiter machte er geltend als Amtsstatthalter habe A. öfters zu den "prominenten Gästen" in der Villa des C. gezählt und nach dem Tod des Bankiers sei er Beistand seiner minderjährigen Kinder geworden. Der Petitionär stellte ferner die Frage, ob bei einer so wichtigen Wahl wie der eines Staatsanwalts nicht ein Leumundszeugnis eingeholt werden sollte, um sich der Integrität des Kandidaten zu vergewissern. Schliesslich stellte B. dem Grossen Rat anheim, bis zur Abklärung der aufgeworfenen Fragen im Interesse der Öffentlichkeit die Wahl zu sistieren.
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Gemäss Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll wurde die Petition wie folgt behandelt:
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"Wahl eines Staatsanwaltes (...)
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Der Vorsitzende gibt dem Rat vor der Durchführung dieser Wahl Kenntnis von einer soeben eingetroffenen dringlichen Petition des..." B. "..., die sich gegen die Kandidatur von..." A. "... wendet. Der Ratspräsident stellt fest, dass diese Petition eine unbefugte Einmischung in die Wahlkompetenzen des Grossen Rates darstelle, und ![]() | 5 |
Am 2. und 4. März sowie 6. und 10. April richtete B. vier weitere Petitionen an den Grossen Rat, in denen er die Wahl von A. anfocht und ihre Annullierung verlangte. Der Rat beschloss am 11. April Nichteintreten.
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B.- B. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Petitionsrechts (Art. 57 BV, § 7 KV) und des Art. 4 BV (Willkür). Er beantragt Feststellung dieser Verletzung, Anweisung des Grossen Rates des Kantons X., die Wahl des A. zu annullieren und eine neue Wahl durchzuführen, eventuell die Stelle auszuschreiben. Im wesentlichen macht er geltend, der Grosse Rat habe seine Petition vom 29. Januar "unterdrückt", indem er nicht von ihrem vollen Inhalt Kenntnis nahm, sie aus dem Grund zurückwies, sie sei eine unbefugte Einmischung in in seine Kompetenzen, und die Wahl ohne Not in aller Eile und früher als auf der Traktandenliste vorgesehen vornahm. Subsidiär beruft sich B. auf § 49 der Geschäftsordnung des Grossen Rates, der voraussetze, dass die in einer Petition geltend gemachten Tatsachen zur Kenntnis genommen werden. Er stützt sich ferner auf § 8 des Beamtengesetzes, der grundsätzlich die Ausschreibung der höheren Amtsstellen vorschreibt.
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C.- Der Grosse Rat beantragt Nichteintreten, eventuell Abweisung der Beschwerde. Es bestehe keine Pflicht, einer Petition irgendwie Folge zu geben. § 49 der Geschäftsordnung gestatte dem Grossen Rat, kurzerhand zur Tagesordnung überzugehen. Der Präsident habe die Petition ernst genommen, indem er ihren Eingang sofort und vor dem Wahlgeschäft bekanntgab, obschon sie in letzter Stunde eintraf. Eine Pflicht, die Petition im Wortlaut vorzulesen, bestehe nicht.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Hier stellt sich indessen die Frage, ob B. lediglich den Beschluss anfechten kann, mit dem seine Petition vom 29. Januar ![]() | 10 |
Der Grosse Rat macht geltend, B. könne die Wahl nicht anfechten, sondern einzig die Rückweisung seiner Petition. Ist dem so, dann verliert aber die Beschwerde in einem Fall wie dem vorliegenden jede praktische Bedeutung, da die Wahl, deren Aufschub gefordert worden war, stattgefunden hat und die Verletzung des Petitionsrechts ohne Sanktion bleibt. Die Frage kann indessen offen bleiben, weil die Beschwerde materiell unbegründet ist.
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Da die angefochtene Wahl B. nicht persönlich in seinen Rechten trifft (Art. 88 OG), ist er lediglich legitimiert, eine Verletzung des Petitionsrechts geltend zu machen. Soweit er hingegen rügt, dass die Wahl auf A. fiel und dass eine einzige Kandidatur aufgestellt und zuvor nicht öffentlich bekanntgemacht wurde, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten. Das Gleiche gilt für die behauptete Verletzung des Beamtengesetzes; in dieser Hinsicht ist die Beschwerde übrigens offensichtlich unbegründet, denn § 8 nimmt die Ernennungen durch den Grossen Rat von der Pflicht zur Ausschreibung aus, und es ist Wortklauberei, wenn der Beschwerdeführer sagt, es habe sich vorliegend nicht um eine Ernennung, sondern um eine Wahl gehandelt. Unzulässig ist die Beschwerde schliesslich auch insofern, als der Entscheid des Grossen Rates angegriffen wird, mit dem er auf die nach derjenigen vom 29. Januar eingereichten Petitionen nicht eintrat; dieser Beschluss hätte rechtzeitig mit gesonderter Beschwerde angefochten werden müssen.
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§ 7 KV ist etwas ausführlicher: "Das freie Petitionsrecht ist gewährleistet" (Abs. 1). "Jeder Einwohner, einzeln oder mit andern vereint, jede Gemeinde oder Körperschaft hat das Recht, den Behörden Wünsche, Anliegen oder Beschwerden schriftlich in anständiger Fassung einzureichen" (Abs. 2). Damit werden gewisse im Bundesrecht offene Fragen, wie jene nach dem Petitionsrecht der Gemeinden, beantwortet, doch stellen ![]() | 17 |
b) So, wie das einmütige Schrifttum es auffasst, sind dem Petitionsrecht in der Schweiz inhaltlich engere Grenzen gesetzt als in gewissen ausländischen Staaten. Aus historischen Gründen, als Reaktion gegen gewisse Praktiken im Polizeistaat des 18. Jahrhunderts in die Verfassung aufgenommen, gestattet es jedermann lediglich, ungehindert Bitten, Vorschläge, Kritiken oder Beschwerden in Angelegenheiten ihres Kompetenzbereiches an die Behörden zu richten, ohne deswegen Belästigungen oder Rechtsnachteile irgendwelcher Art befürchten zu müssen (BURCKHARDT, Kommentar S. 529; FLEINER/GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht S. 388; FAVRE, Droit constitutionnel S. 319; GISIGER, Das Petitionsrecht in der Schweiz S. 84). Es ist ein blosses Freiheitsrecht, das keinerlei positiven Anspruch verleiht (GISIGER, S. 81/82, 92) und von AUBERT (Traité de droit constitutionnel S. 711 Nr. 2010) der Meinungsäusserungsfreiheit zugeordnet wird. Daraus ist abgeleitet worden, der Petitionär könne weder verlangen, dass seine Petition materiell behandelt, noch, dass ihr entsprochen, noch auch nur, dass sie beantwortet werde (BGE 33 I 79; unveröffentlichter Entscheid vom 7. März 1949 i.S. Pache-Ehret; BURCKHARDT, FLEINER/GIACOMETTI, FAVRE, jeweils a.a.O.; GRISEL, Traité de droit administratif S. 461; GISIGER, S. 102). Darin unterscheidet sich das Petitionsrecht vom Beschwerderecht (BGE 90 I 230). Die Praxis geht freilich weiter. Petitionen werden im allgemeinen geprüft und beantwortet, sofern sie nicht unzulässig sind, wie von Urteilsunfähigen stammende, keine konkreten Begehren enthaltende oder in beleidigendem Ton abgefasste Petitionen (BGE 13 S. 380/1 E. 2.BGE 51 I 185; § 7 Abs. 2 KV; BURCKHARDT, S. 530; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O.; hinsichtlich der sehr grosszügigen Petitionspraxis der Bundesversammlung BRÜHWILER in ZBl 63/1962 S. 201 ff., über die Unzulässigkeit S. 205).
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Hingegen ist die Behörde verpflichtet, von der Petition Kenntnis zu nehmen, sie einzusehen. Der Einzelne muss aufgrund des ![]() | 19 |
Man kann sich fragen, ob diese traditionelle, stark einschränkende Auffassung von Inhalt und Tragweite des Petitionsrechtes den gewandelten Verhältnissen und Anschauungen noch gerecht wird, zumal nachdem der "Ombudsman" im schweizerischen Recht Eingang gefunden hat (darüber HALLER, ZBl 73/1972, S. 177 ff.). Eine Ausweitung des Petitionsrechts muss indessen dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Wollte der Verfassungsrichter dem Petitionär einen Abspruch auf materielle Prüfung und motivierte Beantwortung seiner Eingabe zuerkennen, würde er die Grenze zwischen Petition und Rekurs verwischen; zudem hiesse das eine Art Popularbeschwerde gegen die Akte der Staatsgewalt schaffen.
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Der Hauptvorwurf des Beschwerdeführers ist der, dass der Grosse Rat unbestrittenermassen entschied, ohne vom vollen Wortlaut der Petition Kenntnis zu nehmen. Hingegen sagt er selber, dass der Grossratspräsident, dann der Justizdirektor und der Präsident der Petitionskommission sie zur Kenntnis ![]() | 22 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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