BGE 98 Ia 484 | |||
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76. Urteil vom 20. September 1972 i.S. B. gegen Grossen Rat des Kantons X. | |
Regeste |
Art. 57 BV. | |
Sachverhalt | |
A.- (Gekürzt). Am 1. Februar 1972 tagte der Grosse Rat des Kantons X. Auf der Traktandenliste stand u.a. die Wahl eines Staatsanwalts. Einziger Kandidat war A. Während der Sitzung erhielt der Ratspräsident um 10 Uhr eine an den Rat gerichtete, vom 29. Januar datierte "dringliche Petition". Sie stammte von B. und betraf die Kandidatur des A.
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B. drückte zunächst sein Erstaunen darüber aus, dass der in einen betrügerischen Konkurs verwickelte, verstorbene Bankier C. weder in Sicherheitshaft gesetzt noch in Strafunterssuchung gezogen worden war, während bei ihm selbst beides der Fall gewesen sei, obschon er niemanden geschädigt habe und unschuldig sei. Weiter machte er geltend als Amtsstatthalter habe A. öfters zu den "prominenten Gästen" in der Villa des C. gezählt und nach dem Tod des Bankiers sei er Beistand seiner minderjährigen Kinder geworden. Der Petitionär stellte ferner die Frage, ob bei einer so wichtigen Wahl wie der eines Staatsanwalts nicht ein Leumundszeugnis eingeholt werden sollte, um sich der Integrität des Kandidaten zu vergewissern. Schliesslich stellte B. dem Grossen Rat anheim, bis zur Abklärung der aufgeworfenen Fragen im Interesse der Öffentlichkeit die Wahl zu sistieren.
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Gemäss Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll wurde die Petition wie folgt behandelt:
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"Wahl eines Staatsanwaltes (...)
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Der Vorsitzende gibt dem Rat vor der Durchführung dieser Wahl Kenntnis von einer soeben eingetroffenen dringlichen Petition des..." B. "..., die sich gegen die Kandidatur von..." A. "... wendet. Der Ratspräsident stellt fest, dass diese Petition eine unbefugte Einmischung in die Wahlkompetenzen des Grossen Rates darstelle, und beantragt, die Petition zurückzuweisen und darüber zur Tagesordnung zu schreiten. Der Rat erhebt diesen Antrag in der Abstimmung ausdrücklich zum Beschluss."
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Am 2. und 4. März sowie 6. und 10. April richtete B. vier weitere Petitionen an den Grossen Rat, in denen er die Wahl von A. anfocht und ihre Annullierung verlangte. Der Rat beschloss am 11. April Nichteintreten.
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B.- B. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Petitionsrechts (Art. 57 BV, § 7 KV) und des Art. 4 BV (Willkür). Er beantragt Feststellung dieser Verletzung, Anweisung des Grossen Rates des Kantons X., die Wahl des A. zu annullieren und eine neue Wahl durchzuführen, eventuell die Stelle auszuschreiben. Im wesentlichen macht er geltend, der Grosse Rat habe seine Petition vom 29. Januar "unterdrückt", indem er nicht von ihrem vollen Inhalt Kenntnis nahm, sie aus dem Grund zurückwies, sie sei eine unbefugte Einmischung in in seine Kompetenzen, und die Wahl ohne Not in aller Eile und früher als auf der Traktandenliste vorgesehen vornahm. Subsidiär beruft sich B. auf § 49 der Geschäftsordnung des Grossen Rates, der voraussetze, dass die in einer Petition geltend gemachten Tatsachen zur Kenntnis genommen werden. Er stützt sich ferner auf § 8 des Beamtengesetzes, der grundsätzlich die Ausschreibung der höheren Amtsstellen vorschreibt.
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C.- Der Grosse Rat beantragt Nichteintreten, eventuell Abweisung der Beschwerde. Es bestehe keine Pflicht, einer Petition irgendwie Folge zu geben. § 49 der Geschäftsordnung gestatte dem Grossen Rat, kurzerhand zur Tagesordnung überzugehen. Der Präsident habe die Petition ernst genommen, indem er ihren Eingang sofort und vor dem Wahlgeschäft bekanntgab, obschon sie in letzter Stunde eintraf. Eine Pflicht, die Petition im Wortlaut vorzulesen, bestehe nicht.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Hier stellt sich indessen die Frage, ob B. lediglich den Beschluss anfechten kann, mit dem seine Petition vom 29. Januar 1972 zurückgewiesen wurde, oder ob er die Annullierung der Wahl verlangen kann. Er selber beantragt allerdings, das Bundesgericht solle feststellen, dass das Petitionsrecht verletzt wurde, und den Grossen Rat anweisen, die Wahl zu annullieren. Wegen der, abgesehen von hier nicht zutreffenden Ausnahmen, rein kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 95 I 242, 343 E. 5, BGE 96 I 355 E. 1) ist zweifelhaft, ob diese Anträge in der Form zulässig sind. Es rechtfertigt sich indessen, sie dahin auszulegen, dass der Beschwerdeführer die Annullierung der Wahl verlangt, wie sich im übrigen aus seiner Begründung ergibt.
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Der Grosse Rat macht geltend, B. könne die Wahl nicht anfechten, sondern einzig die Rückweisung seiner Petition. Ist dem so, dann verliert aber die Beschwerde in einem Fall wie dem vorliegenden jede praktische Bedeutung, da die Wahl, deren Aufschub gefordert worden war, stattgefunden hat und die Verletzung des Petitionsrechts ohne Sanktion bleibt. Die Frage kann indessen offen bleiben, weil die Beschwerde materiell unbegründet ist.
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Da die angefochtene Wahl B. nicht persönlich in seinen Rechten trifft (Art. 88 OG), ist er lediglich legitimiert, eine Verletzung des Petitionsrechts geltend zu machen. Soweit er hingegen rügt, dass die Wahl auf A. fiel und dass eine einzige Kandidatur aufgestellt und zuvor nicht öffentlich bekanntgemacht wurde, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten. Das Gleiche gilt für die behauptete Verletzung des Beamtengesetzes; in dieser Hinsicht ist die Beschwerde übrigens offensichtlich unbegründet, denn § 8 nimmt die Ernennungen durch den Grossen Rat von der Pflicht zur Ausschreibung aus, und es ist Wortklauberei, wenn der Beschwerdeführer sagt, es habe sich vorliegend nicht um eine Ernennung, sondern um eine Wahl gehandelt. Unzulässig ist die Beschwerde schliesslich auch insofern, als der Entscheid des Grossen Rates angegriffen wird, mit dem er auf die nach derjenigen vom 29. Januar eingereichten Petitionen nicht eintrat; dieser Beschluss hätte rechtzeitig mit gesonderter Beschwerde angefochten werden müssen.
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3. Die beiden Vernehmlassungen des Grossen Rates sind entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Bei jener vom 10. April bemängelt er, dass sie vom Grossen Rat beschlossen wurde, ohne auf der Traktandenliste zu stehen. Selbst wenn darin eine Verletzung der Geschäftsordnung des Grossen Rates läge, wäre der Beschwerdeführer nicht befugt, sie geltend zu machen, denn Geschäftsordnungs-Bestimmungen dieser Art sind solche der inneren Organisation, die dem Bürger keine Rechte verleihen (vgl. BGE 96 I 626 E. 3). Hinsichtlich der Vernehmlassung vom 24. April beantragt der Beschwerdeführer, sie sei aus den Akten zu weisen, weil sie von Präsident und Sekretär eingereicht worden sei, ohne dem Grossen Rat vorgelegen zu haben; er erklärt indes selber, dass in der Zwischenzeit keine Session stattfand. Unter diesen Umständen war es normal und der Übung entsprechend, dass der Präsident es auf sich nahm, zum Gesuch um aufschiebende Wirkung Stellung zu nehmen, damit die vom Bundesgericht gesetzte Frist gewahrt werden konnte.
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§ 7 KV ist etwas ausführlicher: "Das freie Petitionsrecht ist gewährleistet" (Abs. 1). "Jeder Einwohner, einzeln oder mit andern vereint, jede Gemeinde oder Körperschaft hat das Recht, den Behörden Wünsche, Anliegen oder Beschwerden schriftlich in anständiger Fassung einzureichen" (Abs. 2). Damit werden gewisse im Bundesrecht offene Fragen, wie jene nach dem Petitionsrecht der Gemeinden, beantwortet, doch stellen sich diese hier nicht. Hingegen ist § 7 Abs. 2 KV nicht deutlicher als Art. 57 BV, was Natur, Inhalt und Umfang des Petitionsrechts betrifft, jene Fragen also, die hier aufgeworfen sind. Aufgrund seiner freien Prüfungsbefugnis bei der Auslegung kantonalen Verfassungsrechts (BGE 94 I 33 E. 2) kann das Bundesgericht somit in diesen Fragen entscheiden, wie wenn es das einzig in Anwendung von Art. 57 BV zu tun hätte.
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b) So, wie das einmütige Schrifttum es auffasst, sind dem Petitionsrecht in der Schweiz inhaltlich engere Grenzen gesetzt als in gewissen ausländischen Staaten. Aus historischen Gründen, als Reaktion gegen gewisse Praktiken im Polizeistaat des 18. Jahrhunderts in die Verfassung aufgenommen, gestattet es jedermann lediglich, ungehindert Bitten, Vorschläge, Kritiken oder Beschwerden in Angelegenheiten ihres Kompetenzbereiches an die Behörden zu richten, ohne deswegen Belästigungen oder Rechtsnachteile irgendwelcher Art befürchten zu müssen (BURCKHARDT, Kommentar S. 529; FLEINER/GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht S. 388; FAVRE, Droit constitutionnel S. 319; GISIGER, Das Petitionsrecht in der Schweiz S. 84). Es ist ein blosses Freiheitsrecht, das keinerlei positiven Anspruch verleiht (GISIGER, S. 81/82, 92) und von AUBERT (Traité de droit constitutionnel S. 711 Nr. 2010) der Meinungsäusserungsfreiheit zugeordnet wird. Daraus ist abgeleitet worden, der Petitionär könne weder verlangen, dass seine Petition materiell behandelt, noch, dass ihr entsprochen, noch auch nur, dass sie beantwortet werde (BGE 33 I 79; unveröffentlichter Entscheid vom 7. März 1949 i.S. Pache-Ehret; BURCKHARDT, FLEINER/GIACOMETTI, FAVRE, jeweils a.a.O.; GRISEL, Traité de droit administratif S. 461; GISIGER, S. 102). Darin unterscheidet sich das Petitionsrecht vom Beschwerderecht (BGE 90 I 230). Die Praxis geht freilich weiter. Petitionen werden im allgemeinen geprüft und beantwortet, sofern sie nicht unzulässig sind, wie von Urteilsunfähigen stammende, keine konkreten Begehren enthaltende oder in beleidigendem Ton abgefasste Petitionen (BGE 13 S. 380/1 E. 2.BGE 51 I 185; § 7 Abs. 2 KV; BURCKHARDT, S. 530; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O.; hinsichtlich der sehr grosszügigen Petitionspraxis der Bundesversammlung BRÜHWILER in ZBl 63/1962 S. 201 ff., über die Unzulässigkeit S. 205).
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Hingegen ist die Behörde verpflichtet, von der Petition Kenntnis zu nehmen, sie einzusehen. Der Einzelne muss aufgrund des Petitionsrechts die Möglichkeit haben, von der Behörde gehört zu werden (FLEINER/GIACOMETTI, S. 389; BURCKHARDT, S. 529;BGE 33 I 79E. 2). Sonst hätte die Petition kaum einen Sinn (FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O.). Es wäre verfassungswidrig, wenn sich eine Behörde gegen Petitionen verschliessen wollte (BUCKHARDT, a.a.O.). Ebenso würde sie die Verfassung verletzen, wenn sie eine Petition nicht an die Behörde überwiese, für die sie bestimmt ist (BGE 1, 11 E. 4).
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Man kann sich fragen, ob diese traditionelle, stark einschränkende Auffassung von Inhalt und Tragweite des Petitionsrechtes den gewandelten Verhältnissen und Anschauungen noch gerecht wird, zumal nachdem der "Ombudsman" im schweizerischen Recht Eingang gefunden hat (darüber HALLER, ZBl 73/1972, S. 177 ff.). Eine Ausweitung des Petitionsrechts muss indessen dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Wollte der Verfassungsrichter dem Petitionär einen Abspruch auf materielle Prüfung und motivierte Beantwortung seiner Eingabe zuerkennen, würde er die Grenze zwischen Petition und Rekurs verwischen; zudem hiesse das eine Art Popularbeschwerde gegen die Akte der Staatsgewalt schaffen.
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Der Hauptvorwurf des Beschwerdeführers ist der, dass der Grosse Rat unbestrittenermassen entschied, ohne vom vollen Wortlaut der Petition Kenntnis zu nehmen. Hingegen sagt er selber, dass der Grossratspräsident, dann der Justizdirektor und der Präsident der Petitionskommission sie zur Kenntnis nahmen und besprachen, worauf der Grosse Rat von ihrem Gegenstand unterrichtet und zur Abstimmung darüber aufgerufen wurde. Der Beschwerdeführer beanstandet dieses vereinfachte Verfahren unter Berufung auf die §§ 38 bis und 49 der Geschäftsordnung des Grossen Rates, die die Behandlung der an den Rat gerichteten Petitionen betreffen. Im unveröffentlichten Entscheid i.S. Pache-Ehret vom 7. März 1949 hat das Bundesgericht erklärt, derartige Bestimmungen seien Regeln der internen Organisation, deren Missachtung den Bürger nicht in seinen verfassungsmässigen Rechten verletze, und hat deswegen eine in dieser Hinsicht der vorliegenden ähnliche Beschwerde abgewiesen. Man kann sich aber fragen, ob diese Regeln nicht überdies dem Petitionär gewisse Garantien geben sollen, auf die er sich berufen kann, falls seine Petition ohne Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens abgewiesen wird. Doch mag die Frage offen bleiben, denn die vom Beschwerdeführer angerufenen Bestimmungen sind nicht verletzt worden. § 38bis der Geschäftsordnung des Grossen Rates sieht lediglich die Wahl einer Petitionskommission vor, ohne irgendwie zum Ausdruck zu bringen, dass alle Petitionen ihr unterbreitet werden müssten. Das ist denn auch nicht der Fall. Nach § 49 kann der Grosse Rat über die an ihn gerichteten Zu- und Bittschriften entweder zur Tagesordnung schreiten, wie es hier geschah, oder ihre Überweisung an den Regierungsrat oder die Petitionskommission beschliessen. Richtig ist, dass der Entscheid über die Art der Behandlung einer Petition "je nach der Art ihres Inhaltes" zu treffen ist. Der Beschwerdeführer folgert daraus, § 49 verpflichte den Grossen Rat implicite, selber vom Inhalt Kenntnis zu nehmen. Er übersieht, dass es nicht auf den Inhalt, sondern auf dessen Art ankommt. Der Grosse Rat ist aber von der Natur seiner Petition in Kenntnis gesetzt worden, denn man hat ihm erklärt, sie richte sich gegen die Kandidatur des A. Gewiss mag es erstaunen, dass keiner der Grossräte mehr zu erfahren wünschte, doch hatte jeder die Möglichkeit, vor der Wahl näheren Aufschluss zu verlangen. Dass der Grosse Rat ein vereinfachtes Verfahren anwenden musste, hat B. im übrigen sich selber zuzuschreiben, denn er hat seine Petition erst am Morgen des Wahltages zur Post gegeben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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