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88. Urteil vom 29. November 1972 i.S. Aschwanden gegen Appellationsgericht (als Verwaltungsgericht), den Regierungsrat und den Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt. | |
Regeste |
Stimmrecht. Ständeratswahl im Kanton Basel-Stadt. Behördliche Informationspflicht und Stimmgeheimnis. |
2. Unrichtige Rechtsmittelbelehrung als unverschuldetes Hindernis im Sinne von Art. 35 OG (Erw. 4). |
3. Umfang der Informationspflicht der Behörde über die eingegangenen Wahlvorschläge (Erw. 9). |
4. Verletzung des Stimmgeheimnisses durch unzulänglich eingerichtete Wahllokale (Erw. 10 a und b). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Beschluss vom 16. November 1971 beantragte der Regierungsrat dem Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt, die Ständeratswahl zu validieren. In seinem Bericht an den Grossen Rat stellte er fest. dass von 148'585 Stimmberechtigten sich 62'811 an der Wahl beteiligten. Bei 41'716 eingelegten gültigen Stimmzetteln betrage das absolute Mehr 20'859. Gewählt sei ![]() | 2 |
Mit Beschluss des Grossen Rates vom 18. November 1971 wurde die Ständeratswahl entsprechend dem regierungsrätlichen Antrag als validiert erklärt.
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C.- Hedwig Aschwanden wollte den Regierungsratsbeschluss vom 16. November 1971, mit welchem ihre Wahleinsprache abgewiesen wurde, anfechten. Auf ihre Anfrage hin teilte ihr der Staatsschreiber des Kantons Basel-Stadt schriftlich mit, dass gemäss § 16 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege gegen den betreffenden Regierungsratsbeschluss innert 7 Tagen ab Zustellung der Rekurs an das Verwaltungsgericht ergriffen werden könne und dass spätestens innert 14 Tagen eine schriftliche Rekursbegründung einzureichen sei.
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D.- Mit Eingabe vom 22. November 1971 reichte Hedwig Aschwanden beim Appellationsgericht als Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt einen begründeten Rekurs ein. Sie beantragte, dass das Abstimmungsresultat vom 29., 30., 31. Oktober 1971 wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses und Verletzung der Informationspflicht ungültig erklärt und eine neue Wahl durchgeführt werde.
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Am 23. November 1971 schrieb der vorsitzende Präsident des Appellationsgerichts Basel Hedwig Aschwanden, dass das von ihr ergriffene Rechtsmittel aussichtslos sei. In dem Schreiben legte er unter Hinweis auf die massgebenden Bestimmungen von Verwaltungsrechtspflegegesetz und Wahlgesetz dar, dass und weshalb das Verwaltungsgericht zur Behandlung ihres Rekurses nicht zuständig sei. Es wurde ihr erklärt, dass ohne ihren Gegenbericht bis zum 30. November 1971 angenommen werde, dass sie im Interesse der Vermeidung von Kosten auf ein förmliches Urteil verzichte. Hedwig Aschwanden hielt jedoch an ihrem Rekurs fest. Am 16. Dezember 1971 fällte das Verwaltungsgericht den Nichteintretensentscheid. Er wurde - wie schon im Schreiben des Präsidenten vom 23. November 1971 dargelegt - damit begründet, dass der Beurteilung des Verwaltungsgerichts nur solche Verfügungen des Regierungsrats unterlägen, welche eine materielle Erledigung des behandelten Geschäfts enthalten oder auf Nichteintreten lauten. Die Validierung ![]() | 6 |
E.- Hedwig Aschwanden hat im Anschluss an den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1971 mit Eingabe vom 3. Januar 1972 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung ihrer politischen Rechte als Stimmbürgerin sowie des Art. 4 BV erhoben. Sie beantragt, zu berücksichtigen, dass ihr aus der falschen Rechtsmittelbelehrung durch die kantonale Instanz kein Nachteil erwachsen dürfe und dass die daraus entstandenen Kosten dem Verwaltungsgericht anzulasten seien. Dem Verwaltungsgericht wird ein gesetzwidriges Verhalten vorgeworfen, weil es ihre Rechtsmitteleingabe nicht unverzüglich an die zuständige Instanz weitergeleitet habe. Zur Sache selbst wiederholt die Beschwerdeführerin ihre im kantonalen Verfahren vorgebrachten Rügen der Verletzung des Wahlgeheimnisses und der behördlichen Informationspflicht gegenüber den Stimmbürgern und beantragt, die Ständeratswahl ungültig zu erklären. Zudem sei der Regierngsrat zu verpflichten, in den Wahllokalen für die Wahrung der geheimen Stimmabgabe zu sorgen; auch sei ihr Recht auf Information zu schützen. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den nachstehenden Erwägungen.
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F.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach § 10 des baselstädtischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 14. Juni 1928 (VRPG) unterliegen der Beurteilung des Verwaltungsgerichts grundsätzlich nur die Verfügungen des Regierungsrats, welche eine materielle Erledigung des behandelten Geschäftes enthalten oder auf Nichteintreten lauten. § 27 Abs. 2 der Kantonsverfassung (KV) bestimmt, ![]() | 9 |
Von dieser Ordnung geht zu Recht auch der auf Nichteintreten lautende Entscheid des Verwaltungsgerichts aus. Das Verwaltungsgericht verkennt jedoch, dass der Regierungsrat im Falle der Beschwerdeführerin offensichtlich doch über die Wahleinsprache entschieden hat. Durch Regierungsratsbeschluss vom 16. November 1971 - welcher der Beschwerdeführerin zwar in Form eines Briefes mitgeteilt wurde, was aber nicht ändert, dass es sich um einen Entscheid handelt - wurde entschieden, dass die Wahleinsprache abgewiesen werde. Dem entspricht der Beschluss des Regierungsrats vom gleichen Tag, womit dem Grossen Rat über die Ständeratswahl Bericht erstattet und deren Validierung beantragt wurde. Die Wahleinsprache der Beschwerdeführerin wird darin dem Grossen Rat nicht zum Entscheid unterbreitet, sondern es wird nurmehr daraufhingewiesen, dass eine Einsprache von Fräulein H. Aschwanden fristgemäss eingereicht worden sei und dass der Regierungsrat diese Einsprache in seiner Sitzung vom 16. November 1971 als unbegründet abgewiesen habe. Demgemäss hat auch der Grosse Rat die Ständeratswahl validiert, ohne die Einsprache selbst beurteilt zu haben. Die Tatsache, dass der Regierungsrat über die Wahleinsprache der Beschwerdeführerin materiell entschied - was wohl erklärt, weshalb der Staatsschreiber diese auf den Rechtsmittelweg an das Verwaltungsgericht wies -, vermag jedoch die nach dem Gesetz ausgeschlossene Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nicht zu begründen. Die Beschwerdeführerin behauptet denn auch mit Recht nicht, dass dieses auf ihren Rekurs hätte eintreten müssen.
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Nach § 30 Abs. 1 VRPG werden in der Regel weder Gerichtsgebühren erhoben noch Parteientschädigungen zugesprochen. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Bestimmung, und auf diese stützt sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid, kann jedoch das Gericht ausnahmsweise einem Rekurrenteneine Gerichtsgebührbis zumBetrage vonFr. 1'000.-- auferlegen, wenn unter anderem die Art der Prozessführung dies rechtfertigt. Wohl wurde der Beschwerdeführerin vom Präsidenten des Appellationsgerichts dargelegt, dass und weshalb ihr Rekurs aussichtslos sei. Nachdem sie aber im Besitze eines Schreibens des Staatsschreibers, der den Regierungsratsentscheid mitunterzeichnet hatte, war, worin sie auf den Rechtsweg an das Verwaltungsgericht gewiesen wurde, kann ihr kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie auf einem förmlichen Entscheid des Verwaltungsgerichts beharrte. Unter diesen Umständen ist es aber schlechthin unhaltbar und verstösst damit gegen Art. 4 BV, ihr eine tadelnswerte Prozessführung, welche die ausnahmsweise Auflage einer Gerichtsgebühr rechtfertigen würde, zur Last zu legen. Satz 2 des Dispositivs des Verwaltungsgerichtsentscheids vom 16. Dezember 1971, worin der Beschwerdeführerin eine Gerichtsgebühr von Fr. 100.-- auferlegt wird, ist daher aufzuheben.
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4. Soweit die staatsrechtliche Beschwerde das Wahlverfahren rügt und sich gegen den die Wahleinsprache abweisenden Entscheid des Regierungsrats vom 16. November 1971 richtet, ist sie verspätet. Die dreissigtägige Beschwerdefrist des Art. 89 OG, die mit der offenbar am 17. November 1971 erfolgten Zustellung des Regierungsratsentscheids zu laufen begann, ist ![]() | 14 |
5. Nach der verfassungsmässigen Ordnung steht der Entscheid über die Wahleinsprachen dem Grossen Rat zu, ![]() | 15 |
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8. Die Beschwerdeführerin verlangt die Aufhebung der Ständeratswahl mit der Begründung, dass die Stimmbürger ![]() | 18 |
Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimmrecht gibt dem Bürger Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Der Bürger soll sein Stimmrecht völlig frei ausüben und den Stimmzettel so ausfüllen können, wie es seinem wirklichen Willen entspricht, was unter anderem durch geheime Stimmabgabe gewährleistet wird (BGE 98 Ia 78, BGE 90 I 73, je mit Verweisungen). Bei der Frage, ob diese Grundsätze und damit das Stimmrecht verletzt sind, prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung und Anwendung des Bundesrechts und des kantonalen Verfassungsrechts frei, sondern auch anderer kantonaler Vorschriften, sofern diese das Stimmrecht nach Inhalt und Umfang näher normieren (BGE 94 I 124 E. 2 mit Verweisungen). Die Sachverhaltsfeststellungen der kantonalen Behörden dagegen prüft es nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür (BGE 98 Ia 78, BGE 97 I 663).
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Der Regierungsrat hat die Rüge, der Wahlvorschlag sei den Stimmbürgern nicht zugestellt und damit nicht gehörig bekannt gemacht worden, unter Hinweis auf § 88 Abs. 3 WG als unbegründet erklärt. Nach dieser Bestimmung, die unter anderem speziell für die Ständeratswahl gilt, erhält der Stimmberechtigte nach Vorweisung des Stimmrechtsausweises vom Wahlbüro einen leeren Stimmzettel, den er nach allfälliger Ausfüllung in die Urne legt. Daraus schliesst der Regierungsrat, dass bei der Ständeratswahl eine Zustellung der Wahlvorschläge nicht zu erfolgen habe - anders als bei den Regierungsratswahlen, wo die Wahlvorschläge auf den Stimmzetteln vorgedruckt sind, ![]() | 21 |
Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihrem Recht aufgeheime Stimmabgabe verletzt, weil das Wahllokal im Wettsteinschulhaus so eingerichtet gewesen sei, dass die Mitglieder des Wahlbüros die Stimmbürger beim Ausfüllen des Wahlzettels hätten beobachten können. Man habe nämlich in den wie für den Schulbetrieb angeordneten Bänken schreiben müssen, vor denen die Mitglieder des Wahlbüros gleich dem Lehrer gestanden oder gesessen seien. Der Regierungsrat dagegen erklärt, es sei aufgrund des Tatsachenmaterials so gut wie sicher anzunehmen, ![]() | 22 |
a) Den kantonalen Akten ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Regierungsrat den von der Beschwerdeführerin behaupteten Sachverhalt näher überprüfte. Aus dessen Ausführungen im angefochtenen Entscheid ist jedoch zu schliessen, dass das Wahllokal im Wettsteinschulhaus so eingerichtet war, wie es in der Einsprache dargestellt wurde. Mit dem Argument, dass die Wähler beim Ausfüllen des Stimmzettels nur beobachten konnte, wer wollte, und dass überdies die Mitglieder des Wahlbüros zu beschäftigt gewesen seien, um solches zu tun, räumt der Regierungsrat ein, dass eine Beobachtung der Wähler möglich war. Überdies wird die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass auch die übrigen Wahllokale gleich eingerichtet gewesen seien, vom Regierungsrat offenbar anerkannt mit der Bemerkung, das bisherige System habe bis anhin keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben. Unter diesen Umständen kann jedenfalls nicht von einer Rechtsverweigerung gegenüber der Beschwerdeführerin gesprochen werden, die der Regierungsrat durch ungenügende Abklärung des Sachverhalts begangen haben sollte (BGE 93 I 537).
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b) Die §§ 13 und 63 WG enthalten die Vorschrift, dass die zuständige Behörde "für gehörige Einrichtung und Ausstattung der Wahllokale zu sorgen hat". Ein wesentlicher Gesichtspunkt muss dabei die Ermöglichung der geheimen Stimmabgabe sein. Die Urnenabstimmung, wie sie in § 27 KV vorgeschrieben wird, nämlich die sukzessive Stimmgebung in die Urne (vgl. GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Zürich ![]() ![]() | 24 |
c) Auch wenn sich die Rüge der Beschwerdeführerin, das Wahlgeheimnis sei nicht gehörig gewahrt gewesen, als begründet erweist, so führt dies nicht ohne weiteres zur Kassation der in Frage stehenden Ständeratswahl. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird eine Wahl nur dann kassiert, wenn die festgestellten Unregelmässigkeiten das Wahlergebnis beeinflusst haben können (BGE 98 Ia 78, BGE 97 I 662 /3 je mit Verweisungen). Das lässt sich im vorliegenden Fall nicht annehmen. Nach den Ausführungen im angefochtenen Entscheid und in der Beschwerde deutet nichts darauf hin, dass ausser der Beschwerdeführerin noch andere Stimmbürger sich bei der Stimmabgabe kontrolliert fühlten. Bei den eingangs erwähnten Zahlen hätten sich mehrere tausend Stimmbürger in ihrem Wahlgeheimnis verletzt glauben müssen, damit sich das Wahlergebnis zuungunsten des Kandidaten Wenk verschieben könnte. Dass eine derart hohe Zahl von Wählern begründeten Anlass dazu hatten, ist bei den gegebenen Verhältnissen, da es um eine unbestrittene Wahl ging und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Stimmabgabe tatsächlich kontrolliert wurde, jedoch ausgeschlossen. Die angefochtene Wahl ist daher nicht aufzuheben. Dies ändert indessen nichts daran, dass die beanstandete Einrichtung der Wahllokale den Anforderungen, die sich aus dem mit der Urnenwahl verankerten Grundsatz der absolut geheimen Stimmabgabe ergeben, nicht genügt und nach dem Gesagten nicht beibehalten werden kann. Die Beschwerde ist deshalb, soweit sie sich gegen den Regierungsratsbeschluss vom 16. November 1971 und den Validierungsbeschluss des Grossen Rats vom 18. November 1971 richtet, im Sinne der Erwägungen abzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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