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91. Urteil vom 31. Oktober 1972 i.S. Bebi und Mitbeteiligte gegen den Grossen Rat des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Initiativrecht. Art. 26 der aarg. KV. |
2. Ein Volksbegehren, das den Widerruf einer Kraftwerkkonzession und damit einen Verwaltungsakt vorsieht, ist augenscheinlich verfassungswidrig und der Volksabstimmung nicht zu unterbreiten (Erw. 3 c ff.). | |
Sachverhalt | |
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"Die Reuss von Bremgarten (Au) bis zur Einmündung in die Aare ist von neuen energiewirtschaftlichen Anlagen frei zu halten. Durch Modernisierung bestehender Kraftwerke darf das Landschaftsbild nicht beeinträchtigt werden."
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Für die Sanierung der Reussebene, d.h. des Gebietes flussaufwärts oberhalb Bremgarten bis Mühlau, war von einer vom kantonalen Baudepartement eingesetzten Fachkommission eine Lösung vorgeschlagen worden, nach welcher das für die Erhaltung schützenswerter Pflanzen und Kleintiere unerlässliche Stauwehr des überalterten Kraftwerks Bremgarten - Zufikon durch ein neues Wehr ersetzt und in Verbindung damit auch ein neues Kraftwerk erstellt werden sollte. Der Regierungsrat des Kantons Aargau verlieh in der Folge am 23. November 1967 dem Aargauischen Elektrizitätswerk (AEW) die entsprechende Konzession, welche am 10. September 1968 vom Grossen Rat genehmigt wurde. Nach Art. 2 der Konzessionsbestimmungen ist das Kraftwerk Bremgarten - Zufikon ein Bestandteil der Sanierung der Reussebene; die Projekte für Kraftwerk, wasserbaulichen und meliorationstechnischen Teil sind aufeinander abgestimmt und deren Ausführung miteinander zu koordinieren. Diese Bestimmung ist im wesentlichen wiedergegeben in § 10 des vom Grossen Rat am 15. Oktober 1969 beschlossenen Gesetzes über den Hochwasserschutz, die Entwässerung und die Bodenverbesserungen im Gebiet der Reussebene (Reusstalgesetz), welches die geplante Reussebenesanierung in grossen Zügen festhält und die dafür erforderlichen ![]() | 3 |
B.- Am 10. Dezember 1971 reichte der Reusstalbund ein neues Volksbegehren ein, mit welchem die Abänderung des Gesetzes über die Freie Reuss vom 16. Mai 1965 verlangt wurde (zweite Reusstalinitiative). Die Initiative lautet:
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"I.
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§ 1 des Gesetzes über die Freie Reuss soll neu wie folgt lauten: Der aargauische Reussflusslauf, von der Kantonsgrenze bis zur Einmündung in die Aare, ist von neuen energiewirtschaftlichen Anlagen frei zu halten. Durch Veränderung oder Modernisierung bestehender Kraftwerke dürfen das Landschaftsbild, der heutige Flusswasserstand und die bestehenden Grundwasserverhältnisse nicht beeinträchtigt werden.
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II.
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1) Diese Abänderung tritt nach Annahme durch das Volk in Kraft.
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2) Die vom Grossen Rat und Regierungsrat dem Aargauischen Elektrizitätswerk (AEW) erteilte Konzession für den Neubau des Kraftwerkes Bremgarten-Zufikon ist aufgehoben.
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Der Regierungsrat des Kantons Aargau hielt das Volksbegehren in verschiedener Hinsicht für verfassungswidrig und beantragte in seiner Botschaft vom 24. Januar 1972 an den Grossen Rat, ihm keine Folge zu geben. Der Grosse Rat schloss sich der Auffassung des Regierungsrats an und beschloss am 25. April 1972, die Initiative der Volksabstimmung nicht zu unterstellen.
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C.- Rudolf Bebi, Hans Heinrich Bebi und 39 Mitbeteiligte führen staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 25. April 1972 aufzuheben. Sie bestreiten die Verfassungswidrigkeit des Volksbegehrens, das zu Unrecht den Stimmbürgern nicht unterbreitet werde. Die Begründung der Beschwerde ![]() | 11 |
D.- Der Grosse Rat des Kantons Aargau hat sich mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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"Jedes dem Grossen Rat zugehende Initiativbegehren ist zuerst auf seine Verfassungsmässigkeit zu prüfen.
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Wenn ein Begehren augenscheinlich gegen die Verfassung verstösst, so soll demselben keine Folge gegeben werden."
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Die Beschwerdeführer wenden sich mit Recht nicht ernstlich gegen die dem Grossen Rat zustehende Überprüfungsbefugnis. Ist doch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts die Behörde, die nach dem kantonalen Recht zur Anordnung der Volksabstimmung über Verfassungs- oder Gesetzesinitiativen berufen ist, selbst ohne besondere gesetzliche Grundlage befugt, neben dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen für das Zustandekommen der Initiative auch deren materielle Rechtmässigkeit zu prüfen und die Vorlegung an das Volk zu verweigern, wenn sich die Initiative als inhaltlich rechtswidrig erweist (BGE 96 I 646 mit Verweisungen). Angesichts dieses Grundsatzes kann man sich dagegen mit dem Regierungsrat und dem Grossen Rat fragen, ob die Volksabstimmung nicht schon dann verweigert werden kann, wenn ein Volksbegehren verfassungswidrig, der Mangel aber nicht augenscheinlich ist. Es besteht indessen kein Grund, vom Wortlaut des Art. 26 Abs. 3 KV abzuweichen. Schon mit Rücksicht auf den Umstand, dass eine politische Behörde und nicht eine richterliche Instanz über die Verfassungsmässigkeit ![]() | 17 |
3. Der Grosse Rat hält die in Frage stehende zweite Reusstalinitiative in verschiedener Hinsicht für verfassungswidrig, wie dies in der regierungsrätlichen Bostchaft ausführlich dargetan ist. Eine augenscheinliche Verfassungswidrigkeit liegt nach seiner Ansicht vor allem darin, dass Ziff. II der Initiative, worin die Aufhebung der dem AEW erteilten Konzession für das Kraftwerk Bremgarten - Zufikon bestimmt wird, gegen die verfassungsmässige Kompetenzordnung verstosse, insbesondere aber einen individuellen Verwaltungsakt vorsehe, der nach Art. 26 KV nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein könne. Die Beschwerdeführer stellen sich dagegen auf den Standpunkt, dass die aargauische Verfassung dem Volk nicht verwehre, eine erteilte Konzession zu entziehen. Sie bestreiten insbesondere, dass bloss ein Gesetz im materiellen Sinne und damit kein Verwaltungsakt Gegenstand eines Volksbegehrens sein könne. Wie es sich damit verhält, ist durch Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts zu ermitteln. Dabei steht dem Bundesgericht die freie Prüfung zu, wobei es sich nur insoweit ![]() | 18 |
a) Die aargauische Verfassung sagt nichts über die Zuständigkeit zum Widerruf einer erteilten Wasserrechtskonzession, und dem Gesetzesrecht kann nicht eindeutig entnommen werden, ob der Regierungsrat oder der Grosse Rat dazu befugt ist. Läge die Kompetenz beim Grossen Rat, was in analoger Anwendung von § 29 Abs. 1 des kantonalen Gewässerschutzgesetzes vom 22. März 1954 allenfalls geschlossen werden könnte, so wäre die Möglichkeit, durch Volksinitiative einen Konzessionswiderruf zu verlangen, nicht von vorneherein zu verneinen. Kann doch in verschiedenen Kantonen die Volksinitiative mehr oder weniger alles zum Gegenstand haben, was in die Kompetenz der gesetzgebenden Behörde fällt (vgl. die Zusammenstellung bei HEINRICH BÜELER, Die Entwicklung und Geltendmachung des Schweizerischen Volks-Initiativrechtes, Diss. Zürich 1925 S. 106 f.). Es ist deshalb in erster Linie zu prüfen, was nach der aargauischen Verfassung Inhalt einer Gesetzesinitiative sein kann.
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b) Nach Art, 26 Abs. 1 KV können die Bürger "den Erlass, die Abänderung oder die Aufhebung eines Gesetzes verlangen".
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Der Begriff des Gesetzes kann im materiellen oder formellen Sinne verstanden werden. Das Gesetz im materiellen Sinn ist der Erlass der gesetzgebenden Behörde, welcher generellabstrakte Normen enthält, d.h. der Rechtssetzungserlass. Unter Gesetz im formellen Sinn dagegen sind alle Erlasse zu verstehen, die in die Zuständigkeit der gesetzgebenden Behörde fallen und im Gesetzgebungsverfahren ergehen, also auch die rechtsanwendenden Akte im Rahmen ihrer Regierungs- und Verwaltungstätigkeit. Welchen Gesetzesbegriff Art. 26 Abs. 1 KV meint, lässt sich aufgrund dieser Vorschrift allein nicht feststellen. Zu ihrer Auslegung sind deshalb weitere Bestimmungen der aargauischen Verfassung heranzuziehen. Erheblich ist in diesem Zusammenhang Art. 25 KV, welcher das Referendumsrecht regelt. Art. 25 Abs. 1 KV zählt die der Genehmigung des Volkes zu unterstellenden Erlasse auf und unterscheidet dabei, abgesehen von Verfassungsänderungen, Gesetze (lit. a) und Beschlüsse (lit. b - e). Der Beschluss ist ![]() ![]() | 21 |
c) Ziff. II/2 des Volksbegehrens sieht die Aufhebung der dem AEW erteilten Konzession für den Neubau des Kraftwerkes Bremgarten - Zufikon und damit die Vornahme eines individuellen Verwaltungsaktes vor. Vergeblich behaupten die Beschwerdeführer, dieser Satz stelle bloss eine authentische Interpretation von Ziff. I der Initiative dar in dem Sinne, dass als Folge dieser Vorschrift unter anderem auch die Konzession des Kraftwerkes Bremgarten - Zufikon dahinfallen werde. Ziff. II/2 sagt unmissverständlich, dass der Widerruf der Konzession unmittelbar verfügt und nicht der Konzessionsbehörde überlassen wird. Die Vermutung liegt sogar nahe, dass die ganze Initiative überhaupt nur die Verhinderung dieses Kraftwerkneubaus im Auge hat. Sind doch, wie in der regierungsrätlichen Botschaft vermerkt und von den Beschwerdeführern nie bestritten worden ist, auf der verhältnismässig kurzen Strecke des Reussflusslaufes auf aargauischem Gebiet andere Wasserkraftwerke ausser demjenigen von Bremgarten - Zufikon kaum denkbar, sodass die der Form nach zwar allgemein ![]() | 22 |
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Brauchte der Grosse Rat dem Volksbegehren schon aus den dargelegten Gründen keine Folge zu geben, so kann die Beschwerde abgewiesen werden, ohne dass auf die weiteren streitigen Fragen von dessen Verfassungsmässigkeit einzugehen ist.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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