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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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96. Auszug aus dem Urteil vom 29. November 1972 i.S. Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. | |
Regeste |
Eigentumsgarantie, Art. 22ter BV. Ehehaftes Tavernenrecht im Kanton Luzern. |
2. Das ehehafte Tavernenrecht ist nach der luzernischen Gesetzgebung ein wohlerworbenes Privatrecht und steht unter dem Schutz der Eigentumsgarantie. Voraussetzungen für dessen Aufhebung (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
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"Neue Realwirtsrechte werden nicht mehr erteilt.
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Die alten Realwirtsrechte bleiben in ihrem bisherigen Rechtsbestande anerkannt. Der Regierungsrat wird ermächtigt, die allmähliche Ablösung derselben auf dem Wege der freiwilligen Übereinkunft mit den Inhabern herbeizuführen.
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Die bezüglichen Verträge sind dem Grossen Rate zur Genehmigung vorzulegen."
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§ 7 WG regelt die Erweiterung der zu Wirtschaftszwecken benützten Räumlichkeiten, welche nur mit Bewilligung des Regierungsrats statthaft ist und einer Patenttaxe unterliegt. § 8 WG bestimmt:
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Die Übertragung eines Realrechtes auf ein anderes Gebäude ist unstatthaft.
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Ausnahmsweise kann der Regierungsrat die Übertragung bewilligen, wenn die in der gleichen Gemeinde befindlichen neuen Lokalitäten sich für den Wirtschaftsbetrieb wesentlich besser eignen und ein Wechsel in der Person des Wirts nicht eintritt.
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Sind die neuen Wirtschaftsräumlichkeiten grösser als die bisherigen, so kommt die Bestimmung über die Erweiterung der Realrechte zur Anwendung."
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B.- Die Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. 254 GB Luzern, rechtes Ufer. Die Liegenschaft grenzt an den Mühlenplatz, die Rössligasse und den Löwengraben. Das darauf stehende Gebäude trägt die Hausnummern Löwengraben 33 und 35, Mühlenplatz 15 sowie Rössligasse 18 und 20. Früher befand sich auf diesem Grundstück das Hotel Rössli, welches aufgrund eines Realwirtsrechts als Realtaverne betrieben wurde. Das Hotel hatte im Erdgeschoss und im ersten Stock 363 m2 Wirtschaftsräumlichkeiten ![]() | 9 |
C.- Im Jahre 1970 liess die Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG im Einvernehmen mit der Neuen Warenhaus AG (EPA) als Mieterin das Warenhaus umbauen und erweitern. Zum Umbau gehörte die Beseitigung des bisherigen Selbstbedienungsrestaurants im Erdgeschoss am Löwengraben 33. Dafür wurde im ersten Stock des Gebäudes Mühlenplatz 15/Rössligasse 18/20 ein neues Speiserestaurant mit 241 m2 Wirtschaftsfläche errichtet.
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D.- Über das Gesuch betreffend die Verlegung des Wirtschaftsbetriebes entschied der Regierungsrat des Kantons Luzern am 20. März 1972, indem er eine Übertragung des Realtavernenrechts z. Rössli vom Haus Löwengraben 33 auf das Haus Mühlenplatz 15/Rössligasse 18 und 20 abwies; zudem wurde festgestellt, dass das Realtavernenrecht z. Rössli durch einseitigen Verzicht der Rechtsinhaberin erloschen sei, was im Grundbuch von Amtes wegen anzumerken sei; den Gesuchstellen wurde dafür die Erteilung eines Wirtschaftspatentes nach § 10 lit. c. WG für den Betrieb des neuen Warenhausrestaurants zugesichert (Beschluss Nr. 1038). Er ging davon aus, dass die nachgesuchte Verlegung des Wirtschaftsbetriebs einer sogenannten Translokationsbewilligung im Sinne von Art. 8 WG bedürfe. Die Realwirtsrechte seien nämlich, entgegen ![]() | 11 |
E.- Die Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG hat gegen diesen Entscheid des Regierungsrats des Kantons Luzern vom 20. März 1972 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie macht Verletzungen von Art. 4 BV, wie insbesondere des rechtlichen Gehörs, und der Eigentumsgarantie (Art. 22ter BV) geltend und beantragt die Aufhebung von Disp. Ziff. 1 und 2 des angefochtenen Entscheids. Die Begründung der Beschwerde wird, soweit nötig, in den nachstehenden Erwägungen wiedergegeben.
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F.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
4. Der Regierungsrat bestreitet nicht, dass sich die Häuser Löwengraben 33 und Mühlenplatz 15/Rössligasse 18/20 auf dem selben Grundstück Nr. 254 befinden. Nach seiner Ansicht liegt jedoch auch dann eine Übertragung des Realwirtsrechts im Sinne von § 8 WG vor und bedarf es somit einer Translokationsbewilligung, wenn die Wirtschaft in ein anderes Gebäude verlegt wird, das sich auf dem gleichen Grundstück befindet. Dies aufgrund der Annahme, dass das Tavernenrecht nicht mit dem Grundstück, sondern allein mit dem Gebäude verhaftet sei. Der Regierungsrat setzt sich damit in Widerspruch zu ![]() ![]() | 14 |
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a) Nach der für öffentliche Eigentumsbeschränkungen geltenden Regel sind Eingriffe in wohlerworbene Privatrechte nur zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen und im öffentlichen Interesse liegen; bei Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, ist zudem volle Entschädigung zu leisten (BGE 97 I 795; BGE 96 I 727 mit Verweisungen). Eingriffe in die von der kantonalen Rechtsordnung als Privatrechte anerkannten Realwirtsrechte sind deshalb nur unter diesen Voraussetzungen mit Art. 22ter BV vereinbar. Indem der Regierungsrat das Realwirtsrecht zum Rössli für erloschen erklärte und dessen Löschung im Grundbuch anordnete, hat er es aufgehoben. Das stellt einen besonders schweren Eingriff ins Eigentum dar. Das Bundesgericht prüft daher frei, ob er auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht (BGE 98 Ia 38 mit Verweisungen).
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b) "Gesetzlich" ist die Grundlage einer Eigentumsbeschränkung dann, wenn sie in einem Gesetz im materiellen Sinne, d.h. in einer allgemeinen, generell-abstrakten Norm enthalten ist, die sich ihrerseits als verfassungsmässig erweist (BGE 97 I 796, BGE 90 I 323 mit Verweisungen).
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Der Regierungsrat erklärt das Realwirtsrecht zum Rössli als erloschen, weil es nicht mehr im gleichen Umfang wie früher ausgeübt wird. Im alten Hotel zum Rössli wurde die zum Tavernenrecht gehörende Befugnis zur Beherbergung ausgeübt, während im neuen Warenhaus nurmehr eine Speisewirtschaft geführt wird. Eine Gesetzesvorschrift, welche vorsieht, dass ![]() | 18 |
Der Regierungsrat sieht, offenbar im Bewusstsein, dass im luzernischen Recht kein Rechtssatz die Verwirkung des Tavernenrechts wegen Nichtausübung zulässt, in der nurmehr teilweisen Ausübung des Tavernenrechts zum Rössli durch die Beschwerdeführerin einen einseitigen Verzicht auf das Recht. Er nimmt wohl an, dass damit eine freiwillige Übereinkunft im Sinne von § 5 Abs. 3 WG vorliege, wobei allerdings übersehen würde, dass dazu die Genehmigung des Grossen Rates nötig wäre. Wie man jedoch dazu kommen kann, in einem teilweisen Verzicht auf die Ausübung eines Privatrechts eine unzulässige Veränderung von dessen Rechtscharakter zu erblicken und dies überdies als einen Verzicht auf das Recht selbst, und zwar auf das ganze, zu betrachten, lässt sich mit keinen rechtlichen Überlegungen erklären.
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Der in Disp. Ziff. 2 des angefochtenen Entscheids ausgesprochenen Aufhebung des Tavernenrechts, das durch einseitigen Verzicht der Rechtsinhaberin für erloschen erklärt wird, fehlt die gesetzliche Grundlage. Der Entscheid verstösst somit gegen Art. 22ter BV und ist aufzuheben. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der Entscheid nicht schon mit Rücksicht auf die Verfügung vom 29. November 1947, welche den Bestand des Tavernenrechts zugesichert hatte, unzulässig gewesen wäre.
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