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12. Urteil vom 7. Februar 1973 i.S. Tanner gegen Oberauditor der Armee und Eidgenössisches Militärdepartement. | |
Regeste |
Kompetenzkonflikt nach Art. 223 MStG. Gebrauch von Betäubungsmitteln. | |
Sachverhalt | |
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B.- Tanner führt Kompetenzkonfliktsbeschwerde gemäss Art. 223 MStG. Er beantragt, die bürgerlichen Behörden ausschliesslich zuständig zu erklären und die militärgerichtliche Untersuchung aufzuheben. Ferner sei ihm selbst für die erstandene Untersuchungshaft und dem Verteidiger für seine Bemühungen eine angemessene Entschädigung zuzusprechen.
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C.- Der Oberauditor beantragt Abweisung der Beschwerde.
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D.- Tanner hat unaufgefordert auf die Beschwerdeantwort repliziert.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Da dem Beschwerdeführer mit der Beschwerdeantwort ![]() | 5 |
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4. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer, als er in der Rekrutenschule anerkanntermassen Drogen konsumierte, in persönlicher Hinsicht nach Art. 2 Ziff. 1 MStG dem Militärstrafrecht unterstand. Da dieses jedoch in sachlicher Hinsicht keine abschliessende Regelung enthält, blieb er nach Art. 7 MStG für strafbare Handlungen, die im Militärstrafrecht nicht vorgesehen sind, dem bürgerlichen Strafrecht unterworfen. In gleicher Weise regeln die Art. 218 Abs. 1 und 219 Abs. 1 MStG, unter Vorbehalt von Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz, die gerichtliche Zuständigkeit, indem Personen der Militärgerichtsbarkeit unterliegen, soweit sie dem Militärstrafrecht unterworfen sind, hingegen der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit ![]() | 8 |
Aus dieser gesetzlichen Ordnung ergibt sich, dass das Militärstrafrecht in seinem Anwendungsbereich Sonderrecht ist und dem bürgerlichen Strafrecht vorgeht (BGE 57 I 215). Daraus folgt aber auch, dass im Zweifel nicht das Sonderrecht, sondern das allgemeine bürgerliche Strafrecht anzuwenden ist (COMTESSE, Kommentar zu Art. 2 MStG N. 7; HAFTER, Allg. Teil S. 66; SCHWANDER, Strafrecht S. 43). Entsprechend kommt in Zweifelsfällen der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit der Vorrang vor der Militärgerichtsbarkeit zu (BGE 61 I 127,BGE 71 I 32).
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a) Art. 72 MStG ist eine Blankettnorm, die es zulässt, dass während der Geltungsdauer des Gesetzes durch Erlass von Dienstvorschriften neue Straftatbestände im Sinne dieser Bestimmung geschaffen werden, die der Militärgerichtsbarkeit unterliegen. Unter dem Gesichtswinkel der Kompetenzausscheidung ergeben sich daraus dann Probleme, wenn sich die Dienstvorschrift gegen ein Verhalten richtet, das bereits nach bürgerlichem Strafrecht zu verfolgen ist.
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Art. 7 und 219 Abs. 1 MStG legen die Anwendung des bürgerlichen Strafrechts und die Zuständigkeit der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit fest für strafbare Handlungen, "die in diesem Gesetz nicht vorgesehen sind". Der Gesetzeswortlaut spricht dafür, dass das Gesetz selbst und nicht eine Dienstvorschrift die Kompetenzausscheidung bestimmt. Eine gegenteilige ausdehnende Auslegung liesse sich schwerlich mit dem Grundsatz vereinbaren, in Zweifelsfällen dem bürgerlichen Recht und der ![]() | 12 |
Zu dieser Überlegung, die für Dienstvorschriften schlechthin gilt, treten die Besonderheiten des vorliegenden Erlasses.
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b) Bei der Blankettnorm des Art. 72 MStG handelt es sich um einen allgemeinen Ungehorsamstatbestand ähnlich Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen). Bei der Anwendung dieser Bestimmung steht nach der neuesten Rechtsprechung des Kassationshofes (BGE 98 IV 108) dem Strafrichter Verwaltungsverfügungen gegenüber jedenfalls dann freie Prüfung zu, wenn gegen sie nicht die Beschwerde an ein Verwaltungsgericht möglich ist. Diese Rechtsprechung ist hinsichtlich Art. 72 MStG umsomehr heranzuziehen, als dem Bundesgericht bei Kompetenzkonflikten in tatsächlicher wie rechtlicher Beziehung freie Kognition zusteht, soweit es für seinen Entscheid von Bedeutung ist (BGE 97 I 147, 98 I a 222). Daraus ergibt sich freie richterliche Überprüfung der Dienstvorschrift, deren Nichtbefolgung zur Beurteilung steht.
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Da es sich bei Art. 72 MStG wie bei Art. 292 StGB um einen allgemeinen Straftatbestand gegen administrativen Ungehorsam handelt, kommt der Bestimmung nur subsidiäre Bedeutung zu für Fälle, wo das den Ungehorsam begründende Verhalten nicht bereits vom Gesetz unter Strafe gestellt wird (BGE 90 IV 207).
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c) Weder im Begleitzirkular des Ausbildungschefs noch vor Bundesgericht ist geltend gemacht worden, dass die umstrittene Dienstvorschrift inhaltlich von den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes abweiche. Soweit die Dienstvorschrift den Besitz von Betäubungsmitteln untersagt, liegt die Übereinstimmung mit Art. 19 Ziff. 1 Abs. 2 BetMG auf der Hand. Dass sie überdies den Genuss von Betäubungsmitteln verbietet, geht dem Wortlaut nach über die genannte Bestimmung hinaus. Diese bedroht aber das Besitzen, Aufbewahren und Erlangen ![]() | 16 |
d) Der Beschwerdeführer behauptet, der einzige mit dem Erlass der Dienstvorschrift verfolgte Zweck sei der, für Betäubungsmittelvergehen die militärgerichtliche Zuständigkeit zu begründen, und er kann sich dafür auf die Ausführungen des Ausbildungschefs der Armee im Begleitzirkular berufen. Dieses Zirkular wies jedoch auch darauf hin, dass der Drogengebrauch den Dienstbetrieb beeinträchtige und geeignet sei, die Disziplin der Truppe in Frage zu stellen. Im gleichen Sinn macht der Oberauditor geltend, die Dienstvorschrift wolle anders als das Betäubungsmittelgesetz diese Disziplin und nicht die Gesundheit des Volkes schützen. Das ändert indessen nichts daran, dass diese Widerhandlungen durch das bürgerliche Recht bereits unter Strafe gestellt sind, und zwar mit weit schwererer Androhung als derjenigen von Art. 72 MStG. Praktische Bedeutung kommt daher der Dienstvorschrift nur in dem Sinne zu, dass damit die Militärgerichtsbarkeit begründet werden sollte. Der Gesetzgeber hat indessen selbst darüber befunden, welche bürgerlichen Straftatbestände er wegen ihrer Bedeutung für den Dienstbetrieb als Vergehen des Militärstrafrechts übernehmen und damit der Militärgerichtsbarkeit unterstellen wollte. Dazu zählt wie gesagt der Gebrauch von Drogen nicht.
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e) Dass der Umweg über den Erlass einer Dienstvorschrift und die Anwendung von Art. 72 MStG nicht geeignet ist, die Zuständigkeit der Militärgerichte zur Beurteilung von bereits nach bürgerlichem Recht strafbaren Handlungen zu begründen, zeigt auch die Entwicklung in der Behandlung der Verstösse von Militärpersonen gegen Strassenverkehrsregeln. Die Vorschriften über den Motorwagendienst erklärten vorerst die ![]() | 18 |
Wie es Sache des Gesetzgebers war, der durch die starke Motorisierung der Armee geschaffenen neuen Lage durch Gesetzesänderung Rechnung zu tragen, muss es ihm auch überlassen werden, die Zuständigkeit hinsichtlich der Betäubungsmittelvergehen neu zu regeln, falls daran ein militärisches Interesse besteht.
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Damit erweist sich die Beschwerde in ihrem Hauptantrag als begründet. Das militärische Untersuchungsverfahren ist daher nach Art. 223 Abs. 2 MStG aufzuheben und es sind die bürgerlichen Strafgerichte auch für die Beurteilung der Widerhandlungen in der Rekrutenschule ausschliesslich zuständig zu erklären. Vorbehalten bleibt die vom bürgerlichen Gericht einzuholende Ermächtigung durch die Eidg. Militärverwaltung nach Art. 219 Abs. 2 MStG in Verbindung mit Art. 17 lit. d MStV.
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7. Mit der Beschwerde wird überdies beantragt, es sei dem Beschwerdeführer für die vom unzuständigen militärischen ![]() | 22 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und das militärische Untersuchungsverfahren aufgehoben; die bürgerlichen Strafgerichte werden zur Verfolgung auch der ![]() | 24 |
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