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46. Auszug aus dem Urteil vom 10. Oktober 1973 i.S. Schiesser gegen Gemeinde Mollis und Regierungsrat des Kantons Glarus. | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG; Kantonales Initiativrecht, Wiedererwägungsantrag. |
2. Ausnahmen im Falle, da der Antrag dem Recht des Bundes oder des Kantons zuwiderläuft oder rechtsmissbräuchlich ist, ferner wenn praktische Gründe die Rückgängigkeit ausschliessen (Erw. 4 b und c). | |
Sachverhalt | |
1 | |
"Jeder stimmberechtigte Angehörige einer Wahlgemeinde, eines Tagwens, einer Orts-, Schul-, Fürsorge- oder Kirchgemeinde des Kantons Glarus hat das Recht, an deren Versammlungen Anträge zu stellen. Die am Versammlungstag selbst gestellten Anträge dürfen indes erst an der nächsten ordentlichen oder ausserordentlichen Versammlung behandelt werden.
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Schriftliche Anträge, welche der betreffenden Vorsteherschaft mindestens 20 Tage vor Abhaltung einer ordentlichen Versammlung eingereicht werden, sind dieser zur Behandlung zu unterbreiten."
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§ 6 Abs. 1 lautet:
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"Gemeindegesetze und Beschlüsse werden an ordentlichen oder ausserordentlichen Versammlungen beraten und erlassen"
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und § 6 Abs. 4:
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"Einmal erlassene Gesetze dürfen binnen Jahresfrist nicht abgeändert werden, es sei denn, sie würden sich zum offensichtlichen Nachteil der betreffenden Gemeinde auswirken."
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Falls an Tagwen- oder Gemeindeversammlungen Anträge gestellt oder Beschlüsse gefasst werden wollen, welche bestehenden Bundes- oder Landgesetzen zuwiderlaufen würden, hat der Vorsitzende die Pflicht, eine Abstimmung zu verweigern, unter Vorbehalt des auf 14 Tage beschränkten Beschwerderechtes an den Regierungsrat (§ 8). Im weitern besteht ein Beschwerderecht bei Regelwidrigkeiten, die an den Versammlungen vorkom men (§ 9).
| 8 |
B.- Die Ortsgemeindeversammlung Mollis beschloss am 20. September 1972 auf Antrag des Gemeinderates mit 69 gegen 61 Stimmen den Ausbau der Baumgartenstrasse in Mollis und weitere verkehrstechnische Sanierungen. An der Gemeindeversammlung hatte sich vor allem Heinrich Schiesser-Zweifel, der für den Ausbau dieser Strasse Land abtreten müsste, dem Antrag widersetzt. Auf den 19. Januar 1973 war eine weitere Gemeindeversammlung vorgesehen. Heinrich Schiesser stellte am 6. Dezember 1972 beim Gemeinderat zu Handen der Gemeindeversammlung ![]() | 9 |
Eine Beschwerde Schiessers wies der Regierungsrat des Kantons Glarus am 19. Februar 1973 ab, im wesentlichen mit der Begründung, wenn einmal ein Gemeindebeschluss in Rechtskraft erwachsen sei, müsse er von den Behörden auch vollzogen werden; es würde zu unhaltbaren Zuständen führen, wenn derartige Entescheide immer wieder späteren Gemeindeversammlungen zum Beschluss vorgelegt werden müssten. Unter Anträgen im Sinne von § 2 GG, die jeder Bürger an die Versammlung stellen könne, seien deshalb nicht Anträge auf Wiedererwägung zu verstehen. Ein negativer Gemeindeversammlungsbeschluss, d.h. der Beschluss, es sei nichts zu unternehmen, könne zwar nicht unabänderlich sein. Dagegen treffe das auf einen positiven Beschluss nicht zu. Das GG weise hier eine Lücke auf. Hier habe das Antragsrecht dem demokratischen Grundsatz zu weichen, dass sich die Minderheit der Mehrheit fügen müsse, allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass sich in der Zwischenzeit nicht wesentliche neue Elemente ergeben hätten, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Behörde noch nicht bekannt gewesen seien. In diesem Falle müsse allerdings das Gebot der Rechtssicherheit demjenigen nach der sachlich richtigen Entscheidung weichen. Der Gemeindeversammlungsbeschluss vom 20. September 1972 sei ein solcher Beschluss gewesen. Der Beschwerdeführer könne zur Stützung seines Antrages keine neuen Momente vorbringen.
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C.- Gegen den Beschwerdeentscheid des Regierungsrates führt Schiesser staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, die Beschlüsse des Gemeinderates Mollis und des Regierungsrates seien unter Kosten- und Entschädigungsfolge aufzuheben und der Gemeinderat Mollis anzuweisen, den Antrag des Beschwerdeführers unverzüglich der Gemeindeversammlung ![]() | 11 |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Glarus und die Gemeinde Mollis beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Das weit gefasste Antragsrecht des GG schliesst auch das Stellen von Wiedererwägungsanträgen nicht aus. Die Möglichkeit, Wiedererwägungsanträge stellen zu können, ist im schweizerischen Staats- und Gemeinderecht weithin anerkannt, wenn auch gelegentlich von der Erfüllung besonderer Erfordernisse, wie z.B. der Erreichung eines qualifizierten Mehrs, abhängig gemacht. Das GG kennt solche Erfordernisse nicht. Insbesondere verlangt es nicht, ein Antragsteller müsse sich auf neue Tatsachen berufen können.
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b) Das umfassende Recht in § 2 GG lässt eine Unterscheidung zwischen Anträgen, die auf Wiedererwägung eines positiven und solchen, die auf Wiedererwägung eines negativen Verwaltungsaktes gehen, nicht zu. Es mag freilich zutreffen, dass ![]() | 15 |
c) Eine Ausnahme von der Möglichkeit, einen Wiedererwägungsantrag zu stellen, wäre sodann vorzusehen, wenn es praktisch undurchführbar wäre, einen getroffenen Beschluss wieder rückgängig zu machen, z.B. weil das beschlossene Werk schon ganz oder zum grossen Teil ausgeführt ist. Von einer solchen Undurchführbarkeit kann aber unter den gegebenen Umständen ![]() | 16 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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