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53. Urteil vom 17. Oktober 1973 i.S. X. gegen Y. und Instruktionsrichter von Leuk. | |
Regeste |
Art. 4 BV; unentgeltliche Rechtspflege im Vaterschaftsprozess. | |
Sachverhalt | |
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"1. Die Beweisanträge der Parteien werden angenommen, mit Ausnahme der [von den Klägern] verlangten Blutanalysen von B. und S., da die einjährige Klagefrist abgelaufen ist.
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5. Der unentgeltliche Rechtsbeistand [für die Kläger] wird abgelehnt, da dies das zweite aussereheliche Kind ist und die Klägerin einer regelmässigen Arbeit nachgehen könnte.
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6. Beide Parteien haben folgende Kostenvorschüsse zu leisten: a) für Fiskalmarken Fr. 300.--,
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b) für die Durchführung der Expertisen je Fr. 1000.--.
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Sämtliche Rechtsvorkehren sind unter Hinweis auf die Säumnisfolgen innert 10 Tagen zu treffen."
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B.- Gegen diese Verfügung haben X. und ihr a.e. Sohn gestützt auf Art. 4 BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben.
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C.- Am 22. Mai 1973 hat der Instruktionsrichter von Leuk dem Bundesgericht mitgeteilt, dass "die Partei X." am 18. Mai 1973 den verlangten Kostenvorschuss von Fr. 1300.-- beim Gericht hinterlegt habe.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Es mag immerhin beigefügt werden, dass die Auslegung, die der Instruktionsrichter in seiner Vernehmlassung dem Art. 250bis ZPO (Gesetz über die Abänderung der ZPO vom 23. Mai 1958, Art. 18) gegeben hat, fragwürdig erscheint. Die Annahme sodann, die einjährige Klagefrist von Art. 308 ZGB sei auch für die Nennung der Beweismittel (Zeugen, Blutentnahme ![]() | 11 |
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Nun hat allerdings der Instruktionsrichter mitgeteilt, die Beschwerdeführer hätten inzwischen den verlangten Kostenvorschuss von Fr. 1'300.-- geleistet. Es fragt sich deshalb, ob die Beschwerde dadurch nicht gegenstandslos geworden ist (vgl.BGE 67 I 68/69), zumal sich die Beschwerdeführer nur auf den bundesrechtlichen, aus Art. 4 BV fliessenden Armenrechtsanspruch zu berufen scheinen, der dem Bedürftigen kein Recht darauf gibt, von den Prozesskosten überhaupt befreit zu werden, sondern bloss darauf, dass der Richter in nicht aussichtslosen Prozessen ohne vorherige Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten tätig werde (BGE 85 I 3 Erw. 2, BGE 89 I 161, BGE 95 I 415 Erw. 2, 98 I a 341/42). Indessen folgt aus Art. 4 BV auch, dass die arme Partei einen nicht aussichtslosen Prozess nicht selbst, d.h. ohne Beizug eines amtlichen Vertreters (Armenanwalts) durchführen muss, wenn sie dieses Beistandes zur gehörigen Wahrung ihrer Rechte bedarf (BGE 85 I 3 unten, BGE 89 I 2 Erw. 2 und 161, 98 I a 341/42). Der bundesrechtliche Anspruch ist somit auch verletzt, wenn der Richter es ablehnt, der bedürftigen Partei bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen einen unentgeltlichen Rechtsvertreter zu bestellen. Aus dem angefochtenen ![]() | 13 |
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Die Beschwerdeführer bezeichnen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege als willkürlich und gegen Art. 4 BV verstossend. Dabei rufen sie keine besondere Bestimmung des kantonalen Rechts an, sondern machen ganz allgemein geltend, der Entscheid entbehre jeglicher sachlicher Begründung. Sinngemäss rügen sie damit nicht nur eine willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts, sondern auch - oder vielmehr - eine Verletzung des bundesrechtlichen, aus Art. 4 ![]() | 15 |
a) Es ist nicht streitig, dass die Beschwerdeführer bedürftig sind; streitig ist nur, ob die Bedürftigkeit selbstverschuldet ist und ob es auf ein solches Selbstverschulden überhaupt ankommt. Die Frage der persönlichen Würdigkeit der Gesuchsteller stellt sich sodann auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf, es sei nun schon das zweite Mal, dass X. ein a.e. Kind zur Welt gebracht habe.
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b) Ein Selbstverschulden der Mutter - sei es nun dieser oder jener Art - kann auf alle Fälle nicht ein Grund zur Verweigerung des Armenrechts dem Kinde gegenüber sein. Dieses hat gegen den vermeintlichen Vater ein eigenes Klagerecht (Art. 307 Abs. 2 ZGB) und tritt im Prozess als selbständige Partei auf (HEGNAUER, Berner Kommentar, NN 55 - 63 zu Art. 307 ZGB). Würde man ihm nun das Armenrecht verweigern, weil sich die Mutter irgendwie schuldig gemacht hat, hiesse das praktisch, ihm das Klagerecht von Art. 307 Abs. 2 ZGB entziehen, ohne dass es etwas dafür vermöchte. Das wäre mit dem Rechtsgleichheitssatz und dem Willkürverbot von Art. 4 BV und dem sich daraus ergebenden Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege schlechterdings unvereinbar.
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c) Aber auch der Mutter selber kann der unentgeltliche Rechtsbeistand nicht wegen eines schuldhaften Verhaltens versagt werden.
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Schwer verständlich ist die Auffassung des Instruktionsrichters, X. habe die Rechtswohltat der Unentgeltlichkeit deshalb nicht verdient, weil sie nun schon zum zweiten Mal ein aussereheliches Kind geboren habe. Abgesehen davon, dass diesbezüglich ein "Verschulden" erst noch nachgewiesen werden müsste, hiesse das wiederum, ein von Art. 307 ZGB gegebenes Klagerecht illusorisch machen und dadurch unter Umständen einen Vater seiner Verantwortung entziehen, der möglicherweise auch schon wiederholt aussereheliche Kinder gezeugt hat. Ausgerechnet die arme Mutter, die es am nötigsten hätte, müsste demnach auf die Alimentenklage verzichten, während eine reiche, nicht weniger "schuldige" Mutter sie anstrengen könnte. Eine derartige Benachteiligung der bedürftigen, unverheirateten Mutter widerspräche in krasser Weise ![]() | 19 |
Verständlicher ist die Ansicht, das Armenrecht sei zu verweigern, wenn der Gesuchsteller zwar bedürftig ist, aber in der Lage wäre, genügend zu verdienen, um für die Prozesskosten aufzukommen. Indessen hält auch diese Überlegung vor Art. 4 BV nicht stand, da sie eindeutig der Rechtsgleichheit, wie sie im Zusammenhang mit dem von der Rechtsprechung anerkannten Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verstanden wird, widerspricht. Auch derjenige, der seine Armut verschuldet hat, muss seine Rechte auf prozessualem Wege durchsetzen oder verteidigen können. Beraubt man ihn faktisch dieser Möglichkeit, indem man ihm wegen seines Verschuldens die unentgeltliche Rechtspflege verweigert, stösst man ihn womöglich in noch grössere Armut und lässt es zu, dass er vor dem Gesetz schlechter gestellt ist als ein finanziell Gutgestellter, der sich in ähnlicher oder anderer Weise (Verschwendungssucht, Kriminalität) ebenso oder noch mehr schuldig gemacht hat. Die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung darf deshalb nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Unfähigkeit des Gesuchstellers zur Bestreitung der Prozess- oder Anwaltskosten aufein Verschulden zurückzuführen ist oder nicht (BGE 58 I 292oben; ebenso CH. GUGGENHEIM, Die unentgeltliche Verbeiständung in den kantonalen Zivilprozessrechten, Diss. Zürich 1944, S. 76, H. HEUBERGER, Das Armenrecht der aargauischen Zivilprozessordnung, Diss. Bern 1947, S. 22, K. MEYER, Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Zug, Diss. Freiburg 1953, S. 90/91).
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Massgebend sind die augenblicklichen Verhältnisse des Gesuchstellers. Es kommt auf die Mittel an, die er tatsächlich zur Verfügung hat. Dem Arbeitslosen darf die unentgeltliche Prozessführung nicht mit der Begründung verweigert werden, in seinem Berufsstande seien freie Stellen vorhanden und würden Löhne ausbezahlt, die es ihm ermöglichten, für die Prozesskosten aufzukommen (vgl. HEUBERGER S. 22, MEYER, S. 94). Dies wäre höchstens dann angängig, wenn der Gesuchsteller seine frühere Stelle nur deshalb aufgegeben oder eine neue nur aus dem Grunde nicht angetreten hätte, weil er einen Prozess im Armenrecht zu führen wünscht. Dass dies bei der Beschwerdeführerin zuträfe, wird nicht behauptet. Ob in gewissen Fällen dem Bedürftigen zugemutet werden kann, mit der Prozesseinleitung ![]() | 21 |
Da die Beschwerdeführer an die peremptorische Frist von Art. 308 ZGB gebunden waren und mit der Bestellung des Anwalts nicht zuwarten konnten, erübrigt sich die Frage, ob - wie das im angefochtenen Entscheid angenommen wird - die Beschwerdeführerin ihre Kinder in die Obhut ihrer Mutter oder Schwester geben könnte, um einem Erwerb nachzugehen, der es ihr erlauben würde, für die Prozess- und Anwaltskosten aufzukommen. Die Gerichtskostenvorschüsse wurden jetzt verlangt, und der Anwalt macht sein Mandat ebenfalls von sofortigen Vorschüssen abhängig. Dass die Beschwerdeführer zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen keines Anwalts bedürften, wird vom Instruktionsrichter nicht behauptet (das könnte bei der Rechtsunkundigkeit von Mutter, Kind und Beistand wohl höchstens angenommen werden, wenn der Vaterschaftsprozess vollständig von der Offizialmaxime beherrscht würde; vgl. dazuBGE 63 I 211Erw. 3,BGE 64 I 5Erw. 2,BGE 78 I 5Erw. 3, BGE 89 I 3 Erw. 4, nicht publ. Entscheid i.S. Viatte vom 6. Oktober 1954, Entscheid des Zürcher Obergerichts in ZR 13 1914 Nr. 65 und GUGGENHEIM, S. 71).
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4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der angefochtene Entscheid wegen Verletzung von Art. 4 BV aufzuheben ist, soweit er den Beschwerdeführern den armenrechtlichen Anwalt verweigert (Ziffer 5 des Entscheids). Für eine Aufhebung der Ziffer 6 des Entscheids, womit die Gerichtskostenvorschüsse ![]() | 23 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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