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65. Urteil vom 20. Juni 1973 i.S. Wagner und Touring-Club der Schweiz sowie Mitbeteiligte gegen Regierungsrat und Landrat des Kantons Basel-Landschaft. | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG, Art. 4 BV; Landratsbeschluss über die Erhöhung der kantonalen Motorfahrzeugabgaben; Gewaltentrennung, Willkür. |
2. Für die Zulässigkeit einer Gesetzesdelegation an das kantonale Parlament sind nicht die gleichen Kriterien massgebend wie für die Delegation an die Exekutive. § 1 des kantonalen Gesetzes aus dem Jahre 1910, der den Landrat ermächtigt, die Verkehrsabgaben festzusetzen, verstösst nicht gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung (Erw. 4). |
3. Die Erhöhung der basellandschaftlichen Verkehrsabgaben um 40% ist angesichts der vom Kanton zu tragenden Kosten für das Strassenwesen vertretbar (Erw. 5). | |
Sachverhalt | |
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Gestützt auf § 1 des erwähnten Gesetzes und auf Art. 106 Abs. 2 und 3 SVG erliess der Landrat am 4. April 1968 eine Vollziehungsverordnung zum SVG, wobei er in den §§ 25 ff. die ![]() | 2 |
"1 Dieser Beschluss tritt am 1. Januar 1973 in Kraft und ist zu veröffentlichen.
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2 Er wird mit der Inkraftsetzung der Neuordnung der Motorfahrzeugsteuern und -gebühren hinfällig."
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Die Veröffentlichung im Amtsblatt erfolgte am 14. Dezember 1972. - Im Verlaufe der parlamentarischen Beratung dieses Beschlusses hatte Landrat Paul Wagner-Maurer erfolglos Nichteintreten beantragt mit der Begründung, der Landrat sei mangels Bestehens einer hinreichenden Delegationsnorm nicht befugt, die vom Regierungsrat beantragte Erhöhung der Verkehrssteuern in eigener Kompetenz zu beschliessen, denn hiefür sei das Volk zuständig.
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B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 11. Dezember 1972 stellt Paul Wagner-Maurer folgende Anträge:
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"1. Es sei der Landratsbeschluss vom 16. November 1972 betreffend die Erhöhung der Verkehrssteuern und -gebühren aufzuheben;
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2. eventualiter: Es sei der zitierte Landratsbeschluss mit Bezug auf die Erhöhung der Verkehrssteuern gemäss § 26 der Vollziehungsverordnung zum SVG vom 4.4.1968 aufzuheben."
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Die gleichen Begehren stellen der Touring-Club der Schweiz, Sektion beider Basel, Dr. Rolf Bürgin, Binningen, und Willy Prack, Biel-Benken, in ihrer gemeinsamen staatsrechtlichen Beschwerde vom 12. Januar 1973.
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Die Beschwerdeführer machen geltend, der angefochtene Landratsbeschluss verstosse gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung (§ 10 KV), gegen die Volksrechte (§ 11 KV) und gegen die Kompetenzordnung des Landrates (§ 18 KV). Nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung dürfe keine der drei Gewalten in den Geschäftskreis der andern eingreifen; alle Gesetze unterlägen der Volksabstimmung, und Steuern könnten nur im Rahmen der Gesetzgebung eingeführt und erhöht werden. Als einzige Ausnahme gestatte § 18 Ziff. 11 KV dem Landrat die Beschlussfassung über "die Erhebung einer Vermögens-, Einkommens- und Erwerbssteuer bis auf 1 vom Tausend Vermögen". Die Erhebung einer Steuer auf Motorfahrzeugen sei auch in § 45 KV nicht vorgesehen, weshalb die ![]() | 10 |
C.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft beantragt als Vertreter des Landrats und im eigenen Namen Abweisung der Beschwerde.
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D.- In ihrer Beschwerdeergänzung halten die Beschwerdeführer an ihren Anträgen fest.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Beide staatsrechtliche Beschwerden richten sich gegen den Landratsbeschluss vom 16. November 1972 und enthalten ![]() | 13 |
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a) Wäre diese Rüge begründet, so wären auch die früher bezogenen Verkehrssteuern ohne gesetzliche Grundlage und damit in Missachtung verfassungsmässiger Rechte der Betroffenen erhoben worden. Soweit diese Steuern jedoch auf rechtskräftigen Veranlagungen beruhen, können sie von vorneherein nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerden bilden (vgl. BGE 98 Ia 570, Erw. 2). Wie die Beschwerdeführer mit Recht annehmen, hat das Bundesgericht vielmehr bloss zu prüfen, ob für künftige, gestützt auf den angefochtenen Landratsbeschluss zu erhebende Verkehrssteuern eine genügende gesetzliche Grundlage besteht.
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b) § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 ermächtigt den Landrat, die "Gebühren" für die Zulassung von Fahrzeugen zum Strassenverkehr festzusetzen. Nach dem heutigen Sprachgebrauch der Steuerrechtswissenschaft sind Gebühren Entgelte für staatliche Leistungen, bei deren Festsetzung das Kostendeckungs- ![]() | 17 |
c) Wäre § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 objektivzeitgemäss auszulegen, so wäre im Kanton Basel-Landschaft nach dem Gesagten keine taugliche gesetzliche Grundlage für die Erhebung einer Motorfahrzeugsteuer vorhanden. Landrat und Regierungsrat machen jedoch geltend, dass in diesem Zusammenhang auf den entstehungszeitlichen Sinn der soeben erwähnten Vorschrift abzustellen sei; danach müsse unter dem Begriff "Gebühr" jede mit Bezug auf die Belange des Strassenverkehrs erhobene Abgabe verstanden werden. Wie es sich damit verhält, kann das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen, da die Auslegung und Anwendung einer kantonalen Vorschrift in Frage steht, die nicht der Verfassungs-, sondern bloss der Gesetzesstufe angehört. Können jedoch haltbare Gründe dafür vorgebracht werden, dass dem Landrat im Jahre 1910 in der Tat die Befugnis zur Erhebung von Verkehrsabgaben jeder Art übertragen werden sollte, so vermögen die Beschwerdeführer mit ihrer Rüge nicht durchzudringen.
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d) Über die Entstehungsgeschichte des Gesetzes aus dem Jahre 1910 ist nichts Schlüssiges bekannt, doch ist unbestritten, dass das fragliche Gesetz in den Frühzeiten des Motorfahrzeugverkehrs erlassen wurde, zumal im Zeitpunkt des Inkrafttretens im Kanton Basel-Landschaft bloss 22 Personenwagen und noch kein einziger Lastwagen registriert waren (Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1910, S. 366). Fest steht zudem, dass zur Zeit des Erlasses des fraglichen Gesetzes noch weitgehend unklar war, welche Stellung den Motorfahrzeugabgaben im System des Abgaberechts zukommt. Dies ergibt sich insbesondere aus der älteren Rechtsprechung zum interkantonalen Doppelbesteuerungsverbot ![]() | 19 |
Unter diesen Umständen ist es vertretbar, dem vom Gesetzgeber verwendeten Begriff "Gebühr" in § 1 des Gesetzes aus dem Jahre 1910 jene Bedeutung beizumessen, wie sie ihm im Lichte von § 45 der aus dem Jahre 1892 stammenden Kantonsverfassung zukommt. Nach dieser Bestimmung, welche die wesentlichen Einnahmequellen des Staates aufzählt, gelten als "Gebühren" insbesondere Sporteln und Taxen (lit. c), während der Begriff "Steuern" vor allem für die Abgaben vom Vermögen, Einkommen und Erwerb, d.h. für die sog. direkten Steuern verwendet wird (§ 45 lit. g KV). Aus § 45 lit. d KV kann jedoch ohne weiteres geschlossen werden, dass der Verfassungsgesetzgeber den Begriff "Gebühr" nicht im heutigen rechtstechnischen Sinn verstanden hat, zumal in dieser Bestimmung auch von einer "Handänderungsgebühr", d.h. von einer Abgabe mit Steuercharakter (vgl. BGE 95 I 324) die Rede ist. Darf der vom Gesetzgeber verwendete Begriff "Gebühr" somit weit ausgelegt werden, so ist es - wie das Bundesgericht bereits mit Urteil vom 11. März 1948 festgestellt hat - nicht willkürlich, § 1 des Gesetzes vom 19. Mai 1910 als gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Verkehrsabgaben mit Steuercharakter heranzuziehen. Die erste Verfassungsrüge der Beschwerdeführer erweist sich daher als unbegründet.
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4. Der zweite Einwand der Beschwerdeführer geht dahin, § 1 des Gesetzes aus dem Jahre 1910 sei selbst verfassungswidrig, denn der Gesetzgeber könne die Befugnis, Steuern nach Objekt und Höhe zu umschreiben, nicht auf den Landrat übertragen; ![]() | 21 |
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts bedürfen die Steuern in ihren Grundzügen, vor allem hinsichtlich Objekt und Höhe, der Verankerung in einem Gesetz im formellen Sinn (BGE 97 I 804 Erw. 7, 347, 203 lit. b mit weiteren Hinweisen). Nach dieser Rechtsprechung, die von der herrschenden Lehre (vgl. zuletzt E. HÖHN, Gesetz und Verordnung als Rechtsquellen des Abgaberechts, in: Der Staat als Aufgabe, Gedenkschrift für Max Imboden, Basel 1972, S. 173 ff) gebilligt wird, genügt es somit nicht, wenn das formelle Gesetz (d.h. der auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg zustandegekommene Erlass) lediglich die Einführung einer Steuer vorsieht, ohne selber festzulegen, in welchem Rahmen sich diese zu bewegen hat und nach welchen Grundsätzen sie zu erheben ist. Wie das Bundesgericht erkannt hat, folgt daraus freilich kein absolutes Verbot der Gesetzesdelegation (BGE 97 I 347). Eine Blankettdelegation des Gesetzgebers an die Exekutive in dem Sinn, dass diese ohne nähere Richtlinien ermächtigt oder verpflichtet wird, eine bestimmte Steuer zu erheben, verletzt jedoch den in allen Kantonen anerkannten Grundsatz der Gewaltentrennung und ist deshalb nicht zulässig, selbst dann nicht, wenn das kantonale Recht die Gesetzesdelegation grundsätzlich nicht ausschliesst (BGE 92 I 47, BGE 97 I 348 lit. b; vgl. auch BGE 98 Ia 109 und 592). Anders entscheiden hiesse das Prinzip der Gesetzmässigkeit der Besteuerung seines wesentlichen Gehalts berauben (BGE 97 I 347; vgl. auch BGE 98 Ia 592). Delegationsnormen, mit denen die Exekutive zum Erlass einer gesetzesvertretenden Verordnung auf dem Gebiet des Steuerrechts ermächtigt werden soll, müssen demnach von Verfassungs wegen mindestens die Voraussetzungen der Steuerpflicht und den Rahmen des Steuermasses festsetzen (BGE 97 I 347; zustimmend E. HÖHN, a.a.O., S. 190). Was die Motorfahrzeugsteuer anbelangt, so wurde dieser Grundsatz im übrigen bereits im Entscheid BGE 48 I 73 sinngemäss anerkannt.
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b) Im vorliegenden Fall steht indessen nicht eine Delegation an die Exekutive, sondern eine solche an das kantonale Parlament in Frage. Ob diese nur unter den gleichen Voraussetzungen zulässig sei wie jene, hat das Bundesgericht bisher nicht eindeutig entschieden (vgl. in diesem Zusammenhang immerhin BGE 74 I 114 und BGE 88 I 154). E. HÖHN (a.a.O., S. 187) scheint diese Frage zu bejahen.
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Ob der basel-landschaftliche Gesetzgeber dem Landrat im Jahre 1910 die Kompetenz zur Festsetzung von Motorfahrzeugabgaben übertragen konnte, ist demnach ausschliesslich durch Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts zu ermitteln. Dabei steht dem Bundesgericht grundsätzlich die freie Prüfung zu (BGE 97 I 32 Erw. 4 a).
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c) Nach § 11 KV unterliegen der Volksabstimmung alle Gesetze, allgemein verbindlichen Beschlüsse und Verträge, ![]() | 26 |
Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, schlägt nicht durch. So vermögen sie insbesondere aus § 18 Ziff. 11 KV nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Nach dieser Verfassungsbestimmung steht dem Landrat "die Beschlussfassung über Erhebung einer Vermögens-, Einkommens- und Erwerbssteuer bis auf 1 vom Tausend Vermögen" zu. Damit wird dem Landrat bloss die Kompetenz zur Einführung gewisser begrenzter, direkter Steuern auf dem Wege einer selbständigen, unmittelbar auf die Kantonsverfassung abgestützten Rechtsverordnung eingeräumt. Zur Frage, welche gesetzgeberischen Befugnisse an den Landrat ![]() | 27 |
Richtig ist freilich, dass die umstrittene Rechtsetzungskompetenz des Landrats heute als ungewöhnlich weitreichend erscheint. Wenn die Beschwerdeführer jedoch glauben, diese Delegation sei nicht mehr zeitgemäss, so ist ihnen zuzumuten, von ihrem verfassungsmässigen Recht zur Durchsetzung einer Gesetzesänderung Gebrauch zu machen und gestützt auf § 12 Abs. 1 KV mit Hilfe einer genügenden Zahl von Gleichgesinnten die nötigen Vorkehren für eine Initiative zu einer Gesetzesrevision zu treffen. Wie OTTO HEINRICH MÜLLER (a.a.O., S. 345) mit Recht ausführt, liegt auch darin ein wirksamer Schutz gegen eine missbräuchliche Handhabung der delegierten Kompetenz durch den Landrat.
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a) Wie bereits ausgeführt, ist die Motorfahrzeugabgabe eine Steuer, die gewisse Elemente einer Gebühr in sich schliesst (vgl. oben Erw. 3b). Mit Rücksicht auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Delegationsnorm (vgl. oben Erw. 3d) muss unter diesen Umständen angenommen werden, dass die Motorfahrzeugabgaben vernünftigerweise nicht so hoch angesetzt werden dürfen, dass sie geradezu zu einer Haupteinnahmequelle des Kantons werden und einen Ertrag abwerfen, der die Strassenkosten erheblich übersteigt. Die in § 1 des Gesetzes aus dem Jahre 1910 verankerte Kompetenz des Landrats ist mithin kein Freipass für beliebige Erhöhungen der Motorfahrzeugabgaben. Aus dem Willkürverbot und aus den einer Gesetzesdelegation naturgemäss innewohnenden Schranken (vgl. dazu A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 84 f. sowie BGE 98 Ia 592) folgt vielmehr, dass die Motorfahrzeugabgaben zusammen mit dem Anteil des Kantons am Ertrag des Treibstoffzolls (vgl. den entsprechenden BB vom 23. Dezember 1959, SR 725.116.2) und den übrigen zweckgebundenen Einnahmen nicht mehr ausmachen dürfen, als die Aufwendungen des Kantons für das Strassenwesen und für die Kontrolle des motorisierten Verkehrs.
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b) Mit Recht machen die Beschwerdeführer nicht geltend, die lineare Erhöhung der Abgaben um 40% verstosse als solche gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Der Umstand, dass die Abgaben im Kanton Basel-Landschaft höher sind als in anderen Kantonen, vermag für sich allein keine Verletzung von Art. 4 BV zu begründen.
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