BGE 99 Ia 557 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
67. Auszug aus dem Urteil vom 28. November 1973 i.S. SBB gegen Schmid und Obergericht des Kantons Bern. | |
Regeste |
Art. 89 OG (Beschwerdefrist). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Der Präsident der staatsrechtlichen Kammer hat beim Obergericht des Kantons Bern, Strafkammern, einen Amtsbericht zur Frage eingeholt, ob die Urteilsmotive den Parteien in jedem Fall von Amtes wegen zugestellt würden. Im Namen des Plenums der Strafkammern des Obergerichts hat dessen Präsident dem Bundesgericht mitgeteilt, die Strafkammern seien im Verlaufe des Jahres 1972 dazu übergegangen, ihre motivierten Entscheide sämtlichen in oberer Instanz an einem Strafverfahren beteiligten Parteien ohne besonderes Verlangen zuzustellen. Die Zustellung erfolge für jene Parteien, welche die eidg. Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet hätten, in der vom Gesetz für die Zustellung gerichtlicher Akte vorgeschriebenen Weise, für die übrigen Parteien mittels einfachem Brief.
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Aus den Erwägungen: | |
Nach Art. 89 Abs. 1 OG ist die Beschwerde binnen dreissig Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des Entscheides an gerechnet, dem Bundesgericht einzureichen. Werden von Amtes wegen nachträglich Entscheidungsgründe zugestellt, so kann die Beschwerde noch innert dreissig Tagen seit dem Eingang der Ausfertigung geführt werden (Art. 89 Abs. 2 OG). Von Amtes wegen geschieht die nachträgliche Zustellung der schriftlichen Motive, wenn das Gesetz sie in allgemeiner Weise - also nicht bloss für den Fall, dass eine Partei es verlangt oder gegen ein Urteil ein Rechtsmittel eingelegt werden kann - vorschreibt (BGE 97 I 58 mit Hinweisen auf frühere Entscheide). Dem gleichgestellt sind nach der neueren Rechtsprechung die Fälle, wo die Zustellung des begründeten Urteils an die Parteien auf ständiger Gerichtspraxis beruht und in jedem Fall erfolgt (BGE 97 I 58). Das bernische Strafprozessrecht kennt keine Vorschrift über eine nachträgliche, von Amtes wegen zu erfolgende Mitteilung der Urteilsbegründung. Das Bundesgericht hat daraus in ständiger Rechtsprechung den Schluss gezogen, dass die Beschwerdefrist des Art. 89 OG mit der mündlichen Urteilsverkündung bzw. - wenn die Parteien abwesend sind - mit der Zustellung des schriftlichen Dispositivs zu laufen beginne (vgl. Art. 218 und 302 bern. Strafverfahren sowie die unveröff. Entscheide vom 14. Oktober 1958 i.S. Stucki, vom 25. Oktober 1961 i.S. Schlumpf und vom 28. März 1972 i.S. Gautschi). Demnach wäre die vorliegende Beschwerde, die fast 2 1/2 Monate nach der Zustellung des Urteilsspruchs erhoben wurde, verspätet.
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Nun sind aber die Strafkammern des Obergerichts "im Verlaufe des Jahres 1972" dazu übergegangen, die schriftlichen Entscheidungsgründe allen in oberer Instanz beteiligten Parteien ohne besonderes Verlangen zuzustellen. Es fragt sich deshalb, ob die am 4. Juni 1973 erfolgte Zustellung der vollständigen Urteilsausfertigung an die Beschwerdeführerinnen der Zustellung von Amtes wegen gemäss Art. 89 Abs. 2 OG gleichgestellt werden kann. Das ist zu bejahen. Zwar kann die heutige Praxis des Obergerichts noch nicht als "langjähriger" Gerichtsgebrauch bezeichnet werden, wie das im Falle von BGE 97 I 57 ff. oder auch im Falle Jeanbourquin (unveröff. Entscheid vom 4. Februar 1970), wo die Zustellung eines bernischen Zivilurteils in Frage stand, zutraf. Indessen scheint die neue Praxis des Obergerichts in Strafsachen doch feststehend und auch unangefochten zu sein. Zumindest heute findet sie die Zustimmung des Plenums der Strafkammern. Sie beruht somit nicht nur auf einer Übung der Gerichtskanzlei, von der befürchtet werden müsste, dass sie in nächster Zeit wieder geändert werden könnte. Es scheint der feste Wille des Gerichts zu sein, auch in Zukunft an dieser Praxis festzuhalten. Die Zustellung der Entscheidungsgründe erfolgt in jedem Fall. Dass ein Unterschied in der Zustellungsart (als gerichtlicher Akt oder als einfacher Brief) gemacht wird, je nachdem, ob die Partei Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet hat oder nicht, tut nichts zur Sache (im Interesse der einwandfreien Feststellung des Zustellungszeitpunktes auch in Fällen, wo einzig die staatsrechtliche Beschwerde erhoben wird, wäre es freilich zu wünschen, dass alle Entscheidungen wenigstens als eingeschriebene Sendungen zugestellt würden).
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Kann somit davon ausgegangen werden, dass das Berner Obergericht den Parteien die schriftlich begründeten Entscheide in Strafsachen nach ständiger Praxis unaufgefordert und in jedem Fall zustellt, so läuft die Beschwerdefrist gemäss Art. 89 Abs. 2 OG vom Eingang dieser schriftlichen Urteilsausfertigungen an und ist im vorliegenden Fall diese Frist eingehalten. Demnach kann auf die Beschwerde eingetreten werden.
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