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8. Urteil vom 12. März 1975 i.S. Leichtnam gegen Appellationshof (I. Zivilkammer) des Kantons Bern. | |
Regeste |
Art. 4 BV; unentgeltliche Rechtspflege. | |
Sachverhalt | |
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B.- Namens des Kindes wurde die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege beim Appellationshof des Kantons Bern angefochten. Dieser trat auf die beiden Rekurse nicht ein, führte in den Erwägungen seiner Urteile vom 26. und 28. November 1974 aber aus, dass sie materiell unbegründet wären.
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C.- Gabriela Leichtnam führt hiegegen wegen Verletzung von Art. 4 BV staatsrechtliche Beschwerde. Sie beklagt sich über überspitzten Formalismus und rügt eine Verletzung des unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden Armenrechtsanspruches. Der Appellationshof beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Appellationshof erachtete diese Voraussetzung in den vorliegenden Verfahren nicht als gegeben, weil es infolge des Klagerückzuges an einem appellabeln Hauptprozess fehle. Diese Auffassung hält vor Art. 4 BV nicht stand. Die Betrachtungsweise des Appellationshofes liesse sich dann vertreten, wenn das klagende Kind das Armenrechtsgesuch gleichzeitig mit dem Klagerückzug eingereicht hätte. Dies trifft jedoch nicht zu. Im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuches war die Hauptsache, nämlich die Klage auf Zusprechung von Leistungen aus Art. 317 ZGB, hängig und "appellabel". Dass das Verfahren nachher mit einem nicht appellabeln Abschreibungsbeschluss endete, kann auf die Rekursmöglichkeit gegen den Armenrechtsentscheid keinen Einfluss haben.
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Der Appellationshof erblickte einen weiteren Nichteintretensgrund darin, dass die Klägerin in ihren Rekursen nicht genau angegeben habe, inwieweit der erstinstanzliche Entscheid abzuändern sei. Das Amtsgericht Thun hat in seinen beiden Abschreibungsbeschlüssen vom 23. September 1974 das am 14. Dezember 1973 gestellte Armenrechtsgesuch abgewiesen und hernach die Kostenverteilung aufgrund der allgemeinen Regeln vorgenommen. In der Rekurseingabe vom 30. September 1974 wurde das Begehren gestellt, es sei der Klägerin die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen. Das lässt sich ohne weiteres dahin verstehen, dass am Armenrechtsgesuch vom 14. Dezember 1973 festgehalten werde und die im Abschreibungsbeschluss des Amtsgerichtes getroffene Kostenregelung dementsprechend zu korrigieren sei. Jedenfalls war das Rekursbegehren nicht derart unklar, dass es angängig wäre, auf das Rechtsmittel überhaupt nicht einzutreten. Schliesslich ist auch nicht ersichtlich, wieso das Armenrechtsgesuch durch den Rückzug der Klagen gegenstandslos geworden sein soll. Wohl hatte die Klägerin während der Dauer der beiden Verfahren keine Vorschüsse zu leisten; sie ![]() | 6 |
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Der Appellationshof vertritt die Auffassung, dass in einer Vaterschaftssache wie der vorliegenden, wo der Mehrverkehr der Mutter eindeutig sei, erst aufgrund einer Expertise abgeklärt werden könne, ob die Prozessaussichten für die Gewährung des Armenrechts hinreichend seien. Das vorläufige Kostenrisiko bis zur Abklärung der materiellen Aussichtslosigkeit habe die gesuchstellende Partei zu tragen. Es wäre für den Staat untragbar, in allen solchen Fällen die entsprechenden Beweiskosten durch Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege vorzuschiessen, um dann bei Vorliegen des Gutachtens nachträglich feststellen zu müssen, dass die Vaterschaft ausgeschlossen und der anhängig gemachte oder beabsichtigte Prozess deshalb aussichtslos sei. Mit dem nachträglichen Entzug des Armenrechts sei diesem Umstand nicht beizukommen.
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Diese Argumentation hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Es gehört zum Wesen eines Prozesses, dass sich die Erfolgsaussichten nach der Beweisaufnahme klären. Dürfte mit der Beurteilung und allfälligen Gewährung des Armenrechtes bis zu diesem Prozessstadium zugewartet werden, so würde das Rechtsinstitut weitgehend seines Gehaltes entleert. Richtigerweise ist über das Armenrechtsgesuch aufgrund der Verhältnisse zu entscheiden, die im Zeitpunkt seiner Einreichung gegeben sind. Aus der bernischen ZPO ergibt sich nichts anderes, und eine gegenteilige Regelung widerspräche auch Art. 4 BV. Erweist sich das Klagebegehren im Laufe des Verfahrens nachträglich als aussichtslos, so kann das Armenrecht ![]() | 9 |
In den angefochtenen Urteilen wird nicht behauptet, die beiden Vaterschaftsprozesse gegen Olay und Zysset seien von Anfang an aussichtslos gewesen. Seitdem die Rechtsprechung Art. 315 ZGB nur noch mit grosser Zurückhaltung anwendet und auch bei Mehrverkehr der Kindsmutter den Nachweis der Vaterschaft mittels wissenschaftlicher Methoden zulässt, kann es durchaus sinnvoll sein, dass die mit der Wahrung der Kindesinteressen betraute Behörde die verschiedenen möglichen Väter gleichzeitig einklagt, um innert der gesetzlichen Frist den wirklichen Erzeuger belangen zu können. Dass ein solches Vorgehen im vorliegenden Fall aufgrund der konkreten Verhältnisse unvernünftig und missbräuchlich war, ist nicht dargetan. Die objektive Aussichtslosigkeit trat erst nach Einholung der gerichtlichen Blutexpertise zu Tage. Die rückwirkende Verweigerung des Armenrechtes für das gesamte Verfahren war daher nicht gerechtfertigt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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