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24. Auszug aus dem Urteil vom 7. Mai 1975 i.S. Haeny gegen Grosser Rat des Kantons Schaffhausen | |
Regeste |
Finanzreferendum. Neue oder gebundene Ausgaben. | |
Sachverhalt | |
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In den Verhandlungen des Grossen Rates über die Seminarreform wurde der Antrag gestellt, den Beschluss vom 12. August 1974 der Volksabstimmung zu unterstellen, da er eine jährliche Mehrausgabe von über Fr. 15'000.-- nach sich ziehe und daher nach Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2 der Kantonsverfassung referendumspflichtig sei. Dieser Antrag wurde mit 37 zu 7 Stimmen abgelehnt.
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Lic.iur. Rudolf Haeny, Rechtsanwalt in Schaffhausen, focht den Beschluss des Grossen Rates vom 12. August 1974 über die Änderung des Organisationsdekrets, ferner den Beschluss vom gleichen Tage, die Vorlage nicht der Volksabstimmung zu unterstellen, sowie den dazugehörigen Promulgationsbeschluss des Regierungsrates beim Obergericht des Kantons Schaffhausen wegen Verfassungswidrigkeit an (Gesuch um abstrakte Normenkontrolle). Das Gericht trat nicht auf das Gesuch ein, soweit es den Grossratsbeschluss betraf, die Vorlage nicht der Volksabstimmung zu unterstellen, und soweit es sich gegen den erwähnten Regierungsratsbeschluss richtete. Das Begehren, der Beschluss des Grossen Rates über die Änderung des Organisationsdekretes sei aufzuheben, wurde abgewiesen.
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Gleichzeitig mit dem Gesuch ans Obergericht reichte Rudolf Haeny gegen den Beschluss des Grossen Rates, die Änderung des Organisationsdekretes nicht der Volksabstimmung zu unterstellen, und den entsprechenden Promulgationsbeschluss vorsorglich staatsrechtliche Beschwerde ein. Nachdem das Obergericht sein Gesuch um Aufhebung des Grossratsbeschlusses abgewiesen hatte, focht er auch diesen Entscheid beim Staatsgerichtshof an. Er macht im wesentlichen geltend, der angefochtene Grossratsbeschluss unterstehe dem obligatorischen Finanzreferendum und hätte deshalb nicht der Volksabstimmung entzogen werden dürfen.
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Das Bundesgericht weist beide Beschwerden ab, soweit darauf einzutreten ist.
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Nach Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2 der Schaffhauser Kantonsverfassung unterstehen unter anderem "alle Beschlüsse des Grossen Rates, welche für einen besonderen Zweck eine neue einmalige Gesamtausgabe von mindestens Fr. 150'000.-- oder eine neue jährlich wiederkehrende Ausgabe von mindestens Fr. 15'000.-- zur Folge haben", der Volksabstimmung. Dass die beschlossene Ausgabe "für einen besonderen Zweck" bestimmt sein muss, heisst in diesem Zusammenhang, dass Ausgaben, die inhaltlich nicht zusammengehören, den Stimmberechtigten getrennt zur Genehmigung zu unterbreiten sind, und dass eine einheitliche, dem selben Zweck dienende Ausgabe, die als Ganzes die Kompetenzlimite übersteigt, nicht in Teilausgaben unterteilt werden darf, welche diese Grenze nicht erreichen (BGE 99 Ia 184 f., BGE 90 I 75; HALLER, Das Finanzreferendum, ZSR 90/1972 I S. 492 f.; KLINGENBERG, Das Finanzreferendum im Kanton Schaffhausen, Diss. Zürich 1957, S. 121 ff.). Dass es sich bei der jährlich wiederkehrenden Mehrausgabe, welche der Grossratsbeschluss über die Seminarreform nach sich zieht, um eine Ausgabe "für einen besonderen Zweck" handelt, steht ausser Zweifel. Es war daher irrig, wenn in der Verhandlung des Grossen Rates erklärt wurde, die Durchführung einer Volksabstimmung sei nicht nötig, weil die Ausgabe nicht für einen besonderen Zweck bestimmt sei (Amtsblatt 1974 S. 1143).
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Es steht noch nicht fest, wie hoch die jährlichen Mehrausgaben sein werden. Die Spezialkommission, die dem Grossen Rat Bericht und Antrag unterbreitete, schätzte sie auf Fr. 160'000.--, ein Mitglied des Grossen Rates hielt es für realistischer, mit Fr. 200'000.-- bis 250'000.-- zu rechnen, während der Regierungsvertreter von jährlichen Mehrkosten von maximal Fr. 40'000.-- bis 45'000.-- sprach, wie es sich damit verhält, ist für den Entscheid der Frage, ob die Ausgabengrenze überschritten sei, unwesentlich, denn es ist klar und unbestritten, dass die jährlich wiederkehrenden Ausgaben auf jeden Fall den Betrag von Fr. 15'000.-- überschreiten werden.
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Der verfassungspolitische Zweck des Finanzreferendums besteht darin, dem Bürger bei Beschlüssen über erhebliche Ausgaben, die ihn als Steuerzahler mittelbar treffen, ein Mitspracherecht zu sichern. Dagegen soll das Volk nicht zweimal befragt werden, wenn zunächst über die Übernahme einer Aufgabe durch das Gemeinwesen und nachträglich über die damit verbundenen Ausgaben entschieden werden muss. Nach den vom Bundesgericht aufgestellten allgemeinen Grundsätzen zu den Begriffen "gebundene" und "neue Ausgabe", die bundesrechtlich nicht bestimmt sind, gelten insbesondere jene Ausgaben als gebunden, die durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben sind (wie etwa Besoldungen und gewisse Subventionen) oder die zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind. Von einer gebundenen Ausgabe kann ferner gesprochen werden, wenn anzunehmen ist, das Stimmvolk habe mit einem vorausgehenden Grunderlass auch die aus ihm folgenden Aufwendungen gebilligt, falls ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war oder falls gleichgültig ist, welche Sachmittel zur Erfüllung der vom Gemeinwesen mit dem Grunderlass übernommenen Aufgabe gewählt werden (BGE 99 Ia 211 f., 720, BGE 97 I 824 f.; BGE 98 Ia 298 mit Hinweis auf frühere Urteile).
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a) Die Ausgaben für die Seminarreform sind weder durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben, noch sind sie zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich. Nach der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung wäre somit nur dann anzunehmen, das Volk habe mit dem Erlass des Schulgesetzes (Art. 50 Abs. 5, Art. 96) die aus der Seminarreform entstehenden Aufwendungen vorweg gebilligt, wenn ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war.
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Nach der Praxis des Bundesgerichtes soll dem Volk durch das Finanzreferendum das Mitspracherecht bei grossen Ausgaben nicht nur dann gesichert werden, wenn die Behörde eine Ausgabe beschliesst, die ausserhalb der gesetzlichen Aufgaben liegt, sondern auch dann, wenn ihr nach der Rechtslage und den Umständen eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit zusteht (BGE 95 I 218, HALLER, a.a.O. S. 491). Dies steht ![]() | 12 |
b) Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, der Grosse Rat könne selbst bei bloss untergeordneten Organisationsänderungen die entsprechenden wiederkehrenden Ausgaben nur dann in eigener Kompetenz beschliessen, wenn sie die Grenze von Fr. 15'000.-- nicht überschritten. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Überträgt das Volk dem Grossen Rat die Befugnis, die Organisation der Mittelschulen zu bestimmen, so muss es sich dabei zumindest bewusst sein, dass das Parlament künftig gewisse Änderungen der bisherigen Ordnung von geringer Bedeutung beschliessen wird - wie etwa neue Schulfächer einführen oder Klassen aufteilen -, und dass daraus entsprechende Ausgaben entstehen werden. Organisationsänderungen von geringer Bedeutung waren demnach beim Erlass des Schulgesetzes und der damit verbundenen Kompetenzdelegation durchaus voraussehbar, weshalb vernünftigerweise angenommen werden muss, das Volk habe die entsprechenden Ausgaben mit dem Grunderlass gebilligt. Man dürfte sogar behaupten, bestimmte organisatorische Massnahmen von mehr untergeordneter Bedeutung, wie etwa die Aufteilung zu grosser Klassen, seien zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich, so dass schon aus diesem Grunde das Referendum ausgeschlossen wäre.
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c) Die vom Grossen Rat beschlossene Seminarreform ist indes nicht eine organisatorische Massnahme von nur geringer Tragweite. Zwar ist die Änderung des Schulsystems nicht so einschneidend, wie es der Beschwerdeführer darstellt. Unter ![]() ![]() | 14 |
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In der Rechtslehre wurde mit Grund ausgeführt, dass es sich beim Entscheid, ob eine Ausgabe der Volksabstimmung zu unterstellen sei, nicht so sehr um die Auslegung der Vorschriften über das Finanzreferendum, als vielmehr um die Interpretation des Gesetzes handle, das als Grundlage des Ausgabenbeschlusses angerufen wird. Was nach Schaffhauser ![]() | 16 |
a) In Art. 50 Abs. 5 des Schulgesetzes ist dem Grossen Rat die Kompetenz übertragen, die Organisation der Mittelschulen durch Dekret zu bestimmen. Damit wird nicht bloss im Sinne einer sog. Grundsatzgesetzgebung oder eines Programmes eine staatliche Aufgabe statuiert, sondern dem Grossen Rat Auftrag zu deren Ausführung erteilt (vgl. ESCHER, a.a.O. S. 116 f.). Wird dem Parlament in dieser Weise eine Kompetenz übertragen, so spricht eine gewisse Vermutung dafür, dass es auch selbständig die sich aus der Erfüllung der Aufgabe ergebenden Ausgaben beschliessen kann (Urteil des Bundesgerichts vom 27. Oktober 1954, in: ZBl 56/1955 S. 30; LAUR, a.a.O. S. 190 f.; ESCHER, a.a.O.). Wie das Obergericht ausführt, wäre es wenig sinnvoll, dem Grossen Rat eine Aufgabe zur selbständigen Erledigung zu übertragen, anderseits aber die aus der Erfüllung der Aufgaben folgenden Ausgaben grundsätzlich dem Finanzreferendum zu unterstellen. Damit würde die Delegation weitgehend illusorisch gemacht, da im wesentlichen doch wieder das Volk über die Erfüllung der Aufgabe zu bestimmen hätte.
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Auch Art. 96 des Schulgesetzes, nach welchem der Staat die Kosten für den Unterhalt des Kantonsschulgebäudes, für den Unterricht, die Besoldungen und die allgemeinen Lehrmittel der Kantonsschule trägt, scheint die Annahme zu stützen, dass das angefochtene Dekret nicht der Volksabstimmung zu unterstellen war. Hier wird ebenfalls nicht bloss im Sinne eines Leitsatzes dem Staat eine Aufgabe übertragen, sondern bestimmt, dass die Ausgaben für den genannten Zweck zulasten des Staates fallen. Auf Grund von Art. 50 Abs. 5 und Art. 96 des Schulgesetzes erscheint demnach die Auffassung haltbar, dass die durch die Seminarreform bedingten Ausgaben ![]() | 18 |
b) Noch deutlicher als die gesetzliche Regelung zeigt die Praxis des Kantons Schaffhausen, dass im Bereich des Schulwesens dem Grossen Rat mit der materiellen Kompetenz zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe gleichzeitig auch die Befugnis zu den entsprechenden Ausgabenbeschlüssen eingeräumt wird. Ein aufschlussreiches Beispiel ist die kantonale landwirtschaftliche Schule. Sie wurde 1908 gegründet, wobei zunächst mit einem jährlichen Aufwand von rund Fr. 5'000.-- zu rechnen war, sodass die Ausgabe vom Parlament beschlossen werden konnte. Als von 1919 an die Ausgabengrenze von Fr. 15'000.-- um immer höhere Beträge überschritten wurde, wurde die Kompetenzfrage trotz fehlender gesetzlicher Grundlage nicht aufgeworfen, vielmehr 1921 noch eine landwirtschaftliche Haushaltungsschule angegliedert. Erst in das Schulgesetz von 1925 wurde der folgende, inzwischen durch das Einführungsgesetz zum Berufsbildungsgesetz wieder aufgehobene Art. 49 aufgenommen: "Der Kanton führt auf seine Kosten eine landwirtschaftliche Schule. Ihre Organisation (landwirtschaftliche Winterschule, Haushaltungsschule) wird durch ein Dekret des Grossen Rats geregelt" (vgl. JENNY, Schaffhauser Rechtsbuch, S. 268). Die jährlich wiederkehrenden Ausgaben wurden nicht dem Referendum unterstellt. In der Rechtslehre wird die Ansicht vertreten, mit dem Erlass des Schulgesetzes sei die landwirtschaftliche Schule auf eine einwandfreie Grundlage gestellt worden (KLINGENBERG, a.a.O. S. 150). Man ging also eindeutig davon aus, es sei allein Sache des Parlaments, die jährlich wiederkehrenden Ausgaben zu beschliessen, wenn dem Grossen Rat die Befugnis zur Organisation der Schule delegiert und im Gesetz bestimmt sei, dass der Kanton die Kosten zu tragen habe. Ganz ähnlich verhielt es sich mit den allgemeinen Fortbildungsschulen und der Schulzahnklinik (KLINGENBERG, a.a.O. S. 151). Die Kosten für die Zahnklinik überstiegen seit langem die Grenze von Fr. 15'000.--. Im Grossen Rat wurde 1949 darauf hingewiesen, dass die Aufwendung eigentlich dem Referendum unterstellt werden müsste. Das geschah zwar nicht, doch wurde 1955 dem Schulgesetz ein Art. 13 bis eingefügt, nach welchem die Kosten der Schulzahnpflege, soweit sie nicht durch Elternbeiträge gedeckt werden können, "halbscheidig von Staat und ![]() ![]() | 19 |
Nichts deutet darauf hin, dass diese die Ausgaben im Bereich des Schulwesens betreffende Praxis je angefochten worden wäre. Entspricht es aber feststehender Übung, dass der Grosse Rat, wenn ihm die Befugnis übertragen wird, neue Schultypen zu schaffen, auch die damit zusammenhängenden Ausgaben in eigener Kompetenz beschliessen kann, so müssen vernünftigerweise auch die Art. 50 Abs. 5 und 96 des Schulgesetzes in dem Sinne ausgelegt werden, dass das Parlament nicht nur die Organisation bestehender Schultypen ändern, sondern auch die damit zusammenhängenden Ausgaben selbständig beschliessen kann, diese also nicht dem Finanzreferendum zu unterstellen sind. Auf Grund der besondern Ordnung des Schaffhauser Rechts, die nicht so weit geht, dass sie auf eine Aushöhlung des Finanzreferendums hinauslaufen würde, erscheint deshalb die übereinstimmende Ansicht des Grossen Rates und des Obergerichts, dass die aus dem angefochtenen Beschluss folgende Aufwendung keine neue Ausgabe und das Dekret somit nicht der Volksabstimmung zu unterstellen ist, als zutreffend.
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