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50. Urteil vom 17. September 1975 i.S. X. gegen Stadtrat Winterthur und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 4 BV; Disziplinarrecht des Beamten. |
2. Verfolgungsverjährung von Disziplinarfehlern (E. 3). |
3. Rechtliches Gehör: Zustellung der Vernehmlassung der Gegenpartei und Anzeige des Akteneingangs (E. 4a); Begründungspflicht (E. 4c). |
4. Willkürliche Beweiswürdigung: widersprechende Aussagen (E. 5a); Verhältnis von Straf- und Disziplinarverfahren (E. 5b). |
5. Grundsatz der Verhältnismässigkeit von Disziplinarmassnahmen; Kriterium der besonderen Anforderungen an das bekleidete Amt (E. 6). | |
Sachverhalt | |
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Mit Beschluss vom 6. Juli 1973 entliess der Stadtrat von Winterthur X. wegen Verletzung der Amts- und Dienstpflicht gemäss § 134 ff. des Personalstatuts der Stadt Winterthur (PS) rückwirkend auf das Datum der vorläufigen Einstellung im Dienst. Hiegegen erhob X. beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Rekurs und zugleich verwaltungsrechtliche Klage. Das Verwaltungsgericht hiess den Rekurs soweit gut, als es erkannte, dass die rückwirkende Entlassung nicht zulässig gewesen sei, bestätigte aber die Entlassung auf den 6. Juli 1973 und wies die verwaltungsrechtliche Klage ab.
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Hiegegen reichte X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV und zugleich beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Revision wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ein. Das Verwaltungsgericht wies das Revisionsbegehren vollumfänglich ab, wogegen X. erneut staatsrechtliche Beschwerde erhoben hat. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit es auf sie eintritt, aus folgenden
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Erwägungen: | |
1. a) Nach Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erst zulässig, nachdem ![]() | 4 |
b) Der Beschwerdeführer hat den Revisionsentscheid des Verwaltungsgerichts in seiner zweiten staatsrechtlichen Beschwerde mit ähnlicher Begründung angefochten wie in seiner ersten. Es handelt sich in beiden Verfahren um dieselbe Streitsache und die gleichen Parteien. Die beiden Verfahren sind daher zu vereinigen.
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Die Voraussetzung des Art. 93 Abs. 2 OG ist hier jedoch nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat seine angefochtenen Entscheide ausführlich begründet und auch im Revisionsverfahren zu den Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung genommen. So erklärt es im Revisionsentscheid ausdrücklich, dass seiner Auffassung nach weder nach kantonalem Recht noch nach Art. 4 BV einer Partei in allen Fällen das Doppel der Rechtsschrift der Gegenpartei zuzustellen oder Kenntnis vom Eingang allfälliger Akten zu geben sei. Damit bestreitet es bereits dort sinngemäss das Bestehen eines Gewohnheitsrechtes. Die Vernehmlassung zur Beschwerdeschrift enthält demnach nichts wesentlich Neues, das dem Beschwerdegegner Anspruch auf zusätzliche Ausführungen gäbe.
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Ähnliches gilt für dessen weiteres Vorbringen, wonach das Verwaltungsgericht in seiner Vernehmlassung bezüglich der ![]() | 8 |
Dem Antrag des Beschwerdeführers, die Eingabe vom 9. Dezember 1974 zu den Akten zu nehmen, kann deshalb nicht entsprochen werden.
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"(1) Die Disziplinarfehler verjähren in sechs Monaten vom Zeitpunkt an, da sie der zu ihrer Verfolgung zuständigen Behörde bekanntgeworden sind.
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(2) Die Verjährungsfrist beginnt mit jeder Untersuchungshandlung neu zu laufen. Die Verjährung ruht, solange ein vom Betroffenen ergriffenes Rechtsmittel gegen die Disziplinarstrafe anhängig ist. Die Verfolgung des Disziplinarfehlers verjährt jedoch spätestens zwei Jahre nach seiner Begehung.
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(3) Wird eine Strafuntersuchung eingeleitet, so läuft die Frist für die Verfolgungsverjährung von der rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens an.
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(4) Eine Disziplinarstrafe verjährt in einem Jahr; die Frist beginnt mit der Rechtskraft des Disziplinarentscheides zu laufen."
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a) Der Beschwerdeführer behauptet, entweder habe das Verwaltungsgericht willkürlich den letzten Satz von Abs. 2 ![]() | 15 |
Diese Auslegung und die Folgerung hieraus, dass die Verjährungsfristen - weder die sechsmonatige, die durch die Einvernahme des Beschwerdeführers am 19. Juni 1973 unterbrochen wurde, noch die absolute - jedenfalls während der Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch nicht abgelaufen waren, sind sachlich durchaus haltbar und auf keinen Fall willkürlich. Auch § 140 PS als solcher verstösst nicht gegen Art. 4 BV, da diese Regelung, die zuerst die Durchführung einer Strafuntersuchung erlaubt und danach für ein Disziplinarverfahren aufgrund des gleichen Sachverhalts noch genügend Zeit einräumt, ist sachlich offenkundig gerechtfertigt; die zeitliche Grenze für die Verfolgung von Disziplinarfehlern darf weit gezogen werden (BGE 73 I 291 E. 4).
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b) In einer weiteren Eingabe vom 3. Februar 1975 weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass jedenfalls spätestens am 5. Januar 1975 nach § 140 Absatz 3 PS die absolute Verjährung seiner allfälligen Disziplinarfehler eingetreten sei. Die Eingabe ist verspätet, doch prüft das Bundesgericht in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten in der Regel von Amtes wegen, ob eine Verjährung vorliegt (BGE 98 Ib 355 E. 2a, mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat die Frage offen gelassen, ob unter "rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens" (§ 140 Abs. 3 PS) ein rechtskräftiges Erkenntnis über das Bestehen ![]() | 17 |
Das Bundesgericht braucht die Frage ebenfalls nicht zu entscheiden, da die Verfolgungsverjährung mit dem zweiten Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. September 1974 - also jedenfalls innert der zweijährigen Frist - zu laufen aufgehört hat. Die Strafverfolgung wird mit der Ausfällung des letztinstanzlichen kantonalen Urteils, das sofort vollstreckbar wird, beendet und damit hört auch die Verfolgungsverjährung auf. Daran ändert die Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde (vgl. BGE 101 Ia 109 E. 3) oder einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts (BGE 92 IV 173 und BGE 97 IV 157 E. 2, mit Hinweisen) nichts, denn diese Rechtsbehelfe hemmen die Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheide nicht von Gesetzes wegen (vgl. auch PERRIN, ZStR 79/1963 S. 13 ff.). Was für das gemeine und das Polizeistrafrecht (BGE 101 Ia 109 E. 3) gilt, trifft auch auf das Disziplinarrecht zu.
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Der Einwand der Verjährung erweist sich somit in allen Teilen als unbegründet.
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a) Der Beschwerdeführer beklagt sich, dass ihm das Verwaltungsgericht weder die Vernehmlassung der Gegenpartei zugestellt noch den Eingang der Akten angezeigt habe. Nach dem massgebenden § 58 VRG bestand hiezu aber keine Pflicht; namentlich bleibt es dem Verwaltungsgericht überlassen, ob es nach Einholung der Vernehmlassung noch einen weiteren Schriftenwechsel anordnen will. Die §§ 8 und 57 ![]() | 21 |
Auch aus Art. 4 BV ergibt sich nicht, dass eine Beschwerdeantwort in jedem Falle von Bundesrechts wegen dem Rekurrenten zugestellt werden müsste (vgl. TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83/1964 II S. 356 N. 84). Diese Pflicht besteht höchstens, wenn in der Beschwerdeantwort neue erhebliche Gesichtspunkte geltend gemacht werden. Das Verwaltungsgericht führt jedoch überzeugend aus, dass das vorliegend nicht zugetroffen habe. Eine Disziplinarbehörde ist auch nicht unbedingt verpflichtet, den Beurteilten über den Beizug von Akten zu orientieren. Dieser muss lediglich Gelegenheit erhalten, in die Akten Einsicht zu nehmen und sich dazu zu äussern (vgl. BGE 100 Ia 8 ff. E. 3). Der Beschwerdeführer wusste aus den Präsidialverfügungen vom 27. Juli und 3. September 1973 genau, welche Akten das Verwaltungsgericht einverlangte. Kannte er deren Inhalt nicht, so hätte er Einsicht verlangen können. Mit Präsidialverfügung vom 11. April 1974 wurde ihm zudem eine Frist zur freigestellten Vernehmlassung zu den beigezogenen Akten des Straf- und Rekursverfahrens angesetzt. Der Vertreter des Beschwerdeführers teilte darauf am 9. Mai 1974 dem Verwaltungsgericht "nach Einsicht der Akten auf Ihrem Büro" mit, er habe zu den Akten des Strafverfahrens keine weiteren Bemerkungen anzubringen. Freilich war in den Verfügungen nicht gesagt, dass auch in die vom Stadtrat Winterthur beigezogenen Akten Einsicht genommen werden könne; dem Beschwerdeführer war dies aber schon vor der Rekurseinreichung offen gestanden, und er wusste aus der Präsidialverfügung vom 27. Juli 1973, dass der Stadtrat seine Akten einlegen musste. Er hätte sich daher um die Einsicht bemühen müssen. Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann keine Rede sein.
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c) Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die Entscheidgründe, die zu seiner disziplinarischen Entlassung geführt hätten, seien ihm nicht genügend bekanntgegeben worden. Ob und inwieweit eine kantonale Behörde ihre Verfügungen und Entscheide zu begründen hat, ist vorab eine Frage des kantonalen Rechts. § 10 VRG sieht nun - im Gegensatz zu den entsprechenden Erlassen anderer Kantone - keine Begründungspflicht vor. Die zürcherische Rechtsprechung nimmt an, eine solche Pflicht bestehe nur insoweit, als sie im positiven Recht vorgesehen sei (BGE 96 I 723, mit Hinweisen). Darüber hinaus ergibt sich aber eine Begründungspflicht unmittelbar aus Art. 4 BV (BGE 98 Ia 129 und 464 E. 5a, mit Hinweisen). Der Betroffene muss sich über die Tragweite des Entscheids und über allfällige Anfechtungsmöglichkeiten ein Bild machen können; an die Begründung dürfen unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs indessen keine allzuhohen Ansprüche gestellt werden, wenn wie hier das kantonale Recht keine Begründungspflicht vorsieht (BGE 96 I 723; TINNER, a.a.O., S. 357).
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Die Anforderungen sind allerdings in Fällen wie dem vorliegenden, wo es um die wirtschaftliche Existenz des Beschwerdeführers geht, strenger zu nehmen. Dieser muss dem Entscheid entnehmen können, was ihm vorgeworfen wird, worauf sich dieser Vorwurf stützt und weshalb er zu der schwersten Disziplinarstrafe führt, obschon das Strafgericht zu einem Freispruch gelangt ist; ferner gehören die Bekanntgabe der Beweise, auf die abgestellt wird, und deren Würdigung dazu.
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Diese Anforderungen werden von den Entscheiden des Stadtrates vom 6. Juli 1973 und insbesondere des Verwaltungsgerichtes vom 27. Mai 1974 vollauf erfüllt. Beide Instanzen stützen sich auf die in § 11 PS enthaltenen Pflichten der städtischen Bediensteten und weisen darauf hin, dass an den ![]() | 26 |
d) In seiner ersten Beschwerde hatte der Beschwerdeführer schliesslich als Gehörsverweigerung gerügt, dass das Verwaltungsgericht die von ihm zum integrierenden Bestandteil der Rekursbegründung erklärten strafgerichtlichen Plädoyernotizen nicht zur Kenntnis genommen habe. Auf diesen Vorwurf ist nach dem in E. 1a Gesagten nicht mehr einzugehen. Das Verwaltungsgericht hat als Revisionsinstanz darüber befunden und der Beschwerdeführer hat ihn mit Grund in seiner zweiten Beschwerdeschrift weggelassen.
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a) Das Verwaltungsgericht erachtete es - durchaus unter Beachtung der Fragwürdigkeit der Aussagen der befragten Mädchen - als erstellt, dass der Beschwerdeführer während seiner schulpsychologischen Untersuchungen wiederholt mit einzelnen Mädchen körperlichen Kontakt suchte, so, indem er ihnen mit der Hand über dem Kleid seitlich von der Taille bis zur Achselhöhle und vorne von der Hüfte bis zur Brust fuhr, sie über den Kleidern in der Brustgegend berührte, am Rücken streichelte und sie auf der Aussenseite der Oberschenkel, am Gesäss und am Hüftgelenk betastete. Der Beschwerdeführer hat diese Handlungen immer wieder abgestritten, doch stellte das Verwaltungsgericht mit der gebotenen Vorsicht auf ![]() | 29 |
b) Auch das Bezirksgericht Winterthur hatte in seinem Strafurteil festgehalten, dass dem Beschwerdeführer gewisse unschickliche, leicht gegen Sitte und Anstand verstossende Handlungen zur Last zu legen waren, die aber nicht so intensiv seien, um die Voraussetzungen von Art. 191 Ziff. 2 StGB zu erfüllen; insbesondere habe es am subjektiven Tatbestand gefehlt. Der Beschwerdeführer habe sich gegenüber den Mädchen ungeschickt verhalten und seine "Aufmunterungen" hätten sich zeitweilig in verhängnisvollen Bahnen - ja mitunter recht hart an der Grenze des noch Erlaubten - bewegt. Dass das Gericht ihn dennoch freigesprochen hat, hat auf das Disziplinarverfahren keinen entscheidenden Einfluss, denn Straf- und Disziplinarverfahren sind entsprechend ihrem unterschiedlichen Zweck selbst in derselben Angelegenheit grundsätzlich von einander ![]() | 30 |
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Ob die Verfehlung eines Beamten als schwerwiegend zu betrachten ist, kann nur nach den Anforderungen des Amtes, das er bekleidet, beurteilt werden. Zweifellos muss das Vertrauen der Öffentlichkeit, von Eltern, Lehrerschaft und Kindern in den Schulpsychologischen Dienst gewahrt bleiben. Was den Umgang des Schulpsychologen mit Schulkindern angeht, muss ein strenger Massstab angelegt werden. Der Schulpsychologe hat eine besondere Vertrauensstellung; zudem hat er es auch vielfach mit schwierigen und gefährdeten Kindern zu tun. Die Eltern, die ihre Kinder zu ihm schicken müssen, wollen zu Recht Gewissheit haben, dass diese dort nicht in unsittlicher Weise belästigt werden. Die Dienstpflicht gebietet dem Schulpsychologen daher, sich bei seinen Untersuchungen aller fragwürdigen und zweideutigen Gesten zu enthalten. Daran hat sich der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht gehalten.
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Dass die subjektive Schuld des Beschwerdeführers an seiner Dienstpflichtverletzung allenfalls weniger schwer ist als der von ihm geschaffene objektive Tatbestand, fällt nicht ins Gewicht. Die sofortige Entlassung stellt entgegen der Bezeichnung in § 138 PS eher ![]() | 33 |
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