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53. Urteil vom 1. Oktober 1975 i.S. Ruf gegen Gschwind und Kons., Gemeinderat Weggis, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern. | |
Regeste |
Art. 4 BV, Willkür, Treu und Glauben im öffentlichen Recht; Baubewilligung, Fristenlauf bei privatrechtlichen Einsprachen. |
Vertrauen in behördliche Rechtsauskunft (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Am 12. Oktober 1971 ersuchte Frau Ruf den Gemeinderat von Weggis um Verlängerung der gesetzlichen Frist für den Baubeginn. Das Gesuch wurde am 14. Oktober 1971 abgelehnt. Auf Frau Rufs Anfrage antwortete ihr der Gemeinderat am 22. Oktober 1971 schriftlich, die Rechtskraft der Bewilligung bestimme sich nach dem Tage, an dem "die letzte Einsprache zurückgezogen bzw. gerichtlich entschieden" worden sei. Die Baubewilligung erlösche daher nicht vor Ablauf eines Jahres seit dem Eintritt der Rechtskraft.
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Zwischen dem 11. und 19. Januar 1972 wurde mit den Bauarbeiten auf den Grundstücken von Frau Ruf begonnen. Der genaue Tag des Baubeginns ist streitig. Am 17. Januar 1972 wandten sich die ursprünglichen Einsprecher an den Gemeinderat mit dem Ersuchen, es sei festzustellen, dass die Baubewilligung am 14. Januar 1972 abgelaufen sei. Der Gemeinderat vertrat in einem Schreiben von 20. Januar an die drei Gesuchsteller die Auffassung, die Baubewilligung sei bis zum 15. Januar 1972 gültig gewesen, und es sei innert dieser Frist mit den Bauarbeiten begonnen worden.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
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Erwägungen: | |
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"Die Baubewilligung erlischt:
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a) wenn der Bau nicht innert Jahresfrist, vom Tage des Eintritts der Rechtskraft der Baubewilligung oder, in streitigen Fällen, vom Tage der rechtskräftigen gerichtlichen Erledigung an gerechnet, begonnen wird;
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b) wenn der begonnene Bau unterbrochen und innerhalb einer vom Gemeinderat festzusetzenden Frist nicht vollendet wird;
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c) wenn nicht binnen 2 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Baubewilligung die Klage auf Beseitigung der privatrechtlichen Einsprachen eingereicht wird."
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a) Für den Verfall der am 28. Oktober 1970 erteilten Baubewilligung kommen zunächst drei Daten in Betracht: der 9. Januar 1971 (Ablauf von zwei Monaten vom Eintritt der Rechtskraft der Bewilligung an gerechnet), der 9. November 1971 (Ablauf eines Jahres vom gleichen Zeitpunkt an gerechnet), der 15. Januar 1972 (Ablauf eines Jahres vom Zeitpunkt des Rückzuges der letzten Einsprache an gerechnet).
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, die Baubewilligung der Beschwerdeführerin sei am 10. Januar 1971 verfallen, ![]() | 13 |
b) § 62 aBauG setzt die Frist, nach deren Ablauf eine rechtskräftig erteilte Baubewilligung verfällt, wenn mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen worden ist, grundsätzlich auf ein Jahr fest. Gemäss lit. a der genannten Bestimmung läuft die Jahresfrist "in streitigen Fällen" erst vom Tage der rechtskräftigen gerichtlichen Erledigung an. Dies bedeutet, dass die Jahresfrist bei Vorliegen privatrechtlicher Einsprachen wesentlich verlängert wird, und zwar um die Dauer des Zivilprozesses zuzüglich der für die Klageanhebung zur Verfügung stehenden Frist. Demgegenüber geht der Wortlaut von lit. c dahin, die Baubewilligung erlösche, wenn nicht binnen zweier Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Baubewilligung Klage auf Beseitigung der privatrechtlichen Einsprachen eingereicht werde. Da nach dem Zivilprozessrecht des Kantons Luzern der Begriff "Klageeinreichung" nicht Anrufung des Friedensrichters, sondern Anhängigmachung des Rechtsstreites beim zuständigen erstinstanzlichen Gericht bedeutet, wäre die Baubewilligung tatsächlich am 9. Januar 1971 verfallen, wenn allein auf den Wortlaut von § 62 lit. c aBauG abgestellt werden dürfte.
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Eine derartige Gesetzesanwendung ist jedoch unzulässig. Massgebend ist in erster Linie der Sinn einer Bestimmung, wie er sich vor allem aus ihrem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergibt (BGE 99 Ia 169 mit Verweisungen auf frühere Urteile). § 62 lit. c aBauG darf nicht ohne Berücksichtigung von lit. a ausgelegt werden. Liegen keine privatrechtlichen ![]() | 15 |
Liest man § 62 aBauG im Zusammenhang, so drängt sich ein anderer Sinn dieser Bestimmung auf. Während lit. a die Verwirkung der Baubewilligung regelt, kann lit. c entgegen ![]() | 16 |
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts scheint im übrigen nicht identisch zu sein mit derjenigen, die vom Regierungsrat (als damals höchster kantonaler Instanz) zu der Zeit vertreten wurde, als das alte Baugesetz noch in Kraft stand. Es wäre sonst nicht verständlich, weshalb sich der Regierungsrat sowohl in seinem Rekursentscheid vom 1. Mai 1972 als auch im Wiedererwägungsentscheid vom 4. Juni 1973 zunächst mit der Frage befasste, ob die einjährige Frist gemäss § 62 lit. a aBauG eingehalten worden sei, und lediglich hilfsweise auf den Ablauf der Zweimonatsfrist gemäss § 62 lit. c hinwies.
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Auch aus dem Schreiben des Gemeinderates von Weggis an die Beschwerdeführerin vom 22. Oktober 1971 geht hervor, dass das kantonale Baudepartement in jenem Zeitpunkt nicht der Meinung war, die Baubewilligung könnte schon nach zwei Monaten verfallen gewesen sein. Schliesslich haben auch die Beschwerdegegner nie an einen solchen Fristablauf gedacht, wie sich aus ihrer Eingabe vom 17. Januar 1972 an den Gemeinderat von Weggis ergibt.
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Das Verwaltungsgericht hat somit dadurch, dass es § 62 lit. c aBauG nur nach seinem Wortlaut angewendet und den Zusammenhang mit § 62 lit. a ausser acht gelassen hat, dieser Bestimmung eine Bedeutung zugemessen, die sie nach dem Zweck des Gesetzes nicht haben kann. Es hat damit gegen das Willkürverbot im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 4 BV verstossen, weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben ist.
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3. Die Aufhebung könnte allerdings unterbleiben, wenn sich der Entscheid des Verwaltungsgerichtes nach den vorliegenden Akten aus anderen als den angeführten Gründen als nicht willkürlich erwiese. Dies trifft indessen nicht zu. Zwar ist der Standpunkt der Beschwerdeführerin, die Frist für den Baubeginn habe erst im Zeitpunkt des Rückzuges der letzten ![]() | 20 |
Das Verwaltungsgericht wird somit entsprechend dem ersten Teil seiner Erwägungen die Sache zu neuem Entscheid über die Frage, ob die Frist für den Baubeginn im Sinne der erwähnten Auskunft des Gemeinderates von Weggis eingehalten worden ist, an den Regierungsrat zurückzuweisen haben, wobei der Regierungsrat im Sinne der Offizialmaxime sämtliche im Zeitpunkt seiner neuen Entscheidung verfügbaren Beweismittel zu berücksichtigen haben wird.
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