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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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78. Auszug aus dem Urteil vom 5. November 1975 i.S. Coop Olten und W.v.Rohr gegen Einwohnergemeinde Olten und Regierungsrat des Kantons Solothurn. | |
Regeste |
Art. 31 BV. Kantonale Ladenschlussvorschriften; Wahl des wöchentlichen Schliessungshalbtages. | |
Sachverhalt | |
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Der Gemeinderat (Legislative) der Einwohnergemeinde Olten, die bis anhin generell am Montag einen ganztägigen Ladenschluss vorgeschrieben hatte, beschloss daraufhin eine neue Regelung, indem er § 2 der ergänzenden kommunalen Vorschriften zur kantonalen Ladenschlussverordnung wie folgt fasste:
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12.30 Uhr geschlossen.
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Diese Schliessungspflicht entfällt am Mai- und Herbstmarkt sowie
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an den beiden Montagen unmittelbar vor Weihnachten."
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In einem fakultativen Referendum nahmen die Stimmbürger von Olten diese neue Regelung an. Die Firma COOP Olten und ihr Verwaltungsrat Werner von Rohr führen hiegegen, nachdem sie sich beim Regierungsrat des Kantons Solothurn erfolglos beschwert hatten, staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 31 BV sowie Art. 2 ÜbBest. BV. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das aus Art. 4 BV hergeleitete Gebot von Treu und Glauben bindet an sich auch den Gesetzgeber. Die diesbezügliche Rüge hat jedoch im vorliegenden Fall neben jener der Verletzung von Art. 31 BV keine selbständige Bedeutung. Sie bezieht sich nicht auf das gesetzgeberische Verfahren, sondern unmittelbar auf den Inhalt der angefochtenen Vorschrift. Ob diese in bezug auf ihren Zweck und ihre Auswirkungen zulässig ist, beantwortet sich nach Art. 31 BV, wobei das Bundesgericht in erster Linie auf objektive Kriterien abstellt und weder an die behördliche Begründung der Massnahme noch an parlamentarische Voten gebunden ist. Verfolgt ein Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit entgegen den von der Behörde vorgeschobenen anderweitigen Motiven ein unerlaubtes Ziel, so heisst das Bundesgericht die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 31 BV gut. Hält hingegen eine Massnahme materiell vor der Handels- und Gewerbefreiheit stand, so kann auch nicht im erwähnten Sinne von einem Verstoss gegen Treu und Glauben gesprochen werden. Es erübrigt ![]() | 9 |
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b) Ob darüber hinaus auch der Grundsatz der derogatorischen ![]() | 13 |
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a) In BGE 96 I 367 f. bezeichnete das Bundesgericht eine Anordnung des Tessiner Staatsrates, die alle Apotheken in Lugano (mit Ausnahme der Dienstapotheken) am Samstagnachmittag einheitlich zur Schliessung verpflichtete, als unverhältnismässig und gegen Art. 31 BV verstossend; es stellte fest, dass eine derartige Massnahme insbesondere den Interessen des Publikums widerspreche und dass keine hinreichenden Gründe bestünden, die von den Beschwerdeführern verlangte ![]() | 15 |
b) Von diesen grundsätzlichen Überlegungen ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Die angefochtene Vorschrift setzt den obligatorischen Schliessungshalbtag für sämtliche Verkaufsgeschäfte der Stadt Olten einheitlich auf den Montagnachmittag fest. Sie beraubt damit die Geschäftsinhaber der Möglichkeit, ihre Verkaufslokale am Montagvormittag geschlossen zu halten und am Montagnachmittag zu öffnen, wie dies zum Ausgleich der Offenhaltung während des Samstagnachmittages mancherorts üblich ist. Es fragt sich, ob eine derartige Ladenschlussregelung im Hinblick auf ihren verfassungsrechtlich massgebenden Zweck noch verhältnismässig ist oder ob dieser Zweck nicht ebensogut erreicht werden könnte, wenn es den Geschäftsinhabern wenigstens freigestellt würde, zwischen dem halbtägigen Ladenschluss am Montagmorgen und am Montagnachmittag zu wählen.
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aa) Der Stadtrat von Olten räumt in seiner Vernehmlassung ![]() | 17 |
bb) Eine Wahlmöglichkeit zwischen dem halbtägigen Ladenschluss am Montagmorgen und am Montagnachmittag hätte auch keine erhebliche Erschwerung der polizeilichen Kontrolle zur Folge, wenn die Ladeninhaber verpflichtet würden, sich für eine bestimmte, längere Zeitdauer für eine der beiden Lösungen zu entscheiden und den Schliessungshalbtag in sichtbarer Weise bekanntzumachen (z.B. durch Anschrift an den Ladenlokalen). Es ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass die Vorlage des Stadtrates von Olten an den Gemeinderat eine differenziertere Lösung vorsah als die in der Folge beschlossene, indem für Lebensmittelgeschäfte die Schliessung am Montagnachmittag und für alle übrigen Läden die Schliessung am Montagvormittag vorgeschlagen wurde. Zur Begründung dieses Vorschlages wurde auf das Publikumsinteresse am Einkauf von Lebensmitteln am Montagvormittag hingewiesen und gleichzeitig ausgeführt, das Interesse der polizeilichen Überwachung, das für die Einheitlichkeit des Ladenschlusses spräche, müsse demgegenüber zurücktreten (Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates vom 14. November 1974 S. 5). Wenn aber die Erschwerung der polizeilichen Kontrolle durch die vom Stadtrat vorgeschlagene Lösung nicht als ernsthaftes Hindernis betrachtet wurde, gilt dies wohl auch für den Fall der Wahlmöglichkeit zwischen dem Ladenschluss am Montagvormittag und am Montagnachmittag.
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cc) Erheblich mehr Gewicht ist hingegen den Bedürfnissen des Publikums beizumessen. Eine gewisse Übersichtlichkeit der Ladenschlussordnung liegt zweifellos im Interesse der Käuferschaft. Diese ist aber gleichzeitig auch daran interessiert, möglichst zu jeder Zeit, das heisst an jedem Werktag, Einkäufe machen zu können. So gesehen entspricht eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Ladenschluss am Montagvormittag und am Montagnachmittag eher den Bedürfnissen des Publikums als ein einheitlicher Ladenschluss am Montagnachmittag. Die einzelnen Ladeninhaber würden, je nach Branche und örtlichen Verhältnissen, jenen Schliessungshalbtag wählen, an dem die geringsten Umsätze zu erwarten sind, und damit gleichzeitig den Interessen der Konsumenten Rechnung tragen. Anderseits wäre den meisten Einwohnern von Olten mit der Zeit bekannt, welche Läden montags am Vormittag und welche am Nachmittag geöffnet sind. Daraus, dass die vom Gemeinderat beschlossene Ladenschlussordnung in der Volksabstimmung angenommen worden ist, lässt sich nicht ableiten, dass ein einheitlicher Ladenschluss am Montagnachmittag den Bedürfnissen des Publikums besser entspricht. Die Stimmbürger konnten sich nur zu der ihnen vorgelegten Regelung aussprechen; es ist völlig offen, ob eine etwas weniger starre Ordnung nicht ebenfalls angenommen oder sogar vorgezogen worden wäre.
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c) Daraus folgt, dass die einheitliche Festlegung des Ladenschlusses auf den Montagnachmittag eine unverhältnismässige Freiheitsbeschränkung darstellt, die gegen Art. 31 BV verstösst. Den Ladeninhabern muss von Verfassungs wegen eine bestimmte minimale Wahlmöglichkeit eingeräumt werden. Ob es genügt, wenn sie - im Sinne der vorgezeichneten Alternativlösung - zwischen der Schliessung am Vormittag oder Nachmittag eines bestimmten Werktages wählen können, oder ![]() | 21 |
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Die Beschwerdeführer bezeichnen ferner auch § 4 Abs. 1 der kantonalen Ladenschlussverordnung, auf den sich die aufgehobene kommunale Vorschrift stützt, als verfassungswidrig. Eine formelle Aufhebung der kantonalen Delegationsnorm kann mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde, wie ausgeführt, nicht mehr verlangt werden. Es besteht aber auch kein Anlass, diese kantonale Vorschrift hier im Sinne einer vorfrageweisen Prüfung als verfassungswidrig und daher unanwendbar zu erklären, denn sie kann ohne Zwang dahin ausgelegt werden, dass sie die Gemeinden nicht zu einer einheitlichen Festlegung des Schliessungshalbtages verpflichtet. Von der in § 4 Abs. 1 enthaltenen Ermächtigung kann somit auch in verfassungsmässiger Weise Gebrauch gemacht werden.
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