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83. Auszug aus dem Urteil vom 12. Dezember 1975 i.S. Lynas gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement | |
Regeste |
Auslieferungsgesetz und Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika |
Art. I des Auslieferungsvertrages: Wann gilt ein Verbrechen oder Vergehen als auf dem Gebiet der USA begangen? (E. 5). |
Verhältnis zwischen dem Auslieferungsvertrag und dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (E. 7). | |
Sachverhalt | |
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Lynas wurde am 28. Juli 1972 in Auslieferungshaft versetzt.
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Die Gegenstände, die sich in seinem Besitz befanden, sowie ein Bankguthaben wurden beschlagnahmt. Er bestritt, die in der Anklageschrift erwähnten Straftaten begangen zu haben, und machte geltend, er habe sich zur Tatzeit nicht in den USA aufgehalten. Zudem rügte er formelle Mängel des Auslieferungsbegehrens. Sein Anwalt brachte in einer Eingabe vom 6. September 1972 vor, die von den USA eingelegten Dokumente genügten nicht, um die Auslieferung zu gestatten.
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Die Polizeiabteilung bewilligte die Auslieferung am 16. November 1972. Ein Gesuch um provisorische Freilassung wies sie ab.
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Lynas wandte sich mit einem Rekurs an das EJPD, wobei er wiederum den Einwand erhob, es fehle an den formellen Voraussetzungen für eine Auslieferung. Er verlangte erneut seine provisorische Freilassung, die mit Zwischenentscheid des EJPD vom 1. Februar 1973 und auf Beschwerde hin am 17. September 1973 vom Bundesrat verweigert wurde.
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Am 25. März 1974 reichte Lynas beim EJPD eine weitere Rechtsschrift ein, in der er behauptete, einen Alibibeweis erbringen zu können, und geltend machte, die amerikanischen Behörden verfolgten mit dem Auslieferungsbegehren in Wirklichkeit nur den Zweck, ihn aus politischen Gründen zu verfolgen. Zum Beweis für seine Behauptungen legte er verschiedene ![]() | 6 |
Das EJPD wies die gegen die Auslieferungsverfügung der Polizeiabteilung erhobene Beschwerde am 18. September 1974 ab. Es entschied, die Akten seien nicht dem Bundesgericht zu überweisen. Sowohl die formellen wie die materiellen Voraussetzungen für die Auslieferung hielt es für gegeben.
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Eine dagegen eingereichte Beschwerde hiess der Bundesrat am 9. Juni 1975 teilweise gut und hob die Verfügung der Polizeiabteilung vom 16. November 1972 auf. Die Einwendungen des Beschwerdeführers wurden, soweit in die Kompetenz des Bundesrates fallend, abgewiesen, ebenso das Begehren um Freigabe der beschlagnahmten Gegenstände und des Bankguthabens. Das EJPD wurde jedoch beauftragt, die Einsprache dem Bundesgericht zu überweisen, damit es die übrigen Einwände beurteile.
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Aus den Erwägungen: | |
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In der Rechtslehre ist die Ansicht vertreten worden, der Verfolgte könne keine solche Einsprache mehr erheben, wenn die Polizeiabteilung oder das EJPD bereits über ein Auslieferungsbegehren entschieden hätten. Dieser Schluss ergebe sich zwingend aus der Zuständigkeitsordnung des Auslieferungsgesetzes, ![]() | 10 |
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Eine solche Vertragsbestimmung ist selten. In den meisten Verträgen wird bloss verlangt, dass die Behörden des ersuchenden Staates zur Verfolgung und Beurteilung der Tat zuständig sind, und die Auslieferung allenfalls bloss dann ausgeschlossen, wenn das Delikt auf dem Gebiet des ersuchten Staates begangen wurde. Das bedeutet, dass die Auslieferung auch für in einem Drittstaat begangene Straftaten zu bewilligen ist, sofern sie dem Strafrecht des ersuchenden Staates unterstehen. Der mit den USA abgeschlossene Auslieferungsvertrag gehört zu den wenigen, welche die Auslieferung nur für ![]() | 12 |
Der Einsprecher hat in seiner Eingabe vom 25. März 1974 im Sinne eines Eventualstandpunktes geltend gemacht, es seien ihm keine Tathandlungen auf dem Gebiet der USA vorgeworfen. In der Anklageschrift wird ausgeführt, Lynas habe in West Los Angeles ein Postfach gemietet. Diese Tat ist blosse Teilhandlung der conspiracy. Abgesehen von dieser Postfachmiete ist zum Teil unklar, wo der Einsprecher die ihm vorgeworfenen Taten ausgeführt hat, obwohl die Angaben im Auslieferungsgesuch über den Ort der Tatbegehung den Anforderungen von Art. 15 AuslG durchaus genügen. Nach der Umschreibung im ersten Anklagepunkt wurden die Verschwörungshandlungen der beschuldigten Personen "im Central District of California und anderswo" begangen, und im vierten Anklagepunkt wird dem Einsprecher vorgeworfen, zusammen mit Illene Felshaw Kokain "in das Gebiet von Los Angeles County im Central District of California" eingeführt zu haben. Nach der Darstellung der Anklagebehörde scheint sich die Tätigkeit von Lynas vor allem in Südamerika abgewickelt zu haben, indem er von da aus den Absatz der Rauschgifte in den USA organisierte und die Betäubungsmittel in Filmbehältern nach Los Angeles schickte. Es stellt sich die Frage, ob die Straftat gemäss Art. I AV auf dem Gebiete der USA begangen ist, wenn ein Täter von einem Drittstaat aus illegal Rauschgift in die USA einführt und durch eine Verschwörung mit andern vor allem von einem Drittstaat aus in den USA einen Rauschgiftvertrieb organisiert.
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b) Für das schweizerische Recht wäre die Frage zu bejahen, denn nach dem in Art. 7 Abs. 1 StGB festgehaltenen Ubiquitätsprinzip gilt ein Verbrechen oder Vergehen als da verübt, wo der Täter es ausführt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist (vgl. BGE 97 IV 208 f., BGE 91 IV 231 f., je mit Hinweisen). Durch den Aufbau der Vertriebsorganisation in den USA und durch die illegale Einfuhr des Rauschgiftes ist in den Vereinigten Staaten ein Erfolg im Sinne dieser Gesetzesvorschrift eingetreten, die Tat also - auch - dort verübt worden.
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Massgebend ist aber nicht in erster Linie das schweizerische Landesrecht, vielmehr ist in Auslegung des Auslieferungsvertrages zu entscheiden, wann eine Tat als auf dem Gebiet des ![]() | 15 |
Dass im Recht der zwischenstaatlichen Auslieferung der Begriff der Verbrechensbegehung in Anlehnung an die Ubiquitätstheorie auszulegen ist, geht auch aus andern Staatsverträgen hervor. Der am 21. November 1910 abgeschlossene Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Griechenland bestimmt in Art. I ebenfalls, dass die Auslieferung nur erfolgt für Delikte, die auf dem Gebiet des ersuchenden Staates begangen wurden. In Art. 4 wird die Auslieferung ausgeschlossen für im ersuchten Staat begangene Taten. Diese Regelung hat nur ihren guten Sinn, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Tat im Sinne der Ubiquitätstheorie in zwei Staaten begangen werden kann (vgl. BGE 43 I 75 f., Frage offen gelassen).
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c) Selbst wenn angenommen würde, das amerikanische Landesrecht sei allein massgebend (so SCHULTZ, a.a.O., S. 70 oben), ergäbe sich dieselbe Lösung. Das ist bei der Auslegung des Auslieferungsvertrages deshalb von besonderer Bedeutung, weil die für die Schweiz ungebräuchliche Einschränkung, die Auslieferung nur zu bewilligen, wenn die Tat auf ![]() | 17 |
Die amerikanischen Gerichte scheinen Art. I AV ebenfalls im Sinne des Ubiquitätsprinzips auszulegen. So entsprach ein amerikanisches Bundesgericht einem schweizerischen Auslieferungsbegehren, obwohl der Verfolgte die ihm zur Last gelegte Tat nicht in der Schweiz ausgeführt hatte (Urteil Eatessami v. Marasco, 275 F. Supp. 492, District Court Southern District of New York 1967).
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Dem Einsprecher wird zur Last gelegt, im Sinne von Art I AV Delikte auf dem Gebiete der USA begangen zu haben, da er durch sein Handeln den Aufbau des Rauschgiftvertriebes in den Vereinigten Staaten und die Einfuhr von Kokain in dieses Land bewusst und gewollt unmittelbar bewirkt habe. Da nach dem Gesagten Art. I des Auslieferungsvertrages im Sinne des Ubiquitätsprinzips auszulegen ist, ist der Einwand Lynas unbehelflich, er habe auf dem Gebiet der USA keine Tathandlungen ausgeführt.
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7. a) Art. VII Abs. 1 AV bestimmt, dass die Auslieferung wegen eines politischen Verbrechens oder Vergehens nicht bewilligt wird. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung fallen unter den Begriff des politischen Delikts nicht nur Straftaten, die gegen die politische und gesellschaftliche Ordnung eines Staates gerichtet sind (rein politische ![]() | 20 |
Lynas anerkennt das selber. Er ist aber der Ansicht, die moderne Auffassung über die Rechtsschutzgarantie eines Auszuliefernden, die im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuA) ihren Niederschlag gefunden habe, gebiete es, auch die politisch motivierte Verfolgung zu beachten. Nach Art. 3 Ziff. 2 EuA wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn der ersuchte Staat ernstliche Gründe hat anzunehmen, dass das Auslieferungsersuchen wegen einer nach gemeinem Recht strafbaren Handlung gestellt worden ist, um eine Person aus rassischen, religiösen, nationalen oder auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder dass die verfolgte Person der Gefahr einer Erschwerung ihrer Lage aus einem dieser Gründe ausgesetzt wäre.
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Die Schweiz ist dem Übereinkommen am 20. März 1967 beigetreten, dagegen sind die Vereinigten Staaten von Amerika nicht Vertragspartei. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil BGE 99 Ia 547 ff. entschieden, Art. 3 Ziff. 2 EuA, der seinem Gehalt nach mit dem schweizerischen Landesrecht übereinstimmt, sei auch dann anwendbar, wenn mit dem ersuchenden Staat kein bilateraler Auslieferungsvertrag besteht und dieser Staat auch dem Auslieferungsübereinkommen nicht angeschlossen ist. Diese Lösung kann jedoch nicht übertragen werden auf die Fälle, in denen das Auslieferungsbegehren von einem Staat ausgeht, der dem Übereinkommen nicht beigetreten ist, mit dem aber die Schweiz einen Auslieferungsvertrag abgeschlossen hat, der die in Art. 3 Ziff. 2 EuA bzw. Art. 3 Ziff. 4 EuA enthaltene Einschränkung nicht kennt (vgl. BGE 91 I 132 E. 3c, 43 I 74 E. 1). Art. 3 Ziff. 2 EuA bzw. Art. 3 Ziff. 4 EuA lässt ausdrücklich diejenigen Verpflichtungen unberührt, welche die Vertragsparteien auf Grund eines anderen mehrseitigen internationalen Übereinkommens übernommen haben oder übernehmen werden. Der ![]() | 22 |
b) In der neueren Rechtslehre wird hingegen angenommen, dass eine Auslieferung gegen zwingende Regeln des Völkerrechts verstossen würde, wenn sie zu einer mit den Sätzen über die Achtung der Menschenrechte in Widerspruch stehenden Behandlung des Ausgelieferten im ersuchenden Staat führen würde (T. VOGLER, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, Berlin 1970, S. 220). Auch wenn man den Einwand des Einsprechers unter diesem Gesichtspunkt eines internationalen ordre public betrachtet, vermag er nicht durchzudringen. Es besteht kein hinreichender Grund zur Annahme, dass das Verfahren vor dem zuständigen amerikanischen Gericht, der Grand Jury des Distriktsgerichts des Central District of California, zu einem Zweck durchgeführt und Lynas in einer Art behandelt werden könnte, die mit dem Grundsatz der Wahrung der Menschenrechte in Widerspruch stünden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1. Die Einsprache des William Posnett Lynas wird abgewiesen.
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