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6. Urteil vom 3. März 1976 i.S. Dr. X. gegen Aufsichtskammer über die Walliser Advokaten. | |
Regeste |
Art. 4 BV; Disziplinarrecht des Anwaltes. | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid bedeute eine missbräuchliche, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzende Häufung von Bussen. Die gleichen Sachverhalte, die zur angefochtenen Busse geführt hätten, seien schon mit zwei Bussen in Basel-Stadt sowie mit einer Busse und einer Einstellung im Berufe in Bern diszipliniert worden. Der Grundsatz ne bis in idem gelte zwar in Disziplinarverfahren nicht unbesehen. Doch sei ein zusätzlicher ![]() | 2 |
a) Disziplinarische Sanktionen gegenüber Anwälten unterstehen dem Verhältnismässigkeitsprinzip (BGE 100 Ia 357 ff.). Das dem Strafprozessrecht angehörende Prinzip ne bis in idem hat damit indessen nichts zu tun, sondern besagt, dass ein Beschuldigter für die gleiche Tat nicht mehrmals bestraft werden soll. Dieser Grundsatz gilt freilich in den auf Art. 33 BV ausgerichteten kantonalen Disziplinarverfahren nicht ohne weiteres. Er schränkt die Kantone in der Ausübung ihrer Disziplinarhoheit über Rechtsanwälte und andere patentpflichtige Angehörige der freien Berufe nicht allgemein ein (vgl. E. MARTIN-ACHARD, ZSR 70/1951 S. 247a; W. DUBACH, a.a.O. S. 103a ff.). War das Verhalten des Betreffenden in einem Kanton geeignet, das für die Zulassung zum Anwaltsberuf erforderliche Vertrauen zu erschüttern, so braucht er in der Tat in keinem andern Kanton zur Anwaltspraxis zugelassen zu werden.
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b) Disziplinarverstösse können aber nach Art und Schwere sehr verschieden sein. Dementsprechend sehen die meisten kantonalen Disziplinarrechte eine Skala möglicher Sanktionen vor. Der Kanton Wallis erlaubt in seinem vom Staatsrat erlassenen "Reglement betreffend die Aufsichtskammer über die Walliser Advokaten" vom 3. September 1962 wahlweise folgende Sanktionen:
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- Verweis (Art. 7 Abs. 2 lit. a).
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- Busse von Fr. 20.-- bis Fr. 500.-- (Art. 7 Abs. 2 lit. b).
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- Einstellung im Beruf von sechs Monaten bis zwei Jahren (Art. 8 Abs. 1).
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- Entzug des Patentes (Art. 8 Abs. 1). Verweis und Busse sind für leichtere oder solche Fälle bestimmt, die an sich die Vertrauenswürdigkeit des Anwalts nicht beeinträchtigen können. Sie haben Strafcharakter, denn mit ihnen soll der Disziplinverstoss gesühnt und der Fehlbare spezialpräventiv von der Wiederholung ähnlicher Handlungen abgehalten Werden. Die befristete Einstellung im Beruf hingegen ![]() | 8 |
c) Aus dieser unterschiedlichen Natur der Sanktionen ergibt sich, dass Verweigerung oder Entzug der Berufsausübungsbewilligung, sofern sie sachlich am Platze sind, ohne weiteres in mehreren Kantonen verhängt werden können (BGE 53 I 29; W. DUBACH, a.a.O. S. 104a). Anderseits fallen Verweis und Busse oder ähnliche Sanktionen mit überwiegendem Strafcharakter unter den Grundsatz ne bis in idem. Es wäre in der Tat stossend und mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn ein fehlbarer Anwalt für den gleichen Verstoss kumulativ in all jenen Kantonen gebüsst werden könnte, in denen er eine Zulassungsbewilligung zum Anwaltsberuf besitzt und folglich der betreffenden Disziplinarbehörde untersteht. Das effektive Strafmass hinge dann davon ab, in wie vielen Kantonen er eine Berufsausübungsbewilligung hat und wie diese Kantone das hier massgebende Opportunitätsprinzip handhaben; dabei nimmt jede einzelne Strafe - unabhängig von den andern - für sich in Anspruch, den Verstoss angemessen, d.h. auch in entsprechender Schwere zu sühnen. Vom Zweck der Disziplinarbusse her ist eine Häufung ebenfalls nicht erforderlich. Es genügt durchaus die Büssung in einem Kanton - zumeist jenem, in dem der Verstoss begangen wurde.
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d) Die Regel des in maiore minus, von der die Walliser Aufsichtskammer sich leiten liess, spielt hier nicht. Nicht die sachliche Kompetenz zu Disziplinarsanktionen steht vorliegend in Frage, sondern die örtliche Zuständigkeit und deren unterschiedliche Beurteilung je nach dem Zwecke der in Frage stehenden Sanktion. Die Busse ist hier kein minus, sondern ![]() | 10 |
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Für die Aussprechung einer reinen Disziplinarstrafe im Kanton Wallis war somit kein Raum mehr. Die Walliser Aufsichtskammer konnte nach Ablehnung eines Bewilligungsentzuges von den in Bern ausgefällten Sanktionen formell Akt nehmen und ihrem eigenen Verfahren keine weitere Folge geben. Wenn sie zusätzlich zu den bernischen Sanktionen noch eine Busse verhängte, verstiess sie gegen den bundesrechtlich anerkannten Grundsatz ne bis in idem. Der angefochtene Entscheid lässt sich daher vor Art. 4 BV nicht halten und muss aufgehoben werden.
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