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34. Urteil vom 23. Juni 1976 i.S. Adams gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und Strafgerichtspräsident des Kantons Basel-Stadt. | |
Regeste |
Art. 4 BV; Öffentlichkeit der Hauptverhandlung im Strafverfahren. | |
Sachverhalt | |
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Die Hauptverhandlung vor dem Strafgericht Basel-Stadt wurde auf den 28. Juni 1976 angesetzt. Mit Schreiben der Strafgerichtskanzlei vom 22. April 1976 wurde Adams folgende Verfügung des Strafgerichtspräsidenten mitgeteilt:
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"2. ...
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3. Die Verhandlung wird geschlossen durchgeführt werden.
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4. ..."
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Die Verfügung enthält keine Begründung.
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In der staatsrechtlichen Beschwerde von Stanley George Adams wird gerügt, Ziff. 3 der Verfügung des Strafgerichtspräsidenten verletze Art. 4 BV. Dem Beschwerdeführer sind die Vernehmlassungen der Staatsanwaltschaft und des Strafgerichtspräsidenten gemäss Art. 93 Abs. 2 OG zur Ergänzung der Beschwerde mitgeteilt worden. In der Beschwerdeergänzung wird zusätzlich geltend gemacht, die angefochtene Verfügung verletze Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
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Zur Rüge, die angefochtene Verfügung verletze Art. 58 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, haben nicht erst die Erwägungen der kantonalen Behörde Anlass gegeben. Da sie ohne weiteres schon in der Beschwerdeschrift selber hätte erhoben werden können, ist sie in der Beschwerdeergänzung nicht mehr zulässig.
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a) § 153 Abs. 1 StPO bestimmt, dass der Strafgerichtspräsident nach Eingang einer Anklage so rasch als möglich alle für die Durchführung der Hauptverhandlung erforderlichen Anordnungen trifft. Insbesondere stellt er gemäss § 153 Abs. 2 StPO das Verzeichnis der einzuladenden Zeugen und Sachverständigen auf und bestimmt, welche Aktenstücke aus dem Ermittlungsverfahren in der Hauptverhandlung verlesen werden. Diese Beweisliste ist den Parteien mitzuteilen. Gegen Anordnungen zur Vorbereitung der Hauptverhandlung - zu denen nach Auffassung des Präsidenten des Strafgerichts Basel-Stadt ![]() | 11 |
Die angefochtene Verfügung bezieht sich auf die gesamte Hauptverhandlung. Soweit sie mehr als nur die Verhandlung über die Vorfrage betrifft, muss sie zwingend von einem Entscheid der Kammer bestätigt werden. Insoweit liegt daher kein letztinstanzlicher Entscheid vor (vgl. BGE 94 I 371 E. 4; BGE 100 Ia 426 f.).
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b) Die angefochtene Verfügung ist kein End- sondern ein blosser Zwischenentscheid. Soweit sie den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Verhandlung über die Vorfrage betrifft, hat sie für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge.
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3. Ob sich aus § 153 Abs. 1 StPO die Befugnis des Strafgerichtspräsidenten ergibt, im Sinne einer vorbereitenden Anordnung und unter Vorbehalt des späteren Entscheides der Kammer die geschlossene Durchführung der ganzen Hauptverhandlung anzuordnen, braucht nicht beurteilt zu werden, ![]() | 14 |
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"Die Verhandlungen der Parteien vor Gericht geschehen öffentlich, mündlich und in deutscher Sprache.
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Mit Ausschluss der Öffentlichkeit werden verhandelt die Scheidungs-, Ehenichtigkeits-, Verlöbnisbruch- und Vaterschaftsprozesse, ferner die Geschäfte der Überweisungsbehörde; in andern Prozessen kann die Kammer den Ausschluss der Öffentlichkeit im Interesse der Sittlichkeit oder aus andern wichtigen Gründen beschliessen."
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"Die Hauptverhandlung ist öffentlich. Das Gericht schliesst jedoch von sich aus oder auf Antrag der Parteien die Öffentlichkeit für die ganze Verhandlung oder für einzelne Teile aus oder beschränkt sie, wenn zu befürchten ist, dass bei öffentlicher Verhandlung die Sicherheit des Staates oder die Sittlichkeit gefährdet oder die Kenntnis verbrecherischer Praktiken verbreitet werden könnte."
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Durch die neue Strafprozessordnung vom 15. Oktober 1931 wurde in § 46 Abs. 3 GOG (damals § 41 Abs. 3) der Zusatz "ferner die Geschäfte der Überweisungsbehörde" eingefügt. Im übrigen blieb die Bestimmung unverändert. Insbesondere wurde sie durch die neue Strafprozessordnung nicht formell aufgehoben. § 46 Abs. 3 GOG wurde durch die Revision der Strafprozessordnung aber auch nicht materiell ausser Kraft gesetzt. Dies hat seinen Grund darin, dass die Bestimmung nicht nur für den Strafprozess, sondern auch für die Verhandlungen vor den Zivilgerichten von Bedeutung ist. Für jenes Verfahren ist § 46 Abs. 3 GOG die allein massgebende Norm, weil die baslerische Zivilprozessordnung vom 8. Februar 1875 noch vor dem GOG erlassen wurde und über die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen keine eigene Bestimmung enthält. Es fragt sich jedoch, ob § 46 Abs. 3 Satz 2 GOG auf die Hauptverhandlung im Strafverfahren Anwendung finden kann, oder ob sich allein aufgrund von § 167 StPO beurteilt, wann in diesem Fall die Öffentlichkeit auszuschliessen ist. Für die zweite Annahme spricht, dass § 167 StPO die spätere und speziellere Bestimmung ist. Wollte man für die Hauptverhandlung im Strafprozess auch auf § 46 Abs. 3 GOG abstellen, so würde § 167 StPO wegen der in jener Norm enthaltenen Generalklausel praktisch leerlaufen. Dies scheint kaum der Sinn der neueren Bestimmung zu sein, die im Vergleich zur entsprechenden Vorschrift der alten Strafprozessordnung wesentlich geändert und präzisiert wurde. § 77 Abs. 1 der Strafprozessordnung vom 5. Mai 1862 sah vor: "Die Hauptverhandlung vor Gericht ist mündlich und öffentlich; das Gericht soll jedoch die Öffentlichkeit ausschliessen oder beschränken, wenn die Verhandlungen Ärgernis erregender Art sind oder wenn Ruhestörungen zu besorgen sind." Ob die Annahme, § 46 Abs. 3 Satz 2 GOG finde auf die Hauptverhandlung im Strafprozess subsidiär Anwendung, mit sachlichen Gründen ![]() | 22 |
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann die rechtsanwendende Behörde ohne Verletzung von Art. 4 BV vom klaren Gesetzeswortlaut nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Grund und Zweck der Vorschrift oder aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (BGE 99 Ia 575 E. 3 mit Hinweisen).
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Der Strafgerichtspräsident hat darauf abgestellt, dass die Firma Roche den "Management Informations", die in der Hauptverhandlung verlesen und darauf hin beurteilt werden müssen, ob sie Geschäftsgeheimnisse im Sinne der Art. 162 und 273 StGB sind, vertraulichen Charakter zugemessen hat und dass die entsprechenden Dokumente Angaben über Preise, die allgemeine Geschäftspolitik, Kundenprofile und Informationen über Konkurrenzfirmen zum Inhalt haben, die nicht nur den EG-Raum betreffen. Die Management-Information vom 29. März 1972 beispielsweise wird mit dem Satz eingeleitet, dass in diesem Dokument "vertraulich" auf einen kürzlich abgeschlossenen Vertrag eingegangen werde. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass davon nur einem absoluten Minimum von Personen Kenntnis gegeben werden solle. Das Dokument enthält abschliessend eine Liste der direkten Empfänger, welche die Entgegennahme des Dokuments mit ihrer Unterschrift zu bestätigen hatten. Es ist nicht erwiesen, dass sämtliche Unterlagen, die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse der Firma Roche enthalten und die einen Hauptgegenstand der Verhandlung vor dem Strafgericht Basel-Stadt bilden, bereits allgemein bekannt und daher im jetzigen Zeitpunkt keine Geheimnisse mehr sind. Es kann aus diesem Grunde nicht gesagt werden, dass sich die Annahme, die Hauptverhandlung müsse hinter geschlossenen Türen durchgeführt werden, nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lasse.
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Der Aushändigung von internen Dokumenten der Firma Roche an Amtsstellen der EG und dem Verfahren, das in der Folge von den Gemeinschaften gegen diese Firma durchgeführt wurde, ist in der schweizerischen und ausländischen Öffentlichkeit sehr grosse Aufmerksamkeit zuteil geworden. Auch das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer hat erhebliche und zum Teil kritische Beachtung gefunden. Es ist aus diesem Grunde ohne Zweifel ein erhebliches Interesse der ![]() | 28 |
Die Dokumente, die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse der Firma Roche enthalten, müssen schon in der Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit zur Sprache kommen. Soweit die angefochtene Verfügung dieses Verfahrensstadium betrifft, kann sie aus den dargelegten Gründen nicht als willkürlich bezeichnet werden. Ob es gerechtfertigt ist, die weitere Hauptverhandlung in vollem Umfang hinter geschlossenen Türen durchzuführen, oder ob der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit lediglich einen teilweisen Ausschluss der Öffentlichkeit zulässt, hat das Bundesgericht auf die jetzige Beschwerde hin nicht zu beurteilen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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