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75. Urteil vom 22. Dezember 1976 i.S. Martha Kury-Kilchherr und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde Reinach sowie Enteignungsgericht und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | |
Regeste |
Enteignungsverträge; Art. 2 ÜbBest. BV | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
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Erwägungen: | |
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§ 44 EntG bestimmt unter dem Randtitel "Verträge" folgendes:
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"1 Erklärungen, in welchen die Pflicht zur Duldung der Enteignung freiwillig und vorbehaltlos anerkannt wird, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.
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2 Streitigkeiten, welche aus solchen Erklärungen entstehen, entscheidet das Enteignungsgericht endgültig."
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Vorschriften, welche die Möglichkeit einer vertraglichen Verständigung vorsehen, finden sich auch im Gesetzesabschnitt über das Schätzungsverfahren. Der Präsident des Enteignungsgerichtes führt ein Vorverfahren durch mit dem Ziel, über die Enteignungsentschädigung eine "gütliche Verständigung" herbeizuführen oder die Grundlage für die nachfolgende Hauptverhandlung zu schaffen (§ 50). Können sich die Parteien in diesem Vorverfahren über die Entschädigungsansprüche einigen, so kommt dem Protokoll, vorbehältlich von § 68 Abs. 2, die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheides zu (§ 60). § 68 Abs. 2 bestimmt, dass die "während des bisherigen Verfahrens" zustandegekommenen Vereinbarungen durch das Enteignungsgericht zu genehmigen sind, welches bei offensichtlicher Benachteiligung des Enteigneten die Entschädigung abweichend von der Vereinbarung festsetzen kann. Nach § 79 bedarf eine "nach Einleitung des Enteignungsverfahrens, aber ausserhalb des Verfahrens" zustandegekommene Verständigung über die Entschädigung zu ihrer Verbindlichkeit der schriftlichen Form und unterliegt ebenfalls der Genehmigung durch das Enteignungsgericht.
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3. a) Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren, das nach § 38 EntG zur Geltendmachung des Enteignungsrechtes für Werke von Einwohnergemeinden erforderlich ist, nicht durchgeführt. Die Gemeinde Reinach besitzt im Sinne von §§ 112 ff. des kantonalen Gemeindegesetzes vom 28. Mai 1970 eine ausserordentliche Gemeindeorganisation, nach der die ![]() | 9 |
Das formelle Enteignungsverfahren gegen die Beschwerdeführer wurde vom Gemeinderat eingeleitet, ohne dass, wie in § 38 EntG verlangt, das gesetzlich zuständige kommunale Organ (die Gemeindeversammlung bzw. seit Inkrafttreten der neuen Gemeindeordnung der Einwohnerrat) das Enteignungsrecht geltend gemacht und der Regierungsrat die zur Gültigkeit eines solchen Beschlusses erforderliche Genehmigung erteilt hätte. Es bestand dementsprechend auch keine Möglichkeit zur Ergreifung des in § 38 Abs. 3 EntG vorgesehenen Rechtsmittels.
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b) Das Enteignungsgericht nahm an, dass der von einem Enteignungsbegehren betroffene Grundeigentümer durch Abgabe einer Duldungserklärung gemäss § 44 EntG sowohl auf die Planauflage als auch auf sein Einspracherecht verzichten könne. Die in § 44 vorgesehene Verständigungsmöglichkeit bezwecke eine Vereinfachung des Enteignungsprozesses und habe nur einen Sinn, wenn dadurch ein Grossteil des langwierigen Enteignungsbewilligungsverfahrens, nämlich die Planauflage und die Einsprachebehandlung, entfalle. Das Enteignungsgericht mass aber im folgenden der Duldungserklärung gemäss § 44 nicht nur diese beschränkte Bedeutung bei, sondern es ging ohne weitere Begründung davon aus, dass durch eine derartige Erklärung auch das besondere Verfahren zur Ausübung oder Geltendmachung des Enteignungsrechtes (§§ 36-38 EntG) ersetzt werde und diese Erklärung schon für sich allein die Abtretungspflicht des Eigentümers zu begründen vermöge. Ob der Gemeinderat Reinach ohne Zustimmung weiterer Organe ein Enteignungsverfahren einleiten konnte, prüfte das Enteignungsgericht lediglich unter dem Gesichtswinkel der Krediterteilung; es nahm an, der zum Erwerb der Liegenschaft erforderliche Kreditbeschluss der Gemeindeversammlung könne auch erst nach Einleitung des Enteignungsverfahrens gefasst werden.
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c) Der zwangsweise Entzug einer Liegenschaft stellt einen besonders schweren Eingriff in das Eigentum dar. Das Bundesgericht prüft daher im Rahmen der vorliegenden, auf ![]() | 12 |
d) In welchem Sinne der Gesetzgeber durch § 44 EntG die Möglichkeit einer freiwilligen Regelung der Abtretungspflicht eröffnen wollte, ist aufgrund des Wortlautes dieser Bestimmung nicht ganz klar. § 44 EntG bezieht sich aber offensichtlich auf das in den vorangehenden Vorschriften (§§ 39-43) behandelte Plangenehmigungsverfahren, und es liegt schon aus diesem Grunde nahe, die Bestimmung dahin auszulegen, dass der Eigentümer "die Pflicht zur Duldung der Enteignung" in dem Sinne durch schriftliche Erklärung "anerkennen" kann, dass er auf das ihm im (normalen oder abgekürzten) Plangenehmigungsverfahren zustehende Einspracherecht verzichtet. Die Auffassung des Enteignungsgerichtes, der Eigentümer könne aufgrund von § 44 darüber hinaus auch auf das der Plangenehmigung vorangehende Verfahren zur Feststellung des Enteignungsfalles verzichten und auch ohne Vorliegen eines gültigen Enteignungsbeschlusses gegenüber jedem potentiellen Enteigner durch einfache schriftliche Erklärung die unwiderrufliche Verpflichtung zur Eigentumsabtretung eingehen, dürfte schwerlich dem Sinne des Gesetzes entsprechen. Es ist immerhin darauf hinzuweisen, dass nach § 68 Abs. 2 und § 79 EntG jede Vereinbarung über die Höhe der Entschädigung, die der Enteignete mit dem Enteigner nach Einleitung des Expropriationsverfahrens innerhalb oder ausserhalb desselben trifft, zu ihrer Verbindlichkeit der Genehmigung durch das Enteignungsgericht bedarf; eine derartige obligatorische behördliche Kontrolle ist in den meisten anderen Enteignungsgesetzen nicht vorgesehen. Es ist nicht anzunehmen, dass der basellandschaftliche Gesetzgeber, in völligem Gegensatz zu der für die Entschädigungsbemessung geltenden Regelung, bezüglich der Abtretungspflicht als solcher eine derart weitgehende Gestaltungsfreiheit der Parteien begründen wollte, wie das Enteignungsgericht annimmt.
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e) Der Gemeinderat Reinach weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, dass sich das Grundstück der Beschwerdeführer in der Zone für öffentliche Werke und Anlagen befinde. Gemäss § 24 des kantonalen Baugesetzes vom 15. Juni 1967 ![]() | 14 |
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a) Nach Art. 657 Abs. 1 ZGB und Art. 216 Abs. 1 OR bedürfen Verträge auf Übertragung von Grundeigentum zu ihrer Verbindlichkeit der öffentlichen Beurkundung. Diese zivilrechtliche Formvorschrift ist nicht anwendbar auf sogenannte Expropriationsverträge, die öffentlichrechtlicher Natur sind und den besonderen Normen des eidgenössischen oder kantonalen Enteignungsrechtes unterstehen. Für derartige im Rahmen eines Expropriationsverfahrens getroffene Vereinbarungen wird regelmässig nur die einfache Schriftform verlangt (IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 77/1958 II S. 142a, MEIER-HAYOZ N. 81 zu Art. 657 ZGB und N. 32f zu Art. 666 ZGB; ULRICH THALMANN, Der Vertrag im Enteignungsverfahren, Diss. Zürich 1970, S. 108; ROBERT HAUSER, Das Expropriationsverfahren nach zürcherischem und eidgenössischem Recht, Diss. Zürich 1946, S. 86; Art. 54 des eidg. Enteignungsgesetzes).
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b) Ob und in welcher Form derartige Vereinbarungen zwischen dem Grundeigentümer und dem Exproprianten zulässig sind, beantwortet sich zunächst nach den Vorschriften des betreffenden Enteignungsgesetzes. Es besteht aber allgemein Übereinstimmung darüber, dass für einen schon in einfacher Schriftform gültigen öffentlichrechtlichen Vertrag erst Raum besteht, nachdem das Enteignungsverfahren formgerecht eingeleitet worden ist, und dass Vereinbarungen über die Abtretung von Grundstücken, die vor der Verfahrenseinleitung zustandekommen, den Normen des Privatrechtes und damit auch den privatrechtlichen Formvorschriften unterworfen sind (IMBODEN, a.a.O. S. 139, 142 f.; MEIER-HAYOZ, a.a.O.; THALMANN, a.a.O. S. 105, 116; HAAB, N. 50 zu Art. 656 ZGB; HESS, N. 3 zu Art. 54 des eidg. EntG, S. 139; BGE 99 Ib 273, BGE 77 II 78).
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c) Diese Abgrenzung lässt sich, was die unterschiedliche Form der Verträge anbelangt, auch sachlich begründen. Mit dem für privatrechtliche Grundstücksveräusserungsverträge aufgestellten Formerfordernis der öffentlichen Beurkundung wollte der Bundesgesetzgeber die Parteien vor unbedachten Vertragsabschlüssen schützen und ausserdem im Interesse der Rechtssicherheit die Präzision und Klarheit solcher Verträge sicherstellen (MEIER-HAYOZ, N. 2-4 zu Art. 657 ZGB). Unter beiden Gesichtspunkten unterscheiden sich die Verhältnisse beim Abschluss eines Expropriationsvertrages von jenen des privaten Rechtsverkehrs. Die Präzision und Klarheit des Vertrages ist durch die Mitwirkung des Enteigners, der in der ![]() | 19 |
d) Für den Abschluss eines öffentlichrechtlichen, nicht den Regeln des Bundesprivatrechtes unterstehenden Enteignungsvertrag kann jedoch erst Raum bestehen, nachdem das Enteignungsrecht für das in Frage stehende konkrete Projekt durch die gesetzlich zuständige Behörde zumindest provisorisch, d.h. unter Vorbehalt weiterer Prüfung in einem noch stattfindenden Einsprache- und Plangenehmigungsverfahren, erteilt oder geltend gemacht und der Umfang der geplanten Expropriation in einem Enteignungsplan festgelegt ist (IMBODEN, a.a.O. S. 142a f.; THALMANN, S. 105; BBl 1926 II S. 62). Diese erste Phase, durch die jedes formelle Enteignungsverfahren, wie unterschiedlich seine Ausgestaltung auch sein mag, regelmässig eingeleitet wird, kann nicht bereits ihrerseits durch eine blosse schriftliche Zustimmungserklärung des Grundeigentümers ersetzt werden. Eine derartige Vereinbarung fiele nicht mehr unter den Begriff des Enteignungsvertrages, wie er in Doktrin und Judikatur verstanden wird. Die besondere enteignungsrechtliche Grundlage, die den zwischen einem Grundeigentümer und einem enteignungsberechtigten Subjekt getroffenen Vereinbarungen öffentlichrechtlichen Charakter verleiht und sie dem Anwendungsbereich des Privatrechtes entzieht, ![]() | 20 |
Die gegenteilige Auffassung hätte unhaltbare Konsequenzen: Wenn die blosse schriftliche Anerkennung der Abtretungspflicht die formgerechte Eröffnung des Enteignungsverfahrens zu ersetzen vermöchte, so könnte das Gemeinwesen, da auch die Enteignungsentschädigung durch schriftlichen Vertrag geregelt werden kann, im Hinblick auf sein abstraktes Expropriationsrecht stets durch einfache schriftliche Vereinbarung Grundeigentum erwerben. Der Bundesrat hat jedoch einer kantonalen Vorschrift, nach der Kaufverträge über Grundstücke schon aufgrund der blossen Möglichkeit der Geltendmachung des Enteignungsrechtes (d.h. auch ohne Einleitung eines Enteignungsverfahrens) in einfacher Schriftform zulässig gewesen wären, mit Recht die Genehmigung verweigert (vgl. GALLUSSER, Das Enteignungsrecht des Kantons St. Gallen, Diss. Bern 1952, S. 121, und IMBODEN, a.a.O. S. 143a).
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Entsprechendes muss gelten für eine Vereinbarung der hier fraglichen Art, durch die zwar nicht die Entschädigungshöhe, aber doch die Abtretungspflicht als solche ohne formgerechte Verfahrenseröffnung rein vertraglich festgestellt wird und mit der sich der Eigentümer einem nachfolgenden Schätzungsverfahren bedingungslos unterzieht. Falls ein solches Vorgehen aufgrund von § 44 des basellandschaftlichen Enteignungsgesetzes zulässig sein sollte, könnte es sich nur um einen Vertrag des Privatrechtes handeln. Ob ein solcher Vertrag ohne gleichzeitige Festlegung der Abtretungsentschädigung bzw. des Kaufpreises überhaupt statthaft wäre, bleibe dahingestellt (vgl. Art. 184 Abs. 3 OR und GUHL/MERZ/KUMMER, OR 6. A. S. 295). Auf jeden Fall bedürfte eine derartige Vereinbarung ![]() | 22 |
e) Dass die Beschwerdeführer seinerzeit selber die Gemeinde um Übernahme des Grundstückes ersucht und sich gestützt auf die streitige Zustimmungserklärung ihres früheren Rechtsvertreters auf das Schätzungsverfahren zunächst eingelassen haben, vermag den grundlegenden Mangel, der der angefochtenen Expropriation anhaftet, nicht zu heilen. Ziff. 1 des Entscheides des Enteignungsgerichtes, der die schriftliche Zustimmungserklärung der Beschwerdeführer trotz fehlender formgerechter Verfahrenseinleitung als gültig bezeichnet, erweist sich als verfassungswidrig, was nach den Ausführungen unter Erw. 1 die vollumfängliche Aufhebung beider angefochtenen Entscheide nach sich zieht.
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