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19. Auszug aus dem Urteil vom 2. März 1977 i.S. X. gegen Y. und Justizdirektion des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 4 BV; Gebühr für öffentliche Beurkundung. | |
Sachverhalt | |
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Gegen diesen Entscheid erhebt X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Er stellt nicht in Abrede, dass die Gebühren für die Beurkundung des Kaufgeschäftes gemäss dem Dekret über die Notariatsgebühren vom 6. November 1973 korrekt errechnet worden seien, hält jedoch dafür, diese Gebühren stünden im Widerspruch zu Art. 4 BV.
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Demgegenüber betont der Beschwerdeführer, es sei zwischen der Tätigkeit des Notars als Urkundsperson und derjenigen als Rechtsberater zu unterscheiden. In einem Falle wie dem seinigen, in dem keine Rechtsberatung erforderlich gewesen sei, müsse die Gebühr zum Zeitaufwand in Beziehung gesetzt werden. Rechne man mit insgesamt zehn Arbeitsstunden, ![]() | 5 |
Die Parteien gehen somit von grundsätzlich verschiedenen Ausgangspunkten aus, um die Angemessenheit der Notariatsgebühr zu bestimmen. Es ist im folgenden zunächst zu prüfen, welche Betrachtungsweise der Lehre und Rechtsprechung zu dieser gesetzlich nicht geregelten Frage besser entspricht.
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Dass im Kanton Bern die Beurkundungstätigkeit freiberuflich, nicht durch ein Beamtennotariat ausgeübt wird (Art. 1 Abs. 1 NotG), steht dieser Annahme nicht entgegen. Wer auf eine amtliche Tätigkeit einer Privatperson angewiesen ist, und diese Person dafür entschädigen muss, verdient grundsätzlich den gleichen Schutz wie derjenige, der andere öffentliche ![]() | 8 |
b) Bei der Bemessung einer Verwaltungsgebühr sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 99 III 78 E. 5b; BGE 97 I 204 E. 6, 334 E. 5; BGE 84 I 165 ff. E. 3 und 4; BGE 83 I 89 f. E. 6; vgl. GRISEL, Droit administratif Suisse, S. 120, IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Nr. 110, S. 777 ff.; ZAUGG, Steuer, Gebühr und Vorzugslast, ZBl 74 1973 S. 220) folgende Grundsätze zu beachten:
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Das bezugsberechtigte Gemeinwesen bzw. die bezugsberechtigte Amtsperson hat sich nach dem sogenannten Kostendeckungsprinzip zu richten, wenn die Abgabe ihren Gebührencharakter beibehalten und nicht zur Steuer werden soll. Nach diesem Grundsatz soll der Gesamtertrag der Gebühren die Gesamtkosten des betreffenden Verwaltungszweiges in der Regel nicht übersteigen. Bei der Gebührenbemessung können somit auch die allgemeinen Unkosten des betreffenden Verwaltungszweiges mitberücksichtigt werden. Dem Gemeinwesen ist es insbesondere nicht verwehrt, mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte den Ausfall aus Verrichtungen auszugleichen, für die wegen des mangelnden Interesses keine kostendeckende Entschädigung verlangt werden kann. Ferner ist es durchaus angängig, einerseits die Leistungsfähigkeit der staatlichen Einrichtung und die mit der amtlichen Handlung verbundene Verantwortung, anderseits die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ![]() | 10 |
c) Es trifft zu, dass die Anwendung der dargelegten Verfassungsgrundsätze über die quantitative Festlegung einer Gebühr auf praktische Schwierigkeiten stösst, wenn - wie im Kanton Bern - das Notariat freiberuflich organisiert ist.
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Zunächst einmal lassen sich die gesamten Kosten der öffentlichen Beurkundung höchstens annähernd berechnen, weil eine genaue Erhebung eine Überprüfung der privaten Einkommensverhältnisse aller im Kanton tätigen freipraktizierenden Notare voraussetzen würde. Hinzu kommt, dass die Tätigkeit des Notars häufig öffentliche Beurkundung und private Rechtsberatung miteinander verbindet, sodass das Gesamteinkommen in die entsprechenden Bestandteile aufgegliedert werden müsste, da nur der Verdienst aus der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unter dem Gesichtspunkt des Kostendeckungsprinzips in Betracht fällt. Für eine solche Berechnung müsste das Bundesgericht Erhebungen über Tatsachen anstellen, die auch der kantonalen Behörde nicht von Amtes wegen bekannt sind, was im Rahmen einer Willkürbeschwerde nicht angeht (BGE 101 Ia 28 E. 1).
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Von den Kosten der einzelnen Verrichtung wiederum kann nur sehr bedingt auf das Einkommen des einzelnen Notars geschlossen werden. Man müsste hierzu die Zahl und die Bedeutung der in einer bestimmten Zeit erledigten Geschäfte der einzelnen Amtsinhaber kennen, die naturgemäss im Verhältnis zwischen städtischen und ländlichen Regionen und je ![]() | 13 |
Was die Höhe des Einkommens betrifft, so müsste bei dessen Überprüfung die für das Amt vorausgesetzte berufliche Ausbildung berücksichtigt werden, da sie Leistungsfähigkeit und Arbeitsqualität beeinflusst (unten E. 6b). Es wäre auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der freiberufliche Notar für Erwerbsausfälle bei Krankheit, Unfall, Ferien, Militärdienst usw. selber aufzukommen hat, ebenso für die berufliche Altersvorsorge.
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Unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzprinzips fällt ins Gewicht, dass die Höhe der Gebühr für eine bestimmte notarielle Verrichtung nicht notwendigerweise ihrem objektiven Wert entsprechen muss; mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte darf der Ausfall aus Verrichtungen ausgeglichen werden, für die wegen des mangelnden Interesses keine kostendeckende Entschädigung verlangt werden kann (BGE 97 I 204 E. 6). Es müssten daher alle Gebühren für notarielle Verrichtungen im Verhältnis zueinander betrachtet und überprüft werden. Dies würde seinerseits wieder eine Übersicht über die Gesamtkosten und ihre Zusammensetzung bedingen. - Abgesehen davon würde eine solche umfassende Prüfung des ganzen Tarifs den Rahmen der konkreten Normenkontrolle bei weitem sprengen, in der lediglich eine einzige im konkreten Fall erhobene Gebühr für eine bestimmte Verrichtung als verfassungswidrig angefochten wird.
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Nach dem Gesagten ergibt sich, dass sich die verfassungsrechtliche Überprüfung kantonaler Notariatsgebühren bei freiberuflicher Organisation aus praktischen Gründen auf die folgenden Gesichtspunkte beschränken muss: Die im konkreten Fall erhobene Gebühr muss in einem vernünftigen Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen (BGE 97 I 205). Ein offensichtliches Missverhältnis müsste als übermässige Erschwerung der Benützung des privatrechtlichen Institutes der öffentlichen Beurkundung betrachtet werden (BGE 83 I 89 f. E. 6), was gegen Sinn und Geist des Bundeszivilrechts verstossen würde (BGE 96 I 716 E. 3; HUBER, Berner Kommentar, Art. 6 ZGB, N. 213 f., DESCHENAUX, Schweiz. Privatrecht II, ![]() | 16 |
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a) Ein Vergleich der Gebührenansätze der verschiedenen Kantone für das gleiche Rechtsgeschäft führt zu den folgenden Ergebnissen: Die Beurkundung des Verkaufs eines Grundstücks zum Preis von Fr. 430'000.--, wie sie hier in Frage steht, kostet beispielsweise:
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- im Kanton Bern Fr. 2'680.--,
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- im Kanton Tessin Fr. 2'183.--,
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- im Kanton Glarus Fr. 2'150.--,
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- im Kanton Genf Fr. 2'112.50,
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- im Kanton Wallis Fr. 1'925.--,
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- im Kanton Waadt Fr. 1'920.--,
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- im Kanton Neuenburg Fr. 1'840.--,
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- im Kanton Freiburg Fr. 1'635.--,
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- im Kanton Aargau Fr. 1'300.--,
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- im Kanton Basel-Stadt Fr. 1'075.--,
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- im Kanton Solothurn Fr. 500.--,
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und in den Kantonen Schaffhausen,
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Thurgau und Zürich Fr. 430.--, (vgl. die Zusammenstellung der am 1. Januar 1975 geltenden Beurkundungsgebühren bei CARLEN, a.a.O., S. 163 ff.). Die drei letztgenannten Kantone kennen nur das Amtsnotariat, während in den westschweizerischen Kantonen, im Kt. Aargau, im Kt. Basel-Stadt und im Kt. Tessin nur das freie Berufsnotariat existiert. In anderen Kantonen ist die Beurkundungsbefugnis in mehr oder weniger weitem Umfange den Anwälten übertragen.
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Es trifft zu, dass der Kanton Bern mit einer Gebühr von Fr. 2'680.-- für die in Frage stehende Verrichtung an der Spitze auch jener Kantone steht, die ihr Notariat freiberuflich organisiert haben. Die Berner Gebühr liegt um rund 20% über der nächsttieferen des Kantons Tessin. Aber der Unterschied ist nicht derart krass, dass unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots schon allein aufgrund dieses Vergleichs von einem offensichtlichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung gesprochen werden könnte; vielmehr liegt er ![]() | 32 |
b) Die Justizdirektion beruft sich zur Rechtfertigung der Höhe der in Frage stehenden Gebühr u.a. auf die besonders qualifizierte Ausbildung der bernischen Notare, die derjenigen der bernischen Fürsprecher durchaus gleichwertig sei. Die Gleichstellung der beiden Berufe komme auch darin zum Ausdruck, dass die Mitgliedschaft im bernischen Obergericht bzw. das Amt eines Gerichtspräsidenten den Besitz eines bernischen Fürsprecher- oder Notariatspatentes voraussetze (Art. 59 der bernischen Kantonsverfassung). Daraus sei zu schliessen, dass ein Notar im Durchschnitt ungefähr gleich gestellt sein sollte wie ein Anwalt.
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Da die Ausbildung die Leistungsfähigkeit des Amtsinhabers und die Qualität der einzelnen Dienstleistungen beeinflusst, ist sie für die Beurteilung des Verhältnisses von Leistung (notarielle Verrichtung) und Gegenleistung (Gebühr) durchaus von Bedeutung. Besonders qualifiziert ist der Notar, der die Verrichtung der öffentlichen Beurkundung mit einer kompetenten Rechtsberatung verbinden kann, was für den bernischen Notar wegen seiner umfassenden Ausbildung, die derjenigen des Fürsprechers weitgehend entspricht, zutrifft. Nun ist es freilich richtig, dass diese Rechtsberatung nur in einem Teil der Fälle öffentlicher Beurkundung notwendig ist. Es mag als unbefriedigend erscheinen, dass jemand, der den Notar nur zum Zwecke der öffentlichen Beurkundung aufsucht und keine Rechtsberatung begehrt, über einen auf die durchschnittlichen Kosten ausgerichteten Gebührentarif trotzdem indirekt einen gewissen Kostenanteil für die Möglichkeit der Rechtsberatung übernehmen muss. Allein gegen die dargelegten Verfassungsgrundsätze über die Bestimmung der Höhe einer Gebühr verstösst dies nicht; der Kanton darf die durchschnittlichen Gesamtkosten auf die einzelnen Verrichtungen verlegen, ohne dass in jedem einzelnen Fall der objektive Wert der Leistung der erhobenen Gebühr entsprechen müsste. Abgesehen davon wäre wohl eine Trennung der Tarife für die Beurkundung einerseits, die nur in einem Teil der Beurkundungsfälle erforderliche Rechtsberatung anderseits, kaum praktikabel, weil die Frage, ob eine Rechtsberatung notwendig ![]() | 34 |
Wenn sich nun die Justizdirektion zur Begründung der Gebührenhöhe auf den Einkommensstatus des Fürsprechers beruft, dessen Ausbildung derjenigen des Notars im wesentlichen entspricht, so kann ihr allerdings nur mit Vorbehalt gefolgt werden. Es ist zwar nach dem Gesagten richtig, dass die Qualität der Ausbildung die Gebührenhöhe beeinflusst. Die Gleichwertigkeit der Ausbildung rechtfertigt jedoch nicht ohne weiteres die einkommensmässige Gleichbehandlung von Fürsprecher und Notar, ebensowenig der Umstand, dass nach bernischem Recht beide Berufsgruppen in bezug auf den Zugang zu den richterlichen Funktionen die gleichen Möglichkeiten haben. Entscheidend für die Rechtfertigung einer gewissen Ungleichbehandlung der beiden Berufe bezüglich ihrer Einkünfte ist vielmehr, dass der Notar bei der Beurkundungstätigkeit eine öffentliche Aufgabe der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfüllt, während der Fürsprecher in der Regel - d.h. mit Ausnahme der Fälle amtlicher Vertretung - privatwirtschaftlich und grundsätzlich in den Formen des Privatrechts (Auftrag im Sinne von Art. 394 ff. OR) tätig ist, wenn auch im öffentlichen Interesse, unter Bindung an das die Privatautonomie beschränkende öffentliche Recht (bezüglich der Honoraransätze vgl. Urteil des Bundesgerichtes vom 15. März 1972 in ZR 71 1972 Nr. 102 S. 317 E. 2) und unter öffentlicher Aufsicht (vgl. DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 70 1951 S. 1a ff., 22a f.). Für die öffentliche Beurkundung muss der Private einen Notar beanspruchen, während er den Anwalt für die Vertretung im Prozess beiziehen kann, hierzu aber in der Regel nicht verpflichtet ist. Das Anwaltshonorar unterliegt demzufolge nicht den strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die für eine Verwaltungsgebühr gelten, auch wenn für seine Bemessung ähnliche Gesichtspunkte massgebend sind (vgl. BGE 101 II 113 E. 3b, 93 I 121 f. E. 4 und 5a).
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Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der bernische Notar aufgrund seiner gleichwertigen Ausbildung und des in vielem übereinstimmend ausgestalteten Rechtsstatus nicht ohne Einschränkung Anspruch auf ein annähernd gleiches Einkommen wie der bernische Fürsprecher haben kann. Richtig ist dagegen ![]() | 36 |
c) Der Beschwerdeführer beruft sich vor allem auf das Äquivalenzprinzip. Er stellt Berechnungen nach dem mutmasslichen Stundenaufwand des Notars und seines Hilfspersonals für das fragliche Beurkundungsgeschäft an und gelangt so zu einer ihm angemessen scheinenden Gebühr von rund Fr. 500.--. Auch wenn man davon ausgeht, diese - vom Beschwerdegegner und von der Justizdirektion nicht bestrittenen - Ausführungen über den Arbeitsaufwand träfen zu, so ist jedenfalls der daraus abgeleitete Schluss auf ein bestimmtes Einkommen und eine entsprechende Gebühr im vorliegenden Fall nicht haltbar. Es lässt sich nach dem Gesagten nicht von den Kosten einer bestimmten notariellen Verrichtung auf das Gesamteinkommen des betreffenden Notars und noch weniger auf das durchschnittliche Einkommen eines bernischen Notars bzw. die für die öffentliche Beurkundung im Kanton Bern aufgewendeten Gesamtkosten schliessen, weil diese Grössen von der Struktur des Gesamttarifs einerseits, von Zahl und Art der Geschäfte anderseits abhängig sind.
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Abgesehen davon beruhen die Berechnungen des Beschwerdeführers auf der zumindest fragwürdigen Annahme, reine Beurkundungsgeschäfte ohne Rechtsberatung (Routinegeschäfte, wie sie der Beschwerdeführer nennt) und solche, in denen eine Rechtsberatung angezeigt ist, liessen sich tarifmässig trennen (oben E. 6b).
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d) Alles in allem ergibt sich, dass das aufgrund von Art. 9 Abs. 1 des Dekretes über die Notariatsgebühren errechnete Honorar - auch im Verhältnis zu andern Kantonen mit der gleichen Organisationsform des Notariats - als ungewöhnlich hoch erscheint. Das Interesse des Ansprechers an der Amtshandlung in Abhängigkeit vom Vertragswert des Grundstücks, das bei der Bemessung der Notariatsgebühr an sich berücksichtigt werden darf, erhält im vorliegenden Fall ein Gewicht gegenüber anderen Bemessungsfaktoren (insbesondere dem Arbeitsaufwand), das unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzprinzips als nicht ganz unbedenklich erscheint.
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