![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
27. Auszug aus dem Urteil vom 13. Juli 1977 i.S. Ineichen und Konsorten gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Luzern | |
Regeste |
Art. 4 BV; rechtliches Gehör im Strafprozess. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
![]() | |
2 | |
b) Die Beschwerdeführer stützen sich zunächst auf kantonales Recht. Sie machen geltend, gemäss § 240 Abs. 1 in Verbindung mit § 168 StPO dürfe ein Appellationsurteil nur auf Grund einer öffentlichen Verhandlung gefällt werden. Dem halten das Obergericht und die Staatsanwaltschaft im wesentlichen entgegen, das Bundesgericht habe nicht Verfahrensmängel gerügt, sondern lediglich bestimmte Tatbestände als nicht erfüllt betrachtet. Demnach behalte die bereits durchgeführte Berufungsverhandlung ihre Gültigkeit; zu wiederholen sei nur die Urteilsberatung gewesen, die nach gesetzlicher Vorschrift (§ 181 Abs. 1 StPO) geheim sei.
| 3 |
Es trifft zu, dass nach den angeführten Bestimmungen der Strafprozessordnung des Kantons Luzern die Verhandlungen in Strafprozessen vor Obergericht ebenso wie vor der ersten Instanz öffentlich sind. Es ist aber unbestritten, dass vor Ausfällung des durch das Bundesgericht aufgehobenen Urteils eine öffentliche Hauptverhandlung durchgeführt wurde, so dass § 168 StPO nicht verletzt ist. Aus dieser Bestimmung ist, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer, nicht abzuleiten, dass ein Urteil nur unmittelbar im Anschluss an eine öffentliche Verhandlung gefällt werden darf. Das Gesetz enthält keine entsprechende Vorschrift, und es lässt insbesondere auch die Frage offen, ob nach der Aufhebung eines Strafurteils durch das Bundesgericht vor der Ausfällung eines neuen Urteils die Hauptverhandlung wiederholt werden muss. Eine Verletzung des luzernischen Strafprozessrechtes liegt deshalb nicht vor.
| 4 |
c) Weiter ist zu prüfen, ob den Beschwerdeführern kraft Bundesrechts ein Anspruch auf eine neue Verhandlung vor ![]() | 5 |
d) Schliesslich stellt sich die Frage, ob die unmittelbar aus Art. 4 BV abgeleiteten Verfahrensregeln verletzt worden sind. Diese verfolgen im Strafprozess vor allem den Zweck, die Wahrheitsfindung und die Verwirklichung des materiellen Strafrechts in einer Weise herbeizuführen, die den Angeschuldigten gegen die Gefahr staatlichen Machtmissbrauchs und gegen die Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte schützt (BGE 101 Ia 170 E. 1 mit Hinweisen). Zu den fundamentalen, durch Art. 4 BV gewährleisteten Verteidigungsrechten gehört insbesondere das Recht des Angeschuldigten, sich zu allen wesentlichen Anklagepunkten zu äussern, namentlich auch zur Strafzumessung (BGE 101 Ia 296 E. 1d; BGE 97 I 617 mit Hinweisen).
| 6 |
Der Zweck des Anspruchs auf rechtliches Gehör legt nahe, je nach dem Inhalt des Rückweisungsentscheides des Bundesgerichts verschiedene Lösungen zuzulassen. So erscheint eine neue Verhandlung vor der kantonalen Instanz von Bundesrechts wegen nicht als erforderlich, wenn die Erwägungen des Rückweisungsentscheides eindeutige, verbindliche Weisungen enthalten, die der kantonalen Instanz im Strafpunkt keinen Ermessensspielraum mehr lassen, wie z.B. bei Rückweisung zur Freisprechung des Angeschuldigten oder zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges. Einen Grenzfall stellt die Rückweisung zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges dar. Es lässt sich die Auffassung vertreten, dass jedenfalls dann eine Verhandlung anzusetzen sei, wenn das kantonale Gericht eine längere als die gesetzliche Mindestprobezeit anzusetzen beabsichtigt, doch braucht diese Frage hier nicht entschieden ![]() | 7 |
Dem Standpunkt des Obergerichtes und der Staatsanwaltschaft, wonach die Gelegenheit zu einer Stellungnahme schon vor dem ersten kantonalen Urteil bestanden habe, kann deshalb nicht beigepflichtet werden, weil sich die persönlichen Verhältnisse des Angeschuldigten in der Zwischenzeit in einer für die Strafzumessung erheblichen Weise verändert haben können. So ist es möglich, dass der Angeklagte erkrankt ist, dass er - was bei Geldbussen in Betracht fällt - erhebliche finanzielle Verluste erlitten hat oder dass er tätige Reue bekundet, insbesondere bei Vermögensdelikten den gestifteten Schaden ganz oder teilweise wieder gutgemacht hat. Die Beispiele liessen sich vermehren. Wird das neue Urteil ohne Anhörung des Angeschuldigten gefällt, so entgeht ihm die Möglichkeit, Strafmilderungs- oder Herabsetzungsgründe dieser Art dem Richter vorzutragen. Das Urteil ergeht somit nicht in voller Kenntnis der zur Zeit seiner Fällung massgebenden Tatsachen, was dem Sinn des Strafrechts widerspricht. Ob im vorliegenden Falle neue Tatsachen der erwähnten Art hätten vorgebracht werden können, ist angesichts der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht zu untersuchen (BGE 101 Ia 303; BGE 100 Ia 10 mit Hinweisen).
| 8 |
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht berufen sich zur Stützung ihrer Gegenmeinung auf ein nicht veröffentlichtes ![]() | 9 |
10 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |