BGE 103 Ia 165 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
31. Auszug aus dem Urteil vom 27. April 1977 i.S. Krause gegen Staatsanwaltschaft und Justizdirektion des Kantons Zürich | |
Regeste |
Persönliche Freiheit; Untersuchungshaft. | |
Sachverhalt | |
Die deutsch-italienische Staatsangehörige Petra Krause befindet sich wegen Verdachts der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen und anderen Delikten seit längerer Zeit im Kanton Zürich in Untersuchungs- und seit Abschluss der Untersuchung in Sicherheitshaft. Mit Verfügung vom 19. August 1976 ordnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich an, es sei der Angeschuldigten die Druckschrift "Solidarietà Militante/Informazioni del Comitato Internazionale per la Difesa dei Detenuti Politici in Europa" mit dem Titel "Onore alla Compagna Ulrike Meinhof", Ausgabe August/September 1976, nicht auszuhändigen. Frau Krause erhob dagegen Rekurs bei der Direktion der Justiz des Kantons Zürich. Diese verfügte am 1. November 1976, dass die Rekurrentin eine Übersetzung der beanstandeten Schrift einzureichen habe, die von einem anerkannten Übersetzungsbüro stamme oder von einem solchen als richtig befunden worden sei, unter der Androhung, dass sonst auf den Rekurs nicht eingetreten werde. Falls die Rekurrentin es vorziehe, dass die Justizdirektion die Übersetzung veranlasse, könne ihr eine Frist zur Leistung eines ausreichenden Kostenvorschusses angesetzt werden. Nachdem Frau Krause in einer Eingabe vom 3. November 1976 die Erklärung abgegeben hatte, sie werde weder eine Übersetzung beibringen noch einen Kostenvorschuss leisten, trat die Justizdirektion mit Verfügung vom 5. November 1976 auf den Rekurs nicht ein.
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Frau Krause erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit.
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Aus den Erwägungen: | |
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Will ein Gefangener eine Druckschrift von auswärts beziehen, die nicht in der Amtssprache des Kantons abgefasst ist, in welchem sich die Anstalt befindet, so kann nicht in jedem Falle verlangt werden, dass der Kontrollbehörde eine Übersetzung der Schrift vorgelegt werde. Das hätte zur Folge, dass der Bezug fremdsprachiger Lektüre von ausserhalb der Anstalt praktisch verunmöglicht würde. Eine solche Beschränkung wäre mit dem Grundrecht der persönlichen Freiheit nicht vereinbar. Anderseits lässt sich nicht fordern, dass fremdsprachige Bücher und Druckschriften, die von der zuständigen Behörde nicht oder nur mit besonderem Aufwand zuverlässig kontrolliert werden können, den Gefangenen ohne weiteres auszuhändigen seien. Vielmehr sind diesfalls der Anspruch des Gefangenen auf Bezug derartiger Schriften und das Interesse an der Vermeidung eines übermässigen Kontrollaufwandes gegeneinander abzuwägen. Dabei sind gewisse allgemeine Grundsätze zu beachten; daneben ist jeder einzelne Fall anhand der konkreten Umstände gesondert zu beurteilen.
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d) Ist der fraglichen Schrift bereits ohne nähere Lektüre zu entnehmen, z.B. aufgrund des Autors oder des behandelten Themas, ob ihr Inhalt dem Haftzweck oder der Gefängnisordnung zuwiderlaufe oder nicht, so ist sie dem Gefangenen ohne weiteres zu verweigern oder auszuhändigen. Erweist sich für diesen Entscheid eine nähere Prüfung des Inhalts als notwendig und ist die Schrift in einer Sprache abgefasst, die der Kontrollbehörde nicht ohne weiteres zugänglich ist (vgl. auch BGE 102 Ia 298 E. 11c), so kann die Aushändigung an den Gefangenen verweigert werden. Die Behörde hat eine Prüfung des Inhalts diesfalls nur dann vorzunehmen, wenn ihr eine Übersetzung der Schrift vorgelegt wird. Anders verhält es sich, wenn die Schrift in einer schweizerischen Landessprache abgefasst ist. Die kantonale Behörde hat in diesem Falle die entsprechende Kontrolle vorzunehmen, sofern sie dazu selber in der Lage ist und sofern eine solche Kontrolle nicht wegen des Umfangs der vom Gefangenen verlangten Schrift als unzumutbar erscheint. Die Behörde kann darüber hinaus den Bezug derartiger fremdsprachiger Schriften, die eine nähere Kontrolle des Inhalts erfordern, einer besonderen zahlenmässigen Beschränkung unterstellen, wenn von diesem Recht ein übermässiger Gebrauch gemacht wird (vgl. BGE 102 Ia 295; BGE 99 Ia 286 f.).
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3. a) Bei den bundesgerichtlichen Akten befindet sich lediglich eine Photokopie eines Teils der in italienischer Sprache abgefassten Druckschrift, deren Weiterleitung an die Beschwerdeführerin verweigert wurde. Die Kopie umfasst von der gemäss dem Inhaltsverzeichnis mindestens vierzigseitigen Broschüre lediglich das Titelblatt, das Inhaltsverzeichnis sowie die Seiten 17-19 und 31-39. Die Justizdirektion des Kantons Zürich teilte dem Bundesgericht mit, das Original der Schrift sei vermutlich dem Sohn der Beschwerdeführerin zurückgegeben worden. Bei den fotokopierten Teilen handle es sich jedoch um diejenigen, auf welche die Staatsanwaltschaft von dem Polizeibeamten, der den Besuch der Beschwerdeführerin überwachte, besonders aufmerksam gemacht worden sei. Es ist daher davon auszugehen, dass nur diese Teile der Schrift der Staatsanwaltschaft als verdächtig erschienen und Anlass zur beanstandeten Verfügung der Justizdirektion gaben. Aus dem Gesagten ergibt sich ferner, dass die fragliche Schrift nicht zu denen gehört, über deren Aushändigung ohne nähere Prüfung ihres Inhaltes entschieden werden konnte.
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b) Das Italienische wird als schweizerische Landessprache in vielen Schulen der deutschschweizerischen Kantone unterrichtet und dessen Kenntnis ist dort weit verbreitet. So verfügt die zürcherische Staatsverwaltung über zahlreiche Beamte, die in der Lage sind, mit italienischen Staatsangehörigen oder Schweizern italienischer Muttersprache, welche die deutsche Sprache nicht oder nur unvollkommen beherrschen, italienisch zu verhandeln oder deren schriftliche Eingaben zu verstehen. Insbesondere sind im Strafuntersuchungsdienst und bei der Kantonspolizei solche Funktionäre vorhanden. Andernfalls könnten diese und zahlreiche andere Verwaltungszweige ihre Aufgabe unter den heutigen Verhältnissen nicht erfüllen, ungeachtet dessen, dass die kantonalen Behörden von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet sind, auf Eingaben einzutreten, die in einer anderen als der massgebenden kantonalen Amtssprache gehalten sind (BGE 102 Ia 37). Es wäre geboten gewesen, wenn die Justizdirektion in der vorliegenden Sache einen dieser Beamten beigezogen hätte, ging es doch einzig darum, insgesamt zwölf Seiten gedruckten Textes so weit zu verstehen, dass dem Vorsteher der Direktion oder dem juristischen Sachbearbeiter der Inhalt dieser Stellen in grossen Zügen mitgeteilt werden konnte. Sieben der insgesamt zwölf Seiten, die hier besonders in Frage stehen, enthalten überdies die italienisch redigierte Fassung einer Erklärung der Beschwerdeführerin zum Haftvollzug in der Schweiz, deren Adressatin die Justizdirektion des Kantons Zürich war und die dieser bereits seit Monaten bekannt gewesen sein musste. Bei dieser Sachlage ist die Verpflichtung, die Broschüre ins Deutsche übersetzen zu lassen oder die Kosten einer amtlichen Übersetzung vorzuschiessen, mit der Garantie der persönlichen Freiheit nicht vereinbar. Die angefochtene Verfügung ist aus diesem Grunde aufzuheben. Die Justizdirektion wird zum Rekurs der Beschwerdeführerin materiell Stellung zu nehmen und zu entscheiden haben, ob der Inhalt der Broschüre den Haftzweck oder die Anstaltsordnung gefährde und ob die Druckschrift der Beschwerdeführerin demnach auszuhändigen oder zurückzubehalten sei.
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