BGE 103 Ia 176 | |||
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33. Auszug aus dem Urteil vom 11. Mai 1977 i.S. Camenzind und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz | |
Regeste |
Regionalplan für den Bau von Einkaufszentren (Art. 4, Art. 22ter und Art. 31 BV, Gewaltentrennung und Art. 85 lit. a OG). | |
Sachverhalt | |
Reinhold Camenzind ist Eigentümer oder Baurechtsinhaber verschiedener in Ibach (Gemeinde Schwyz) gelegener Grundstücke. Auf einem dieser Grundstücke steht seit dem Jahre 1972 ein Einkaufszentrum in Betrieb; die übrigen beabsichtigt er für eine Erweiterung dieses Zentrums zu verwenden. Er hat dafür nach längeren Vorverhandlungen mit dem Gemeinderat von Schwyz ein Baugesuch eingereicht, das am 5. November 1976 im Amtsblatt des Kantons Schwyz veröffentlicht wurde. Die Beschwerdeführer 2-9 haben im projektierten Erweiterungsbau Geschäftslokale gemietet oder beabsichtigen, Mietverträge einzugehen.
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"Der Regierungsrat des Kantons Schwyz gestützt auf § 45 des Baugesetzes, beschliesst:
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§ 1 Für das gesamte Gebiet des Kantons Schwyz wird ein Regionalplan für den Bau und die Erweiterung von Einkaufszentren erstellt.
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Das Verfahren richtet sich nach § 45 des Baugesetzes vom 30. April 1970.
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§ 2 Bis zum Erlass des Regionalplanes dürfen von den Baubewilligungsbehörden keine neuen oder Erweiterungen bestehender Einkaufszentren bewilligt werden.
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§ 4 Dieser Beschluss gilt bis zum Erlass des Regionalplanes für den Bau und die Erweiterung von Einkaufszentren, längstens jedoch zwei Jahre."
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Der Gemeinderat von Schwyz sistierte auf Grund dieses Beschlusses das Baubewilligungsverfahren bezüglich des Projektes von Reinhold Camenzind. Ein Beschwerdeverfahren hiegegen ist noch hängig.
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Gegen den Beschluss des Regierungsrates vom 22. November 1976 führen Reinhold Camenzind und acht weitere Personen staatsrechtliche Beschwerde; sie beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben. Der Regierungsrat des Kantons Schwyz beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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"Erweist sich der Erlass von Überbauungs- und Zonenplänen für das Gebiet mehrerer Gemeinden als dringlich und mangels Einigung der Gemeinden als unmöglich, so kann der Regierungsrat einen Regionalplan ausarbeiten lassen.
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Der Regierungsrat legt nach Anhören und im Einverständnis sämtlicher beteiligter Gemeinden die Richtlinien fest.
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Die Kosten der vom Regierungsrat verfügten Massnahmen werden den beteiligten Gemeinden nach Massgabe ihres Interesses auferlegt."
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Der Regierungsrat ist der Auffassung, es handle sich bei seinem Beschluss vom 22. November 1976 um einen provisorischen Regionalplan. Die Beschwerdeführer bestreiten dies. Sie wenden ein, ein Regionalplan könne sich nicht auf das gesamte Kantonsgebiet beziehen, weil er sonst zu einem kantonalen Erlass werde. Darüber hinaus fehle es an den kumulativ erforderlichen Voraussetzungen der Dringlichkeit und der mangelnden Einigung mehrerer Gemeinden.
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a) Unter dem Begriff "Region" wird im schweizerischen Raumplanungsrecht allgemein eine Gruppe von Gemeinden verstanden, "die geographisch und wirtschaftlich eng miteinander verbunden sind und das Ziel verfolgen, einen Teil ihrer Aufgaben gemeinsam zu lösen" (so Art. 6 Abs. 1 des BG über Investitionshilfe für Berggebiete vom 28. Juni 1974). Die "Region" ist nach heute eingebürgertem Sprachgebrauch eine örtliche Grösse, die mehr als eine Gemeinde, aber nicht das gesamte Gebiet eines Kantons umfasst. Dass diese Bedeutung des Begriffs dem allgemeinen Sprachgebrauch derjenigen Fachkreise entspricht, die sich mit Planungsaufgaben zu befassen haben, ergibt sich aus der reichhaltigen Literatur. Zitiert seien hier (in alphabetischer Reihenfolge) die nachstehenden Autoren: HANS PETER FAGAGNINI führt in seiner Arbeit "Kanton und Gemeinden vor ihrer Erneuerung," Diss. St. Gallen 1974, aus: "Ausgangspunkt bei der Frage nach der Schaffung von Regionen muss sein, dass das kantonale Gebiet eindeutig grösser ist als dasjenige der Region. Es muss mit andern Worten unterschieden werden können zwischen kantonalen und regionalen Problemen" (S. 364). WILLI GEIGER verweist in seinem überarbeiteten Referat "Rechtliche Grundlagen der Regionalplanung im Kanton St. Gallen," in: Praktische Fragen der Regionalplanung, St. Gallen 1976, ausdrücklich auf die vorstehend wiedergegebene Umschreibung des Begriffs der Region im BG über Investitionshilfe für Berggebiete und bemerkt, er entspreche durchaus der Grundvorstellung des st. gallischen Gesetzgebers (S. 19). FRITZ GYGI bezeichnet in seiner Arbeit "Zweckverband oder Region?", ZBl 74/1973, die Region als "weitere politische Ebene unterhalb des Kantons" und führt weiter aus, im Kanton Bern denke man für die erste Entwicklungsphase an die Bildung von 29 Regionen (S. 138 und 140). RICCARDO JAGMETTI definiert die Region als "ein Gebiet, das eine funktionelle Einheit für die Lösung öffentlicher Aufgaben bildet und das Territorium mehrerer Gemeinden umfasst, in der Regel jedoch kleiner ist als ein Kanton" ("Die Region," in: Festgabe für Walther Hug, Bern 1968, S. 475). MARTIN LENDI sieht in der Region ein Organ der Zusammenarbeit des Kantons mit den Gemeinden eines bestimmten Bezugsgebietes (Raumbedeutsame Pläne in ZSR 92/1973 I, S. 115). URS WEHINGER spricht in seiner Dissertation "Raumplanung und Regionen unter dem Aspekt des Subsidiaritätsprinzips," Zürich 1975, von der "Bildung von Regionen zur Erfüllung raumplanerischer Aufgaben auf der Ebene zwischen Kanton und Gemeinden" (S. 191). Schliesslich sei das in der Volksabstimmung vom 13. Juni 1976 verworfene Bundesgesetz über die Raumplanung erwähnt, das in Art. 5 Abs. 2 Richtpläne für das ganze Kantonsgebiet solchen für bestimmte Regionen gegenüberstellen wollte.
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Damit ist freilich nicht dargetan, dass sich die Begriffe "Region" oder "Regionalplan" nicht auch einmal auf das Gebiet eines ganzen Kantons (namentlich eines solchen mit kleinem Flächeninhalt und wenig ausgeprägter geographischer Gliederung) beziehen können. Das Bundesgericht hat dies in einem Urteil, das Vorschriften über den Bau von Einkaufszentren im Kanton Basel-Landschaft betraf, stillschweigend anerkannt (BGE 102 Ia 111). Es muss jedoch bei der Feststellung bleiben, dass die genannten Begriffe sich üblicherweise auf Teilgebiete eines Kantons (oder gelegentlich auch auf solche mehrerer Kantone) beziehen und dass ihre Anwendung auf einen ganzen Kanton die Ausnahme bildet, die in der Gesetzgebung klar vorgesehen sein muss, wie dies für den Kanton Basel-Landschaft zutrifft (§ 41 Abs. 2 Alinea 2 BauG). Dafür spricht vor allem die Erwägung, dass für den Erlass allgemeinverbindlicher Vorschriften für ein ganzes Kantonsgebiet der normale Weg der Gesetzgebung, eventuell der Verordnung, zur Verfügung steht, so dass es besonderer Vorschriften über die Regionalplanung gar nicht bedürfte.
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b) Versucht man, den streitigen § 45 BauG im Lichte dieser generellen Feststellungen auszulegen, so ergibt sich zunächst, dass der Begriff "Region" im Kanton Schwyz bisher eine ganz bestimmte Bedeutung hatte. Das Kantonsgebiet ist durch den Gebirgszug der Mythen und ihrer Ausläufer einerseits und die Voralpenkette des Etzels anderseits geographisch und damit auch verkehrstechnisch deutlich gegliedert in das Einzugsgebiet der Reuss (mit dem Vierwaldstättersee), der Sihl und der Linth (mit Ober- und Zürichsee). Demgemäss wird im Kanton Schwyz seit jeher vom innern und äusseren Kantonsteil gesprochen, die sich in den Jahren 1831-1833 sogar politisch getrennt hatten (Steinauer, Geschichte des Freistaates Schwyz, Einsiedeln 1861, II. Band, S. 138-194), wozu in neuerer Zeit das Gebiet um Einsiedeln als eigene Region (mittlerer Kantonsteil) hinzukommt. Der Regierungsrat verwendet denn auch in seiner Beschwerdeantwort selbst die Begriffe "Region Innerschwyz," "mittlerer" und" äusserer" Kantonsteil. Ferner hat er zwei umfassende Planungsberichte vom Januar 1976 (Grobentwicklungskonzept) und vom September 1976 (Feinkonzept) zu den Akten gegeben, von denen der erste mit dem Untertitel "Regionale Entwicklungskonzepte Einsiedeln und Innerschwyz" versehen ist und der zweite die "Regionalentwicklungsverbände Einsiedeln und Innerschwyz" zusammen mit dem Departement des Innern als Herausgeber nennt. Diese Gliederung nach geographischen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten mag zwar nicht für alle Fälle anwendbar sein. Insbesondere kann sich auf Grund des § 45 BauG eine andere Regionalbildung aufdrängen. Die Ausführungen zeigen aber, dass auch im Kanton Schwyz vom Begriff der "Region" als Kantonsteil ausgegangen wird, und dass nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe bei Erlass des Baugesetzes darunter das ganze Kantonsgebiet verstanden.
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Diesen Schluss bestätigt die Analyse des Gesetzestextes. § 45 Abs. 1 BauG spricht vom Erlass von Überbauungs- und Zonenplänen "für das Gebiet mehrerer Gemeinden." Eine solche Formulierung wäre wohl kaum gewählt worden, wenn man auch eine das ganze Kantonsgebiet umfassende Planung dem Regierungsrat hätte übertragen wollen. Der nämliche Absatz erwähnt sodann als Voraussetzung für den Erlass eines Regionalplanes durch den Regierungsrat, dass sich eine Einigung zwischen den beteiligten Gemeinden als unmöglich erwiesen haben müsse. Im vorliegenden Falle wird nicht einmal versucht, darzulegen, welche Gemeinden unter sich uneinig gewesen seien und dem Regierungsrat deshalb Grund zum Erlass eines sogenannten Regionalplanes geboten hätten. § 45 Abs. 2 BauG bestimmt, der Regierungsrat habe die Richtlinien "nach Anhören und im Einverständnis sämtlicher beteiligter Gemeinden" festzulegen. Auch dies zeigt, dass der Regierungsrat für eine Gruppe von Gemeinden (und nicht für den ganzen Kanton) handeln kann und soll. Übrigens ist den Akten nicht zu entnehmen, dass ein Vernehmlassungsverfahren bei den Gemeinden durchgeführt worden wäre. Schliesslich bestimmt § 45 Abs. 3 BauG, die Kosten der vom Regierungsrat verfügten Massnahmen seien den beteiligten Gemeinden nach Massgabe ihres Interesses aufzuerlegen. Diese Bestimmung hätte keinen Sinn, wenn durch § 45 BauG auch Massnahmen der Kantonalplanung hätten gedeckt werden sollen. In einem solchen Falle wäre es selbstverständlich, dass der Staat die Kosten zu übernehmen hätte. Aus alldem folgt zwingend, dass § 45 BauG den Regierungsrat zwar ermächtigt, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Gemeinden für diese gewissermassen stellvertretend Planungsaufgaben zu übernehmen, dass sich die genannte Bestimmung aber unmöglich auf planerische Massnahmen für das gesamte Kantonsgebiet beziehen kann. Diese sind vielmehr nach heutigem Rechtszustand dem Gesetzgeber überlassen.
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c) Was der Regierungsrat angestrebt hat, ist klar ersichtlich. Er beabsichtigte, dem Gesetzgeber eine Ergänzung des Baugesetzes hinsichtlich der Errichtung von Einkaufszentren zu beantragen, und gleichzeitig eine Präjudizierung dieses Gesetzes durch Erteilung von Baubewilligungen für solche Zentren vor dessen Inkrafttreten zu verhindern. Diese Absicht ist unter planerischen Gesichtspunkten durchaus verständlich. Für den Erlass solcher vorsorglicher Massnahmen in der Form provisorischer Bausperren durch die Exekutive bedarf es aber einer gesetzlichen Grundlage, wie sie sich im Baurecht verschiedener anderer Kantone findet (vgl. z.B. Zürich, Planungs- und Baugesetz § 346; Bern, Baugesetz Art. 93; Basel-Landschaft, Baugesetz § 39). Da im Baugesetz des Kantons Schwyz eine entsprechende Bestimmung fehlt, ist der Regierungsrat zum Erlass von einstweiligen Bausperren im Hinblick auf eine künftige Gesetzesänderung oder Regionalplanung nicht zuständig. Die Auslegung von § 45 BauG im Sinne einer solchen Kompetenz erscheint nach den vorstehenden Ausführungen als mit sachlichen Gründen nicht vertretbar und daher als willkürlich.
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