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36. Auszug aus dem Urteil vom 9. Februar 1977 i.S. Bertl gegen Deutsche Bau- und Bodenbank AG und Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich | |
Regeste |
Schweiz.-deutsches Vollstreckungsabkommen vom 2. Nov. 1929. | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.
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Aus den Erwägungen: | |
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3. a) Gemäss Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens ist die Vollstreckung zu versagen, wenn durch die Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem im Vollstreckungsstaat aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit versagt ist. Diese staatsvertragliche ordre public-Klausel geht als Spezialnorm dem allgemeinen Begriff des ordre public, wie er unter anderem in den kantonalen Zivilprozessordnungen enthalten ist, vor (vgl. SCHNITZER, Handbuch des Internationalen Privatrechts, 4. A., S. 237; BGE 87 I 78 E. 6; BGE 85 I 48 E. 4a am Ende). Die in einem Staatsvertrag enthaltenen Bestimmungen ![]() | 4 |
b) Mit der Formulierung des Vorbehalts in Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens wurde versucht, den Anwendungsbereich der ordre public-Klausel möglichst einzuschränken (BGE 102 Ia 314; Botschaft des Bundesrates zum VA, BBl 1929 III S. 536 f.). Diese ist daher eng auszulegen und anzuwenden. Das bedeutet nicht, dass ein Urteil gegen die öffentliche Ordnung nur wegen seines materiellen Inhalts verstossen könne, obwohl der Wortlaut der Vertragsklausel darauf primär hinweist. Vielmehr kann ein solcher Verstoss auch wegen des Verfahrens vorliegen, in welchem das Urteil zustandegekommen ist (BGE 102 Ia 313 E. 5; BGE 101 Ia 526 E. 4a; BGE 98 Ia 553 E. 3; BGE 97 I 256 E. 6, 157 E. 5 mit Hinweisen).
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c) Nach Art. 7 Abs. 1 Ziff. 1 VA hat die Partei, welche die Vollstreckung verlangt, eine "vollständige Ausfertigung" der Entscheidung beizubringen. Diese Voraussetzung ist im Falle eines deutschen Versäumnisurteils erfüllt, wenn es so ausgefertigt ist, wie die massgebenden deutschen Verfahrensvorschriften dies vorsehen, denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vollstreckungsabkommen einen selbständigen Begriff der "vollständigen Ausfertigung" schaffen wollte, dessen Erfordernisse durch die nach der deutschen ZPO ergangenen Versäumnisurteile nicht erfüllt würden (BGE 87 I 80; BGE 68 I 164; nicht veröffentlichtes Urteil i.S. Dewald vom 8. März 1936, E. 1).
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d) Für die Herstellung und Ausfertigung eines Versäumnisurteils enthalten die §§ 313 Abs. 3 und 317 Abs. 4 der deutschen Zivilprozessordnung folgende Regelung:
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Nach § 317 Abs. 4 D-ZPO erfolgt die Ausfertigung, sofern das Urteil nach § 313 Abs. 3 in abgekürzter Form hergestellt ist, in gleicher Weise unter Benutzung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift oder in der Weise, dass das Urteil durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 bezeichneten Angaben vervollständigt wird (Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten; Bezeichnung des Gerichts und Namen der Richter; Urteilsformel).
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Die Herstellung eines Versäumnisurteils in der abgekürzten Form ist nach der deutschen Gesetzgebung in gewissen Rechtsgebieten und gegenüber gewissen Vertragsstaaten, in denen das Urteil geltend gemacht werden soll, ausgeschlossen. Im hier interessierenden Zusammenhang ist dies jedoch nicht der Fall.
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e) Die von der Bau- und Bodenbank AG beigebrachte Urteilsausfertigung entspricht den dargelegten Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung. Dass das Urteil nicht auf eine Abschrift der Klage oder ein damit verbundenes Blatt gesetzt ist, stellt keinen Mangel dar. § 317 Abs. 4 D-ZPO lässt dem Urkundsbeamten die Wahl zwischen einer solchen Ausfertigung und der Ergänzung des Urteils durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 bezeichneten Angaben. Im vorliegenden Falle wurde die zweite Möglichkeit gewählt. Entspricht die Urteilsausfertigung den massgebenden landesrechtlichen Vorschriften und ist sie demnach "vollständig" im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Ziff. 1 des Vollstreckungsabkommens, so kann der Beschwerdeführer das Fehlen einer Urteilsbegründung ![]() | 11 |
Dem Abschluss des Vollstreckungsabkommens mit dem Deutschen Reich vom 2. November 1929 ging der Vertrag zwischen der Schweiz und Osterreich vom 15. März 1927 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen voraus. Dessen Art. 4 Abs. 1 Ziff. 4 bestimmte ausdrücklich, dass die Partei, welche die Vollstreckung beantragt, eine Abschrift der Klage oder andere geeignete Urkunden beizubringen habe, wenn die Entscheidung den ihr zugrundeliegenden Sachverhalt nicht soweit erkennen lasse, dass eine Prüfung im Hinblick auf die in Art. 1 des Vertrages geregelten Voraussetzungen der Vollstreckung, wo auch der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung enthalten war, möglich sei (vgl. auch Art. 6 Abs. 1 Ziff. 4 des neuen Vertrags mit der Republik Osterreich vom 16. Dezember 1960). Den schweizerischen Behörden konnte unter diesen Umständen bei Abschluss des Abkommens mit dem deutschen Reich nicht unbekannt sein, dass sich Urteile ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht ohne weiteres auf ihre Vereinbarkeit mit der einheimischen öffentlichen Ordnung überprüfen lassen. Ebenso konnte ihnen nicht entgangen sein, dass die damals geltende Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich die Ausfertigung von Versäumnisurteilen ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe vorsah (vgl. z.B. STEIN/JONAS, Die Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich, 14. A., 1928, S. 894 f., 900 f.). Bei dieser Sachlage muss der Schluss gezogen werden, dass die Schweiz darauf verzichtete, als Voraussetzung für die Vollstreckung deutscher Versäumnisurteile in der Schweiz eine Ausfertigung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen oder allenfalls die Vorlage einer Abschrift der Klage oder anderer Urkunden zu verlangen, die geeignet wären, den dem Urteil zugrundeliegenden Rechtsstreit und die Entscheidungsgründe ![]() | 12 |
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Der Vorbehalt des ordre public greift nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. Dabei sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Anwendung der ordre public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung eines ausländischen Urteils engere Grenzen gesetzt als im Gebiet der direkten Rechtsanwendung (BGE 102 Ia 313 f.; BGE 98 Ia 533 E. 3a und b; BGE 97 I 256 E. 6, 157 E. 5 mit Hinweisen).
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b) Nach § 328 D-ZPO steht der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil ergangen ist, der Einspruch zu. Ist dieser Rechtsbehelf, der von keinen besonderen Voraussetzungen abhängt (§ 340 D-ZPO) und nicht weiter begründet werden muss, innert der Frist von zwei Wochen erhoben worden, so wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Erlass des Versäumnisurteils befand (§ 342 D-ZPO). Kommt es in der Folge zu einem Entscheid im ordentlichen Verfahren, so hat das Urteil nach § 313 Abs. 1 Nr. 3 und 4 D-ZPO eine Tatbestandsdarstellung und Entscheidungsgründe zu enthalten und ist, sofern das beantragt wird, in dieser Weise auszufertigen und zuzustellen (§ 317 Abs. 2 D-ZPO).
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c) Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, dass das einheimische Rechtsgefühl durch die Vollstreckung des nicht mit einem Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen deutschen Versäumnisurteils in unerträglicher Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden.
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Nichts anderes folgt ferner aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, die als Bestandteil des Bundesrechts zur Bestimmung des schweizerischen ordre public beizuziehen ist (vgl. auch BAUR, Einige Bemerkungen zum verfahrensrechtlichen ordre public, in Festschrift Guldener, S. 18 ff.). Zwar trifft es zu, dass sich nach der Rechtsprechung der Europäischen Kommission eine Begründungspflicht für gerichtliche Urteile aus Art. 6 EMRK ergibt, obwohl in dieser Gewährleistung eine entsprechende Vorschrift nicht ausdrücklich enthalten ist. Diese Pflicht gilt indes nicht unbeschränkt.
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