BGE 103 Ia 490 | |||
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72. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. September 1977 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft | |
Regeste |
Art. 4 BV; keine willkürliche Anwendung kantonalen Strafprozessrechts. |
Bezüglich erheblicher Aktenstücke besteht kein absolutes Einsichtsrecht. Dieses ist Beschränkungen unterworfen, wie sie durch öffentliche Interessen des Staates oder berechtigte Geheimhaltungsinteressen privater Drittpersonen bedingt sein können. | |
Aus den Erwägungen: | |
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Bevor auf die einzelnen Einwände eingegangen wird, ist festzustellen, dass die Tragweite jener Bestimmung der EMRK nicht grösser ist als diejenige des Art. 4 BV (Urteil des Kassationshofes als Staatsgerichtshof vom 26.3.1976 i.S. Steiner). Sie gibt denn auch entsprechend den aus Art. 4 BV gezogenen Schlüssen dem Angeklagten kein unbeschränktes Recht auf Zeugenladung. Vielmehr sind nur solche Zeugen vorzuladen und einzuvernehmen, von denen sachbezügliche Angaben zu erwarten sind, die für den Entscheid erheblich sein können. Gleicherweise verhält es sich mit dem in den Rahmen des Anspruchs auf rechtliches Gehör sich einfügenden Fragerecht. Wie bereits ausgeführt kann der Richter das Beweisverfahren schliessen, wenn er aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und er ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass diese seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 97 I 219 /220; entsprechend Recueil des décisions de tribunaux nationaux se référant à la Convention, 1969 S. 49). Im übrigen schreibt die EMRK nicht vor, dass ein bereits vor erster Instanz geladener Zeuge, dessen Einvernahme der Angeklagte mit dem Recht zur Fragestellung hatte beiwohnen können, vor oberer Instanz schlechthin nochmals abgehört werden müsse. Hiezu zwingt auch die Offizialmaxime nicht, abgesehen davon, dass im folgenden keine kantonale Verfahrensvorschrift namhaft gemacht wird, die insoweit von der Vorinstanz willkürlich angewandt worden wäre.
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Abgesehen davon, dass für irgendeine Verbindung zwischen der Zeugin S. und den beiden anderen Zeuginnen keinerlei Anhaltspunkte bestehen und übrigens der Beschwerdeführer selber die Möglichkeit gehabt hätte, die Zeugin S. anlässlich ihrer Einvernahme durch die erste Instanz danach zu fragen oder befragen zu lassen, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz mit der Ablehnung des Begehrens um Bekanntgabe der Informationsquelle, durch welche die Untersuchungsbehörde auf die Zeugin S. hingewiesen wurde, gegen die EMRK verstossen haben sollte. Zwar hat nach Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK der Angeklagte ein Anrecht darauf, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen und ist in dem Recht auf Gelegenheit zur Verteidigung nach der Praxis der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch das Recht auf Akteneinsicht inbegriffen (PETER BISCHOFBERGER, Die Verfahrensgarantien der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Einwirkung auf das schweizerische Strafprozessrecht. Diss. Zürich 1972, S. 138 mit entsprechenden Hinweisen auf die genannte Praxis). Indessen beschlägt das Akteneinsichtsrecht nicht den gesamten Inhalt der Strafakten, sondern nur die als Grundlage des Urteils in Betracht fallenden Aktenstücke (vgl. ZBl 1956, S. 23). Nicht der Akteneinsicht unterliegen demnach rein interne Notizen und Auskünfte (BGE 100 Ia 103, BGE 96 I 609, BGE 83 I 155), Entwürfe und Referate des Sachbearbeiters und dergleichen. Aber auch bezüglich der urteilserheblichen Aktenstücke besteht kein absolutes Einsichtsrecht. Dieses ist vielmehr Beschränkungen unterworfen, wie sie durch öffentliche Interessen des Staates oder berechtigte Geheimhaltungsinteressen privater Dritter bedingt sein können. Die Rechtsprechung hat daher stets anerkannt, dass beispielsweise auch die Notwendigkeit, eine Gewährsperson zu schützen, als zureichendes Interesse für die Geheimhaltung ihres Namens in Betracht fallen kann (BGE 100 Ia 102 98 Ib 167, BGE 95 I 109). Dem ist umso mehr dort beizupflichten, wo nicht etwa Aussagen der unbekannten Gewährsperson selber zur Grundlage des Urteils erhoben wurden, sondern die Angabe derselben im blossen Hinweis auf eine Zeugin bestand, deren Aussagen dann in das Urteil aufgenommen wurden. So aber hat es sich hier verhalten, indem der Untersuchungsbeamte bei seinen Ermittlungen auf eine Person gestossen war, die bereit war, eine Geschädigte namhaft zu machen unter der Zusicherung, als Informant nicht genannt zu werden, weil sie ansonst Repressalien seitens des Beschwerdeführers befürchten müsste. Inwiefern nun die Vorinstanz unter diesen Umständen zu Unrecht den Geheimhaltungsinteressen vor dem Offenbarungsinteresse des Beschwerdeführers den Vorrang eingeräumt haben soll, wird in der Beschwerde nicht näher dargetan. Insbesondere macht der Beschwerdeführer nicht geltend, die Gewährsperson habe ihre Angabe grob fahrlässig oder wider besseres Wissen getan oder die Untersuchungsbehörde versuche, eine unzulässige Verwendungsart der Gewährsperson zu verschleiern, was die Nennung der Gewährsperson als geboten erscheinen lassen könnte (STUDER, Die anonyme Gewährsperson im Strafprozess, Diss. Zürich 1975, S. 96; ZBJV 1963, S. 110). Dafür aber, dass die angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichts mit Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK unvereinbar wäre, liegt nichts vor und wird auch in der Beschwerde nichts vorgebracht. Diese ist deshalb auch in diesem Punkte abzuweisen.
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