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22. Urteil vom 8. Februar 1978 i.S. Müssgens gegen Regierung des Kantons Graubünden und i.S. Gemeinde Sils i.E. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | |
Regeste |
Raumplanung; Art. 22ter BV, Gemeindeautonomie. |
2. Greift eine kantonale Beschwerdeinstanz in die kommunale Zonenplanung ein, weil sie im Vorgehen der Gemeinde einen Verstoss gegen die Eigentumsgarantie erblickt, so kann die Gemeinde mittels Autonomiebeschwerde rügen, dass die kantonale Instanz die Tragweite dieses Grundrechtes verkenne und die Eigentumsgarantie zu Unrecht als verletzt ansehe. Ob der Eingriff in die kommunale Autonomie auf einer richtigen Auslegung dieses verfassungsmässigen Individualrechtes beruht, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (E. 2b). |
3. Verkleinerung des Baugebietes; Auszonung eines Grundstückes; Interessenabwägung (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Josef Müssgens ist Eigentümer der rund 60'000 m2 grossen Parzelle Nr. 2286 in Sils-Baselgia. Der westliche Teil des Grundstückes, auf dem das Hotel Margna steht, wird durch ![]() | 2 |
Josef Müssgens reichte gegen den neuen Zonenplan bei der Kantonsregierung eine verfassungsrechtliche Beschwerde ein, mit der er verlangte, es sei auch der südwestliche Teil seiner Parzelle in einer Bauzone zu belassen. Die Regierung prüfte dieses Beschwerdebegehren im Rahmen des Genehmigungsverfahrens, wies es ab und genehmigte den Zonenplan im betreffenden Punkt. Josef Müssgens erhob gegen diesen Entscheid der Regierung vom 12. Juli 1976 wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV staatsrechtliche Beschwerde. Gleichzeitig focht er den von der Regierung genehmigten Zonenplan auch noch mit Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden an. Dieses hiess mit Entscheid vom 13. April 1977 den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut und wies den im Rechtsbegehren umschriebenen Teil der Parzelle Nr. 2286 der Landhauszone zu. Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichtes führt nunmehr die Gemeinde Sils i.E. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Josef Müssgens ab, heisst hingegen jene der Gemeinde gut und hebt das Urteil des Verwaltungsgerichtes auf, aus folgenden
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Erwägungen: | |
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Wie die Regierung in ihrem Entscheid vom 12. Juli 1976 ausführt, prüft sie, wenn sie im Genehmigungsverfahren über eine verfassungsrechtliche Beschwerde zu befinden hat, nur Rügen, die sich gegen "allgemein verbindliche Anordnungen des Planes" richten, nicht jedoch Rügen, die einen "Aspekt des Zonenplanes von ausschliesslich individuell-konkreter Bedeutung" beschlagen; solche Einwände seien mit Rekurs an das Verwaltungsgericht vorzubringen. Die Regierung prüfte dementsprechend im vorliegenden Falle, ob das der beanstandeten Zoneneinteilung zugrundeliegende Planungskonzept auf einer richtigen Wahrung der öffentlichen Interessen beruhe (Art. 37 Abs. 2 KRG), trat jedoch auf den Einwand des Beschwerdeführers, dass er am Einbezug des streitigen Parzellenteiles in die Bauzone ein "eminentes Interesse" habe, nicht ein.
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Das Verwaltungsgericht führte in seinem Entscheid vom 13. April 1977 zu dieser Kompetenzabgrenzung seinerseits aus, im Genehmigungs- und Beschwerdeverfahren vor der Regierung könne gerügt werden, dass gewisse Teile des Zonenplanes mit wesentlichen öffentlichen Interessen im Widerspruch stünden. Auf die Rüge der Verletzung ausschliesslich individuell-konkreter Interessen trete die Regierung nicht ein. Hingegen könne vor Verwaltungsgericht geltend gemacht werden, dass die angefochtene Planungsmassnahme in schützenswerte, spezifisch individuelle Rechte und Interessen eingreife. Der Rekurrent habe darzutun, inwiefern die Zuteilung seiner Parzelle zu einer bestimmten Zone bzw. eine Nichteinzonung für ihn rechtlich unzumutbar sein soll, dies insbesondere unter dem Gesichtswinkel der Rechtsgleichheit, der Willkür und von Treu und Glauben. Es sei der Sinn dieser Kompetenzaufteilung, dass die Regierung das Planungskonzept als solches prüfe, das Verwaltungsgericht ![]() | 8 |
b) Ob diese Regelung im kantonalen Gesetzesrecht eine Stütze findet, ist hier, da keine entsprechende Rüge erhoben wurde, nicht zu entscheiden. Die ungewöhnliche Aufspaltung des Beschwerdeweges wirft indessen auch für das bundesgerichtliche Verfahren prozessuale Probleme auf. Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV sind erst nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges zulässig (Art. 86/87 OG). Der kantonale Instanzenzug ist dann erschöpft, wenn dem Beschwerdeführer kein kantonales Rechtsmittel mehr zur Verfügung steht, das der Sache nach eine Überprüfung der erhobenen Verfassungsrüge ermöglicht und gegebenenfalls zur Beseitigung des als verfassungswidrig beanstandeten Hoheitsaktes führen kann.
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Angesichts der Unbestimmtheit des von den bündnerischen Behörden verwendeten Abgrenzungskriteriums ist häufig ungewiss, ob ein bestimmter Einwand gegen eine Zoneneinteilung in die Überprüfungsbefugnis der Regierung oder in jene des Verwaltungsgerichtes fällt. Davon abgesehen hat die dargelegte Aufteilung zur Folge, dass keine kantonale Beschwerdeinstanz die angefochtene Zoneneinteilung umfassend auf ihre Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie prüfen kann. Wohl ist ein Grundeigentümer auch im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zur Anfechtung eines Zonenplanes nur soweit legitimiert, als die Zoneneinteilung seines eigenen Grundstückes in Frage steht (BGE 101 Ia 543, BGE 94 I 342). Er kann jedoch zur Begründung der Rüge, dass die ihm auferlegte Nutzungsbeschränkung mangels eines überwiegenden öffentlichen Interessens oder wegen Unverhältnismässigkeit gegen Art. 22ter BV verstosse, sämtliche in Betracht fallenden Einwände vorbringen, unbekümmert darum, ob sie das Planungskonzept als solches oder nur die Zonenabgrenzung in einem örtlich beschränkten Bereich betreffen. Nur aufgrund einer umfassenden Würdigung aller berührten privaten und öffentlichen Interessen lässt sich beantworten, ob der angefochtene Eingriff verfassungsrechtlich haltbar ist, und eine solche Interessenabwägung kann nur durch ein und dieselbe Behörde erfolgen.
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Die in Graubünden vorgenommene Kompetenzaufteilung zwischen Regierung und Verwaltungsgericht trägt dieser Lage ![]() | 11 |
c) Im vorliegenden Falle hat Josef Müssgens als betroffener Grundeigentümer die Zoneneinteilung zunächst bei der Regierung und hernach beim kantonalen Verwaltungsgericht angefochten. Die von ihm eingereichte staatsrechtliche Beschwerde richtet sich nur gegen den Entscheid der Regierung. Zur Anfechtung des Urteils des Verwaltungsgerichtes hat er keinen Anlass, da dieses seinem Begehren entsprochen und die Einzonung des streitigen Landstückes angeordnet hat. Bliebe es dabei, so könnte die von Josef Müssgens gegen den Regierungsentscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde als gegenstandslos abgeschrieben werden. Die Gemeinde Sils i.E. hat indessen ihrerseits gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichtes wegen Verletzung der Gemeindeautonomie staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Eine Gutheissung dieser Autonomiebeschwerde setzt voraus, dass die im Zonenplan der Gemeinde vorgesehene Einweisung des Grundstückes in das übrige Gemeindegebiet vor der Eigentumsgarantie standhält (BGE 99 Ia 715). Bei der Beurteilung der gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes erhobenen Autonomiebeschwerde muss, wie sich zeigen wird, auch über die Rügen befunden werden, die Josef Müssgens in seiner im Anschluss an den Regierungsentscheid eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde wegen ![]() | 12 |
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b) Den bündnerischen Gemeinden steht beim Erlass und bei der Abänderung von Zonenplänen auch unter der Herrschaft des neuen kantonalen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 ein weiter Spielraum der freien Gestaltung zu. Sie sind in diesem Bereich autonom und können sich, wenn eine kantonale Behörde in ihre Befugnis zur selbständigen Festlegung der Zonenpläne ungerechtfertigt eingreift, auf den Schutz der Gemeindeautonomie berufen (vgl. BGE 103 Ia 184 f.). Wann eine Gemeinde durch den Entscheid einer kantonalen Aufsichts- oder ![]() ![]() | 14 |
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a) Mit dem am 18. Juli 1975 beschlossenen neuen Zonenplan will die Gemeinde Sils i.E. zum Schutz des Landschafts- und Ortsbildes die Bauzonen auf das unbedingt notwendige Ausmass reduzieren und zugleich die beiden Ortsteile Sils-Baselgia und Sils-Maria nach Möglichkeit getrennt halten. Sie hat dementsprechend längs der Verbindungsstrasse zwischen den beiden Ortsteilen nur die bereits überbauten Grundstücke in der Bauzone belassen, die übrigen Parzellen dagegen in das übrige Gemeindegebiet gewiesen. Gleichzeitig soll auch die Umgebung östlich, nördlich und westlich des Muot Marias, eines markanten bewaldeten Hügels in der Mündung des Fextales, von der Überbauung freigehalten werden.
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b) Im Genehmigungs- und Beschwerdeentscheid der Regierung wird festgestellt, dass es sich aus Gründen des Landschaftsschutzes und der Siedlungsgestaltung rechtfertigen lasse, im Ortsteil Sils-Baselgia die Bauzone auf das im wesentlichen bereits überbaute Gebiet zu beschränken und dass es dem Planungskonzept widerspräche, den südwestlichen Teil der Parzelle Nr. 2286 von Josef Müssgens ebenfalls einzuzonen.
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Der Beschwerdeführer Josef Müssgens bestreitet, dass es im öffentlichen Interesse liege, den fraglichen Teil der genannten Parzelle von der Überbauung freizuhalten. Im Süden, Westen und Osten sei das gesamte Gebiet bereits überbaut und dementsprechend auch einer Bauzone zugewiesen bzw. in der Bauzone belassen worden. Durch eine Überbauung des dazwischen liegenden Teils der Parzelle Nr. 2286 werde das Landschafts- und Ortsbild in keiner Weise beeinträchtigt. Anderseits habe er, ![]() | 18 |
Das Verwaltungsgericht hat sich dieser Argumentation im wesentlichen angeschlossen und dem Begehren um Einzonung des betreffenden Landstücks entsprochen. Es setzte sich dabei über die dargelegte Kompetenzaufteilung zwischen Regierung und Verwaltungsgericht insofern hinweg, als es auch das der angefochtenen Zoneneinteilung zugrunde liegende Planungskonzept sachlich überprüfte. Es führte aus, die Absicht der Gemeinde, aus Gründen des Ortsbildschutzes die beiden alten romanischen Dorfteile in sich geschlossen und das Gebiet Zwischen diesen beiden Fraktionen möglichst frei zu halten, sei sicher grundsätzlich schützenswert. Doch sei dieses Planungsziel bei der heute gegebenen baulichen Situation beinahe illusorisch. Jedenfalls sei schwer einzusehen, inwiefern die Nichteinzonung des streitigen Areals diesem Ziel dienlich sein solle. Gerade im Bereich der Siedlung Sils-Baselgia sei die bauliche Entwicklung so weit fortgeschritten, dass die Freihaltung des fraglichen Parzellenteils nicht geeignet sei, die gewollte Trennung der beiden alten Dorfteile und die Schaffung einer baulichen Zäsur herbeizuführen. Die angefochtene Massnahme beruhe auf keinem öffentlichen Interesse, welches das entgegenstehende private Interesse des Grundeigentümers überwiegen würde.
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Die Gemeinde Sils i.E. räumt ein, dass zwischen Sils-Baselgia und Sils-Maria schon eine Reihe von Bauten stünden. Es habe sich daher nicht umgehen lassen, einen Teil des zwischen den Ortsteilen liegenden Gebietes der Zone für Wohnquartiere zuzuweisen. Gleichzeitig habe die Gemeinde aber alles daran gesetzt, die Siedlungen Sils-Baselgia und Sils-Maria nach Möglichkeit getrennt zu halten, und daher entlang der Strasse zwischen den beiden Ortsteilen nur noch gerade die bereits überbauten Parzellen eingezont. Die Freihaltung des Gebietes vor dem Hotel Margna einerseits und vor dem Hügel Muot Marias anderseits sei zur Aufrechterhaltung dieses Planungskonzeptes notwendig. Ausserdem ermöglichten diese Zäsuren einen Blick in Richtung auf den Silvaplanersee.
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c) Der Augenschein hat gezeigt, dass sich die planerischen Argumente der Gemeinde mit guten Gründen vertreten lassen. Würde der fragliche Teil der Parzelle Nr. 2286 zur Überbauung ![]() | 21 |
Das dargelegte öffentliche Interesse verdient gegenüber den berührten privaten lnteressen des beschwerdeführenden Grundeigentümers den Vorzug. Zunächst ist festzuhalten, dass bei der Zonenplanrevision von 1975 die Grenze der Gefahrenzone im Bereiche der Parzelle Nr. 2286 etwas nach Westen zurückversetzt wurde, was es Josef Müssgens ermöglichte, westlich des Hotelgebäudes ein dreigeschossiges Personalhaus zu erstellen. Sein Interesse, über Reservebauland für Betriebserweiterungen zu verfügen, erscheint für die nähere Zukunft nicht als aktuell. Sollte sich ein solches Bedürfnis aktualisieren, so wäre im Rahmen der allfälligen Planänderung zu prüfen, ob die Erweiterung der Bauzone auf Parzelle Nr. 2286 nicht eher in nordöstlicher Richtung statt entlang der Strasse nach Sils-Maria erfolgen sollte. Das geltend gemachte Bedürfnis nach einer Baulandreserve für die drei Kinder muss ebenfalls zurücktreten, schon deshalb, weil solche Bauten nicht auf einen bestimmten Standort angewiesen sind. Irgendwelche Umstände, welche das private Interesse an der Belassung des streitigen Parzellenteiles in der Bauzone als besonders gewichtig und schützenswert erscheinen lassen würden, liegen nicht vor. Das der angefochtenen Auszonung entgegenstehende private Interesse ist im wesentlichen rein finanzieller Natur. Es ist, falls in der Auszonung eine materielle Enteignung liegen sollte, durch eine Entschädigung abzugelten. Doch vermag es, was die sachliche Zulässigkeit der angefochtenen Planungsmassnahme ![]() | 22 |
d) Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie erweist sich somit als unbegründet. Ebensowenig kann der Gemeinde vorgeworfen werden, dass sie bei der Ausübung ihres planerischen Ermessens in Willkür verfallen sei und dadurch Art. 4 BV verletzt habe. Indem das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine derartige Verfassungsverletzung annahm und die Wiedereinzonung des fraglichen Parzellenteiles anordnete, verletzte es die Gemeindeautonomie. Die von der Gemeinde Sils i.E. erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichtes aufzuheben. Das weitergehende Begehren der Gemeinde, es sei zugleich der beim Verwaltungsgericht erhobene Rekurs abzuweisen, ist unzulässig; es obliegt dem Verwaltungsgericht, über dieses bei ihm hängige Rechtsmittel nach Massgabe der bundesgerichtlichen Erwägungen neu zu entscheiden. Die staatsrechtliche Beschwerde des Josef Müssgens ist nach dem Gesagten abzuweisen.
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