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29. Urteil vom 21. Juni 1978 i.S. Schefer gegen Stadtrat von Rorschach und Regierungsrat des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Verfahren; Handels- und Gewerbefreiheit. |
2. Anfechtung von Bestätigungs- und Vollzugsakten; Sonderregel für unverzichtbare und unverjährbare Grundrechte (E. 2b). |
3. Voraussetzungen für die Annahme der Nichtigkeit einer Verfügung (E. 2c). |
4. Art. 31 BV. Inanspruchnahme des öffentlichen Grundes für die Verlegung von Kabeln für private Fernseh-Gemeinschaftsantennenanlagen. Aufteilung des Gemeindegebietes in verschiedene, je einer ortsansässigen Firma zugewiesene Interessengebiete (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Erwägungen: | |
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a) Mit einer gegen eine Einzelverfügung erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde kann vorfrageweise auch die Verfassungsmässigkeit der zur Anwendung gebrachten generell-abstrakten Norm bestritten werden (BGE 102 Ia 42, 326; 101 Ia 194; BGE 100 Ia 296, 324; BGE 98 Ia 164; BGE 97 I 334 mit weiteren Hinweisen). Der Beschwerdeführer könnte somit den Beschluss des Stadtrates vom 6. September 1977 über die Ausscheidung von Interessengebieten, auf Grund dessen ihm in der Folge die Verlegung eines Kabels ausserhalb des ihm zugewiesenen Gebietes verweigert wurde, dann vorfrageweise auf seine Verfassungsmässigkeit hin überprüfen lassen, wenn dieser Beschluss den Charakter einer generell-abstrakten Norm hätte und der Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde bildende Entscheid als Anwendungsakt dieser Norm, als konkretisierende Einzelverfügung zu betrachten wäre.
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Der Beschluss des Stadtrates, den drei konkurrierenden Unternehmen je ein bestimmtes Interessengebiet zuzuweisen, innerhalb dessen künftig nur noch der jeweils zuständigen Firma die Kabelverlegung gestattet werden soll, hat indessen keinen generell-abstrakten Charakter, sondern er erfüllt seinerseits bereits alle wesentlichen Begriffsmerkmale einer Verfügung. Er richtet sich an einen ganz bestimmten Adressatenkreis - nämlich an die drei ortsansässigen Radio- und Fernsehgeschäfte - und regelt eine konkrete Situation, indem er unter Berücksichtigung des heute gegebenen Konkurrenzverhältnisses durch Zuweisung von Interessengebieten die Bewilligungspraxis gegenüber diesen Firmen festlegt. Der Beschluss vom 6. September 1977 wurde dementsprechend nur den beteiligten Firmen sowie den zuständigen städtischen Amtsstellen in Form eines Protokollauszuges mitgeteilt. Wohl berührt die getroffene Regelung auch die Interessen auswärtiger Drittunternehmen, welche in Rorschach allenfalls solche Gemeinschaftsantennenanlagen erstellen könnten, sowie die Grundeigentümer in den verschiedenen Interessengebieten, welche ihre Liegenschaften praktisch nur noch an die Anlage der für ihr Gebiet zuständigen ![]() | 5 |
Das entspricht auch der Ratio dieser Regel: Dass die Verfassungsmässigkeit einer generell-abstrakten Norm noch anlässlich eines gestützt auf sie ergangenen Anwendungsaktes bestritten werden kann, beruht vor allem auf der Überlegung, dass der Einzelne beim Erlass einer solchen Norm im allgemeinen noch nicht weiss, ob und wie sie ihn eines Tages treffen wird, und für ihn insofern kein Anlass besteht, die generell-abstrakte Vorschrift sofort im Anschluss an ihren Erlass anzufechten (BGE 90 I 353; GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweizerischen Bundesgerichtes, S. 79/80; W. BURCKHARDT, Die Befristung des staatsrechtlichen Rekurses, in ZBJV 1926/62 S. 58/59). Im vorliegenden Falle war indessen für den Beschwerdeführer klar, wie sich der Stadtratsbeschluss vom 6. September 1977 über die Gebietsaufteilung für ihn auswirken würde. Wenn der Stadtrat dem Beschwerdeführer die Bewilligung zur Kabelverlegung im Bereiche der Mariabergstrasse verweigerte, so bestätigte er damit lediglich seinen früheren Beschluss vom 6. September 1977. Es gelten in einem solchen Falle die Regeln über die Anfechtung von Bestätigungs- und Vollzugsakten.
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b) Eine Verfügung, welche auf einer rechtskräftigen früheren Verfügung beruht und diese lediglich vollzieht oder bestätigt, kann nicht mit der Begründung angefochten werden, die frühere Verfügung sei verfassungswidrig; eine solche Rüge ist verspätet (BGE 88 I 265). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die bundesgerichtliche Rechtsprechung dann, wenn der Beschwerdeführer die Verletzung unverzichtbarer und unverjährbarer Rechte rügt (BGE 100 Ia 296; 97 I 916; BGE 93 I 351; BGE 88 I 265). Besondere Regeln gelten ferner für die Vollstreckung ausserkantonaler Entscheide (BGE 102 Ia 195; BGE 88 I 265 mit Hinweisen).
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Zu den unverzichtbaren und unverjährbaren Rechten, auf die sich ein Beschwerdeführer auch noch im Anschluss an jede Vollzugs- oder Bestätigungsverfügung berufen kann, gehören nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes bestimmte, dem Einzelnen um seiner Persönlichkeit willen zustehende fundamentale Rechte, ![]() | 8 |
Die neuerdings in der Literatur (LEUENBERGER, a.a.O. S. 81 ff., S. 134 ff.) aufgeworfene Frage, ob es gerechtfertigt sei, eine Reihe bestimmter Grundrechte unabhängig von der Schwere des Eingriffs und den übrigen konkreten Umständen bezüglich der Einhaltung der Beschwerdefrist generell zu privilegieren, oder ob nicht richtigerweise, unter Verzicht auf einen festen Katalog privilegierter Freiheitsrechte, jeweils einzelfallmässig (ähnlich wie bei der Frage der Nichtigkeit) das Interesse am Schutz des berührten Grundrechtes gegenüber jenem der Rechtssicherheit und der Verfahrensökonomie abgewogen werden sollte, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Auch eine dahingehende Änderung der Rechtsprechung vermöchte dem Beschwerdeführer nichts zu nützen. Selbst wenn man die Möglichkeit der Anfechtung von Vollzugs- und Bestätigungsakten im erwähnten Sinne auf sämtliche Grundrechtsrügen ausdehnen wollte, wäre es unter den konkreten Umständen nicht angebracht, eine nachträgliche Anrufung der Handels- und Gewerbefreiheit gegenüber dem rechtskräftigen Beschluss vom 6. September 1977 noch zuzulassen.
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c) Dass dieser Beschluss schlechthin nichtig sei und es gegen das Willkürverbot verstosse, ihm irgendwelche Rechtswirkungen beizulegen (vgl. dazu LEUENBERGER, a.a.O. S. 92), wird in der staatsrechtlichen Beschwerde mit Grund nicht geltend gemacht. Fehlerhafte Verwaltungsakte sind in der Regel nicht nichtig, sondern nur anfechtbar, und sie werden durch Nichtanfechtung rechtsgültig. Nichtigkeit, d.h. absolute Unwirksamkeit einer Verfügung, wird nur angenommen, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich ![]() | 10 |
d) Ob allenfalls bei Eintreten oder Bekanntwerden neuer, bei Erlass des Stadtratsbeschlusses vom 6. September 1977 nicht berücksichtigter Tatsachen ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Wiedererwägung besteht, braucht hier nicht erörtert zu werden. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Bewilligungsgesuch vom 1. Oktober 1977 beim Stadtrat keine solchen Wiedererwägungsgründe geltend gemacht, und seine gegen die Ablehnung dieses Gesuches erhobene staatsrechtliche Beschwerde läuft auf eine verspätete Anfechtung des Stadtratsbeschlusses vom 6. September 1977 hinaus.
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Soweit der Beschwerdeführer dem Regierungsrat vorwirft, eine Überprüfung dieses Beschlusses abgelehnt zu haben, ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen; soweit er im Verfahren vor Bundesgericht eine solche Überprüfung verlangt, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
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Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang auf BGE 101 Ia 479 ff. Danach kann, in Änderung der früheren Rechtsprechung, die Handels- und Gewerbefreiheit auch für Erwerbstätigkeiten angerufen werden, die mit einem gesteigerten Gemeingebrauch öffentlichen Grundes verbunden sind. Das Bundesgericht überprüft alsdann, soweit Art. 31 BV Platz greift, die angefochtene Massnahme hinsichtlich der Interessenabwägung und der Verhältnismässigkeit nicht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür, sondern mit freier Kognition; es ![]() | 14 |
Nach dem st. gallischen Recht (vgl. Art. 96 ff. des Gesetzes über das Strassenwesen) gilt die Verlegung privater Leitungen im öffentlichen Grund als gesteigerter Gemeingebrauch, welcher der Bewilligung der zuständigen Gemeindebehörde bedarf.
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Der unter der Strassenoberfläche zur Verfügung stehende Raum ist beschränkt und hat in erster Linie die Leitungen der öffentlichen Werke aufzunehmen. Jede Verlegung einer zusätzlichen Leitung macht in der Regel eine Öffnung der Strassenoberfläche erforderlich und behindert damit die Benützung der Strasse; ferner werden dadurch künftige Reparatur- und Anpassungsarbeiten erschwert. Es entspricht daher einer vernünftigen, vor der Handels- und Gewerbefreiheit standhaltenden Interessenabwägung, wenn die Gemeinde die Verlegung von Fernsehkabeln im öffentlichen Grund nicht jedem Gesuchsteller unbesehen gestattet, sondern durch Festlegung einer bestimmten Bewilligungspraxis dafür sorgt, dass die Erschliessung des Gemeindegebietes für den Anschluss an private Gemeinschaftsantennenanlagen rationell erfolgt und nicht unnötig viele Kabel verlegt werden. Sind in einer Gemeinde mehrere Firmen tätig, die sich mit der Errichtung solcher Anlagen befassen, so erscheint es als verfassungsrechtlich zulässig, wenn die Gemeindebehörde, statt von Fall zu Fall über die von den Konkurrenten gestellten Gesuche zu entscheiden, jeder der interessierten Firmen einen Teil des Gemeindegebietes zur ausschliesslichen Bearbeitung zuweist und damit den Aufbau eines zweckmässigen, den öffentlichen Grund möglichst schonenden Kabelnetzes ermöglicht. Eine derartige Lösung liegt insoweit, als sie die Kosten der Erschliessung herabsetzt, auch im Interesse der Grundeigentümer. Es versteht sich, dass die Gemeinde bei einer solchen Aufteilung gegenüber den interessierten Firmen den Grundsatz der Rechtsgleichheit zu beachten hat. Der Beschwerdeführer bringt jedoch nichts vor, was die im Stadtratsbeschluss vom 6. September 1977 vorgesehene Aufteilung als unhaltbar erscheinen liesse. Er ficht die fragliche Regelung nur dem Grundsatz nach an und erhebt keine Rügen hinsichtlich ihrer Ausgestaltung im einzelnen. Der Hinweis auf seine bisherigen Investitionen ist unbehelflich, da er nicht dartut, ![]() | 16 |
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