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47. Urteil vom 1. November 1978 i.S. Escher gegen Staatsrat des Kantons Wallis | |
Regeste |
Art. 4 BV und Gewaltentrennung; Numerus-clausus bei der Zulassung zu einem staatlichen Lehrerseminar. |
2. Zulässigkeit der Gesetzesdelegation: die gesetzliche Ermächtigung an die Exekutive, quantitative Zulassungsbeschränkungen einzuführen, muss als "Grundzüge der Regelung" zumindest Art und Zweck der Massnahmen, die für deren Durchführung zuständige Behörde und die Auswahlkriterien in der Delegationsnorm nennen. Art. 66 des Unterrichtsgesetzes des Kantons Wallis erfüllt diese Anforderungen nicht (E. 3). |
3. Gewohnheitsrecht als gesetzliche Grundlage: Erfordernis einer Lücke des geschriebenen Rechts und eines unabweislichen Bedürfnisses, sie zu füllen; in casu verneint (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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Art. 66 UntG lautet in deutscher Fassung:
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"Das Lehrerseminar bereitet auf den Beruf des Primarlehrers vor. Es ist jedem Schüler zugänglich, der die im Reglement vorgesehenen Bedingungen erfüllt."
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Nach Art. 130 Abs. 1 UntG werden die in diesem Gesetz erwähnten Reglemente vom Staatsrat erlassen, wenn dafür nicht ausdrücklich eine andere Behörde bezeichnet ist.
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Gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. d des Reglementes setzt das Erziehungsdepartement alljährlich die Zahl der ins Lehrerseminar aufzunehmenden Kandidaten fest. Art. 36 des Reglementes führt hiezu weiter aus:
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"Das Departement bestimmt alljährlich die Zahl der Kandidaten, welche in die verschiedenen Abteilungen und in die Spezialkurse aufgenommen werden.
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Wenn die Zahl der Kandidaten, welche die Prüfungen bestanden haben, die Bedürfnisse der Schule übersteigt, werden jene von ihnen berücksichtigt, die hinsichtlich ihrer Eigenschaften als Erzieher, ihrer Vorbildung und ihrer beruflichen Eignung am besten ausgewiesen sind."
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Die beiden Bestimmungen entsprechen Art. 11 Abs. 2 lit. d und Art. 37 des früheren Reglementes von 1964.
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Der in Brig-Glis wohnhafte und stimmberechtigte Stefan Escher ficht mit staatsrechtlicher Beschwerde an sich das ganze Reglement von 1977, sinngemäss jedoch nur die in den Art. 10 Abs. 2 lit. d und Art. 36 enthaltene quantitative Beschränkung ![]() | 9 |
Erwägungen: | |
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a) Zur Anfechtung eines allgemeinverbindlichen Erlasses oder einer Anordnung mit Rechtssatzcharakter wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) ist jeder legitimiert, auf den die als verfassungswidrig bezeichneten Vorschriften künftig einmal angewandt werden könnten. Es genügt ein virtuelles Betroffensein, und die diesbezüglichen Anforderungen sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gering. Nur wo es nach der vom Erlass geregelten Materie von vornherein als ausgeschlossen erscheint, dass der Beschwerdeführer von den angefochtenen Normen einmal berührt werden könnte, wird das erforderliche praktische Interesse an der Beschwerdeführung verneint; es braucht lediglich eine gewisse minimale Wahrscheinlichkeit, einmal betroffen werden zu können (BGE 102 Ia 205 E. 3, BGE 103 Ia 371 E. 1, mit Hinweisen).
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Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer im Kanton Wallis wohnhaft, 31jährig, verheiratet und Vater bisher eines Kindes. Es ist zwar wenig wahrscheinlich, dass er als praktizierender Anwalt und Notar sich selbst noch um die Zulassung zum kantonalen Lehrerseminar bewerben wird, doch ist nicht ausgeschlossen, dass dies einmal sein jetziges oder ein späteres Kind tun wird. Dies genügt, um dem Beschwerdeführer die Legitimation zuzuerkennen.
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b) Im Zusammenhang mit dem Vorwurf, die mangelnde Bestimmtheit der Delegationsnorm (Art. 66 UntG) verletze den Grundsatz der Gewaltentrennung, macht der Beschwerdeführer summarisch auch eine Beeinträchtigung des Stimmrechts "im Hinblick auf das obligatorische Gesetzesreferendum gemäss Art. 30 der Verfassung des Kantons Wallis" geltend. Diese beiden Rügen können nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zusammenfallen, jedoch nur in bestimmten Fällen, etwa wenn eine Delegationsnorm, durch die angeblich eine referendumspflichtige Materie künftig der Volksabstimmung ![]() | 13 |
Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, inwiefern der angefochtene Erlass in anderer Weise sein politisches Stimmrecht verletzen sollte (zu dessen Inhalt vgl. BGE 101 Ia 254 E. 3a, mit Verweisungen). Art. 85 lit. a OG kann hier daher keine Anwendung finden.
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3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die in den Art. 10 Abs. 2 lit. d und Art. 36 Abs. 1 des Reglementes dem Erziehungsdepartement eingeräumte Befugnis, die Zahl der ins Lehrerseminar ![]() | 16 |
Der Staatsrat entgegnet, Art. 66 UntG enthalte eine allgemeine Delegation an die Exekutive, die Zulassung zum Lehrerseminar zu regeln. Diese Delegation sei nicht beschränkt auf die von den Kandidaten in ihrer Person zu erfüllenden Bedingungen. Aus dem amtlichen Sitzungsprotokoll des Grossen Rates vom Mai 1962 ergebe sich klar, dass ein blosses Rahmengesetz geschaffen und sämtliche Zulassungsbedingungen durch ein Reglement geordnet werden sollten. Den von verschiedenen Grossräten geäusserten Bedenken gegen die allgemeine Ermächtigung habe der damalige Vorsteher des Erziehungsdepartementes entgegengehalten, dass ein blosses Rahmengesetz nicht alle Einzelheiten enthalten könne, ein detailliertes Gesetz aber nicht in Frage komme, da es sonst nach seiner Annahme sogleich wieder den inzwischen veränderten Verhältnissen angepasst werden müsste. Die auf Art. 66 UntG gestützten Ausführungsbestimmungen dürften daher auch objektive Zulassungsvoraussetzungen enthalten.
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a) Gemäss BGE 103 Ia 376 ff und 402 E. 3a gelten der Gesetzesvorbehalt und die zu ihm entwickelten Grundsätze über die Zulässigkeit der Gesetzesdelegation im Prinzip auch in der Leistungsverwaltung. Da sich im vorliegenden Fall die Frage der Gesetzmässigkeit und der Zulässigkeit der Gesetzesdelegation im Bereich der leistenden Verwaltung (Bildungswesen) stellt, sind die vom Bundesgericht entwickelten Grundsätze hier anzuwenden.
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b) Nach Art. 66 Abs. 2 UntG ist das Lehrerseminar "jedem Schüler zugänglich, der die im Reglement vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt". Vom Wortlaut her gesehen kann diese Bestimmung kaum als Ermächtigung zur Einführung auch quantitativer Begrenzungen bei der Zulassung zum Seminar verstanden werden. Die Formulierung bezieht sich offenbar auf ![]() | 19 |
Die Frage, ob Art. 66 Abs. 2 UntG als gesetzliche Grundlage der angefochtenen Massnahme ausreicht, kann jedoch offen bleiben, weil die Bestimmung so oder so den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt, die an eine Delegationsnorm zu stellen sind.
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c) Nach feststehender bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Delegation rechtssetzender Befugnisse an Verwaltungsbehörden zulässig, wenn sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen wird, wenn sie auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt wird und das Gesetz die Grundzüge der Regelung selbst enthält, soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend berührt, und wenn sie in einem der Volksabstimmung unterliegenden Gesetz enthalten ist. Ob die Delegationsnorm diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, prüft das Bundesgericht frei (BGE 103 Ia 374 E. 3a und 404 ff. mit Verweisungen).
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Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer nicht geltend, der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen an die Exekutive stehe eine Norm des kantonalen Rechts entgegen. Die Delegation beschränkt sich auf den Gegenstand der Bedingungen für die Zulassung zum Seminar, und die Delegationsnorm ![]() | 22 |
Im vorliegenden Fall müssen schliesslich auch die Auswahlkriterien bei der Durchführung des Numerus-clausus in ihren wesentlichen Zügen gesetzlich verankert werden. Im Gegensatz etwa zu den Universitäten erfordert der Zugang zum Lehrerseminar keinen qualifizierten Tauglichkeitsausweis (vgl. die Zulassungsbedingungen in Art. 29 des Reglementes); durch den Numerus-clausus könnte also eine Vielzahl von Bewerbern, die zur Ausbildung als Lehrer durchaus geeignet wären, von dieser allgemein zugänglichen Bildungseinrichtung ausgeschlossen werden; dies wäre - vor allem in Hinblick auf die Wahrung der Rechtsgleichheit - verfassungsrechtlich bedenklich (vgl. BGE 103 Ia 388 f.). Im genannten Urteil Wäffler, das den Numerus-clausus bei der Zulassung zur Universität Basel betraf, hat das Bundesgericht die mangelnde gesetzliche Verankerung der Auswahlkriterien allerdings hingenommen, und zwar aus folgenden Gründen: die in jenem Fall zu treffende Lösung hänge von einer Vielzahl noch nicht geklärter tatsächlicher Umstände ab und müsse allenfalls wegen inzwischen gesammelter Erfahrungen oder infolge veränderter Verhältnisse rasch ![]() | 23 |
Die Anforderung, Art und Zweck der Massnahme sowie die für ihre Durchführung zuständige Behörde und die Auswahlkriterien (in ihren wesentlichen Zügen) im Gesetz selbst aufzuführen, war dem Gesetzgeber durchaus zuzumuten. Es ist nicht einzusehen, weshalb die in Art. 37 des früheren und in Art. 36 des neuen Reglementes getroffene Regelung nicht hätte ins Gesetz von 1962 aufgenommen werden können, zumal schon das frühere Gesetz von 1946 in Art. 127 Abs. 2 wenigstens die Art der Massnahme und die für ihre Durchführung zuständige Behörde genannt hatte.
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Art. 66 Abs. 2 UntG genügt somit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, die an die Bestimmtheit einer Delegationsnorm zu stellen sind. Die Art. 10 Abs. 2 lit. d und 36 des Reglementes sind daher aufzuheben.
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4. a) Der Staatsrat bringt eventualiter vor, die Zulassungsbegrenzung beruhe auch auf Gewohnheitsrecht. Dieses ist ![]() | 26 |
b) Schliesslich ändert auch nichts, dass der Grosse Rat des Kantons Wallis das fragliche Reglement des Staatsrats als Ganzes genehmigt hat. Eine solche Genehmigung verändert nämlich den rechtlichen Charakter dieser unselbständigen Verordnung nicht; diese bleibt eine Verordnung des Staatsrates (BGE 100 Ia 69). Weder das Reglement selbst noch der Genehmigungsbeschluss unterlagen dem Referendum, weshalb auch hier keine gesetzliche Grundlage zu finden ist.
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