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61. Auszug aus dem Urteil vom 13. Dezember 1978 i.S. Rankl und Konsorten gegen Leder-Locher AG und Konsorten sowie Kassationsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Kantonales Zivilprozessrecht. Art. 4 BV, vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 31 MSchG. |
2. Ist in einem Streit um vorsorgliche Massnahmen nach MSchG die Frage, ob der Kläger "glaubhaft gemacht" hat, dass die Gegenpartei sein Markenrecht verletzt hat, materieller oder prozessualer Natur? Begriff des "Glaubhaftmachens" (E. 4 und 5). | |
Sachverhalt | |
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Auf Begehren von Rankl, der Etienne Aigner International AG und der Etienne Aigner (Suisse) AG erliess der Einzelrichter am Handelsgericht des Kantons Zürich am 3. Februar 1978 gegenüber der Leder-Locher AG und deren beiden Verwaltungsräten Hans und Mathilde Locher im summarischen Verfahren eine vorsorgliche Massnahme. Es wurde ihnen verboten, die mit dem vorstehend geschilderten Zeichen versehenen Waren des Sortiments "exclusive" herzustellen, herstellen zu lassen, zu vertreiben, vertreiben zu lassen oder für sie zu werben, unter der Androhung der Bestrafung der Firmenorgane wegen Ungehorsams im Sinne von Art. 292 StGB. Gleichzeitig wurde den Gesuchstellern eine zwanzigtägige Frist zur Einreichung einer Klage im ordentlichen Verfahren angesetzt.
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Gegen diese Verfügung erhoben die Leder-Locher AG sowie Hans und Mathilde Locher beim Kassationsgericht des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht ![]() | 3 |
Gegen diesen Entscheid erhoben Heiner Rankl, die Etienne Aigner International AG und die Etienne Aigner (Suisse) AG staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, es sei der Beschluss des Kassationsgerichtes des Kantons Zürich vom 14. April 1978 aufzuheben und die Verfügung des Einzelrichters im summarischen Verfahren am Handelsgericht vom 3. Februar 1978 zu bestätigen. Die Firma Leder-Locher AG sowie ihre beiden Verwaltungsräte beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Kassationsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
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Aus den Erwägungen: | |
3. a) Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zu beurteilen bleibt somit nur noch die Rüge, das Kassationsgericht habe kantonales Prozessrecht willkürlich angewendet und damit gegen Art. 4 BV verstossen. In diesem Zusammenhang bringen die Beschwerdeführer vor, das Kassationsgericht habe ohne vertretbaren Grund die Nichtigkeitsbeschwerde der Leder-Locher AG und ihrer Verwaltungsräte gegen den vorsorglichen Entscheid des Einzelrichters statt auf Grund von § 281 Ziff. 3 ZPO (Verletzung klaren materiellen Rechtes) in Anwendung von § 281 Ziff. 1 ZPO (Verletzung eines wesentlichen ![]() | 5 |
b) Gemäss § 69 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung vom 13. Juni 1976 (GVG) können vorsorgliche Massnahmen des handelsgerichtlichen Einzelrichters im Sinne von § 61 GVG in Verbindung mit § 222 Ziff. 2 und 3 ZPO nur mit Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationsgericht angefochten werden. § 281 ZPO, der die Kassationsgründe aufzählt, lautet wie folgt:
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"Gegen Vor-, Teil- und Endentscheide sowie gegen Rekursentscheide und Rückweisungen im Berufungsverfahren kann Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden, wenn geltend gemacht wird, der angefochtene Entscheid beruhe zum Nachteil des Nichtigkeitsklägers
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1. auf der Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes,
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2. auf einer aktenwidrigen oder willkürlichen tatsächlichen Annahme oder
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3. auf einer Verletzung klaren materiellen Rechts."
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Aus der Wendung "Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes" in § 281 Ziff. 1 ZPO ist abzuleiten, dass der Kassationsinstanz bei der Prüfung der prozessualen Rügen des Nichtigkeitsklägers freie Prüfungsbefugnis zusteht (STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 14 zu § 281 ZPO). Demgegenüber darf eine Nichtigkeitsbeschwerde aus materiellen Gründen nur bei Verletzung klaren Rechts gutgeheissen werden. "Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur gegen grobe Verstösse und Irrtümer bei der Anwendung materiellen Rechts Abhilfe schaffen... Vorausgesetzt wird, dass über die Auslegung einer Rechtsvorschrift kein begründeter Zweifel bestehen kann" (STRÄULI/MESSMER, N. 45 zu § 281 ZPO mit zahlreichen Verweisungen auf die Rechtsprechung zu der in diesem Punkt im wesentlichen gleich lautenden Bestimmung von § 344 Ziff. 9 alt ZPO). Die Umschreibung der Kognitionsbefugnis des Kassationsgerichtes bei Anwendung von § 281 Ziff. 3 ZPO deckt sich somit weitgehend mit derjenigen des Bundesgerichtes im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren wegen Willkür im Sinne von Art. 4 BV. Der ![]() | 11 |
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Das Kassationsgericht stützte sich im angefochtenen Entscheid sowohl auf Art. 31 MSchG als auch auf § 222 Ziff. 3 ZPO. Zu Recht; denn Art. 31 MSchG enthält die materiellrechtliche Grundlage für den Erlass vorsorglicher Massnahmen auf dem Gebiete des Markenrechtes, und § 222 Ziff. 3 ZPO bestimmt in prozessualer Hinsicht, dass solche Massnahmen generell und unabhängig davon, wo sich ihre materiellrechtliche Grundlage befinde, schon vor der Hängigkeit eines ordentlichen Prozesses vom Einzelrichter im summarischen Verfahren erlassen werden können. Der Begriff des "Glaubhaftmachens" findet sich ausdrücklich weder in der einen noch in der andern der genannten Bestimmungen. Indessen ist unbestritten, dass vorsorgliche Massnahmen, die auf eine Vorwegnahme des Vollzuges des eingeklagten oder einzuklagenden Anspruchs hinauslaufen, dessen Glaubhaftmachung voraussetzen. Für das materielle Markenrecht wird dies aus der Parallele zum Patentrecht abgeleitet, dessen Art. 77 Abs. 2 die Voraussetzung des Glaubhaftmachens ausdrücklich nennt (vgl. dazu TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Aufl., Basel 1971, Band II, S. 1201 f. und 1204; MATTER, Komm. zum MSchG, Zürich 1939, S. 261, N. II/3 zu Art. 31 MSchG). Unter "Glaubhaftmachen" wird im Immaterialgüterrecht ebenso wie bei der Prüfung von Gesuchen um vorsorgliche Massnahmen aus anderen Rechtsgebieten ein Wahrscheinlichkeitsbeweis verstanden (vgl. für das Immaterialgüterrecht: TROLLER, a.a.O. S. 1202). Das Bundesgericht hat in einem Entscheid zum bernischen Recht, das sich in diesem Punkt nicht ![]() | 13 |
"Ob sich die "Glaubhaftmachung" auch auf die rechtliche Begründetheit des Anspruchs beziehe, ist umstritten. Während Leuch (N. 3 zu Art. 326 bern. ZPO) die Annahme vertritt, der Richter habe "restlos" abzuklären, ob der Anspruch unter den glaubhaft gemachten tatsächlichen Voraussetzungen Bestand habe, neigt die Praxis dazu, um der erforderlichen Raschheit des Verfahrens willen sich (wenigstens in schwierigen Rechtsfragen) auf eine summarische Prüfung zu beschränken (vgl. ZR 47 Nr. 96 S. 214)."
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Im vorliegenden Fall muss zu dieser Frage nicht Stellung genommen werden. Es genügt, festzustellen, dass der Begriff des "Glaubhaftmachens" notwendigerweise zwei Aspekte aufweist: einerseits ist dem Richter die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen, und anderseits muss dieser entweder abschliessend oder doch zum mindesten summarisch prüfen, ob sich aus diesen Tatsachen der geltend gemachte Anspruch ergibt. Das erste ist offensichtlich eine prozessuale, das zweite eine materiellrechtliche Frage.
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Der angefochtene Entscheid des Kassationsgerichtes bezieht sich nicht auf Beweisfragen. Es handelte sich nicht darum, zu prüfen, ob der Einzelrichter bestimmte zusätzliche Erhebungen etwa über die Verwechselbarkeit der streitigen Marken oder über deren Gebrauch hätte anstellen müssen (vgl. STRÄULI/ MESSMER, a.a.O., N 34 zu § 281 ZPO). Vielmehr ging das Kassationsgericht von den vorliegenden Akten aus, die es in Übereinstimmung mit dem Einzelrichter mindestens für das Massnahmeverfahren als ausreichend betrachtete. Überprüft und nicht gebilligt hat das Kassationsgericht einzig die Feststellung des Einzelrichters, die nicht nur glaubhaft gemachten, sondern sich - soweit hier wesentlich - klar aus den Akten ergebenden Tatsachen ![]() | 17 |
Denkbar wäre allenfalls, dass das Kassationsgericht der Auffassung war, der zürcherische Gesetzgeber habe den Entscheid des Sachrichters über vorsorgliche Massnahmen ganz allgemein als einen reinen Verfahrensentscheid betrachtet; denn nur wenn dies zuträfe, könnte die Behauptung, eine solche Massnahme sei aus materiell unzureichenden Gründen erlassen worden, als Rüge der Verletzung "eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes" aufgefasst werden. Es ist fraglich, ob ein solcher Standpunkt mit dem Bundesrecht vereinbar wäre (BGE 56 II 324). Vor allem aber liefe er darauf hinaus, der Kassationsinstanz im Rechtsmittelverfahren gegenüber dem Handelsgericht und seinem Einzelrichter praktisch die nämliche Stellung einzuräumen, wie sie einer Rekursinstanz zukommt. Das widerspricht aber klarerweise dem Willen des zürcherischen Gesetzgebers, der anlässlich der Revision von GVG und ZPO vom 13. Juni 1976 den Rekurs gegenüber solchen Entscheidungen ausdrücklich fallen gelassen hat (vgl. Protokoll der kantonsrätlichen Kommission S. 291/292, 694 und 709; Protokoll des Kantonsrates 1974/1975, S. 7319).
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Hatte das Kassationsgericht somit offensichtlich eine materiellrechtliche Frage zu beurteilen, bei der ihm nach § 281 Ziff. 3 ZPO lediglich beschränkte Überprüfungsbefugnis zustand, so ist es in Willkür verfallen, wenn es sie als verfahrensrechtliche Frage behandelte und gemäss § 281 Ziff. 1 ZPO freier Prüfung unterwarf. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Dem Kassationsgericht obliegt es, die Verfügung des Einzelrichters unter dem Gesichtswinkel von § 281 Ziff. 3 ZPO, d. h. mit beschränkter Kognitionsbefugnis, neu zu überprüfen.
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