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2. Urteil der staatsrechtlichen Kammer vom 17. Januar 1979 i.S. E. gegen Finanzdepartement und Kantonale Rekurskommission des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, Grundsatz der Gewaltentrennung. Gesetzliche Grundlage zur Erhebung einer Gemengsteuer. |
2. Gewohnheitsrechtliche Grundlage der solothurnischen Promillegebühr? |
Gewohnheitsrecht vermag eine formell-gesetzliche Grundlage im Prinzip auch dann nicht zu ersetzen, wenn die zu erhebende Steuer einst eine den heutigen Anforderungen entsprechende gesetzliche Grundlage besass und ihr nachträglich verlustig ging (E. 2a). |
Im konkreten Fall fehlen zudem die Voraussetzungen für die Bildung von Gewohnheitsrecht (E. 2b). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aufgrund folgender
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Erwägungen: | |
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"Für Entgegennahme, Kontrollierung, Studium, Redaktion und Registratur eines der nachgenannten Rechtsgeschäfte ist nebst Schreibgebühren eine solche für die Errichtung wie folgt zu erheben:
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...
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III Erbrecht
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...
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4. Gewöhnliche oder öffentliche Nachlassinventare, vom reinen Rücklass 8 Promille. ..."
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Die angefochtene Promillegebühr stellt teilweise ein Entgelt für die Erstellung des amtlichen Nachlassinventars, d.h. für eine staatliche Leistung dar. Zum Teil wird sie aber voraussetzungslos geschuldet, da sie sich nicht nach dem Umfang und den Kosten der staatlichen Handlung richtet, sondern nach ![]() | 9 |
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Hinblick auf die Steuernatur der Abgabe fehle für die Erhebung der Promillegebühr eine genügende gesetzliche Grundlage.
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Der kantonale Gebührentarif wurde vom Regierungsrat gestützt auf § 371 EGzZGB vom 4. April 1954 erlassen. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
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"Der Regierungsrat bestimmt die von den administrativen und richterlichen Behörden und die sonstigen nach dem Zivilgesetzbuch und diesem Gesetz zu erhebenden Gebühren und Kostenansätze sowie die Entschädigungen für Verteidiger, Fürsprecher, Notare, Prozessparteien, Zeugen, Sachverständige, Liquidatoren, Übersetzer und andere Hilfspersonen im richterlichen und administrativen Verfahren im Gebührentarif. ..."
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfen öffentliche Abgaben - mit Ausnahme von hier nicht in Betracht fallenden Kanzleigebühren - nur aufgrund und im Rahmen eines Gesetzes im formellen Sinne erhoben werden. Das bedeutet nicht, dass nicht einzelne Fragen in einer Verordnung geregelt werden könnten; das Gesetz hat jedoch in solchen Fällen den Kreis der Abgabepflichtigen, den Gegenstand der Abgabe und deren Bemessung in Grundzügen selber festzulegen (BGE BGE 103 Ia 243 mit Hinweisen). Wie auch die Kantonale Rekurskommission ausführte, genügt § 371 EGzZGB diesen Anforderungen nicht. Die Bestimmung delegiert den Erlass von Gebührentarifen an den Regierungsrat. Sie spricht aber nicht von einer Steuer auf dem Rücklass eines Erblassers, erwähnt die Promillegebühr überhaupt nicht und kann demzufolge auch nicht die notwendigen Grundzüge der Abgabe normieren. Das EGzZGB von 1954 und der Gebührentarif von 1971 stellen daher keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar, um im heutigen Zeitpunkt eine Steuer auf dem Nachlass zu erheben. Daran ändert, wie die kantonale Instanz richtig feststellte, auch der Umstand nichts, dass der Gebührentarif durch den Kantonsrat genehmigt wurde (BGE 100 Ia 69 /70). Die Genehmigung kann ein Gesetz im formellen Sinne schon deshalb nicht ersetzen, weil die Gesetzgebungskompetenz im Kanton Solothurn nicht dem Kantonsrat zusteht; Gesetze ![]() | 13 |
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a) Das Gewohnheitsrecht ist eine originäre Rechtsquelle, die trotz eines gewissen Vorranges des formell zustandegekommenen Gesetzes den gleichen Rang wie dieses einnehmen kann (vgl. BGE 104 Ia 312 /13 E. 4; BGE 94 I 308 E. 1; BGE 83 I 248). Damit eine gewohnheitsrechtliche Grundlage den Mangel einer ausreichenden Umschreibung der Abgabepflicht in § 371 EGzZGB zu beheben vermöchte, d.h. die gewohnheitsrechtliche Norm einer dem Referendum unterstellten Vorschrift gleichgestellt werden könnte, müssten neben einer einheitlichen und konstanten Übung die Rechtsüberzeugung der Behörden und der Normadressaten gegeben sein, ferner müsste eine Lücke des geschriebenen Rechts vorliegen und das unabweisliche Bedürfnis, sie zu füllen (vgl. BGE 104 Ia 312 /13 E. 4; BGE 96 V 51 E. 4; BGE 94 I 308 E. 2; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 37). Das Bundesgericht hat in BGE 94 I 310 entschieden, im Gebiete des Steuerrechts liege keine ausreichende Lücke vor, wenn Tatbestände fehlten, die zu einer Besteuerung Anlass gäben; durch Gewohnheitsrecht könnten dem Bürger daher nicht neue Steuern oder andere steuerrechtliche Verpflichtungen auferlegt werden. Dieser Grundsatz muss im Prinzip auch gelten, wenn die zu erhebende Steuer einst eine den heutigen Anforderungen entsprechende gesetzliche Grundlage besass und dieser nachträglich verlustig ging. Ob im vorliegenden Fall ausserordentliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise ![]() | 15 |
Nicht ohne weiteres lassen sich im übrigen die Erwägungen des Bundesgerichts im unveröffentlichten Teil des Entscheides vom 9. Dezember 1977 i.S. Leyer und Kons. gegen den Schweizerischen Schulrat auf den vorliegenden Fall übertragen, wonach Gewohnheitsrecht in einem gewissen Rahmen den Mangel an Präzision einer Delegationsnorm für die Erhebung von Gebühren heilen könne. Dort ging es nicht um die rechtliche Grundlage einer Steuer, die voraussetzungslos, d.h. ohne Rücksicht auf die Gegenleistung des Staates geschuldet und daher, im Gegensatz zu den Gebühren, keiner Beschränkung im Sinne des Äquivalenzprinzipes unterworfen ist.
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b) Eine gewohnheitsrechtliche Grundlage kann vorliegend nicht angenommen werden, weil die Voraussetzungen für deren Entstehung nicht erfüllt sind. Eine Lücke des geschriebenen Rechts liegt nicht vor: Die strittige Steuer ist in ihren Einzelheiten nämlich ausdrücklich geregelt, wenn auch ungenügend, weil auf Verordnungsstufe. Vor allem aber fehlt ein unabweisliches Bedürfnis zur Erhebung der Promillegebühr: Auch ohne sie kann der Erbgang und die Inventarisierung ohne weiteres abgewickelt werden.
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Ferner ist das Erfordernis einer konstanten und einheitlichen Übung nicht erfüllt. Die Kantonale Rekurskommission führte wohl aus, die Promillegebühr werde jedenfalls seit 1954 von allen Amtsschreibereien erhoben. Allein, dass eine Promillegebühr seit langer Zeit erhoben wurde, genügt nicht. Soll die gewohnheitsrechtliche Norm ein formelles Gesetz ersetzen, so muss sie gleich einem solchen die Grundzüge der Steuer determinieren. Das bedeutet, dass der Kreis der Abgabepflichtigen, der Gegenstand der Abgabe und deren Bemessung durch konstante Übung festgelegt sein muss. Tatsächlich ist dies gerade nicht geschehen. Insbesondere der Gegenstand der Promillegebühr war in der hier massgeblichen Zeitspanne uneinheitlich. 1954 erhob man aufgrund des 1946 revidierten Gebührentarifs 8 %o "vom reinen inventarisierten Vermögen (nicht vom Rücklass)", d.h. inklusive dem mitinventarisierten Vermögen des überlebenden Ehegatten. 1965 wählte man als ![]() ![]() | 18 |
3. Der Entscheid der Kantonalen Rekurskommission ist somit als Ganzes aufzuheben. Die Frage, in welchem Umfang der Gebührentarif als Grundlage für die Erhebung einer eigentlichen Gebühr genüge, kann offen bleiben. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob der von der Beschwerdeführerin angefochtene Kostenentscheid der kantonalen Instanz haltbar sei.
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