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34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1979 i.S. Hefti c. Kaiser, Bezirksgericht March und Kantonsgericht des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 und 58 BV; Besetzung des urteilenden Gerichts. |
2. Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV durch willkürliche Auslegung des kantonalen Gerichtsverfassungsrechts? (E. 4). |
3. Anderweitige Verletzung von Art. 58 Abs. 1 und Art. 6 EMRK? (E. 5 und 6). | |
Sachverhalt | |
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Das Kantonsgericht wies mit Urteil vom 26. März 1979 im Sinne eines Vorentscheides den Einwand der nicht gehörigen Besetzung des Bezirksgerichts March ab. Es führte zwar sinngemäss aus, dass der vom Gerichtspräsidenten angestrebte Zweck sich wohl besser durch Einberufung der Ersatzrichter je einzeln im Turnus verwirklichen liesse, fand jedoch, dass das gewählte Vorgehen nicht gegen die Bestimmungen der Gerichtsorganisation des Kantons Schwyz und damit auch nicht gegen Art. 58 BV und gegen Art. 6 EMRK verstosse.
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Heinrich Hefti erhob staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, dieses Urteil sei aufzuheben, und das Kantonsgericht sei anzuweisen, die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die erste Instanz zurückzuweisen oder sie selbst neu zu beurteilen. Er macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze die Art. 58 und 4 BV sowie Art. 6 EMRK. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, im Zusammenhang mit den rechtlichen ![]() | 3 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Die Auslegung kantonalen Verfassungsrechtes prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei (BGE 98 Ia 53 E. 3). Indessen besagt § 85 KV lediglich, die Bezirksgerichte bestünden aus dem Präsidenten und sechs weiteren Mitgliedern sowie sieben Ersatzmännern. Über die Art des Einsatzes der Richter und der Ersatzmänner ist dieser Bestimmung nichts zu entnehmen. Sie kann daher durch das beanstandete Vorgehen des Bezirksgerichts March nicht verletzt worden sein.
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b) Ob die angerufenen kantonalen Gesetzesbestimmungen verletzt seien, überprüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 104 Ia 273, E. 2; BGE 92 I 276). Darüber hinaus prüft es frei, ob die als willkürfrei erkannte Auslegung des kantonalen Gesetzesrechtes vor den angerufenen verfassungsmässigen Rechten des Bundes, zu denen auch die Garantien der EMRK gehören, standhalte, d.h. im vorliegenden Falle, ob der Anspruch auf den verfassungsmässigen Richter gewahrt sei (zum Verhältnis des kantonalen Rechts zur verfassungsrechtlichen Garantie vgl. BGE 105 Ia 159 E. 3-5, BGE 92 I 276 und BGE 91 I 399 f.; ferner BURCKHARDT, Kommentar der Schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl. S. 532 ff.; MÜLLER, Die Garantie des verfassungsmässigen Richters in der Bundesverfassung, ZBJV 1970, 249 ff.; BEYELER, Das Recht auf den verfassungsmässigen Richter als Problem der Gesetzgebung, Zürich 1978, S. 74 ff.).
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3. a) Die Garantie des verfassungsmässigen Richters und das daraus folgende Verbot der Ausnahmegerichte richtet sich zunächst an den kantonalen Gesetzgeber. Diesem obliegt es, eine durch Rechtssatz bestimmte Gerichtsordnung zu schaffen, welche Gewähr dafür bietet, dass nicht Gerichte eigens für einen bestimmten Prozess oder zur Beurteilung bestimmter Personen eingerichtet oder besonders besetzt werden (MÜLLER, a.a.O., S. 252 f., 255 ff.). Dagegen schreibt Art. 58 Abs. 1 BV ![]() | 7 |
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Bezirksgericht March sei am Tage der Verhandlung seiner Streitsache mit Ersatzrichtern besetzt gewesen, ohne dass dies notwendig gewesen sei, und er rügt die Anzahl dieser Ersatzrichter. Er ruft somit die Schutzfunktion des Art. 58 Abs. 1 BV hinsichtlich der Besetzung des zuständigen Gerichts an und erblickt die Verletzung dieser Verfassungsbestimmung in erster Linie in der seines Erachtens unhaltbaren Auslegung des kantonalen Gerichtsverfassungsrechts. Da die Organisation der Gerichte - wie dargelegt - Sache der Kantone ist, fallen insoweit die Rügen der Verletzung des Art. 4 BV und des Art. 58 BV inhaltlich weitgehend zusammen.
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§ 78 Abs. 1: "Der Präsident versammelt das Gericht und ergänzt es nötigenfalls durch Ersatzrichter. Er bezeichnet den Referenten."
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§ 89: "Kein Mitglied darf ohne zureichende Gründe einer Gerichtssitzung fernbleiben. Dauert die Abwesenheit eines Richters länger als einen Monat, so ist beim Gerichtspräsidenten ein Urlaub einzuholen."
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b) Es ist einzuräumen, dass die Auslegung des Beschwerdeführers einiges für sich hat. Indessen steht es dem Bundesgericht nicht zu, darüber zu befinden, ob sie derjenigen des Kantonsgerichtes vorzuziehen sei. Es kann vielmehr wegen Willkür nur einschreiten, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist (BGE 102 Ia 4; BGE 100 Ia 6; BGE 99 Ia 346 mit Hinweisen). So hat das Bundesgericht mit Urteil vom 20. Juli 1979 i.S. St. ein von einem zürcherischen Ersatzrichter gefälltes Urteil aufgehoben, weil sich ergab, dass nach den eindeutigen Bestimmungen des zürcherischen Rechts ein Ersatzrichter nur aufgrund eines Beschlusses des betreffenden Bezirksgerichts und einer zusätzlichen Bewilligung der Verwaltungskommission des Obergerichts als Einzelrichter amten dürfe. Im vorliegenden Fall fehlen indessen entsprechende klare gesetzliche Bestimmungen. Bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs "nötigenfalls" kommt den kantonalen Instanzen ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Das Kantonsgericht durfte daher bei der Ermittlung des Sinnes dieses Begriffs mit in Betracht ziehen, dass sich der Gesetzgeber wohl deutlicher ausgedrückt hätte, wenn er den Einsatz von Ersatzrichtern wirklich nur in eigentlichen Notfällen hätte gestatten wollen. Es durfte ![]() | 13 |
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a) Das Vorgehen des Präsidenten des Bezirksgerichts March muss als unüblich und nicht zweckmässig betrachtet werden. Zwar ist es verständlich, dass ein Bezirksgerichtspräsident auch den Ersatzmitgliedern seines Gerichtes ermöglichen will, den Kontakt mit der Rechtspflege zu wahren, und dass er sie deshalb auch ohne zwingende Notwendigkeit von Zeit zu Zeit zu Sitzungen einberuft. Indessen hätte im vorliegenden Falle beachtet werden sollen, dass ein zu seiner überwiegenden Mehrheit mit Ersatzrichtern besetztes Gericht bei den Parteien - ![]() | 15 |
Diese Überlegungen führen indessen nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Den Gerichtspräsidenten steht nach schweizerischer Übung bei der Besetzung des Spruchkörpers und insbesondere beim Beizug von Ersatzrichtern ein weites, allerdings pflichtgemäss auszuübendes Ermessen zu. Dieses Ermessen erstreckt sich - abweichende Vorschriften des kantonalen Rechtes vorbehalten - auch auf die Zahl der Ersatzrichter, die gleichzeitig eingesetzt werden dürfen. Da die Ersatzrichter gleich wie die ordentlichen Richter vom Volk gewählt (§ 76 in Verbindung mit § 85 KV) und daher ebenso wie jene zur Ausübung der Rechtspflege legitimiert sind, wäre es schwer, ohne Willkür eine zahlenmässige Grenze für ihr Tätigwerden im gleichen Spruchkörper zu ziehen. Im Umstand allein, dass ein zur Mehrheit mit Ersatzrichtern besetztes Gericht den Anschein eines Ausnahmegerichtes erwecken kann, liegt noch kein Verstoss gegen Art. 58 Abs. 1 BV, sofern es tatsächlich kein Ausnahmegericht ist. Bei derartigen Fragen der Gerichtsorganisation ist - anders als etwa beim Ausstand von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit (vgl. BGE 97 I 95) - auf den objektiven Sachverhalt und nicht auf den Anschein abzustellen. Um ein Ausnahmegericht in Form eines einzig im Hinblick auf einen bestimmten Prozess aus unsachlichen Erwägungen zusammengestellten Spruchkörpers handelt es sich hier aber nicht, da das Gericht, wie bereits dargelegt wurde, aus an sich beachtenswerten Erwägungen für den ganzen Sitzungstag einberufen worden war. Dass die mitwirkenden Ersatzrichter oder einzelne von ihnen keine Gewähr für unabhängige Rechtsprechung geboten hätten, wird nicht geltend gemacht. Eine Verletzung der Garantie des verfassungsmässigen Richters ist daher auch in dieser Hinsicht zu verneinen.
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b) In jüngster Zeit werden hinsichtlich des Anspruches auf den verfassungsmässigen Richter namentlich unter dem Einfluss deutscher Lehre und Rechtsprechung allerdings weitergehende ![]() ![]() | 17 |
6. Der Beschwerdeführer rügt - allerdings nur mit einem einzigen Satz - auch eine Verletzung von Art. 6 EMRK. Er macht geltend, seine Sache sei nicht von einem auf Gesetz beruhenden Gericht beurteilt worden. Die Garantie des gesetzmässigen Richters im Sinne von Art. 6 EMRK deckt sich dem Sinne nach mit derjenigen von Art. 58 Abs. 1 BV (BGE 105 Ia 166). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die EMRK dem Beschwerdeführer weitergehende Ansprüche verschaffen sollte. Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.
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