![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
57. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Mai 1979 i.S. Lawrence Jusko gegen Fortis-Uhren AG und Obergericht des Kantons Solothurn (Staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Vollstreckung eines kanadischen Zivilurteils gemäss § 323 der solothurnischen ZPO. |
Völkerrechtliche Zulässigkeit der Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten? (E. 3.) |
Verstoss gegen Treu und Glauben durch Geltendmachen eines Fehlers in der Zustellung der Vorladung? (E. 4.) | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Am 14. August 1972 wies der zuständige kanadische Richter die Klage ab und ordnete an, dass der durch die provisorischen Massnahmen verursachte Schaden durch einen Richter oder eine andere zu bezeichnende Person ermittelt werde. Am 27. August 1973 wurde J. F. Denis Cousineau mit der Feststellung des Schadens beauftragt. In der Folge sandte der "Administrator of the Court" der Klägerin mit einem direkt an sie adressierten eingeschriebenen Brief unter anderem: das Urteil vom 14. August 1972, die Verfügung vom 27. August 1973 sowie die Erklärung der Beklagten, in der ein Schadenersatz in der Höhe von can. $ 107'387.50 verlangt wird.
| 2 |
Mit eingeschriebenem Brief vom 14. September 1973 bestätigte die Klägerin dem "Administrator of the Court", dass sie sein Schreiben am 3. September 1973 erhalten habe. Sie stellte gleichzeitig das Gesuch, die Frist für die Beantwortung der Schadenersatzforderung zu verlängern. Nichtsdestoweniger nahm sie aber materiell zu dieser Forderung Stellung und bezeichnete diese als stark übersetzt. Mit eingeschriebenem Brief vom 1. November 1973 wurde der Fortis-Uhren AG mitgeteilt, dass ihr die Fristverlängerung von 30 Tagen gewährt worden sei.
| 3 |
An einer Verhandlung, die der Schadensermittler Cousineau auf den 15. Februar 1974 festgesetzt hatte, war die Fortis-Uhren AG, obschon sie mit einem eingeschriebenen Brief dazu aufgefordert worden war, nicht vertreten. Am 2. April 1974 legte der Schadensermittler einen Bericht vor, in dem er den Schaden, welcher die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko erlitten hatten, auf can. $ 39'620.- festsetzte. Es ist nicht bekannt, ob und gegebenenfalls auf welche Weise dieser Bericht der Fortis-Uhren AG zugestellt worden ist.
| 4 |
Mit einem eingeschriebenen Brief vom 30. Mai 1974, welcher am 4. Juni 1974 zugestellt worden war, forderten die Anwälte der Lawrence Jusko & Co. Ltd. und von Lawrence Jusko die Fortis-Uhren AG auf, am 17. Juni 1974 an der Verhandlung ![]() | 5 |
Mit Urteil vom 17. Juni 1974 verurteilte der Federal Court of Canada, Trial Division, die Fortis-Uhren AG zur Bezahlung von can. $ 39'620.- an die Gegenpartei sowie zu den Kosten. Gemäss offizieller Bescheinigung ist dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen. Es ist nicht bekannt, ob und gegebenenfalls auf welche Weise dieses Urteil der Fortis-Uhren AG eröffnet wurde.
| 6 |
Am 27. Juli 1976 liessen die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko die Fortis-Uhren AG in Grenchen für Fr. 121'304.35 nebst 7% Zins ab 17. Juni 1974 betreiben. Dagegen erhob die Fortis-Uhren AG am 11. August 1976 Rechtsvorschlag. Die Schadenersatzgläubiger stellten darauf das Gesuch um definitive Rechtsöffnung. Der Gerichtspräsident von Solothurn-Lebern wies dieses Gesuch ab. Das Obergericht des Kantons Solothurn bestätigte in einem Rekursverfahren den erstinstanzlichen Entscheid.
| 7 |
Gegen den Entscheid des Obergerichts führen die Lawrence Jusko & Co. Ltd. und Lawrence Jusko staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügen eine Verletzung von Art. 4 BV sowie von Art. 12 Ziff. 1 der solothurnischen Kantonsverfassung.
| 8 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
9 | |
10 | |
11 | |
"Besteht mit einem ausländischen Staat kein Staatsvertrag über die Vollstreckung von Urteilen, so hat der Gerichtspräsident die Vollstreckung zu bewilligen:
| 12 |
a) wenn das Urteil rechtskräftig ist;
| 13 |
b) wenn das Urteil nach den
| 14 |
Grundsätzen des schweizerischen Rechtes vom örtlich zuständigen Gericht erlassen wurde;
| 15 |
c) wenn nachgewiesen ist, dass der Verurteilte zur Urteilsverhandlung gesetzlich vorgeladen wurde;
| 16 |
d) wenn die Vollstreckung nicht gegen die Grundsätze öffentlicher Ordnung und guter Sitte verstösst."
| 17 |
Die Anwendung dieser Bestimmung ist im vorliegenden Verfahren unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür zu überprüfen.
| 18 |
19 | |
Das Obergericht ging davon aus, dass für die Form und den Inhalt der Vorladung zu einer Urteilsverhandlung das Recht desjenigen Staates massgebend ist, dessen Gericht diese Vorladung erlassen hat. Im vorliegenden Fall beurteilte es darum die Vorladung zur Urteilsverhandlung vom 17. Juni 1974 in bezug auf Form und Inhalt nach kanadischem Recht und kam zum Schluss, dass die Vorladung in dieser Hinsicht keinen, die Vollstreckung ausschliessenden Mangel aufweise.
| 20 |
Für die eigentliche Zustellung (Aushändigung) der Vorladung an die in der Schweiz domizilierte Partei erachtete das Obergericht das schweizerische Recht als anwendbar. Dieses Recht, d.h. im vorliegenden Fall § 323 Abs. 2 lit. c ZPO, wurde nach seiner Auffassung verletzt, da die Zustellung der Vorladung an die Fortis-Uhren AG nicht auf diplomatischem Weg, sondern durch die Post erfolgt war.
| 21 |
b) Die Zustellung von gerichtlichen Akten, wie z.B. einer Vorladung zu einer Urteilsverhandlung, stellt nach der traditionellen ![]() | 22 |
Auch gemäss den beiden Haager Übereinkommen vom 17. Juli 1905 (SR 0.274.11) und vom 1. März 1954 (SR 0.274.12) betreffend Zivilprozessrecht, die von der Schweiz, aber nicht von Kanada ratifiziert worden sind und daher im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen, ist die Postzustellung gerichtlicher Akten in einem fremden Staat nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Nach Art. 6, welcher in beiden Übereinkommen den gleichen Wortlaut hat, ist eine solche Postzustellung statthaft, wenn Abkommen zwischen den beteiligten Staaten sie einräumen oder wenn der Staat, auf dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll, nicht widerspricht. In bezug auf die Übereinkunft von 1905 brachte die Schweiz den Vertragsstaaten durch eine Note zur Kenntnis, dass die an sie zu richtenden Zustellungsbegehren dem Bundesrat auf diplomatischem Wege übermittelt werden sollten (vgl. Note zu Art. 1 Abs. 3 der Übereinkunft von 1905 sowie BBl 1910 I, S. 294 f. Ziff. 2). Damit widersprach die Schweiz der Postzustellung gerichtlicher Akten mindestens im Verhältnis zu den Vertragsstaaten.
| 23 |
In neueren Entscheiden hat das Bundesgericht jedoch die Postzustellung von ausländischen Urteilen an Parteien mit Wohnsitz in der Schweiz nicht beanstandet. In einem Fall ging ![]() | 24 |
Man kann sich fragen, ob diese Rechtsprechung mit der von der Schweiz vertretenen Auffassung im Einklang stehe, wonach die Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten an Parteien mit Domizil in der Schweiz grundsätzlich unzulässig sei (vgl. die Kritik hinsichtlich BGE 102 Ia 308 von JÖRG P. MÜLLER in ZBJV 114/1978, S. 91 ff.). Die Bedeutung dieser Rechtsprechung braucht hier allerdings nicht näher untersucht zu werden, da sich daraus auch dann nichts für den vorliegend zu entscheidenden Fall ableiten liesse, wenn das Bundesgericht von seinem Widerspruch gegen die Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten abgewichen wäre.
| 25 |
c) Das Obergericht hat im vorliegenden Fall gestützt auf § 323 Abs. 2 lit. c ZPO festgestellt, die Fortis-Uhren AG sei zur Urteilsverhandlung nicht gesetzlich vorgeladen worden. Dies entspricht der traditionellen schweizerischen Völkerrechtsauffassung betreffend die Zustellung von Akten ausländischer Gerichte an eine in der Schweiz domizilierte Partei. Der angefochtene Entscheid ist somit im Hinblick auf diese Völkerrechtsauffassung keinesfalls willkürlich.
| 26 |
Es ergibt sich aber auch kein anderer Schluss, wenn die ![]() | 27 |
Sofern § 323 Abs. 2 lit. c ZPO nicht schon aufgrund der traditionellen Völkerrechtsauffassung im Sinne der Unzulässigkeit der Postzustellung von ausländischen Gerichtsakten ausgelegt werden müsste, liesse sich eine solche Interpretation auch unabhängig davon, allein gestützt auf den Wortlaut und Zweck der Bestimmung, rechtfertigen. Der Wortlaut von § 323 Abs. 2 lit. c ZPO ist weit und lässt es durchaus als haltbar erscheinen, wenn gestützt darauf - zum Schutze der im Kanton wohnhaften Personen - eine Postzustellung ausländischer Gerichtsakten als unzulässig erklärt wird. Der angefochtene Entscheid ist somit auch dann nicht willkürlich, wenn angenommen würde, dass die Schweiz vom Widerspruch gegen die genannte Postzustellung abgewichen sei.
| 28 |
29 | |
Die Beschwerdeführer machen geltend, die Fortis-Uhren AG habe sich durch ihre ursprüngliche Klageerhebung vor dem kanadischen Gericht auch in bezug auf die Schadenersatzforderung eingelassen, denn die Klage und die Schadenersatzforderung bildeten ein einziges Verfahren. Ferner habe sie im Zusammenhang mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung eine allfällige Schadenersatzforderung anerkannt. Auch damit sei die kanadische Gerichtsbarkeit anerkannt worden. Schliesslich habe sich die Fortis-Uhren AG ohne Vorbehalt auf die Behandlung der Schadenersatzforderung eingelassen, indem sie gegenüber dem gerichtlichen Schadensermittler zu dieser Forderung ![]() | 30 |
Es braucht nicht untersucht zu werden, ob sich die Fortis-Uhren AG durch ihre Klageerhebung auch in bezug auf die Schadenersatzforderung vor dem kanadischen Richter eingelassen hat. Als Einlassung muss aber das Schreiben vom 14. September 1973 bewertet werden, in dem sie ohne Vorbehalt zur Schadenersatzforderung der Beschwerdeführer Stellung nahm. Mit diesem Schreiben werden allfällige Fehler in der Zustellung von früheren prozessleitenden Verfügungen geheilt. Nicht geheilt werden aber Fehler in der Zustellung von Verfügungen, die nach diesem Schreiben erlassen wurden, denn die Beschwerdegegnerin hat mit ihrer Einlassung nicht auf die gesetzliche Zustellung zukünftiger Verfügungen verzichtet und kann sich daher ohne Verstoss gegen Treu und Glauben auf das Fehlen einer gesetzlichen Vorladung zur Urteilsverhandlung im Sinne von § 323 Abs. 2 lit. c ZPO berufen.
| 31 |
Dass sich die Fortis-Uhren AG in einem Verfahren, das sie verursacht und auf das sie sich eingelassen hat, plötzlich ohne Grundangabe nicht mehr beteiligt, entspricht zwar nicht den Regeln guter Geschäftsführung. Dieser Umstand verwehrt es der Fortis-Uhren AG aber nicht, sich darauf zu berufen, dass der Prozess auch in ihrer Abwesenheit nach den einschlägigen rechtlichen Regeln geführt wird. Darum ist auch in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden, dass sich die Fortis-Uhren AG der Vollstreckung des kanadischen Urteils mit dem Hinweis auf die fehlerhafte Zustellung der Vorladung zur Urteilsverhandlung widersetzt.
| 32 |
33 | |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 34 |
35 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |