BGE 106 Ia 9 | |||
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4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. März 1980 i.S. Gemeinde Vaz/Obervaz gegen Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Verwirkung von Perimeterbeiträgen. | |
Sachverhalt | |
Im Mai 1964 beschloss die Gemeinde Vaz/Obervaz, die von der Kantonsstrasse bei Valbella zum Weiler Sartons führende Strasse auf einem ersten Abschnitt zu korrigieren und zu Erschliessungszwecken auszubauen. Im August 1965 wurde sodann die Eröffnung des entsprechenden Perimeterverfahrens öffentlich bekanntgegeben. In der Folge bestellte die Regierung des Kantons Graubünden eine ständige Perimeterkommission (Kantonale Perimeterkommission für die Gemeinde Vaz/Obervaz). Spätestens im Sommer 1971 wurde der in Frage stehende Strassenabschnitt für den Verkehr eröffnet.
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Die Perimeterkommission beschloss, das Verfahren bis zum Vorliegen der amtlichen Grundstückschatzungen auszusetzen, die schliesslich im Juni 1977 vorlagen. Am 28./31. Juli 1978 erliess die Kommission den Entscheid, mit dem die sogenannte Privatinteressenz an dem fraglichen, Fr. 463'117.90 kostenden Strassenabschnitt auf 55% festgesetzt und unter Schaffung zweier Zonen auf An- und Hinterlieger verteilt wurde. Der Perimeterentscheid wurde alsdann vom 31. Juli bis zum 21. August 1978 öffentlich aufgelegt.
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Gegen den Perimeterentscheid erhoben eine Reihe von Grundeigentümern beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Rekurs. In Gutheissung des Rekurses hob dieses den Perimeterentscheid auf. Gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil führt die Gemeinde Vaz/Obervaz staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Das Bundesgericht findet, dass die Gemeinde auf Grund von Art. 40 Abs. 5 der Kantonsverfassung im fraglichen Bereiche autonom sei und hebt das angefochtene Erkenntnis wegen Verletzung der Gemeindeautonomie auf, und zwar aus folgender
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Erwägung: | |
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b) Art. 8 der Perimeterverordnung sieht die Verwirkung der Ansprüche der Gemeinde nicht vor. Zu diesem Schluss gelangte das Verwaltungsgericht vielmehr durch die Auslegung dieser Bestimmung. Es hat sich dabei auf den Standpunkt gestellt, es würde ein Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen, wenn man es hinnähme, dass Perimeterentscheide entgegen der Vorschrift von Art. 8 der Perimeterverordnung auch noch nach der Vollendung des Werkes öffentlich aufgelegt werden könnten. Indessen besteht kein Anlass, die von der Gemeinde geforderten Perimeterbeiträge aus diesem Grund als verwirkt anzusehen. Dafür, dass bezüglich öffentlichrechtlicher Abgaben infolge eines langen Zeitablaufes keine unerträgliche Rechtsunsicherheit entsteht, sorgt schon das Institut der Verjährung, das auch im Bereich des öffentlichen Rechts anerkannt wird, allenfalls selbst dort, wo ausdrückliche Vorschriften fehlen (vgl. BGE 105 Ib 11 E. 3a, BGE 101 Ia 21 E. 4, 98 Ib 355 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht nun aber nicht an einen langen Zeitablauf angeknüpft, sondern allein an die Tatsache, dass der Perimeterentscheid erst nach der Vollendung des Werks öffentlich aufgelegt wurde. Inwiefern bei einem solchen Vorgehen eine solche Rechtsunsicherheit entstehen soll, dass sie das Dahinfallen der Ansprüche des Gemeinwesens bewirken müsste, ist nicht einzusehen. Dass diese Ansprüche durch das blosse Überschreiten eines Zeitpunktes, der meist mehr oder weniger zufällig gegeben ist, endgültig untergehen sollen, lässt sich dem Wortlaut von Art. 8 der Perimeterverordnung jedenfalls nicht entnehmen. Eine solche Regelung wäre schon deshalb stossend, weil das Dahinfallen der Ansprüche des Gemeinwesens von der zufälligen Dauer der Bauarbeiten abhinge, die mit der Dauer der Arbeiten der Perimeterkommission in keinem Zusammenhang steht. So ist es denkbar, dass dringliche und kostspielige Bauarbeiten innerhalb einer verhältnismässig kurzen Zeit auszuführen sind, während das entsprechende Perimeterverfahren ausserordentlich zeitraubend sein kann. In einem solchen Falle wäre nach der Auslegung, die das Verwaltungsgericht Art. 8 der Perimeterverordnung gibt, die Erhebung von Beiträgen schlechthin ausgeschlossen. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts drängt sich sodann auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Beitragspflichtigen auf, ist doch die Einleitung des Perimeterverfahrens gemäss Art. 9 Abs. 3 der Perimeterverordnung öffentlich bekanntzugeben; von dieser Bekanntgabe an wissen die Beitragspflichtigen somit, dass sie dem Gemeinwesen Abgaben zu leisten haben werden.
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Für seine Auslegung stützte sich das Verwaltungsgericht schliesslich auch auf Art. 12 Ziff. 2 der Perimeterverordnung, indes zu Unrecht. Nach dieser Bestimmung soll der Perimeterentscheid die Angaben über die mutmasslichen oder wirklichen Kosten des Werkes enthalten. Die wirklichen Kosten können in einem solchen Entscheid aber nur dann aufgenommen werden, wenn die fraglichen Bauarbeiten bereits abgeschlossen sind. Indem Art. 12 Ziff. 2 der Perimeterverordnung nicht nur die "mutmasslichen", sondern auch die "wirklichen Kosten" erwähnt, setzt er geradezu voraus, dass die Beiträge auch dann noch erhoben werden können, wenn der Perimeterentscheid erst nach der Fertigstellung des Werks aufgelegt wird.
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Gesamthaft betrachtet, hält die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung von Art. 8 der Perimeterverordnung vor Art. 4 BV nicht stand. Es geht nämlich nicht an, durch blosse Auslegung einer grossrätlichen Verordnung den Bestand oder Nichtbestand des verfassungsmässigen Anspruches der Beschwerdeführerin auf den Bezug von Perimeterbeiträgen (Art. 40 Abs. 5 KV) von der zufälligen Dauer der Bauarbeiten abhängig zu machen. Allerdings kann auf Grund von Art. 8 der Perimeterverordnung verlangt werden, dass die Gemeinde das Perimeterverfahren "rechtzeitig" einleitet. Dass dieses Verfahren unter allen Umständen schon vor Abschluss der Bauarbeiten beendet sein muss, kann aber schon deswegen nicht gefordert werden, weil einerseits die Dauer des Perimeterverfahrens nicht vorausgesehen werden kann und anderseits durchaus Perimeterverfahren denkbar sind, die auch bei gewissenhafter Durchführung länger dauern als die gesamten Bauarbeiten. Dass die Beschwerdeführerin das Perimeterverfahren im vorliegenden Falle nicht "rechtzeitig" eingeleitet hat, kann nicht gesagt werden, beschloss sie doch im Mai 1964 die fragliche Strasse zu bauen und leitete bereits im August 1965 das Perimeterverfahren ein, wobei die Strasse erst im Sommer 1971 dem Verkehr übergeben wurde. Ist somit die Auffassung des Verwaltungsgerichts mit Art. 4 BV nicht vereinbar, wonach die Ansprüche der Beschwerdeführerin verwirkt seien, weil das Perimeterverfahren nicht vor Abschluss der Bauarbeiten abgeschlossen worden ist, dann ist das angefochtene Urteil wegen Verletzung der Gemeindeautonomie aufzuheben.
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