BGE 106 Ia 179 | |||
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34. Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1980 i.S. F. gegen Generalprokurator und Obergericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 41 Ziff. 3 lit. c bern. |
Notwendige Verteidigung im Hinblick auf die Anordnung einer Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. | |
Sachverhalt | |
A.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte Frau F. am 19. Juni 1980 wegen wiederholten Diebstahls, Raubes, Urkundenfälschung, Widerhandlung gegen Betäubungsmittelgesetz und Führens eines Motorfahrrades in angetrunkenem Zustand zu 15 Monaten Gefängnis; in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, das Frau F. gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB verwahrte, schob das Obergericht den Strafvollzug auf und wies die Verurteilte gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in eine Heil- und Pflegeanstalt ein.
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Frau F. war für das Strafverfahren bereits vom Untersuchungsrichter gemäss Art. 41 Ziff. 1 und Ziff. 3b bern. StrV ein amtlicher Verteidiger beigegeben worden (notwendige Verteidigung), der ihr auch vor Obergericht beistand und die Änderung des erstinstanzlichen Entscheides erwirkte.
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B.- Nachdem Frau F. in der geschlossenen Suchtstation der psychiatrischen Universitätsklinik Bern beträchtliche Fortschritte gemacht hatte, weshalb Anfang Juli 1980 ihre Versetzung in eine offene Rehabilitationsabteilung, eventuell die Unterbringung in einer therapeutischen Wohngemeinschaft in Aussicht genommen wurde, wurde sie wegen Drogenkonsums in schwerwiegender Weise rückfällig. Sie hatte deshalb das strukturierte Programm der Drogenabteilung wieder aufzunehmen. Sie verweigerte dies und hielt sich nach ihrer Verlegung in eine halboffene Abteilung auch nicht an die dortige Ordnung noch an die mit ihr getroffenen Abmachungen nach dem neuen Therapiekonzept. Überdies legte sie eine stark "negativistische Einstellung" an den Tag und beeinflusste in diesem Sinne einen anderen Drogenpatienten. Die Universitätsklinik betrachtete deshalb die Massnahme als gescheitert und ersuchte die Polizeidirektion des Kantons Bern mit Bericht vom 19. August 1980 um Rückversetzung der Verurteilten in den Strafvollzug. Am 22. August 1980 ersuchte die Vollzugsbehörde das Obergericht um eine rechtliche Vorkehr im Sinne des Art. 43 Ziff. 3 StGB.
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In Anwendung von Art. 27 bern. EGzStGB wurde der Verurteilten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit dieser verlangte sie die Versetzung in eine offene Station der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen in der Überlegung, nach einer ersten Stufe intern zu leistender Arbeit einer externen Beschäftigung nachgehen zu können.
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Am 12. September 1980 beschloss das Obergericht, es werde die am 19. Juni 1980 ausgefällte Gefängnisstrafe nicht vollzogen und die Verurteilte im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB verwahrt. In diesem Verfahrensstadium war Frau F. durch keinen Anwalt verbeiständet.
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C.- Frau F. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Sie rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und Willkür. Gleichzeitig ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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"wenn ein Verbrechen oder Vergehen Gegenstand des Verfahrens
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bildet und wenn besondere Umstände ... es rechtfertigen, insbesondere wenn
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freiheitsentziehende Massnahmen in Aussicht stehen", und gemäss Art. 42 Abs. 1 bern. StrV hat der Richter oder der Präsident des Gerichtes, bei dem die Sache hängig ist, von sich aus oder auf Gesuch des Angeschuldigten diesem einen amtlichen Verteidiger zu bestellen, wenn der Angeschuldigte in einem der in Art. 41 angeführten Fälle keinen Verteidiger bestellt oder der Bestellte ablehnt.
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a) Die erstgenannte Bestimmung betrifft ihrem Wortlaut nach primär das Sachverfahren, in welchem Schuldpunkt und Strafpunkt zur Entscheidung stehen. Darauf weist die erste der beiden kumulativen Voraussetzungen hin, wonach eine Verteidigung eine notwendige ist, wenn ein Verbrechen oder Vergehen Gegenstand des Verfahrens bildet. Indessen kommt diesem Element nur insoweit Bedeutung zu, als damit die Notwendigkeit einer Verteidigung in Übertretungssachen ausgeschlossen werden soll, bei denen ja auch die Sanktion keine derart schwerwiegende sein kann, dass der Angeschuldigte notwendig eines Rechtsbeistandes bedürfte. Damit aber ist bereits darauf hingewiesen, dass das Schwergewicht der angeführten Bestimmung in der zu gewärtigenden Sanktion liegt (s. BGE 102 Ia 90 unten). Entsprechend bestimmt denn auch Art. 41 Ziff. 4 bern. StrV, dass die Verteidigung in den Fällen der Ziffern 2 und 3 auch im Rechtsmittelverfahren notwendig ist, obschon in diesem Verfahren nicht selten nur noch die Sanktion zur Entscheidung steht. Es würde dem Sinn dieser Bestimmung klarerweise widersprechen, wollte man in einem Rechtsmittelverfahren, in welchem es um eine an ein in erster Instanz rechtskräftig beurteiltes Verbrechen oder Vergehen anschliessende freiheitsentziehende Massnahme geht, die Anwendbarkeit des Art. 41 bern. StrV verneinen. Das Rechtsmittelverfahren ist die Fortsetzung des unterinstanzlichen Sachverfahrens und hängt mit diesem unmittelbar zusammen. Nicht wesentlich anders verhält es sich im Falle des Art. 43 Ziff. 3 StGB, wo der Richter bei Versagen einer im Haupturteil angeordneten Behandlung über die Vollstreckung der Strafe oder die Anordnung einer anderen Massnahme zu befinden hat. Auch dieses Verfahren ist eine Fortsetzung, bzw. Ergänzung des Hauptverfahrens, und der vom Richter zu fällende Entscheid über die Sanktion hängt unmittelbar mit dem Verbrechen oder Vergehen zusammen, das Gegenstand des Hauptverfahrens gebildet hat. Wo in diesen Fällen eine freiheitsentziehende Massnahme in Aussicht steht, muss offensichtlich Art. 41 Ziff. 3 lit. c bern. StrV gleich Platz greifen wie im Hauptverfahren, in welchem eine solche Massnahme in Frage kommt. Ein anderer Sinn ist Art. 41 bern. StrV vernünftigerweise nicht zu entnehmen (entsprechend das Urteil der staatsrechtlichen Kammer vom 11. Juli 1978 i. S. G. c. Zürich).
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b) Im vorliegenden Fall stand Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in Aussicht, eine Massnahme, die einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt (BGE 101 IV 127 E. 3) und an Verbrechen und Vergehen der Beschwerdeführerin anschloss. Da diese gemäss Art. 27 Abs. 3 bern. EGzStGB Anspruch auf Anhörung besass, hätte ihr das Obergericht zu diesem Zwecke einen Verteidiger bestellen müssen, was sich umso mehr aufdrängte, als sie rechtsunkundig dem Generalprokurator mit seinem Antrag gegenüberstand. Indem es dies unterliess, hat es sich willkürlich über Art. 41 Ziff. 3 lit. c bern. StrV hinweggesetzt und damit gegen Art. 4 BV verstossen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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