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41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. November 1980 i.S. W. gegen Staatsanwaltschaft und Justizdirektion des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV, persönliche Freiheit und Art. 6 Ziffern 1 und 3 lit. b EMRK; Beschränkung des schriftlichen Verkehrs zwischen Angeschuldigtem und Verteidiger. | |
Sachverhalt | |
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Aus den Erwägungen: | |
3. a) Beschwerden, die den Verkehr zwischen einem Angeschuldigten und seinem Verteidiger betreffen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ausschliesslich im Lichte der aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsätze zu beurteilen. Die Verweigerung oder Einschränkung des freien Verkehrs beschränkt allenfalls die Verteidigungsmöglichkeiten und kann demgemäss eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs darstellen, ![]() | 2 |
b) Der Beschwerdeführer glaubt, es sei grundsätzlich unzulässig, in seinem Fall den Kontakt mit der Verteidigung in höherem Masse einzuschränken als in den Fällen anderer Angeschuldigter. Er glaubt, es fehlten dazu zureichende konkrete Gründe, insbesondere deshalb, weil die Verteidigerin in keiner Weise Anlass geboten habe, sie der Kollusion zu verdächtigen. Letzteres trifft zu, und auch die Justizdirektion des Kantons Zürich hat dies ausdrücklich anerkannt. Das Bundesgericht hat sich indessen mit der aufgeworfenen Frage im erwähnten Fall K.-T. und M. befasst, der sich sowohl hinsichtlich der Schwere der in Betracht fallenden Straftaten als auch hinsichtlich der Verbindungen der Angeschuldigten zu des Terrorismus dringend verdächtigen Kreisen ohne weiteres mit demjenigen des Angeschuldigten vergleichen lässt. Es wurde dort ausgeführt, es bestehe in Fällen dieser Art ein besonderes Risiko, weil Organisationen wie die "Rote Armee Fraktion" bereit seien, selbst zu den äussersten Mitteln zu greifen, um die Befreiung ihrer Mitglieder zu bewirken. Gedacht wurde dabei sowohl an direkte Befreiungsaktionen als auch vor allem an indirekte Mittel wie das der Geiselnahme, und es wurde auch die Gefahr des auf Anstiftung von aussen verübten Selbstmordes erwähnt. Das Bundesgericht erklärte weiter, es sei nicht auszuschliessen, dass Dritte - Anwälte nicht ausgenommen - mit oder ohne Wissen zu Komplizen der Gefangenen würden, indem sie zur Erleichterung derartiger Versuche bestimmtes oder geeignetes Material in der einen oder anderen Richtung übermittelten. Bei Angeschuldigten von der dargelegten Gefährlichkeit und mit Verbindungen zu terroristisch gesinnten Gruppen seien daher auch besondere, einschränkende Massnahmen bezüglich des Verkehrs mit der Verteidigung zulässig, und zwar selbst dann, wenn die Person des Verteidigers an sich in keiner Weise verdächtig sei.
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c) Es fragt sich somit nur noch, in welchem sachlichen und zeitlichen Umfang die beanstandete Briefkontrolle vor Art. 4 BV und Art. 6 EMRK standhalte. Das Bundesgericht hat die Frage allerdings nur hinsichtlich der Sachlage zu entscheiden, wie sie sich im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheides - also am 7. Juli 1980 - darbot. Doch ist die Frage der Vollständigkeit halber grundsätzlich zu erörtern.
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Die Strafprozessrechte der schweizerischen Kantone weisen hinsichtlich der Frage, von welchem Zeitpunkt an der unbeaufsichtigte Verkehr zwischen Angeschuldigten und Verteidigern zuzulassen sei, weit auseinandergehende Lösungen auf (vgl. dazu R. HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 90, und M. SCHUBARTH, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, besonders bei Untersuchungshaft, S. 174 ff.). Das Bundesgericht hat dazu festgestellt, es lasse sich jedenfalls aus Art. 4 BV kein absolutes und bedingungsloses Recht jedes Angeschuldigten auf freien Verkehr mit seinem Verteidiger während der ganzen Dauer eines Strafverfahrens ableiten. Dieses Recht müsse eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen werden können, soweit das ausnahmsweise in schwereren Fällen notwendig sei, um den ungestörten Fortgang der Untersuchung sicherzustellen (BGE 103 Ia 305). Auch die EMRK enthält keine ausdrückliche Bestimmung über den Verkehr zwischen dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger. In der Literatur ist allerdings schon mehrfach die Forderung erhoben worden, der uneingeschränkte Verkehr des Angeschuldigten mit dem Verteidiger sei auch schon während der ganzen Dauer der Untersuchung zu gewährleisten (D. PONCET, Le droit à l'assistance de l'avocat durant la procédure, in: Recueil des travaux suisses présentés au VIIIe congrès international de droit comparé, Basel 1970, S. 421; derselbe in: La protection de ![]() | 6 |
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtes entspricht eher der Auffassung der zweiten Gruppe, mit der Massgabe allerdings, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren sei und demgemäss die Einschränkung des freien Verkehrs zwischen dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger keinesfalls während der ganzen Dauer der Untersuchung aufrechterhalten werden dürfe (BGE BGE 105 Ia 100 und 380; BGE 103 Ia 305 ff.; BGE 102 Ia 299). Den Autoren, die im Interesse der Wahrung der Rechte des Angeschuldigten noch weiter gehen möchten, ist in Übereinstimmung mit SCHULTZ (a.a.O. S. 455) entgegenzuhalten, dass dem Untersuchungsrichter nach allen schweizerischen Strafprozessrechten die Pflicht obliegt, einzig die Wahrheit zu erforschen und dabei sowohl den belastenden als auch den entlastenden Tatsachen mit gleicher Sorgfalt nachzugehen. Er steht dem Angeschuldigten nicht als Gegenpartei gegenüber, weshalb dem Grundsatz der Waffengleichheit während des Untersuchungsstadiums hier nicht dieselbe Tragweite zukommt wie im Parteiprozess nach angelsächsischem Muster, von dem die EMRK offensichtlich stark beeinflusst ist (vgl. BGE 104 Ia 316 f., sowie TRECHSEL, a.a.O. S. 377).
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Zu beachten ist schliesslich, dass den Verteidiger weder eine Pflicht trifft, die Wahrheit zu offenbaren, noch eine solche, den Angeschuldigten zu deren Kundgabe zu veranlassen. Eine schrankenlose Ausweitung der Verteidigungsrechte während der Dauer der Untersuchung kann auch aus diesem Grunde die Erreichung des Zwecks des Verfahrens erschweren. Eine solche Erschwerung kann kaum das Ziel der EMRK gewesen sein; ![]() | 8 |
d) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu folgendem Ergebnis:
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Die Einschränkung des freien und uneingeschränkten Verkehrs zwischen dem Angeschuldigten und seiner Verteidigerin ist insoweit nicht zu beanstanden, als dadurch die Möglichkeiten einer wirksamen Verteidigung im Hauptverfahren vor dem Geschworenengericht nicht beeinträchtigt wurden (vgl. dazu H. MÜLLER, a.a.O. S. 193). Im Hauptverfahren gilt das Parteienprinzip, d.h. der Staatsanwalt steht dem Angeschuldigten dann als Vertreter der Anklage gegenüber, weshalb hier der Grundsatz der Waffengleichheit seinen Platz findet. In diesem Verfahrensstadium kann es daher kaum genügen, wenn der Angeschuldigte mit seinem Verteidiger mündlich ohne Aufsicht verkehren kann, sei es mit oder ohne Trennscheibe. Gerade in umfangreichen Prozessen gehört es zu einer voll wirksamen Verteidigung, dass der Angeschuldigte dem Verteidiger seinen Standpunkt auch in ausführlichen Schreiben darlegen kann, und es muss umgekehrt dem Verteidiger ermöglicht werden, dem Angeschuldigten den Entwurf zum Plädoyer oder je nach Prozessordnung auch eine allfällige Rechtsschrift zur Durchsicht und Gutheissung zu unterbreiten. Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit haben daher für einen verhältnismässig kurzen Zeitraum vor dem Hauptverfahren die Sicherheitsrücksichten bis zu einem gewissen Grade vor jenen auf eine wirksame Verteidigung in den Hintergrund zu treten, d.h. der schriftliche Verkehr zwischen dem Angeschuldigten und der Verteidigung darf nicht mehr von der Staatsanwaltschaft zensuriert werden. Wie lange vor der Hauptverhandlung diese Lockerung zu erfolgen hat, lässt sich nicht ein für allemal festlegen; es hängt dies von der Kompliziertheit des zu bewältigenden Prozessstoffes ab.
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Auch in diesem Zeitraum kann in Fällen besonders gefährlicher Angeschuldigter den für die Sicherheit der Haftanstalt verantwortlichen Organen das Recht nicht abgesprochen werden, deren Briefsendungen an die Verteidigung oder solche der Verteidigung an jene zu öffnen und daraufhin zu kontrollieren, ob sie keinen anderen Inhalt als Schriftstücke haben. Ein solches ![]() | 11 |
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