BGE 107 Ia 240 | |||
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48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1981 i.S. Gemeinde Churwalden gegen Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Gemeindeautonomie; Nichtgenehmigung einer Zonenplanänderung. |
2. Kollision zwischen der Pflicht der Regierung, kommunale Zonenpläne auf ihre Rechtmässigkeit und Übereinstimmung mit den Planungsgrundsätzen zu prüfen, und dem Recht der Gemeinden, nach Festlegung der Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung auf eine Eigentumsbeschränkung (in casu: Auszonung) zu verzichten. Bei der Abwägung der Interessen sind jene an der Durchsetzung elementarer Planungsgrundsätze in der Regel als gewichtiger anzusehen - vorbehalten der Fall, wo eine Gemeinde durch die Leistung der Entschädigung in ihrem finanziellen Gleichgewicht notstandsähnlich getroffen würde (E. 4). | |
Sachverhalt | |
In der Gemeinde Churwalden befindet sich am Südende des Dorfes beim Weiler "Hof" die Parzelle Nr. 147 A im Halte von 599 m2. Im Zonenplan von 1962 lag sie in der Wohnzone W 2. Diese wurde bei einer Planänderung im Jahre 1969 im Bestreben, das überdimensionierte Baugebiet zu verkleinern, der 2. Etappe zugewiesen. Am 5. September 1974 beschloss dann die Gemeindeversammlung, u.a. die Parzelle Nr. 147 A aus dem Baugebiet auszuzonen und dem übrigen Gemeindegebiet zuzuweisen; dies wurde von der Regierung am 24. Februar 1975 genehmigt. Hierauf verlangte der betroffene Grundeigentümer eine Entschädigung wegen materieller Enteignung. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hiess den Anspruch am 15. November 1977 gut und die Enteignungskommission setzte ihn auf Fr. 40.--/m2 fest. Die Gemeindeversammlung beschloss darauf, stattdessen die Parzelle Nr. 147 A wieder der Wohnzone 2, 2. Etappe, zuzuweisen. Dem versagte jedoch die Regierung des Kantons Graubünden mit Beschluss vom 8. April 1980 die Genehmigung. Hiegegen führt die Gemeinde Churwalden staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie. Nach Durchführung eines Augenscheines weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, aus folgenden
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Erwägungen: | |
3. Die Regierung hat der Planänderung die Genehmigung mit der Begründung verweigert, der von der Gemeinde beschlossenen Ausscheidung von Bauland stünden wichtige Anliegen der Raumplanung und damit erhebliche öffentliche Interessen entgegen. Eine derart kleine isolierte Einzelbauzone, wie sie geplant sei, führe zu einer Zersiedelung der Landschaft. Sie stelle eine geordnete Besiedelung und zweckmässige Bodennutzung in Frage. Die Gemeinde Churwalden erachtet sich demgegenüber in ihrer Autonomie verletzt, weil sie sich an die vom Verwaltungsgericht festgelegte Tatsache gehalten habe, wonach das Grundstück Nr. 147 A als baureif zu taxieren sei.
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a) Nach Art. 3 des kantonalen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 (KRG) hat die mit Planungsaufgaben betraute Behörde die schutzwürdigen öffentlichen und privaten Interessen in bestmöglicher Weise zu wahren und gegeneinander abzuwägen. Zu den öffentlichen Interessen zählen die dem Planungszweck dienenden Grundsätze der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der Förderung einer geordneten wirtschaftlichen Entwicklung (Art. 1 KRG). Dazu gehört auch der Schutz des Landschafts- und Ortsbildes (Art. 8 KRG). Seit dem Inkrafttreten des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (1. Januar 1980) sind ausserdem die in Art. 1 und 3 RPG näher bezeichneten Ziele und Planungsgrundsätze der Raumplanung zu beachten, so vor allem die haushälterische Nutzung des Bodens, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Landschaft, Erhaltung genügenden Kulturlandes für die Landwirtschaft, Einordnung der Siedlungen und Bauten in die Landschaft.
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Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten und hat der Augenschein bestätigt, dass die Gemeinde die bisher landwirtschaftlich genutzte Parzelle Nr. 147 A zu einer eigenen kleinen Bauzone ausgestalten will, die etwa 200 m vom eigentlichen Baugebiet, wie es im Zonenplan festgelegt ist, entfernt wäre. Wie das Bundesgericht wiederholt erklärt hat, ist es im Sinne von Art. 22quater BV ein wichtiges Anliegen, die Bautätigkeit auf das Baugebiet der Gemeinden zu konzentrieren und die Streubauweise für nichtlandwirtschaftliche Bauten zu verhindern. Das müssen auch die kantonalen Behörden beachten. Bei der Zuweisung von Grundstücken zum Baugebiet sind alle wesentlichen ortsplanerischen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dabei besteht ein allgemeines Interesse daran, dass vom Ortskern entferntes Land der Überbauung entzogen bleibt (BGE 89 I 198 E. 3, nicht veröffentlichte Urteile Niesengarage AG vom 19. Februar 1980 E. 1b und Berger vom 7. Mai 1980 E. 1b). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegen ferner Planungsmassnahmen, die einer Beschränkung des im allgemeinen zu gross bemessenen Baugebietes dienen, im öffentlichen Interesse (BGE 104 Ia 130 E. 3c, 141 E. 4c).
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b) Die von der Gemeindeversammlung am 29. Januar 1979 beschlossene Zuteilung der Parzelle Nr. 147 A zum Baugebiet verletzt diese Grundsätze eindeutig. Die Regierung konnte darin ohne Willkür einen Missbrauch des Ermessens erblicken. Es erscheint offensichtlich als verfehlt, eine Parzelle mit einer Fläche von nur ungefähr 560 m2, die völlig vom "übrigen Gemeindegebiet" umgeben und von der nächsten Bauzone rund 200 m entfernt ist, dem Baugebiet zuzuweisen. Dies gälte selbst dann, wenn die Parzelle voll erschlossen wäre. Volle Erschliessung begründet noch keinen Anspruch auf Einzonung in das Baugebiet (BGE 103 Ia 256 E. 3d), sonst wäre eine sinnvolle Planung oft von vornherein unmöglich. Hier fällt zudem in Betracht, dass die Erschliessung heute noch ungenügend ist. Erscheint schon die Zufahrt von der Kantonsstrasse her am Weiler "Hof" vorbei als ungenügend, so fehlt weiterhin die Abwasserentsorgung gänzlich, da die örtliche Kanalisation 200 m unterhalb der Parzelle endet. Auch die Frischwasserversorgung müsste erst geschaffen werden.
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Die Gemeinde macht geltend, die Parzelle schliesse unmittelbar an den Weiler "Hof" an, und es könne auf ihr nur eine einzige Baute errichtet werden; die Wiedereinzonung lasse sich daher vertreten. Die Regierung konnte diesen Einwand ohne Willkür verwerfen. Die Bauten, die zum Weiler "Hof" gehören, sind landwirtschaftliche Bauten im Landwirtschaftsgebiet. Die Parzelle Nr. 147 A hingegen soll - vom Dorf entfernt - Bauland werden und mit einem Wohnhaus überbaut werden, das nichts mit der Landwirtschaft zu tun hat, sondern lediglich Wohnzwecken dient. Die Auffassung, eine derartige Einzonung widerspreche grundlegenden Planungsregeln, lässt sich mit sachlichen Gründen vertreten.
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c) Die Gemeinde stützt sich freilich auf das Urteil des Verwaltungsgerichtes vom 15. November 1977, in welchem die Parzelle als baureif erklärt wurde. Dieses Urteil geht in der Bejahung der Baureife wohl zu weit. Aber selbst wenn die Überlegungen des Verwaltungsgerichtes zuträfen, wäre damit noch nicht gesagt, dass die Zonenplanrevision von 1974 und die von der Regierung beschlossene Auszonung der Parzelle Nr. 147 A planerisch nicht gerechtfertigt wären. Baureife bedeutet - wie bereits ausgeführt - nicht unbedingt Einzonungspflicht. Aus den Erwägungen des Verwaltungsgerichtes lässt sich nicht ableiten, dass im Hinblick auf die Ortsplanung von Churwalden eine Wiedereinzonung der Parzelle Nr. 147 A in das Baugebiet im Rahmen pflichtgemässen planerischen Ermessens gelegen wäre. Die Regierung, welche dies verneint hat, ist damit keineswegs in Willkür verfallen. Wie ausgeführt, hat die Beschwerdeführerin selber die Parzelle 1974 dem "übrigen Gemeindegebiet" zugewiesen.
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Die Gemeinde Churwalden hat - sie erklärt das offen - die Umzonung der Parzelle Nr. 147 A in das Baugebiet lediglich deshalb beschlossen, um der Entschädigungspflicht zu entgehen, wie sie vom kantonalen Verwaltungsgericht und von der Enteignungskommission festgelegt worden ist. Sie ist der Meinung, ihr Interesse an der Vermeidung der Entschädigungspflicht verbunden mit dem Interesse des Grundeigentümers an der Überbauungsmöglichkeit überwiege das öffentliche Interesse an der Einhaltung der allgemeinen Planungsgrundsätze. Die Regierung konnte aber - ohne in Willkür zu verfallen oder zum Nachteil des Eigentümers die Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV zu verletzen - im vorliegenden Falle der Einhaltung elementarer Planungsgrundsätze das grössere Gewicht beimessen.
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Die Regierung hat eine materielle Stellungnahme hiezu im angefochtenen Entscheid in der Tat unterlassen. Die Beschwerdeführerin erblickt darin zu Unrecht eine formelle Rechtsverweigerung. Zwar hatte sie Anspruch darauf, dass die Regierung zu ihrem Einwand Stellung nehme. Doch hat die Regierung diese vorerst unterlassene Stellungnahme in ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde nachgeholt. Die Beschwerdeführerin erhielt Gelegenheit, in diesem Punkte ihre Beschwerde zu ergänzen. Unter diesen Umständen ist ihr kein prozessualer Nachteil daraus entstanden, dass die Regierung zu dem erwähnten Punkt erst hinterher Stellung genommen hat. Der formelle Mangel des Entscheides kann vielmehr als geheilt betrachtet werden (BGE 104 Ia 214 und BGE 107 Ia 1 E. 1).
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Zu prüfen bleibt jedoch materiell, ob die Rechtsauffassung der Regierung vor dem Willkürverbot standhält. Die Beschwerdeführerin hält die Vorschrift von Art. 52 Abs. 5 KRG für eine lex specialis, die der Bestimmung von Art. 37 KRG vorgehe. Die Regierung wendet dagegen ein, dass sie bei solcher Sicht gezwungen sein könnte, eine fehlerhafte Teilrevision eines Zonenplanes zu genehmigen. Auf diese Weise könnten fehlerhafte Planungen, denen Art. 37 Abs. 2 KRG eine Schranke setze, unkorrigiert Rechtskraft erlangen. Art. 52 Abs. 5 KRG bilde daher im Verhältnis zu Art. 37 Abs. 2 KRG kein vorrangiges Recht.
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Was die Beschwerdeführerin in ihrer ergänzenden Eingabe gegen diese Rechtsauffassung vorbringt, ist nicht stichhaltig. Weder aus den Materialien noch aus der Systematik des Gesetzes muss der Schluss gezogen werden, eine Entscheidung der Gemeinde im Sinne von Art. 52 Abs. 5 KRG sei einer Überprüfung durch die Regierung im Genehmigungsverfahren gemäss Art. 37 Abs. 2 KRG entzogen. Die Regierung hat hiezu ausgeführt, dass sie in solchen Fällen eine zusätzliche Interessenabwägung vornimmt, in welche die Interessenlage der Gemeinde gemäss Art. 52 Abs. 5 KRG einbezogen wird. Eine solche Auslegung und Anwendung der miteinander kollidierenden Normen des kantonalen Rechtes kann im Hinblick auf den Stellenwert, den Art. 24quater BV und das eidg. RPG der Einhaltung der Planungsgrundsätze zuordnen, jedenfalls nicht als willkürlich bezeichnet werden. Die gegenteilige Auffassung der Beschwerdeführerin könnte zu unübersehbaren und schwerwiegenden raumplanerischen Fehlentscheiden führen.
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Eine andere Wertung könnte sich nur dann aufdrängen, wenn die Leistung der Entschädigungssumme für materielle Enteignung an den Grundeigentümer die Gemeinde in ihrem finanziellen Gleichgewicht so stark träfe, dass eine notstandsähnliche Situation einträte. Dies macht die Beschwerdeführerin jedoch nicht geltend. Es kann daher nicht angenommen werden, die von der Regierung vorgenommene Interessenabwägung sei offensichtlich unrichtig oder verletze den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Wenn die Regierung hier korrigierend eingegriffen und die Parzelle - wie von den Gemeindebehörden im Jahre 1974 geplant - wiederum dem übrigen Gemeindegebiet zugewiesen hat, bedeutet dies keine willkürliche Missachtung der im Interesse der Gemeindeautonomie gebotenen Zurückhaltung. Materiell erscheint die Korrektur nach planerischen Gesichtspunkten nicht nur als nicht willkürlich, sondern als wohl begründet.
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Hat aber die Regierung ihre Kognition als Genehmigungsbehörde schon nach Massgabe des kantonalen Rechtes nicht überschritten, so erweist sich die Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie als ungerechtfertigt, und es ist nicht mehr zu untersuchen, ob ihr nach Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG volle Überprüfung zugestanden wäre. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
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