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5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Januar 1982 i.S. D. gegen Obergericht und Generalprokurator des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 4 BV; Art. 346 ff. StGB. |
2. Der Kanton, dessen Behörden strafprozessuale Zwangsmassnahmen angeordnet und durchgeführt hatten, bleibt auch dann zum Entscheid über eine allfällige Entschädigung zuständig und zu deren Bezahlung verpflichtet, wenn das Strafverfahren in der Folge von einem andern Kanton übernommen und durch Einstellungsverfügung oder ein freisprechendes Urteil abgeschlossen wurde. | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Eingabe vom 14. August 1980 meldete Frau D. beim Generalprokurator des Kantons Bern eine Entschädigungsforderung von Fr. 659'108.-- an. Der Generalprokurator-Stellvertreter vertrat mit Schreiben vom 19. August 1980 den Standpunkt, mit der Übernahme des Strafverfahrens durch die Behörden des Kantons Basel-Stadt seien sämtliche Rechte und Pflichten aus diesem Verfahren auf die Basler Behörden übergegangen, so dass sich die Gesuchstellerin ausschliesslich an diese Behörden zu halten ![]() | 2 |
Gegen dieses als "Rückweisungsverfügung" verstandene Schreiben des Generalprokurator-Stellvertreters reichte Frau D. "Beschwerde und Gesuch" ein. Die Anklagekammer sowie die Abberufungskammer des bernischen Obergerichts vertraten in ihren Entscheiden vom 7. Juli bzw. 25. August 1981 den Standpunkt, der Kanton Bern sei nicht zuständig, über die von Frau D. geltend gemachten Entschädigungsansprüche für die von bernischen Behörden angeordneten und durchgeführten Strafverfolgungsmassnahmen zu befinden.
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C.- In einer Eingabe vom 18. September 1981 ficht Frau D. die Entscheide der Anklagekammer und der Abberufungskammer des bernischen Obergerichts vom 7. Juli bzw. 25. August 1981 "wegen Verletzung von Art. 4 BV und wegen Verletzung der in Art. 345 f. StGB geregelten bundesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften" an. Sie beantragt die Aufhebung dieser Entscheide und die Rückweisung der Sache an die bernischen Behörden im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen.
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D.- Der Generalprokurator-Stellvertreter und die Abberufungskammer des Obergerichts des Kantons Bern beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Vorschrift, dass "im Aufhebungsbeschluss" und somit von den Überweisungsbehörden über eine Entschädigung zu befinden ist, regelt lediglich die innerkantonale Zuständigkeit zum Entscheid und ist bloss organisationsrechtlicher Natur. Das bernische Strafverfahren bestimmt nur, welche Behörde zum Entscheid über eine allfällige Entschädigung des Angeschuldigten für die ihm durch die von bernischen Behörden veranlassten Strafverfolgungsmassnahmen erwachsenen Nachteile zuständig ist, wenn die Untersuchung im Kanton Bern aufgehoben wird; es bestimmt aber nicht abschliessend, wann bernische Behörden überhaupt zum Entscheid zuständig sind. Das Fehlen einer Bestimmung, welche die innerkantonal zuständige Behörde bezeichnet für den Fall, dass das Verfahren schliesslich von einem andern Kanton übernommen und in der Folge eingestellt wird, ist kein haltbarer Grund, die Zuständigkeit der bernischen Behörden zum Entscheid in einem solchen Fall überhaupt zu verneinen. Es ist willkürlich, die organisationsrechtliche Bestimmung, wonach "im Aufhebungsbeschluss" über eine Entschädigung zu befinden ist, dahin auszulegen, dass der Kanton Bern nur dann über die Entschädigung für die von seinen Behörden angeordneten und durchgeführten Strafverfolgungsmassnahmen zu entscheiden habe, wenn das Verfahren im Kanton Bern aufgehoben wurde.
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Die Auffassung des Obergerichts, die Unzuständigkeit der bernischen Behörden in Fällen der vorliegenden Art ergebe sich aus dem bernischen Strafverfahrensrecht, ist demnach willkürlich.
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3. Die bernischen Behörden halten dafür, mit der Übernahme des Strafverfahrens durch die Behörden des Kantons Basel-Stadt sei dasselbe mit sämtlichen Wirkungen, mit allen Rechten und Pflichten, auf den Kanton Basel-Stadt übergegangen. Zur Begründung berufen sie sich auf die Regeln des Strafgesetzbuches über die örtliche Zuständigkeit und auf Art. 351 StGB, wonach bei streitigem Gerichtsstand das Bundesgericht den Kanton bezeichnet, ![]() | 10 |
Wie der Kassationshof schon in seinen Urteilen vom 6. und 18. November 1981 zu den von Frau D. gegen die Basler Behörden eingereichten Rechtsmitteln (Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) erkannt hat, finden die Gerichtsstandsbestimmungen der Art. 346 ff. StGB, welche die interkantonale Zuständigkeit zur "Verfolgung und Beurteilung" von der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstellten strafbaren Handlungen regeln, auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Der Anspruch auf Entschädigung für Nachteile aus an sich rechtmässigen strafprozessualen Massnahmen folgt weder aus Bundesstrafrecht noch aus Bundesstrafprozessrecht, sondern aus dem kantonalen öffentlichen Recht, und das Verfahren, in welchem dieser Anspruch durchzusetzen ist, ist kein eigentliches Strafverfahren. Die Berechtigung und Verpflichtung zur Verfolgung und Beurteilung (Art. 351 StGB, Art. 264 BStP) umfasst nicht auch den Entscheid über die Entschädigung für Nachteile infolge strafprozessualer Massnahmen.
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b) Der Kassationshof erkannte in seinem bereits erwähnten Urteil vom 18. November 1981, dass die Auffassung des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, wonach derjenige Kanton dem Beschuldigten gegenüber für die von diesem wegen strafprozessualer Massnahmen erlittenen Nachteile verantwortlich sein soll, welcher die fraglichen Massnahmen angeordnet und durchgeführt hat, nicht willkürlich sei. Der Kassationshof führte weiter aus, es liege nahe, dass der für die Anordnung von Zwangsmassnahmen verantwortliche Kanton entscheide, ob und inwieweit für ![]() | 13 |
c) Auch praktische Überlegungen sprechen für diese Lösung. Aus welchen Gründen eine bestimmte Zwangsmassnahme angeordnet wurde und ob und inwiefern der Beschuldigte das Strafverfahren bzw. die Anordnung und Aufrechterhaltung einer prozessualen Massnahme durch sein Verhalten zu verantworten habe (was für die Ausrichtung einer Entschädigung und deren Höhe regelmässig von Bedeutung ist), können die Behörden des Kantons, in dem die Untersuchungshandlung angeordnet wurde, zuverlässiger ermitteln als die Behörden des das Verfahren einstellenden Kantons. Dasselbe gilt hinsichtlich der Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer allfälligen Regresspflicht Dritter, etwa des Anzeigers oder des Privatklägers (Art. 202 Abs. 2 StrV/BE) oder eines öffentlichen Bediensteten (§ 84 StPO/BS), erfüllt seien. Hinzu kommt, dass die Behörden des das Verfahren einstellenden Kantons die Praxis der Behörden des für die Zwangsmassnahmen verantwortlichen Kantons zur Entschädigungsfrage in der Regel nicht kennen und auch nicht ohne Schwierigkeiten in Erfahrung bringen können.
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d) Was in den angefochtenen Entscheiden zur Begründung der Unzuständigkeit der bernischen Behörden ausgeführt wird, ![]() | 15 |
Der Kanton Bern ist demnach zuständig zum Entscheid über das von Frau D. eingereichte Begehren um Entschädigung für Nachteile, die sie angeblich durch die von den bernischen Behörden angeordneten und durchgeführten strafprozessualen Massnahmen erlitten hat. Über die innerkantonale Zuständigkeit und die Ausgestaltung des Verfahrens braucht hier nicht entschieden zu werden.
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