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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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11. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Februar 1982 i.S. K. gegen Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich und Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 88 OG, Legitimation; Art. 58 Abs. 1 BV, Ablehnung eines Richters. |
Es bedeutet keine willkürliche Auslegung des § 96 Ziff. 4 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes (Ablehnung wegen Befangenheit) und verstösst auch nicht gegen Art. 58 Abs. 1 BV, wenn angeordnet wird, dass eine Zürcher Jugendrichterin, die im Zusammenhang mit den Zürcher Jugendunruhen einen öffentlichen Aufruf zu "Milde und Amnestie" mitunterzeichnet hat, in einem mit diesen Unruhen zusammenhängenden Straffall in den Ausstand zu treten habe (E. 2, 3). | |
Sachverhalt | |
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Mit Eingabe vom 2. März 1981 reichte die Jugendanwaltschaft ein Ablehnungsbegehren gegen die Bezirksrichterin lic. iur. Marianne Herzog, Mitglied des Jugendgerichts, ein. Sie machte geltend, die Jugendrichterin Herzog erscheine in der Strafsache K. als befangen, weil sie zu den Mitunterzeichnern eines im "Tages-Anzeiger" vom 18. September 1980 unter dem Titel "Unsere Jugend - unsere Zukunft" erschienenen Inserates gehöre, in welchem für die im Zusammenhang mit den "Zürcher Jugendunruhen" in Strafuntersuchung gezogenen Personen "Milde und Amnestie" gefordert werde. Frau Herzog gab in ihrer Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch die "gewissenhafte Erklärung" ab, dass gegen sie kein Ausstandsgrund vorliege. Die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich hiess das Ablehnungsbegehren der Jugendanwaltschaft in der Strafsache K. mit Beschluss vom 28. Oktober 1981 gut.
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K. führt gegen den Entscheid der Verwaltungskommission des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Art. 4 und 58 Abs. 1 BV.
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Erwägungen: | |
1. Das Bundesgericht hatte sich kürzlich mit einer staatsrechtlichen Beschwerde zu befassen, welche die Bezirksrichterin lic. iur. Marianne Herzog gegen Entscheide erhoben hatte, mit denen die gegen sie in drei Straffällen eingereichten Ablehnungsbegehren gutgeheissen worden waren. Das Bundesgericht trat nicht auf diese Beschwerde ein mit der Begründung, Frau Herzog werde durch die Ausstandsentscheide ausschliesslich in ihrer öffentlichrechtlichen ![]() | 4 |
Im vorliegenden Falle ist nicht ein Richter Beschwerdeführer, sondern ein Angeschuldigter, gegen den die Zürcher Behörden ein Strafverfahren führen. Er ist befugt, den Entscheid, mit welchem das Ablehnungsbegehren der Jugendanwaltschaft gutgeheissen wurde, mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten (vgl. BGE 105 Ia 157 und 172). Art. 58 Abs. 1 BV, wonach niemand seinem verfassungsmässigen Richter entzogen werden darf, verleiht dem Einzelnen einen Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts (BGE 91 I 399; BGE 92 I 271). In diesem Anspruch ist eine Prozesspartei nicht nur dann beeinträchtigt, wenn ein von ihr selbst eingereichtes Ablehnungsbegehren zu Unrecht abgewiesen wurde, sondern ebenso dann, wenn die kantonale Behörde das Begehren eines andern Prozessbeteiligten ohne stichhaltigen Grund gutgeheissen hat. Auch im letztgenannten Falle ist das Gericht - ohne Mitwirkung des zu Unrecht ausgeschlossenen Richters - unrichtig besetzt und die Prozesspartei damit in dem Anspruch, den ihr Art. 58 Abs. 1 BV einräumt, verletzt. Der Beschwerdeführer ist somit durch den Beschluss der Verwaltungskommission des Zürcher Obergerichts vom 28. Oktober 1981 in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und daher legitimiert, gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde zu führen (Art. 88 OG).
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a) Gemäss § 96 Ziffer 4 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 (GVG) kann ein Richter abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die ihn als befangen erscheinen lassen. Der Ablehnungsgrund der Befangenheit setzt nach der zürcherischen Rechtsprechung nicht voraus, dass der betreffende ![]() | 7 |
Die Verwaltungskommission des Obergerichts hielt das Ablehnungsgesuch, welches die Jugendanwaltschaft gegen Bezirksrichterin Marianne Herzog gestützt auf § 96 Ziff. 4 GVG eingereicht hatte, für begründet. Sie führte aus, Frau Herzog habe unter Angabe des Richterberufes ein Inserat mitunterzeichnet, mit dem eine öffentliche Erklärung zu den "Zürcher Unruhen" abgegeben worden sei. In dem Inserat werde neben dem Aufruf zum Gespräch und zur Verständigung mit der rebellierenden Jugend unter anderem die Behauptung aufgestellt, die Jugend habe sich anders als durch Zerschlagen von Glas kein Gehör verschaffen können, und ausserdem werde für die in Strafuntersuchung gezogenen Personen "Milde und Amnestie" gefordert. Diese von der abgelehnten Jugendrichterin mitunterzeichneten Äusserungen erweckten den Eindruck einer Sanktionierung der Gewaltanwendung und liessen darauf schliessen, die Unterzeichner verträten die Meinung, die im Zusammenhang mit den Zürcher Unruhen angehobenen Strafverfahren seien nicht nach den Grundsätzen des geltenden Strafprozessrechts durchzuführen, vielmehr habe der Staat von vornherein auf einen allfälligen Strafanspruch zu verzichten. Frau Herzog habe sich damit öffentlich als Richterin in bezug auf die Behandlung und Beurteilung dieser Verfahren, zu denen auch die Strafsache K. gehöre, in einer Weise einseitig festgelegt, die das bei der Anklagebehörde erweckte Misstrauen in die Unvoreingenommenheit objektiv als gerechtfertigt erscheinen lasse.
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b) Der Beschwerdeführer wirft der Verwaltungskommission des Obergerichts vor, sie habe aus dem Text des Inserates, das von Bezirksrichterin Herzog mitunterzeichnet worden sei, willkürliche Schlüsse gezogen. Frau Herzog habe weder zu einem hängigen noch zu einem künftigen Strafverfahren Stellung genommen, sondern in einem politischen Konflikt ihre politische Meinung geäussert. Eine solche Äusserung könne keinen Ablehnungsgrund im Sinne des § 96 Ziff. 4 GVG bilden.
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Das fragliche Inserat bezieht sich auf die Zürcher Jugendunruhen und betrifft somit konkret Handlungen, wie sie dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden. Es ist bekannt, dass Jugendliche bei diesen Unruhen zahlreiche Gewaltakte (Sachbeschädigungen, Plünderungen, Brandanschläge, etc.) verübt und in schwerwiegender Weise gegen die Rechtsordnung verstossen haben. Im Inserat wird nun neben dem Aufruf zum Gespräch und zur Verständigung mit den Jugendlichen unter anderem die Behauptung aufgestellt, die Jugend habe sich anders als durch Zerschlagen von Glas kein Gehör verschaffen können, und es wird für sie Milde und Amnestie verlangt. Wenn die Verwaltungskommission des Obergerichts annahm, diese Äusserungen erweckten den Eindruck, die Unterzeichner billigten die Gewaltanwendung und verträten die Meinung, die Jugendlichen sollten für die bei den Zürcher Unruhen begangenen Delikte nicht bestraft werden, ist das nicht unhaltbar. Es ist zu berücksichtigen, dass an keiner Stelle des Inserates eine Verurteilung der Gewaltakte oder auch nur eine Distanzierung von der Handlungsweise der Jugendlichen zu finden ist. Die Unterzeichner führen im Gegenteil aus, sie seien der Jugend dankbar dafür, dass sie nicht Ja und Amen sage, und erheben die Forderung nach "Milde und Amnestie". Wohl ist es denkbar, dass die Unterzeichner mit dem Begriff "Amnestie" nicht den Verzicht des Staates auf die Strafverfolgung oder den Strafvollzug gegenüber einer bestimmten Gruppe von Delinquenten gemeint, sondern den Ausdruck lediglich im Sinne einer verzeihenden und vergebenden gesellschaftlichen Haltung gegenüber den rebellierenden Jugendlichen verstanden haben. Das ist indes, wie erwähnt, ohne Belang. Entscheidend ist, dass objektiv gesehen aus der Forderung nach Amnestie in Verbindung mit dem gesamten Text des Inserates ohne Willkür der Eindruck entstehen konnte, die ![]() | 11 |
Die Bezirksrichterin Herzog hatte in ihrer Stellungnahme vom 9. März 1981 zum Ausstandsbegehren der Jugendanwaltschaft erklärt, sie habe sich bis anhin immer strikte im Rahmen des Gesetzes bewegt und gedenke, dies auch weiterhin zu tun. Es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Erklärung zu zweifeln. Beim Entscheid über das Ablehnungsgesuch ging es jedoch für die Verwaltungskommission des Obergerichts nicht um die Frage, ob Frau Herzog in der Strafsache des Beschwerdeführers tatsächlich befangen sei, sondern lediglich darum, ob aufgrund des Inserates bei objektiver Betrachtung der Anschein einer Voreingenommenheit entstanden sei. Diese Frage konnte die Verwaltungskommission, wie dargelegt wurde, ohne Willkür bejahen.
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