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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Februar 1982 i.S. evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen und evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Straubenzell gegen Z., Dr. R. und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 88 OG, Legitimation; Gemeindeautonomie; Verfahren betreffend die Abberufung eines Pfarrers. |
Verletzung der Autonomie der Kantonalkirche und der Kirchgemeinde Straubenzell dadurch, dass der Regierungsrat im Rechtsmittelverfahren die ihm zustehende Prüfungsbefugnis überschritt: er nahm zu Unrecht an, es liege ein Missbrauch der Amtsgewalt durch den Kirchenrat der Kantonalkirche vor, weil dieser im Beschwerdeverfahren davon abgesehen habe, den von der Kirchgemeindeversammlung in geheimer Abstimmung gefassten Beschluss betreffend die Abberufung des Pfarrers aufzuheben (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Die Kirchenvorsteherschaft von Straubenzell berief auf den 10. Februar 1980 eine ausserordentliche Kirchgemeindeversammlung ![]() | 2 |
Pfarrer Z. und Dr. R. erhoben Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen. Sie machten geltend, das Abberufungsverfahren sei von einem unzuständigen Organ, nämlich der Kirchenvorsteherschaft, eingeleitet worden. Diese habe versucht, mit ihrem Rundschreiben den Prozess demokratischer Willensbildung mit unwahren und aktenwidrigen Behauptungen zu beeinflussen. Dem angegriffenen Pfarrer sei keine Gelegenheit gegeben worden, zu den Anschuldigungen gebührend Stellung zu nehmen.
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Der Regierungsrat hiess mit Beschluss vom 10. März 1981 die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut und hob den Entscheid des Kirchenrates vom 19. August 1980 auf. Er erklärte zwar die von Pfarrer Z. und Dr. R. erhobenen Rügen als unbegründet, kam aber zum Schluss, nach der Kirchenverfassung sei der Entscheid über ein Abberufungsbegehren nicht in einer Kirchgemeindeversammlung, sondern in einer Urnenabstimmung zu treffen. Die Abstimmung über die Abberufung von Pfarrer Z. müsse deshalb an der Urne wiederholt werden.
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Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen und die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Straubenzell führen gegen den Beschluss des Regierungsrates vom 10. März 1981 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie sowie des Art. 4 BV.
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Aus den Erwägungen: | |
1. a) Es steht ausser Zweifel, dass auf die Beschwerde eingetreten werden kann, soweit sie von der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Straubenzell erhoben wurde. Der Entscheid des St. Galler Regierungsrates vom 10. März 1981 berührt die Kirchgemeinde in ihrer Eigenschaft als Trägerin öffentlicher Gewalt. Sie ist daher nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob die Gemeinde im fraglichen Bereich tatsächlich ![]() | 6 |
b) Fraglich ist hingegen, ob auf die Beschwerde auch insoweit eingetreten werden kann, als sie von der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen eingereicht wurde, d.h. ob eine kantonale öffentlichrechtliche Kirchenkorporation befugt ist, wegen Verletzung ihrer Autonomie Beschwerde zu erheben. Das Bundesgericht hat anerkannt, dass nicht nur Gemeinden, sondern auch andere öffentlichrechtliche Körperschaften wegen Verletzung der Autonomie Beschwerde führen können, wenn sie die ihnen durch Verfassung oder Gesetz gewährleistete Autonomie gegenüber dem Staat als dem ihnen übergeordneten Träger öffentlicher Gewalt verteidigen wollen (BGE 95 I 53). Es hatte z.B. zu prüfen, ob ein Gemeinde-Zweckverband, die Studentenschaft einer Universität oder eine kantonale Pensionskasse wegen Autonomieverletzung staatsrechtliche Beschwerde erheben könne (BGE 95 I 53 ff.; BGE 99 Ia 756 ff.; BGE 103 Ia 59 ff.). Das Gericht verneinte die Frage in jenen Fällen nicht einfach mit dem Hinweis, der Beschwerdeführer sei keine Gemeinde; vielmehr untersuchte es, ob die Voraussetzung, nämlich ein durch die Kantonsverfassung oder die kantonale Gesetzgebung gewährleistetes Selbstbestimmungsrecht, gegeben sei, um die betreffende Körperschaft oder Anstalt einer Gemeinde gleichzustellen. Was den hier zu beurteilenden Fall anbelangt, so räumt die Verfassung des Kantons St. Gallen (KV) in Art. 24 dem katholischen und dem evangelischen Konfessionsteil das Recht auf eigene Organisation und auf weitgehende Selbstverwaltung ein. Diese beiden Konfessionsteile, auch kantonale Kirchen genannt, haben als Träger hoheitlicher Rechte selbständige Entscheidungsbefugnisse, die mindestens so weit reichen wie jene der Kirchgemeinden. Die Voraussetzung, um der kantonalen Kirchenkörperschaft in gleicher Weise das Recht zur Beschwerde wegen Verletzung der Autonomie zuzuerkennen, ist demnach erfüllt. Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen ist somit ebenso wie die Kirchgemeinde Straubenzell legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde vorzubringen, sie werde durch den regierungsrätlichen Entscheid vom 10. März 1981 in ihrer Autonomie verletzt. Im Zusammenhang mit der Rüge der Autonomieverletzung können sich die Beschwerdeführerinnen auch über eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör beklagen (BGE 98 Ia 431 E. 2; BGE 96 I 239).
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Nach Art. 24 KV und dem gleichlautenden Art. 1 des st. gallischen Gesetzes über die Besorgung der Angelegenheiten des katholischen und des evangelischen Konfessionsteiles vom 25. Juni 1923 (KonfG) sind die beiden kantonalen Kirchen berechtigt, sich ihre konfessionelle Organisation unter Vorbehalt der staatlichen Genehmigung selbst zu geben. Art. 2 Abs. 2 KonfG (in der Fassung vom 23. August 1979) sieht vor, dass sich die von den Konfessionsteilen erlassenen Vorschriften hinsichtlich der Organisation der Kirchgemeinden nach der staatlichen Gesetzgebung über die Spezialgemeinden zu richten haben, soweit nicht besondere Verhältnisse eine Abweichung rechtfertigen. Gleichwohl steht aber der kantonalen Kirche beim Erlass solcher organisatorischer Vorschriften, zu denen auch die hier in Frage stehenden Bestimmungen über die Abberufung der Pfarrer gehören, eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zu. Die Kirchgemeinden ihrerseits regeln gemäss Art. 11 Abs. 3 der Verfassung der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen vom 13. Januar 1974 (VEK) ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetzgebung der Kantonalkirche selbständig. Die Beschwerdeführerinnen sind demnach im Sachbereich, der Gegenstand des Streites bildet, autonom.
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a) Nach Art. 7 Abs. 2 KonfG kann beim Regierungsrat gegen Entscheide der konfessionellen Oberbehörden - abgesehen vom hier nicht zur Diskussion stehenden Anfechtungsgrund der zweckwidrigen Verwendung oder gesetzwidrigen Verwaltung von Kirchengut - lediglich "wegen Missbrauches oder Überschreitung ![]() | 11 |
b) Der Regierungsrat nahm an, der Kirchenrat hätte die Kassationsbeschwerde, welche gegen die von der Kirchgemeindeversammlung Straubenzell in geheimer Abstimmung beschlossene Abberufung von Pfarrer Z. erhoben worden war, gutheissen müssen, da das Abberufungsbegehren in Widerspruch zu Art. 18 Abs. 2 VEK nicht der Urnenabstimmung unterbreitet worden sei. Indem der Kirchenrat die Beschwerde abgewiesen habe, obwohl die Abberufung in einem verfassungswidrigen Verfahren erfolgt sei, habe er seine Amtsgewalt überschritten.
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Ob der Regierungsrat so entscheiden durfte, obschon in der Kassationsbeschwerde gar nicht gerügt worden war, der Abberufungsbeschluss hätte an der Urne gefasst werden müssen, mag dahingestellt bleiben. Rein unter dem Gesichtspunkt des materiellen Rechts wäre der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden, wenn es sich so verhielte, wie der Regierungsrat anzunehmen scheint. Dieser geht nämlich davon aus, es bestehe hinsichtlich des Abberufungsverfahrens bloss Art. 18 Abs. 2 VEK, wonach Begehren um Abberufung eines Pfarrers durch Urnenabstimmung erledigt werden müssen. Die Kirchenverfassung enthält aber auch - was der Regierungsrat anscheinend übersah - einen Art. 16 lit. d, der vorsieht, dass über eine allfällige Abberufung der Pfarrer die Kirchgemeindeversammlung zu befinden hat. Die beiden Vorschriften widersprechen sich, erklärt doch die eine die ![]() ![]() | 13 |
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