BGE 108 Ia 165 | |||
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31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. Oktober 1982 i.S. Progressive Organisationen Baselland und Hauser gegen Landrat des Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Initiativrecht. Nichtvorlegung einer kantonalen Volksinitiative zur Volksabstimmung. |
2. Die basel-landschaftliche Verfassung lässt die Sistierung der Behandlung von Volksinitiativen durch den Landrat nicht zu (E. 2c). Verbleibende Möglichkeit (E. 2d). Rechtliche Würdigung einer verfassungswidrigen Sistierung (E. 2e). |
3. Folgen der Gutheissung der Stimmrechtsbeschwerde (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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"1 1500 Stimmberechtigte sind jederzeit befugt, das Begehren um Erlass eines neuen oder um Aufhebung oder Änderung eines bestehenden Gesetzes, eines allgemein verbindlichen Beschlusses oder einer vom Landrat erlassenen Verordnung zu stellen.
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Initiativbegehren können in der Form der einfachen Anregung (nichtformulierte Initiative) oder des ausgearbeiteten Entwurfes (formulierte Initiative) gestellt werden.
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3 Wird auf eine nichtformulierte Initiative zufolge Volksabstimmung oder Beschlusses des Landrates eingetreten, oder handelt es sich um eine formulierte Initiative, so ist der Landrat gehalten, eine Vorlage im Sinne des gestellten Begehrens innert einer Frist von achtzehn Monaten zu verabschieden."
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Am 15. März 1979 reichten die Progressiven Organisationen Baselland (POCH) bei der Landeskanzlei des Kantons Basel-Landschaft eine nichtformulierte Gesetzesinitiative mit dem Titel "Schutz für Luft, Boden und Wasser" ein. Mit Beschluss vom 10. April 1979 stellte der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft fest, dass die Initiative zustandegekommen war. In der Folge zeigte es sich, dass Land- und Regierungsrat die Initiative so lange weder behandeln noch den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorlegen wollten, bis ein endgültiger Entwurf für ein Bundesgesetz über den Umweltschutz vorliegen würde.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 3. Februar 1982 verlangen die POCH und Felix Hauser, dass die Initiative den Stimmberechtigten des Kantons Basel-Landschaft unverzüglich zur Abstimmung unterbreitet werde. Sie werfen dem Landrat eine Verletzung von § 12 KV vor, da er die Initiative nicht zur Volksabstimmung vorgelegt habe. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Das Initiativrecht verbürgt den Anspruch, dass ein Volksbegehren, das die geltenden Formerfordernisse erfüllt und keinen übergeordneten materiellen Vorschriften widerspricht, den Stimmbürgern in dem dafür vorgesehenen Verfahren unterbreitet wird (BGE 104 Ia 242 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer machen geltend, der Landrat habe die Vorschriften von § 12 Abs. 2 und 3 KV verletzt, indem er die Initiative "Schutz für Luft, Boden und Wasser" den Stimmberechtigten nicht unterbreitet habe. Die Missachtung der Behandlungsfristen von sechs beziehungsweise achtzehn Monaten lasse sich nicht rechtfertigen. Eine Sistierung sei weder in Verfassung noch Gesetz vorgesehen und daher ungültig. Die Initiative sei unter anderem auch deshalb lanciert worden, um die kantonalen Behörden zu zwingen, bereits vor Inkrafttreten des eidgenössischen Umweltschutzgesetzes die notwendigen kantonalen Bestimmungen auszuarbeiten, um im Fall der Verzögerung oder gar des Scheiterns des Gesetzes diese Bestimmungen bereits zur Hand zu haben. Das Warten der Behörden auf eine eidgenössische Regelung höhle dieses Recht der Initianten völlig aus.
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a) Bei Beschwerden gemäss Art. 85 lit. a OG prüft das Bundesgericht die Anwendung und Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts und jener Vorschriften des kantonalen Gesetzesrechts frei, die mit dem Stimmrecht eng zusammenhängen oder die dessen Inhalt und Tragweite umschreiben. In bezug auf das übrige kantonale Recht ist die Kognition des Bundesgerichts auf eine Willkürprüfung beschränkt (BGE 106 Ia 199 E. 2d mit Verweisungen). Ob die Vorschriften von § 12 Abs. 2 und 3 KV verletzt worden sind, prüft das Bundesgericht somit ohne Einschränkung seiner Kognition.
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b) Tritt der Landrat auf eine nichtformulierte Initiative nicht ein, so ist gemäss § 12 Abs. 2 KV längstens innert sechs Monaten nach der Einreichung die Frage den Stimmberechtigten vorzulegen, ob dem Begehren Folge gegeben werden soll. Tritt er jedoch darauf ein, so ist der Landrat nach § 12 Abs. 3 KV gehalten, innert achtzehn Monaten eine Vorlage im Sinne des gestellten Begehrens zu verabschieden.
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Die Initiative "Schutz für Luft, Boden und Wasser" ist der Landeskanzlei des Kantons Basel-Landschaft am 15. März 1979 eingereicht worden. Weder der Land- noch der Regierungsrat bestreiten, dass sowohl die Frist für die Durchführung einer Volksabstimmung im Fall des Nichteintretens als auch jene für die Verabschiedung einer Vorlage abgelaufen sind. Sie vertreten jedoch die Auffassung, dass es sich bei den Fristen gemäss § 12 Abs. 2 und 3 KV um reine Ordnungsfristen handle, deren Nichtbeachtung grundsätzlich mit keinen besonderen Rechtsfolgen verbunden sei. Allerdings könne eine Fristüberschreitung dann mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden, wenn eine Ordnungsfrist grundlos missachtet worden sei und damit im Ergebnis eine Rechtsverzögerung vorliege. Davon könne hinsichtlich der Behandlung der Initiative der POCH nicht die Rede sein. Solange kein definitiver Entwurf für das künftige Bundesgesetz über den Umweltschutz vorliege, könnten Land- und Regierungsrat sich nicht in endgültiger und verbindlicher Weise über die kantonale Volksinitiative aussprechen. Die Beschwerdeführer anerkennen, dass es sich bei den Fristen gemäss § 12 Abs. 2 und 3 KV um Ordnungsfristen handelt. Sie bestreiten jedoch die Stichhaltigkeit der Begründung, die für die Überschreitung der Fristen gegeben wird.
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Wie die Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit dem Land- und dem Regierungsrat zutreffend annehmen, handelt es sich bei den Fristen nach § 12 Abs. 2 und 3 KV um Ordnungsfristen (vgl. BGE 104 Ia 243 E. 3a mit Hinweisen). Das will indessen nicht heissen, dass sie deshalb bedeutungslos wären. So haben sie zunächst eine gewisse politische Bedeutung. Sodann kann deren Überschreitung wegen Rechtsverweigerung beziehungsweise Rechtsverzögerung mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht beanstandet werden, wenn die kantonalen Behörden die Fristen auf unzulässige Art verstreichen lassen, ohne zu handeln, oder das fragliche Geschäft in ungerechtfertigter Weise trölerisch behandeln (BGE 100 Ia 56; vgl. auch BGE 104 Ia 246).
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c) Im vorliegenden Fall ist es die erklärte Absicht von Land- und Regierungsrat, die Initiative der POCH bis zum Vorliegen eines endgültigen Entwurfs für ein eidgenössisches Umweltschutzgesetz nicht zu behandeln. Zwar wollen sie die Genehmigung des regierungsrätlichen Amtsberichts 1980 durch den Landrat so verstanden haben, dass dieser auf die Initiative eingetreten sei, deren Behandlung aber sistiert habe. Indessen haben sich die beiden Behörden vorbehalten, alsdann zu entscheiden, "ob auf die Initiative zustimmend eingetreten werden kann, ein ablehnender Beschluss in die Wege zu leiten und als Alternative eventuell ein Gegenvorschlag auszuarbeiten wäre". Aus dieser Absichtserklärung geht deutlich hervor, dass sich die Behörden unter anderem auch die Möglichkeit offenhalten wollten, dannzumal auf die Initiative nicht einzutreten, wenn dies angesichts der Regelung des künftigen Bundesgesetzes über den Umweltschutz nicht mehr angezeigt sein sollte. Sie sind somit auf die Initiative formell weder eingetreten noch nicht eingetreten, sondern sie haben den Entscheid hierüber einstweilen ausgesetzt. Damit stellt sich die Frage, ob dieses in § 12 KV nicht vorgesehene Verfahren vor der Staatsverfassung standhalte.
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Die verhältnismässig kurzen Fristen gemäss § 12 Abs. 2 und 3 KV haben den Zweck, die Verschleppung von Volksbegehren zu verhindern. Eine Initiative soll vom Landrat möglichst rasch behandelt und den Stimmberechtigten ohne Verzug zur Abstimmung unterbreitet werden. Die Vorschriften von § 12 Abs. 2 und 3 KV können nicht dahin ausgelegt werden, dass die vorgeschriebenen Fristen die Regel bildeten, von denen begründete Ausnahmen zulässig wären. Hätte der Verfassungsgeber eine derartige Bestimmung erlassen wollen, hätte er sie entsprechend abfassen können. Das hat er nicht getan (vgl. BGE 104 Ia 243 E. 3a). Ähnlich verhält es sich mit der Frage einer allfälligen Sistierung. Auch eine solche Möglichkeit sieht die Staatsverfassung des Kantons Basel-Landschaft nicht vor. Zudem widerspräche sie dem Zweck von § 12 Abs. 2 und 3 KV, wonach der Landrat zur raschen Behandlung von Volksbegehren verhalten ist. Könnte dieser die Beratung von Initiativen jeweils aussetzen, verlöre die verfassungsrechtliche Befristung ihre Wirkung weitgehend. Auf diesem Weg wäre es dem Landrat möglich, der Behandlung von Volksbegehren auszuweichen, ohne das verfassungsmässig vorgeschriebene Verfahren einhalten zu müssen. Das lässt sich mit dem Initiativrecht und damit auch mit den politischen Rechten der Stimmbürger nicht vereinbaren. Die Sistierung der Behandlung von Volksinitiativen durch den Landrat hält somit vor der Staatsverfassung des Kantons Basel-Landschaft grundsätzlich nicht stand.
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d) Indem der Landrat die Behandlung der Initiative "Schutz für Luft, Boden und Wasser" sistiert hat, ist er nicht in dem von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren vorgegangen. Die kantonalen Behörden begründen diese Abweichung im wesentlichen damit, dass es sinnlos sei, einen Entscheid über das Volksbegehren zu treffen, solange die eidgenössische Umweltschutzgesetzgebung inhaltlich nicht feststehe. Die kantonale Gesetzgebung müsse vernünftigerweise mit jener des Bundes koordiniert werden. Zudem zeigten verschiedene Erlasse, dass der Kanton Basel-Landschaft auf dem Gebiet des Umweltschutzes seit geraumer Zeit erhebliche Anstrengungen unternommen habe. Diese Argumentation ist sachlich und arbeitsökonomisch verständlich. Doch ist nicht zu übersehen, dass der Landrat damit - wenn auch nur vorläufig - über eine Frage entschieden hat, die in die Zuständigkeit der Gesamtheit der Stimmberechtigten fällt. Erachtet er die Behandlung einer Volksinitiative jedenfalls zur Zeit als unvernünftig, so bleibt ihm nur die Möglichkeit, nach § 12 Abs. 2 KV auf das Begehren nicht einzutreten und die Frage, ob ihm Folge gegeben werden soll, innert sechs Monaten seit der Einreichung den Stimmberechtigten zum Entscheid vorzulegen. Andernfalls entzieht er den Stimmberechtigten eine Entscheidungskompetenz, die von Verfassungs wegen ihnen zusteht.
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e) Indessen beabsichtigen die kantonalen Behörden nicht, den Stimmberechtigten die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Initiative der POCH überhaupt vorzuenthalten. Sie wollen einzig ein bestimmtes Stadium der eidgenössischen Gesetzgebung abwarten, die den gleichen Sachbereich wie das Volksbegehren beschlägt. Damit stellt sich die Frage, ob im konkreten Fall die unbestrittene Überschreitung der Ordnungsfristen von § 12 Abs. 2 und 3 KV als Rechtsverzögerung bezeichnet werden müsse.
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Wie es sich damit verhielte, wenn der definitive Inhalt des künftigen Bundesgesetzes über den Umweltschutz schon kurze Zeit nach Ablauf der sechsmonatigen Frist von § 12 Abs. 2 KV hätte erwartet werden können, kann dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall war diese Frist schon im Zeitpunkt der Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde um mehr als das Fünffache überschritten. Land- und Regierungsrat sind erklärtermassen bereit, weitere Verzögerungen vorbehaltlos in Kauf zu nehmen. Eine derart massive Fristüberschreitung lässt sich angesichts der klaren Verfahrens- und Kompetenzregelung von § 12 KV nicht mehr rechtfertigen. Sie stellt daher eine Rechtsverzögerung dar, die zur Gutheissung der Beschwerde führen muss.
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a) Vorweg ist festzuhalten, dass das Bundesgericht an die Beschwerdeanträge insoweit nicht gebunden ist, als positive Anordnungen verlangt werden. Es kann zur Herstellung des verfassungsmässigen Zustandes auch andere als die beantragten Anordnungen treffen (HANS MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4. Aufl., Basel und Stuttgart 1979, Nr. 282, S. 155/156).
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Die unverzügliche Vorlage der Initiative "Schutz für Luft, Boden und Wasser" zur Volksabstimmung, stellt nur die eine Möglichkeit dar, den verfassungsmässigen Zustand herzustellen. Der entsprechende Antrag der Beschwerdeführer beruht auf der Annahme, die Nichtbehandlung der Initiative durch den Landrat sei einem förmlichen Nichteintretensentscheid gleichzusetzen. Damit wäre gemäss § 12 Abs. 2 KV den Stimmberechtigten die Frage vorzulegen, ob dem Volksbegehren Folge gegeben werden soll.
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Der Antrag der Beschwerdeführer ist angesichts der Nichtbehandlung der Initiative durch den Landrat verständlich. Indessen würde der Landrat dadurch gezwungen, eine Volksabstimmung über eine Grundsatzfrage im Sinne von § 12 Abs. 2 KV durchzuführen; das käme einem Entzug des Rechts gleich, auf die Initiative einzutreten und eine Gesetzesvorlage zu verabschieden (§ 12 Abs. 3 KV). Zwar könnte dem entgegengehalten werden, der Landrat habe deutlich zu erkennen gegeben, dass er nicht bereit sei, tätig zu werden, bevor der Inhalt des künftigen Bundesgesetzes über den Umweltschutz feststehe; damit habe er von vornherein auf die Ausarbeitung einer Vorlage verzichtet. Das mag bis anhin in der Tat zugetroffen haben. Indessen steht keineswegs fest, ob es der Landrat auf Grund der Gutheissung der Beschwerde nicht vorziehen wird, einen Gesetzesentwurf vorzubereiten. So wäre es jedenfalls denkbar, die gesetzgeberische Tätigkeit auf die bereits vorhandenen Vorarbeiten zum künftigen Bundesgesetz auszurichten. Kommt dieses zustande, so wäre die Vorlage als kantonales Einführungsgesetz verwendbar. Kommt der eidgenössische Erlass nicht zustande, so könnte sie als selbständiges Umweltschutzgesetz des Kantons ausgestaltet werden. Es erscheint deshalb richtiger, den Landrat zu verpflichten, sofort zu entscheiden, ob er auf die Initiative eintreten will. Je nach Ergebnis wird er unverzüglich entweder die Volksabstimmung durchführen oder das Gesetzgebungsverfahren aufnehmen müssen.
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