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44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. November 1982 i.S. Jenni und Vögeli gegen Grosser Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 6b bern. KV; Art. 85 lit. a OG; Finanzreferendum, elektronische Datenverarbeitung. |
2. Begriff der gebundenen Ausgabe (E. 3b), im Kanton Bern (E. 3c). |
3. Elektronische Datenverarbeitung: |
a) Gehört sie zum normalen Gang der Verwaltung (E. 5a)? |
b) Steht der entscheidenden Behörde für die Durchführung eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit zu (E. 5)? |
4. Anforderungen an einen Grunderlass, mit welchem die daraus folgenden Aufwendungen gebilligt werden (E. 6). | |
Sachverhalt | |
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"Der Regierungsrat wird ermächtigt, mit einer zu gründenden Aktiengesellschaft einen Vertrag über die Benützung eines Datenverarbeitungssystems IBM 360-65 abzuschliessen. Hierzu wird eine jährliche Ausgabe von Fr. 1'000'000.-- bewilligt, erstmals für das Jahr 1972."
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Indessen stiegen die Aufwendungen des Staates für die Bezahlung von Computerleistungen an die BEDAG bis 1981 auf jährlich rund sieben Millionen Franken an. Raummangel, Sicherheitsgründe und die fortschreitende Entwicklung der Technik veranlassten den Kanton Bern und die BEDAG, nach neuen Lösungen zu suchen.
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Sie regelten deshalb in einem neuen Vertrag vom 17. September 1981 ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung, so dass die BEDAG ein Rechenzentrum betreibt und als einzige neben automatischen Kleinanlagen für den Kanton die Informationsverarbeitung durchführt. Die EDV-Anwendungen werden vom Kanton entwickelt und von der BEDAG verarbeitet. Der Kanton stellt der BEDAG das Personal für den Betrieb des Rechenzentrums zur Verfügung. Dieses Personal untersteht dem Beamtenstatut der bernischen Staatsverwaltung. Die BEDAG vergütet dem Kanton den Personaleinsatz und bezahlt die Inanspruchnahme von Infrastruktur. Der Kanton bezahlt der BEDAG die Computerleistung. Die politische Kontrolle erfolgt dadurch, dass die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsrates der BEDAG vom Kanton Bern bestimmt wird; ferner steht dem ![]() | 4 |
Mit einem weiteren Vertrag vom gleichen Tage räumte der Kanton Bern der BEDAG für die Errichtung eines Rechenzentrums ein Baurecht an einer kantonalen Liegenschaft auf die Dauer von 100 Jahren ein, unter Festsetzung einer jährlichen Grundrente von Fr. 281'680.--. Beide Verträge wurden vom Regierungsrat und dem Grossen Rat genehmigt und dem fakultativen Referendum nicht unterstellt.
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Gestützt auf Art. 85 lit. a OG führen Daniele Jenni und Lukas Vögeli staatsrechtliche Beschwerde unter anderem gegen den Beschluss des Grossen Rates des Kantons Bern vom 19. November 1981 betreffend der Zusammenarbeit des Kantons mit der BEDAG, soweit damit das fakultative Referendum ausgeschlossen worden ist.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Der Beschluss des Grossen Rates vom 19. November 1981 betreffend die Genehmigung des Vertrages über die Zusammenarbeit zwischen dem Kanton Bern und der BEDAG vom 17. September 1981 ist kein formeller Ausgabenbeschluss. Das bedeutet indessen nicht, dass er nicht Gegenstand eines Referendums bilden könnte. Wird er rechtskräftig, so werden dem Kanton Bern aus dessen Vollzug unbestrittenermassen jährliche Ausgaben von ![]() | 9 |
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes gelten Ausgaben dann als gebunden und damit nicht als referendumspflichtig, wenn sie durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfange nach vorgesehen oder zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind. Gebunden ist eine Ausgabe ferner, wenn anzunehmen ist, die Stimmbürger hätten mit einem vorausgehenden Grunderlass auch die daraus folgenden Aufwendungen gebilligt, falls ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war oder falls gleichgültig ist, welche Sachmittel zur ![]() | 11 |
c) Allerdings besteht kein verbindlicher bundesrechtlicher Begriff der neuen und gebundenen Ausgaben. Von der dargelegten Begriffsbestimmung des Bundesgerichtes darf deshalb dort abgewichen werden, wo sich bei der Auslegung des kantonalen Rechtes oder aufgrund einer feststehenden und unangefochtenen Rechtsauffassung und Praxis des kantonalen Gesetzgebers eine andere Betrachtungsweise aufdrängt (BGE 105 Ia 85 E. 6b, BGE 102 Ia 459 /460 E. 3a). Indessen wurde im neueren dieser Fälle ausgeführt, es bestünden keine Hinweise dafür, dass der bernische Verfassungsgeber bei der Teilrevision der Kantonsverfassung in den Jahren 1969/1970, als in Art. 6 Ziff. 4 erstmals die Begriffe der "neuen" und der "gebundenen" Ausgaben in den Verfassungstext aufgenommen wurden, von der bundesgerichtlichen Begriffsbestimmung habe abweichen wollen; im Gegenteil habe der Präsident der vorberatenden Kommission im Grossen Rat auf diese Rechtsprechung ausdrücklich Bezug genommen. Diese Feststellungen wurden im vorliegenden Verfahren nicht in Frage gestellt, so dass es dabei sein Bewenden haben muss.
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b) Alles, was der Regierungsrat vor dem Grossen Rat und im ![]() | 15 |
c) Es lässt sich auch nicht sagen, es könne dem Stimmbürger gleichgültig sein, ob die Datenverarbeitung für den Kanton Bern durch den Staat oder durch eine gemischtwirtschaftliche Organisation erfolge. Die grundsätzliche Seite dieser Frage stellt einen politischen Entscheid dar, der - sofern die Referendumsgrenze bei den Ausgaben überschritten ist - dem Volk zusteht. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass das Kontrollrecht der vom Volke gewählten Behörden bei der gemischtwirtschaftlichen Lösung keineswegs identisch ist mit demjenigen, wie es gegenüber einem Staatsbetrieb ausgeübt werden könnte. Zwar wird die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsrates der BEDAG vom Kanton Bern bestimmt; dem Regierungsrat steht das Recht zu, diese zu instruieren und es ist ihm der Geschäftsbericht zur Kenntnis zu bringen. Indessen ist nicht zu verkennen, dass Verantwortlichkeit und politische Kontrolle bei der gewählten Lösung um eine Stufe nach unten verschoben werden. Für einen Staatsbetrieb wäre der Regierungsrat unmittelbar verantwortlich und es stünde dem Grossen Rat die Oberaufsicht zu (Art. 26 Ziff. 7 KV); bei der gemischtwirtschaftlichen Unternehmung dagegen liegt die unmittelbare ![]() | 16 |
d) Es ist selbstverständlich, dass das Bundesgericht nicht in die Entscheidungsfreiheit des Kantons Bern eingreifen und vor allem nicht zum Ausdruck bringen will, die rein staatliche Lösung der gestellten Aufgabe sei derjenigen über einen gemischtwirtschaftlichen Betrieb vorzuziehen. Mit den vorstehenden Ausführungen soll einzig dargetan werden, dass mindestens zwei Varianten ernstlich in Betracht zu ziehen sind. Der Grosse Rat hat demnach über eine Frage entschieden, die jedenfalls dann in die Zuständigkeit der Stimmberechtigten fällt, wenn die entsprechenden Ausgaben nicht aufgrund früherer Entscheide als gebunden zu gelten haben.
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b) Es ist fraglich, ob bei neuer Prüfung an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten werden könnte. Sie erweckt deshalb gewisse Bedenken, weil den Stimmbürgern zugemutet wird, gegen einen Parlamentsbeschluss etwas zu unternehmen, der gerade nicht in der Form, welche für die dem fakultativen Referendum unterliegenden Kreditbeschlüsse vorgesehen ist, veröffentlicht wurde. Es geht wohl etwas weit, einen solchen Beschluss in der gleichen Weise als vom Stimmbürger stillschweigend gebilligt zu betrachten wie einen anderen, der dem fakultativen Referendum ![]() | 19 |
c) Ob in rein tatsächlicher Hinsicht ein gewisser Sachzwang bestehe oder nicht, braucht unter diesen Umständen nicht mehr entschieden zu werden; denn der Grosse Rat war aufgrund der vorstehenden Darlegungen mindestens einmal verpflichtet, die wesentliche Frage, ob die staatlichen Aufwendungen für die EDV über eine gemischtwirtschaftliche Unternehmung zu leiten seien oder nicht, dem Volke zur Abstimmung zu unterbreiten.
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