BGE 110 Ia 72 | |||
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14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. März 1984 i.S. Peter Berger & Kons. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 88 OG; Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Anspruches auf Akteneinsicht. |
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Akteneinsicht kann mit staatsrechtlicher Beschwerde nur geltend gemacht werden, wenn der Beschwerdeführer in einem Verfahren rechtlich geschützte Interessen verfolgt oder - wenn es sich um lediglich tatsächliche Interessen handelt - soweit ihm kantonale Verfahrensvorschriften Rechte im Verfahren einräumen (E. 2). | |
Sachverhalt | |
In Zürich ist seit Jahren eine politische Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirchen im Gange, die noch nicht abgeschlossen ist. Art. 64 KV anerkennt in der Fassung vom 7. Juli 1963 in Absatz 2 die evangelisch-reformierte Landeskirche und weitere christliche Kirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts. Nach Absatz 3 werden ihr Verhältnis zum Staate sowie die staatlichen Leistungen für das Kirchenwesen durch die Gesetzgebung geordnet. Neu wurde 1963 beigefügt: "Die auf historischen Rechtstiteln beruhenden Verpflichtungen des Staates bleiben gewahrt". Die Frage der sog. "historischen Rechtstitel" ist umstritten. Im Auftrag der vorbereitenden Kommission, welche eine 1977 in der Volksabstimmung verworfene Volksinitiative auf Trennung von Kirche und Staat behandelte, wurde am 27. Juni 1977 im Kantonsrat eine Motion mit dem Antrag eingebracht, eine weitere Entflechtung zwischen Kirche und Staat zu prüfen, hierüber Bericht zu erstatten und allenfalls Antrag zu stellen. Bericht und Antrag zu dieser Motion Nr. 1751 legte der Regierungsrat dem Kantonsrat am 12. Januar 1983 vor; er beantragte darin, die am 3. März 1980 erheblich erklärte Motion abzuschreiben.
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In seinem Bericht erörtert der Regierungsrat insbesondere die Frage der sog. "historischen Rechtstitel", deren Klärung die evangelisch-reformierte Landeskirche verlangte und in der die Standpunkte von kirchlicher und staatlicher Seite stark voneinander abweichen. Er stellt einlässlich, aber vereinfacht den Standpunkt des Staates dar, wie er von der Direktion des Innern in drei vom 16. Mai 1979 und August 1981 datierten Exposés formuliert ist, die unter Leitung des von ihm als Experte bestellten Professors Hans Nef verfasst wurden. Danach bestünden die im Verfassungstext von 1963 vorbehaltenen "historischen Rechtstitel" nicht.
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Am 14. März und 19. April 1983 ersuchten die vier Beschwerdeführer und ein weiterer Freidenker die Direktion des Innern um Einsicht in das Gutachten Nef und ihre drei Exposés. Die Direktion des Innern verweigerte ihnen am 21. April 1983 die Einsicht. Eine Eingabe vom 2. Mai 1983 mit denselben Begehren wies der Regierungsrat am 29. Juni 1983 ab, wobei er das Begehren als Rekurs entgegennahm.
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Die Gesuchsteller beanspruchten für sich die gleichen Informationen, die schon der Kirchenrat bzw. dessen Experten erhalten hätten. Ferner wiesen sie darauf hin, dass sie bei der Bundesversammlung ein Gesuch um Widerruf der am 4. Oktober 1963 ausgesprochenen Gewährleistung für die fragliche Verfassungsbestimmung gestellt und in diesem hängigen Verwaltungsverfahren Anspruch auf Akteneinsicht hätten. Der Regierungsrat verneinte in seinem Entscheid vom 29. Juni 1983 einen solchen auf kantonales Recht und Art. 4 BV gestützten Anspruch, weil die angeforderten Akten nicht ein Verfahren betreffen, in welchem die Beschwerdeführer Partei seien. Im Verfahren vor der Bundesversammlung könnten die Beschwerdeführer allenfalls ein Gesuch um Beizug der Akten an die Bundesbehörden richten. Im übrigen stehe es im Ermessen des Regierungsrates, den Inhalt solcher Akten bekanntzugeben, was - über die Zusammenfassung im Bericht vom 12. Januar 1983 an den Kantonsrat hinaus - gegenüber den Beschwerdeführern nicht tunlich sei, zumal sie ein besonderes schützenswertes Interesse nicht dargetan hätten.
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Gegen den Entscheid des Regierungsrats reichten die Beschwerdeführer am 3. August 1983 rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde ein. Sie machen Verletzungen von Art. 4 BV geltend, nämlich Willkür und Verweigerung des rechtlichen Gehörs sowie in diesem Zusammenhang Verletzung eines den Parteien aus Art. 4 BV zustehenden umfassenden Akteneinsichtsrechts.
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Der Antrag auf Widerruf der Gewährleistung von Art. 64 KV ZH wurde vom Nationalrat am 7. Oktober 1983 (Sten.Bull. NR 1983 S. 1490/1) und vom Ständerat am 15. Dezember 1983 (Sten.Bull. StR 1983 S. 717-719) abgewiesen, ohne dass dem Akteneditionsgesuch von der Petitionskommission statt gegeben worden war.
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein aus folgenden
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Erwägungen: | |
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2. Die Beschwerdeführer erheben die Rüge einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs und gleichzeitig der Willkür, weil ihnen der Regierungsrat die verlangte Einsicht in die zu seinen Akten gehörenden Gutachten mit der Begründung verweigerte, es handle sich dabei nicht um Akten eines Verfahrens, in dem sie Partei seien oder eine der Partei ähnliche Stellung hätten, weshalb ihnen ein Anspruch auf Akteneinsicht nach § 8 VRG und Art. 4 BV nicht zustehe. Sie sehen eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs insbesondere darin, dass der Regierungsrat ihnen das umfassende Akteneinsichtsrecht nicht gewährt habe, das Parteien aus Art. 4 BV zustehe. Sie erheben die gleichen Rügen ferner, weil der Regierungsrat die Gutachten, in welche sie Einsicht verlangten, nicht als öffentliche Urkunden im Sinne von Art. 231 EG ZGB betrachtete und ihnen deshalb das Einsichtsrecht verweigerte, welches nach dieser Bestimmung Privatpersonen zusteht, sofern ein rechtliches Interesse an der Einsicht bescheinigt wird. Die Beschwerdeführer werfen dem Regierungsrat Willkür schliesslich bei der Handhabung seines Ermessens vor.
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Sie machen zur Begründung all dieser Rügen geltend, sie seien Parteien im "kantonalen Verfahren betreffend Feststellung, ob es sog. historische Rechtstitel gebe", ferner in dem durch ihr Gesuch vom 8. Dezember 1982 an die Bundesversammlung ausgelösten bundesrechtlichen Verfahren auf Widerruf der 1963 erteilten Gewährleistung für Art. 64 KV ZH, welches selbstverständlich Teil des genannten kantonalen Verfahrens sei.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung verschafft das allgemeine Willkürverbot, das bei jeder staatlichen Verwaltungstätigkeit nach Art. 4 BV zu beachten ist, für sich allein den Betroffenen noch keine geschützte Rechtsstellung. Eine Legitimation zur Willkürbeschwerde besteht erst dann, wenn der angefochtene Entscheid den Beschwerdeführer in seiner vorhandenen Rechtsstellung berührt und in rechtlich geschützte Interessen eingreift. Die Geltendmachung des Willkürverbots setzt eine Berechtigung in der Sache voraus. Aus Art. 4 BV folgt kein selbständiger Anspruch auf willkürfreies staatliches Handeln (BGE 107 Ia 184 E. 2a; 105 Ia 275 mit Hinweis).
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Auch der Anspruch auf rechtliches Gehör gilt nicht um seiner selbst willen, sondern ist mit der Berechtigung in der Sache eng verbunden. Von Verfassungs wegen besteht der Gehörsanspruch erst dann, wenn die Gefahr besteht, dass der Einzelne durch den Erlass einer Verfügung in seinen rechtlich geschützten Interessen verletzt wird. Er kann daher nur geltend gemacht werden, wenn der Beschwerdeführer im Verfahren rechtlich geschützte Interessen verfolgt oder - wenn es sich um lediglich tatsächliche Interessen handelt - soweit ihm kantonale Verfahrensvorschriften Rechte im Verfahren einräumen (BGE 107 Ia 185/6 E. 3c, mit Hinweisen).
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b) Beim "kantonalen Verfahren betreffend Feststellung, ob es die sogenannten "historischen Rechtstitel" gebe und wie die Festschreibung solcher nichtexistenter Rechtstitel in der Kantonsverfassung rückgängig zu machen sei", handelt es sich nicht um ein Verwaltungs- oder Rechtsprechungsverfahren, sondern um einen politischen Vorgang, in dem das Verhältnis zwischen Staat und evangelisch-reformierter Landeskirche sowie die sog. "historischen Rechtstitel" dieser Kirche geklärt werden sollen. Der Regierungsrat liess das sog. Gutachten Nef für die Vorbereitung der gesetzgeberischen Initiativen erstatten, die er auf die Motion des Kantonsrats hin oder die der Kantonsrat selber ergreifen könnte. Die Beschwerdeführer als Freidenker haben wohl ein persönliches und ideelles Interesse am Ausgang dieses politischen Vorganges. Partei in einem Verfahren sind sie jedoch im politischen Meinungsbildungsprozess nicht. Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass § 8 VRG ZH, Art. 231 EG ZGB oder andere kantonale Vorschriften ein Recht auf Einsicht in Gutachten im Zusammenhang mit einem aktuellen politischen Gegenstand gewähren würden. Das Interesse als Stimmbürger am Ausgang einer politischen Auseinandersetzung, wie z.B. eines Gesetzgebungsvorhabens oder der Vorbereitung einer Gesetzesvorlage, stellt nicht ein rechtlich geschütztes Interesse gemäss Art. 88 OG dar. Diese Bestimmung soll vielmehr gerade ausschliessen, dass von der staatsrechtlichen Beschwerde zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen Gebrauch gemacht wird (BGE 107 Ia 183 /4 E. 1; BGE 106 Ia 326 E. b; 331 E. 2; 334 E. 1, mit Hinweisen).
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Anderseits berufen sich die Beschwerdeführer auf das durch ihr Gesuch an die Bundesversammlung eingeleitete Verfahren. Soweit sie dieses nicht nur als Teil der politischen Auseinandersetzung anführen wollen, handelt es sich von vornherein nicht um ein Verfahren vor den Behörden des Kantons Zürich. Die Verfahrensvorschriften des Kantons sind für dieses Verfahren ohne Bedeutung, und die Beschwerdeführer können aus kantonalen Verfahrensvorschriften für sich von vornherein kein Recht auf Akteneinsicht ableiten, da die zuständigen Bundesbehörden den Zürcher Behörden kein Editionsgesuch zugeleitet haben.
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Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Entscheid somit nicht in Interessen betroffen, in denen sie durch Vorschriften des kantonalen Verfahrensrechts geschützt würden.
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c) Sie könnten deshalb zur Beschwerde nur legitimiert sein, wenn sich aus Art. 4 BV ein selbständiger Anspruch auf Akteneinsicht ableiten liesse. Einen solchen Rechtsanspruch um seiner selbst willen kennt die Bundesgerichtspraxis aber allein aufgrund von Art. 4 BV nicht. Vielmehr anerkennt die Bundesgerichtspraxis den Anspruch auf Akteneinsicht lediglich als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör und nur im Zusammenhang mit einem Verfahren, an dem der Einsicht Verlangende entweder formell als Partei beteiligt ist (BGE 108 Ia 7; BGE 104 Ia 71; BGE 103 Ia 492 /3; 101 Ia 311; BGE 100 Ia 102 /3 E. 5a und b; vgl. auch das Urteil vom 6. Dezember 1982 in ZBl 84/1983 S. 191 ff.) oder in der Sache selbst ein rechtlich geschütztes Interesse hat (vgl. die verschiedenen Entscheidungen bei WILLY HUBER, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, Diss. St. Gallen 1980, S. 53, der daraus allerdings unzutreffend schliesst, dass auch ein schutzwürdiges Interesse allgemein den Anspruch begründen könnte).
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In einzelnen Fällen hat das Bundesgericht zwar ein Akteneinsichtsrecht unter ausserordentlichen Umständen auch schon ausserhalb eines hängigen Verfahrens beispielsweise aus dem Grundsatz von Treu und Glauben bejaht, so zuletzt in dem (bei COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, in recht 1984, 8 Anm. 67 erwähnten) Urteil vom 26. Oktober 1982 i.S. Jobin und Kons. c. Gemeinde Le Locle. Daraus darf indessen nicht geschlossen werden, die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde lasse sich allein aus dem in Art. 4 BV enthaltenen Anspruch auf Akteneinsicht herleiten (im gleichen Sinne schon Urteil vom 18. November 1983 i.S. Schaffroth c. Regierungsrat Zürich). Auf die staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verweigerung der Akteneinsicht wegen Willkür wie auch wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann daher mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht eingetreten werden.
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