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39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Dezember 1984 i.S. Burgergemeinde Zermatt gegen Schaller, Staatsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Wallis (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Gemeindeautonomie; Aufhebung eines kommunalen Einbürgerungsentscheids durch die kantonale Behörde. |
Keine Verletzung dieser Autonomie, wenn die kantonale Rechtsmittelinstanz den Entscheid einer Gemeinde, die ein Einbürgerungsgesuch ohne triftige, in der Person der Bewerberin liegende Gründe ablehnte, aufhebt und die Einbürgerung verfügt (E. 4a). |
Verneinung einer Autonomieverletzung auch hinsichtlich der von der Rechtsmittelinstanz festgesetzten Einbürgerungsgebühr (E. 4b). | |
Sachverhalt | |
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Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts hat die Burgergemeinde Zermatt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie sowie der Art. 4 und 58 BV erhoben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
1. Der Entscheid des Walliser Verwaltungsgerichts zwingt die Burgergemeinde Zermatt, gegen ihren Willen eine Einbürgerung vorzunehmen. Er trifft sie somit in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Die Burgergemeinde ist daher legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung der Autonomie zu ![]() | 3 |
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a) Gemäss Art. 29 der Verfassung des Kantons Wallis (KV) kann jeder Kantonsbürger unter den vom Gesetz bestimmten Bedingungen in anderen Gemeinden das Bürgerrecht erwerben. Das Walliser Gesetz vom 23. November 1870 über die Burgerschaften (GB) sieht in Art. 10 vor:
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"Die Burgerschaften sollen den seit fünf Jahren in der Gemeinde ansässigen Wallisern die Erwerbung des Burgerrechts erleichtern. Die gleiche Begünstigung ist unter die (richtig: der) Bedingung des Gegenrechts auch den übrigen Schweizern zugestanden.
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Wenn das Burgerrecht ohne triftigen Grund verweigert wird, so kann sich der Bewerber an den Staatsrat wenden, der über den Weigerungsgrund entscheidet und der zur Bestimmung des Preises das Verhältnis zwischen dem Zins des Einkaufskapitals und dem Vermögen und dem Ertrag der Burgerschaft zu berücksichtigen hat."
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Der Staatsrat und das Verwaltungsgericht sind der Meinung, aufgrund dieser Vorschriften stehe der Bürgergemeinde jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - über die Einbürgerung eines seit fünf Jahren in der Gemeinde ansässigen Wallisers zu befinden habe, keine Autonomie zu. Auch in bezug auf die Festsetzung der Einkaufssumme erachten sie die Gemeinde als nicht autonom.
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Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Was die Aufnahme in das Bürgerrecht betrifft, so bestimmt das kantonale Gesetz über die Burgerschaften nicht, unter welchen Voraussetzungen die Einbürgerung im allgemeinen zu bewilligen ist; es überlässt insoweit den Entscheid ganz den Gemeinden. Mit dem angeführten Art. 10 GB wird die kommunale Entscheidungsfreiheit in bestimmten Fällen eingeschränkt, nämlich dann, wenn der Bewerber Walliser Kantonsbürger ist und seit fünf Jahren in der Gemeinde wohnt. Es kann indes nicht gesagt werden, den Bürgergemeinden stehe in diesen Fällen beim Entscheid über die Einbürgerung keine Autonomie mehr zu. Gemäss Art. 10 GB können die Gemeinden immerhin darüber befinden, ob ein "triftiger ![]() | 9 |
b) Ist eine Gemeinde in einem bestimmten Bereich autonom, so kann sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder dass sie bei der Anwendung der kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen, die den betreffenden Sachbereich ordnen, gegen das Willkürverbot verstösst oder, soweit Verfassungsrecht in Frage steht, dieses unrichtig auslegt oder anwendet (BGE 104 Ia 127, 138; BGE 103 Ia 479 E. 5). Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Staatsrat habe bei der Beurteilung der Beschwerde von Roslin Schaller gegen die Verweigerung der Einbürgerung das kantonale Recht willkürlich ausgelegt und das Verwaltungsgericht habe den Entscheid des Staatsrats zu Unrecht geschützt. Sie beklagt sich in diesem Zusammenhang auch über eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs, was zulässig ist (BGE 108 Ia 85; BGE 103 Ia 197 mit Hinweisen).
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4. Die Beschwerdeführerin rügt, der Staatsrat habe in willkürlicher Auslegung des kantonalen Rechts die Aufnahme Roslin Schallers in das Bürgerrecht von Zermatt angeordnet und die Einbürgerungsgebühr auf Fr. 4'000.-- festgesetzt; das Verwaltungsgericht habe dieses Vorgehen zu Unrecht gebilligt und dadurch ihre Autonomie verletzt. Das Bundesgericht prüft bei Autonomiebeschwerden ![]() | 11 |
a) Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, Art. 10 GB enthalte lediglich eine Aufforderung an die Bürgerschaften, einen seit fünf Jahren in der Gemeinde wohnhaften Walliser in das Bürgerrecht aufzunehmen, verpflichte sie aber nicht dazu. Der Staatsrat legt hingegen die Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1870 in dem Sinn aus, dass die Bürgergemeinden einen solchen Bewerber aufnehmen müssen, sofern nicht triftige Gründe für die Ablehnung der Einbürgerung bestehen. Diese Auslegung kann nicht als unhaltbar bezeichnet werden. Art. 29 KV räumt, wie das Bundesgericht bereits in einem Urteil vom 8. Oktober 1920 i.S. Bourgeoisie de Champéry festgehalten hat, jedem Kantonsbürger einen Anspruch darauf ein, in andern Gemeinden das Bürgerrecht zu erwerben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Nach Art. 10 Abs. 1 GB "sollen" die Bürgerschaften den seit fünf Jahren in der Gemeinde ansässigen Wallisern "die Erwerbung des Burgerrechts erleichtern", und Art. 10 Abs. 3 GB sieht für den Fall, dass das Bürgerrecht ohne triftigen Grund verweigert wird, eine Beschwerde an den Staatsrat vor. Schon der deutsche Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 GB lässt in Verbindung mit Absatz 3 sowie mit der genannten Verfassungsvorschrift die Annahme zu, die Bürgergemeinden seien bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht nur aufgefordert, sondern verpflichtet, den Bewerber aufzunehmen. Der französische Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 GB ("les bourgeoisies doivent faciliter aux Valaisans ... l'acquisition du droit de bourgeoisie") spricht noch deutlicher als der deutsche Text für eine solche Verpflichtung der Bürgerschaften. Die kantonalen Instanzen konnten demnach ohne Willkür davon ausgehen, ein Walliser Kantonsbürger, der seit fünf Jahren in einer Walliser Gemeinde wohne, habe nach Art. 10 GB einen Anspruch auf Einbürgerung, sofern nicht triftige Gründe für die Verweigerung des Bürgerrechts bestünden. Dabei ist es sachlich vertretbar, wenn der Staatsrat in ständiger Praxis annimmt, dass zu den triftigen Gründen nur diejenigen gehören, die in der Person des Bewerbers liegen. Die Einbürgerung kann daher nicht - wie die Beschwerdeführerin offenbar meint - mit dem allgemeinen Argument abgelehnt werden, eine restriktive Einbürgerungspraxis solle verhindern, dass die Einbürgerung nur aus finanziellen Überlegungen verlangt werde, ![]() | 12 |
Das hier in Frage stehende Einbürgerungsgesuch wurde von einer Walliser Kantonsbürgerin gestellt, die seit ihrer Geburt (10. Dezember 1942) in Zermatt lebte, bei Einreichung des Gesuches (16. April 1973) somit seit über dreissig Jahren in dieser Gemeinde ansässig war. Der Staatsrat und das Verwaltungsgericht konnten nicht nur ohne Willkür, sondern in zutreffender Weise zur Auffassung gelangen, es liege bei dieser Bewerberin kein triftiger Grund für die Verweigerung des Bürgerrechts vor. Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihre gegenteilige Ansicht lediglich auf die erwähnten allgemeinen Argumente, mit denen sie ihre restriktive Einbürgerungspraxis begründet. Sie behauptet selbst nicht, es stünden bei der Gesuchstellerin finanzielle Erwägungen im Vordergrund oder die Bewerberin sei nicht bereit, sich am Gemeindeleben zu beteiligen. Abgesehen davon, dass mit derartigen Behauptungen ein gewichtiger Grund im Sinne von Art. 10 GB klarerweise nicht dargetan werden könnte, wären diese hier fehl am Platz. Die Beschwerdegegnerin hat nämlich in ihrem Einbürgerungsgesuch ausdrücklich das Versprechen abgegeben, sie werde stets bemüht sein, das materielle und geistige Wohl der Bürgergemeinde Zermatt mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern. Dürfte der seit über dreissig Jahren in Zermatt ansässigen, unbescholtenen Walliser Kantonsbürgerin Roslin Schaller die Aufnahme in das Gemeindebürgerrecht verweigert werden, so wäre kaum ersichtlich, wer dann eine solche beanspruchen könnte. Nach dem Gesagten hat der Staatsrat Art. 10 GB nicht willkürlich ausgelegt, wenn er die Einbürgerung verfügte, und das Verwaltungsgericht konnte diese Verfügung ohne Verletzung der Gemeindeautonomie bestätigen.
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b) Gemäss Art. 10 Abs. 3 GB setzt der Staatsrat bei Gutheissung einer Beschwerde gegen die Verweigerung des Bürgerrechts auch die Einkaufssumme fest. Die Vorschrift sieht für die Berechnung dieser Gebühr lediglich vor, es sei "das Verhältnis zwischen dem Zins des Einkaufskapitals und dem Vermögen und dem Ertrag der Burgerschaft zu berücksichtigen". Der kantonalen Behörde steht somit ein weiter Ermessensspielraum zu, in welchen das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur im Fall einer Überschreitung oder eines Missbrauchs eingreifen könnte.
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aa) Der Staatsrat ging bei der Festsetzung der Einbürgerungsgebühr von einem Nettovermögen der Beschwerdeführerin von ![]() | 15 |
bb) Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Unrecht, dass der Staatsrat von ihren Vermögensverhältnissen im Jahre 1972 ausgegangen sei und nicht von denjenigen gemäss dem Gutachten des Treuhandbüros Rouiller, wonach sich am 31. Dezember 1980 der Verkehrswert des Vermögens auf 70 Millionen Franken und der jährliche Ertrag auf über 4 Millionen Franken belaufen hätte. In Anbetracht des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin den Entscheid über das im April 1973 eingereichte Einbürgerungsgesuch jahrelang hinausgezögert und ihn erst nach Androhung der Zwangseinbürgerung durch die kantonale Behörde im Oktober 1980 getroffen hatte, war es nicht willkürlich, wenn der Staatsrat auf die Gemeinderechnung 1972 abstellte und die seitherige Vermögensentwicklung ausser acht liess. Im übrigen ist entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin dem Verkehrswert des Vermögens bei der Festsetzung der Einkaufssumme keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Der Bewerber wird ja mit der Aufnahme in das Bürgerrecht nicht gewissermassen privatrechtlicher Miteigentümer am Bürgerschaftsvermögen. Das Verwaltungsgericht wies im angefochtenen Entscheid mit Grund darauf hin, das Abstellen auf das grosse Vermögen und Einkommen der Bürgergemeinde Zermatt würde zu einer gesetzwidrigen Vereitelung statt zur geforderten Erleichterung der Einbürgerung führen.
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Die Beschwerdeführerin hatte in einem Schreiben vom 23. Juli 1981 an den Staatsrat ausgeführt, in den vergangenen Jahren sei jeweils ein Bürgernutzen von Fr. 350.-- pro Haushaltung und Fr. 60.-- pro Person ausbezahlt worden. Der Staatsrat ging bei der ![]() | 17 |
Es ist zunächst festzuhalten, dass die kantonale Behörde aus den erwähnten Gründen auch hinsichtlich des Bürgernutzens vom Betrag per 1972/73 ausgehen durfte, also von höchstens Fr. 350.-- plus Fr. 60.-- plus Losholzanteil, demnach von einem Betrag in der Grössenordnung von Fr. 500.--. Würde man diese Summe entsprechend der Lebenserwartung der Bewerberin mit 42,47 multiplizieren, so käme man auf einen "Wert" des Bürgerrechts von rund Fr. 21'000.--. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, die Einbürgerungsgebühr müsse auch nur annäherungsweise diesen Betrag erreichen. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, die Einkaufssumme beruhe auf dem privatrechtlichen Prinzip des "do ut des", kann in dieser Form nicht zugestimmt werden. Es ist mit dem Verwaltungsgericht in Betracht zu ziehen, dass es bei der Einbürgerung nicht um eine blosse Geldanlage geht, sondern mit dem Bürgerrecht Rechte und Pflichten verbunden sind, die nicht mit einer Beteiligung an einer privaten Gesellschaft verglichen werden können. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass nach Art. 10 Abs. 1 GB den seit fünf Jahren in der Gemeinde ansässigen Wallisern die Einbürgerung erleichtert werden soll. Die Einkaufssumme darf deshalb, unabhängig vom Bürgernutzen, nicht so hoch angesetzt werden, dass dadurch die Aufnahme in das Bürgerrecht praktisch verhindert oder doch erheblich erschwert wird. Wohl mag es im zu beurteilenden Fall zutreffen, dass der Staatsrat zu einer höheren Einkaufssumme gelangt wäre, wenn er nicht bezüglich des Bürgernutzens von einem zu niedrigen Betrag ausgegangen wäre. Mit Rücksicht auf den weiten Spielraum des Ermessens, der ihm bei der Bestimmung der Einbürgerungsgebühr offensteht, kann jedoch nicht gesagt werden, der Staatsrat habe ![]() | 18 |
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