BGE 111 Ia 34 | |||
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9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. März 1985 i.S. Theiler gegen Grosser Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 6b KV-BE; Art. 85 lit. a OG; Finanzreferendum; Gebäuderenovation. |
2. Begriff der gebundenen Ausgaben im allgemeinen und bei Aufwendungen für den Unterhalt und die Umgestaltung staatlicher Gebäude (E. 4c). |
3. Aufwendungen für reine Unterhaltsmassnahmen und eine notwendige bauliche Anpassung der Raumeinteilung als gebundene Ausgaben, auch wenn theoretisch eine andere Verwendung des Gebäudes denkbar ist (E. 4d). |
4. Bei der Bestimmung der eventuell dem Finanzreferendum unterstehenden Ausgabensumme dürfen die gebundenen Ausgaben vom Gesamtkredit in Abzug gebracht werden (E. 5a). | |
Sachverhalt | |
Der Regierungsrat des Kantons Bern unterbreitete dem Grossen Rat auf die Septembersession 1984 hin eine Vorlage betreffend Renovation des Gebäudes Münsterplatz 12, Tscharnerhaus, in Bern, in dem sich der Sitz der kantonalen Finanzdirektion befindet. Er beantragte, es sei ihm für diese Renovation ein Verpflichtungskredit von insgesamt Fr. 1'880'000.-- einzuräumen. Dem begründeten Antrag ist zu entnehmen, dass der Regierungsrat davon ausging, von diesem Gesamtkredit entfielen Fr. 980'000.-- auf eigentlichen Unterhalt, d.h. auf werterhaltende Massnahmen und damit gebundene Ausgaben, die restlichen Fr. 900'000.-- dagegen auf neue Ausgaben. Der Regierungsrat beantragte, der Kreditbeschluss sei nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen, da die neuen, nicht gebundenen Ausgaben den Betrag von einer Million Franken nicht erreichten. Der Kantonsrat genehmigte am 12. September 1984 entgegen einem Antrag seines Mitgliedes Luzius Theiler den beantragten Kredit und lehnte dessen Unterstellung unter das fakultative Referendum ab.
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Gegen diesen Beschluss erhob Luzius Theiler gestützt auf Art. 85 lit. a OG staatsrechtliche Beschwerde.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Der Grosse Rat des Kantons Bern hat am 12. September 1984 für die Renovation des Tscharnerhauses in Bern in einer einzigen Abstimmung einen Gesamtkredit von Fr. 1'880'000.-- bewilligt. Betragsmässig würde dieser Beschluss klarerweise dem fakultativen Referendum unterstehen, wenn er eine neue, nicht gebundene Ausgabe zur Folge hätte, und er wäre dem Referendum entzogen, wenn er eine gebundene Ausgabe zum Gegenstand hätte. Die Behörden des Kantons Bern (Regierungsrat und Grosser Rat) vertreten weder den einen noch den anderen Standpunkt. Sie halten vielmehr dafür, von den fraglichen Ausgaben entfielen Fr. 980'000.-- auf Unterhaltsaufwendungen und seien demgemäss gebunden; der andere Teilbetrag von Fr. 900'000.-- dagegen diene insbesondere der Wiederherstellung der kunsthistorischen Bausubstanz im Sinne der Denkmalpflege und sei daher als eine neue Ausgabe zu betrachten. Da die entsprechenden Aufwendungen den Betrag von einer Million Franken nicht überstiegen, habe die Vorlage dem fakultativen Referendum nicht unterstellt werden müssen.
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b) Wie das Bundesgericht schon wiederholt festgestellt hat, besteht kein verbindlicher bundesrechtlicher Begriff der neuen und gebundenen Ausgaben; kantonales Recht ist daher grundsätzlich zu berücksichtigen. Das Bundesgericht hat aber ebenfalls schon früher dargelegt, dass im bernischen Recht keine eigene Umschreibung der Begriffe "neue" und "gebundene" Ausgaben besteht; im Gegenteil sei bei der letzten Revision der Staatsverfassung in den Jahren 1969/70, welche die Bestimmungen über das Referendum umfasst habe, ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtes verwiesen worden (BGE 108 Ia 238 E. 3c; BGE 105 Ia 85 ff. E. 6b, je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was diese Feststellung in Frage stellen würde. Es ist daher im folgenden von derjenigen Abgrenzung zwischen neuen und gebundenen Ausgaben auszugehen, die sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtes herausgebildet hat.
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c) Nach der erwähnten Rechtsprechung gelten Ausgaben dann als gebunden und damit nicht als referendumspflichtig, wenn sie durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfange nach vorgesehen oder zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind. Gebunden ist eine Ausgabe ferner, wenn anzunehmen ist, die Stimmbürger hätten mit einem vorausgehenden Grunderlass auch die daraus folgenden Aufwendungen gebilligt, falls ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war oder falls gleichgültig ist, welche Sachmittel zur Erfüllung der vom Gemeinwesen mit dem Grunderlass übernommenen Aufgaben gewählt werden. Es kann jedoch auch dann, wenn die Frage, "ob" eine mit Ausgaben verbundene Aufgabe zu erfüllen sei, weitgehend durch den Grunderlass präjudiziert ist, das "wie" wichtig genug sein, um die Mitsprache des Volkes zu rechtfertigen. Immer dann, wenn der entscheidenden Behörde in bezug auf den Umfang der Ausgabe, den Zeitpunkt ihrer Vornahme oder andere Modalitäten eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit zusteht, ist eine neue Ausgabe anzunehmen (BGE 108 Ia 237 /238 E. 3b mit zahlreichen Hinweisen).
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Bei der finanzrechtlichen Zuordnung der Aufwendungen für den Unterhalt und die Umgestaltung staatlicher Gebäude hat das Bundesgericht in Anwendung der vorstehenden Grundsätze erkannt, dass Ausgaben für den blossen Gebäudeunterhalt grundsätzlich als gebunden, solche für die Erweiterung oder die Ergänzung staatlicher Gebäude als neu zu betrachten sind. Ausgaben für den Umbau staatlicher Gebäude unterliegen jedenfalls dann dem Finanzreferendum, wenn sie mit einer Zweckänderung verbunden sind. Es lässt sich dagegen nicht in allgemeiner Weise sagen, dass grössere Ausgaben für die Instandstellung, Erneuerung oder den Umbau eines Gebäudes immer dann als gebunden zu betrachten sind, wenn der Zweck des Gebäudes beibehalten wird. Wie es sich damit verhält, hängt davon ab, ob die entscheidende Behörde hinsichtlich des "ob" oder "wie" der Aufwendungen eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit besitzt (BGE 103 Ia 449/450 E. 3b mit Hinweis; Urteil vom 23. März 1979 in ZBl 81/1980 S. 127/128 E. 4b; Urteil vom 24. Mai 1978 in ZBl 80/1979 S. 122 E. 3b).
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Wegleitend für die Aufteilung der im Zusammenhang mit der Renovation des Tscharnerhauses entstehenden Kosten in neue und gebundene Ausgaben war für die kantonalen Behörden das "Merkblatt Liegenschaften" der kantonalen Steuerverwaltung. Wie in den nachstehenden Erwägungen zu zeigen sein wird, ist im vorliegenden Fall nicht darüber zu befinden, ob diese Praxis, die auf den Unterhaltsbegriff des Steuerrechts abstellt, vor den von der Rechtsprechung zum Finanzreferendum entwickelten Grundsätzen standhält und ob die Aufteilung im einzelnen sachgerecht erfolgt ist. Zu prüfen ist aber die grundsätzliche Frage, ob der Regierungsrat bzw. der Grosse Rat überhaupt einen Teil der Kosten als gebunden qualifizieren durfte, was der Beschwerdeführer bestreitet. Für die Beurteilung dieser Frage ist auf die oben erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichts abzustellen.
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d) Das Tscharnerhaus wurde vom Kanton Bern im Jahre 1928 erworben und durch einen schonenden Umbau für Verwaltungszwecke ausgestaltet. Die letzte Aussenrenovation erfolgte im Jahre 1955. Das Gebäude ist Sitz der kantonalen Finanzdirektion.
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Die Erneuerung der elektrischen und sanitären Anlagen, die Sanierung der Heizung durch Ersatz der Ölfeuerung durch einen Gasheizkessel sowie die Teil-Innenrenovation, welche die Erneuerung der Bodenbeläge und verschiedene Malerarbeiten umfasst, stellen offensichtlich reine Unterhaltsmassnahmen dar, deren Kosten ohne weiteres als gebundene Ausgaben qualifiziert werden können. Der Regierungsrat erachtet darüber hinaus die bauliche Anpassung der Raumeinteilung aufgrund der Neuverteilung der Aufgaben innerhalb der Finanzdirektion als geboten. Es sind keine Gründe ersichtlich, die an der Notwendigkeit dieser Massnahmen zweifeln liessen, zumal sie auch der Beschwerdeführer nicht bestreitet. Diese Massnahmen führen zu keiner Zweckänderung des Gebäudes. Es kann auch nicht gesagt werden, die Behörden hätten in diesen Punkten hinsichtlich des "ob" oder "wie" eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit besessen. Auch diese Ausgaben können daher finanzrechtlich als gebunden betrachtet werden.
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Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer geltend macht, es wäre auch eine andere Verwendung des Gebäudes, z.B. ganz oder teilweise zu Wohnzwecken, denkbar. Dem ist entgegenzuhalten, dass dies eine vollständige Neukonzeption voraussetzen würde. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, wo in diesem Fall die Finanzdirektion des Kantons untergebracht werden könnte. Zweifellos wäre aber die Beschaffung neuer Räumlichkeiten erheblich aufwendiger als die vorgesehene Renovation. Zudem wäre sie wohl in der Folge mit grösseren Aufwendungen für den Betrieb verbunden, da kaum ein ähnlich zentral gelegenes Gebäude erworben werden könnte. Hinzu kommt, dass eine Übergangslösung getroffen werden müsste, die wiederum zusätzliche Kosten zur Folge hätte. Zwar hat das Bundesgericht entschieden, dass eine Behörde das Finanzreferendum nicht dadurch vermeiden kann, dass sie zur Erfüllung einer Aufgabe des Gemeinwesens die "zweckmässigste" und "billigste" der in Betracht fallenden Lösungen wählt (BGE BGE 95 I 221 /222 E. 4b). Der zitierte Fall ist aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Während dort eine im Zusammenhang mit dem Abschluss von zwei Konkordaten zusätzlich übernommene Aufgabe zur Diskussion stand, geht es im vorliegenden Fall um die Fortführung einer Aufgabe, bei der die Art und Weise der Erfüllung dadurch, dass das Tscharnerhaus bereits Sitz der Finanzdirektion ist, weitgehend präjudiziert ist. Eine andere Betrachtungsweise würde bedeuten, dass bei einem Umbau eines staatlichen Gebäudes immer dann eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit der Behörden und damit die Referendumspflicht der betreffenden Ausgabe anzunehmen wäre, wenn sich irgendein anderer Verwendungszweck des Gebäudes, ungeachtet allfälliger Mehrkosten oder daraus entstehender Schwierigkeiten, denken liesse, was nicht im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt (vgl. BGE 103 Ia 450 /451 E. 3c).
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Da der Beschwerdeführer auch nicht darlegt, wie eine sparsamere Renovation durchgeführt werden könnte, ergibt sich zusammenfassend, dass zumindest der für die Erneuerung der elektrischen und sanitären Anlagen, die Heizungssanierung und die teilweise Innenrenovation samt baulicher Anpassung der Raumeinteilung bestimmte Teilbetrag des Gesamtkredites als gebunden zu betrachten ist.
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5. a) Der Kredit für die Renovation des Tscharnerhauses enthält neben gebundenen unbestrittenermassen auch neue Ausgaben. Die kantonalen Behörden bezifferten diese mit Fr. 900'000.-- und unterstellten die Vorlage, da dieser Betrag unter der Referendumsgrenze von einer Million Franken blieb, nicht dem fakultativen Referendum. Zu prüfen ist, ob es zulässig war, vom Gesamtkredit von Fr. 1'880'000.-- den Anteil der gebundenen Ausgaben in Abzug zu bringen. Auf den ersten Blick scheint dies jedenfalls nicht die einzig denkbare Lösung darzustellen. Architektonisch handelt es sich um ein Gesamtprojekt, das einerseits der Renovation bestehender Bauteile, andererseits der Wiederherstellung historischer Bausubstanz, also der Denkmalpflege, dient. Dabei bereitet die Aufteilung bestimmter Positionen auf neue und gebundene Ausgaben gewisse Schwierigkeiten (vgl. nachstehend E. 5b). Indessen hat das Bundesgericht ein Vorgehen, das dem im vorliegenden Falle gewählten entspricht, als zulässig anerkannt. Im Urteil vom 23. März 1979 betreffend Umbau und Renovation eines Kanzleigebäudes in Appenzell wurde ausgeführt, von den gesamten Umbau- und Renovationskosten hätten diejenigen, die auf die Überholung einzelner Büros, die Ersetzung der Heizung, die Erneuerung der sanitären Anlagen und den Um- und Ausbau der obersten Stockwerke entfielen, bei der Bestimmung der eventuell dem Referendum unterstehenden Ausgabensumme in Abzug gebracht werden dürfen (ZBl 81/1980 S. 129/130 E. 5c). In diesem Urteil wird zutreffend auf BGE 100 Ia 366 ff. verwiesen, wo die Aufwendungen für Strassenunterhalt im Kanton Freiburg ebenfalls als von einem globalen Strassenbaukredit abzugsberechtigt erklärt wurden. Der erste der erwähnten Fälle lässt sich sehr wohl mit dem vorliegenden vergleichen. Die Kritik des Beschwerdeführers gibt keinen Anlass, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu verschärfen. Zu ihren Gunsten lässt sich anführen, dass es wenig sinnvoll wäre, Unterhaltsarbeiten zwar grundsätzlich als gebunden zu betrachten und von der Referendumspflicht auszunehmen, die Dinge jedoch dann anders zu betrachten, wenn diese Unterhaltsarbeiten zusammen mit neuen baulichen Arbeiten ausgeführt werden. Hinzu kommt, dass bei Unterstellung der Gesamtausgaben unter das fakultative Referendum nach Ablehnung der Vorlage Zweifel daran entstehen könnten, ob der Unterhalt nun doch in der vorgesehenen und notwendigen Weise durchgeführt werden dürfe oder nicht. Der Abzug der gebundenen Ausgaben von den Gesamtaufwendungen ist somit nicht zu beanstanden.
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